30 I Th. Slongo und L. Audige AO-Kiassifikation für Frakturen im Kindesalter Epiphyse E proximal l TH. SLONGO und L. AuDIGE Metaphyse M Die vorliegende Klassifikation wurde von der AG Paediatric Expert Group (PAEG) in Zusammenarbeit mit der AG Investigation und Documentation (AGCID) sowie der International Working-Group for Paediatric Traumatology (IAGKT) entwickelt. Sie wurde mit Hilfe des AG Classification Supervisory Committee einem strikten Validierungsprozess unterzogen und befindet sich momentan noch in einer breit angelegten Validierungsstudie. Die vorgeschlagene Klassifikation basiert auf der AG-Klassifikation von Müller für Erwachsene und berücksichtigt kinderspezifische Frakturbesonderheiten (Abb. 3.9). Die Beurteilung erfolgt anhand der konventionellen anterior-posterioren und lateralen Unfallbilder. Schaft 2 Diaphyse D Metaphyse M distal 3 Diagnosis Epiphyse Location Morphology a Abb. 3.9. Prinzip der Frakturklassifikation im Kindesalter. I Knochen und Segment Gemäß der AG-Klassifikation von Müller für Erwachsene werden die einzelnen Knochen durchnummeriert: 1 = Humerus, 2 =Radius/Ulna, 3 = Femur, 4 = Tibia/Fibula. Ausgenommen die Monteggia- und Galeazzi-Verletzung werden paarige Knochen mit gleichem Verletzungsmuster (Kindercode) durch einen Frakturcode klassifiziert, wobei die schwerwiegendere Fraktur angegeben wird. Ist nur ein Knochen betroffen, erfolgt ein entsprechender Zusatz (r, u, t, f) hinter dem Segmentcode (22u beschreibt z. B. eine isolierte Ulnaschaftfraktur). Sind beide Knochen mit unterschiedlichem Verletzungsmuster betroffen (z. B. komplette Radiusfraktur und Bowingfraktur der Ulna), muss jeder Knochen separat mit dem entsprechenden Buchstabenzusatz klassifiziert werden. Abb. 3.10. a Die Metaphyse wird identifiziert durch ein Quadrat mit der Kantenlänge der weitesten Strecke der Epiphysenfugen in der a.-p. Röntgenaufnahme. Für paarige Knochen müssen beide Knochen eingeschlossen werden. b Eine transparente Vorlage mit Quadraten kann zur genaueren und zuverlässigeren Diagnose über das entsprechende Röntgenbild gelegt werden. 3 Frakturklassifikationen im Kindesa lter E/1 Salter- Harris I E/2 Salter- Harris II E/ 3 Salter- Harris 111 E/4 Salter- Harris IV E/5 Übergangsfraktur (two plane) E/6 Übergangsfraktur (tri plane) E/7 epiphysäre Bandausrisse E/ 8 Flake fract ures I E/9 andere epiphysäre Frakturen Abb. 3.11. Einteilung epiphysärer Frakturen. Die Knochensegmente werden nach 1 = proximal, 2 = diaphysär und 3 =distal unterschieden, wobei die Definition sich vom Erwachsenen unterscheidet. Die Metaphyse wird begrenzt durch ein Quadrat über der gesamten Länge der Epiphysenfugen (Abb. 3.10). Für die paarigen Knochen Ulna/Radius und Tibia/Fibula müssen dabei beide Epiphysenfugen in dieses Quadrat eingeschlossen werden. Somit können folgende drei Segmente unterschieden werden: Segment 1: proximale Epiphyse und Metaphyse (Quadrat), Segment 2: Diaphyse, Segment 3: distale Epiphyse und Metaphyse (Quadrat). Malleolarfrakturen bei Kindern werden als distale Tibiafrakturen klassifiziert (z. B. ist die mediale Mallealusfraktur eine typische Fraktur Salter-Harris III oder IV der distalen Tibia, klassifiziert als 43). I Frakturtypcode Die Schweregradeinteilung A-B-C der Erwachsenenklassifikation wurde durch eine Frakturklassifikation jeweils für Diaphyse (D), Metaphyse (M) sowie Epiphyse (E) ersetzt. Die häufigsten Verletzungen im Kindesalter sind die Schaftfrakt uren (Segment 2) sowie die epi-/metaphysären Frak turen (Segment 1 und 3). Die Einteilung in E-M-D unterscheidet klar zwischen intra- und extraartikulären Frakturen, da epiphysäre Frakturen definitionsgemäß intraartikulär liegen. Metaphysäre Verletzungen werden durch Lage zu dem Quadrat identifiziert (das Zentrum der Fraktur muss dabei innerhalb des Quadrats liegen) (Abb. 3. 10). Eine Ausnahme bildet das proximale Femur, bei dem die Metaphyse zwischen dem Femurkopf und der intertroch antären Linie liegt. Bei Anwendung dieser Quadratdefinition kann eine Fehlklassifikation durch 31 32 I Th. Slongo und L. Audige I Kindercode M/2 inkomplette Fraktur M/3 vollständige Fraktur Spezielle kindliche Besonderh eiten wurden in einen Kindercode übertragen. Sie sind spezifisch für die unterschiedlichen Frakturtypen E, M, D und werden dementsprech end für jeden einzelnen Frakturtyp klassifiziert. Bei den epiphysären Frakturen erhalten die Frakturen nach Salter und Harris entsprechend den Code E/1 bis E/4. E/5 bis E/9 bezeichnen andere kindliche Frakturen wie die TillauxFraktur (E/5), die Triplane-Fraktur (E/6), die intraartikuläre Avulsionsfraktur (E/7), die "flake fracture" (E/8) und andere Frakturen, die unter E/9 zusammengefasst werden (Abb. 3.11 ). An der Metaphyse werden drei Frakturarten unterschieden: die Wulst-, Spiral- und Grünholzfraktur (M/2), die komplette Fraktur (M/3) und die metaphysäre osteoligamentäre, muskuloligamentäre Avulsion und einfache Avulsionsverletzungen (M/7) (Abb. 3.12). Der Kindercode für diaphysäre Frakturen (Segment 2) ist in Abb. 3.13 dargestellt. Er umfasst Bowingfrakturen (D/ 1), Grünholzfrakturen (D/2), "Toddler's Fractures" (D/3), komplette Querfrakturen (Winkel <30°-D/4), komplette Schräg- und Spiralfrakturen (Winkel >30°- D/5), Monteggia-Verletzungen (D/6) und GaleazziVerletzungen (D/7). Ein 30°-Winkel sollte in den Röntgenbildern verwendet werden für eine zuverlässigere Klassifikation. D/9 fasst alle übrigen Frakturen zusammen, die keiner der genannten Kategorien zugeordnet werden können. I Frakturschweregradcode Eine Unterteilung der Schweregrade ist notwendig im Hinblick auf die Indikation verschiedener Osteosynthesemethoden. Dieser Code unterscheidet zwischen einfachen Frakturen, Keilfrakturen (partiell instabile Frakturen mit drei Fragmenten einschließlich eines vollständig dislozierten Fragments) und komplexen Frakturen (vollständig instabile Frakturen mit mehr als dre i Fragmenten). M/ 7 metaphysäre Avulsionsverletzung Abb. 3.12. Festlegung metaphysärer Frakturen (M). nicht korrekte a.-p.-Aufnahmen bzw. durch Angulation des Knochens in der fron talen Ebene entstehen. I Ausnahme- und Zusatzcodes Da nicht alle Kinderfrakturen nach o.g. Schema klassifiziert werden können wurden folgende zusätzliche Definitionen und Regeln aufgestellt: 3 Frakturklassifikationen im Kindesalter D/1 D/2 D/3 g fCJ n Abb. 3.13. Einteilung diaphysärer Frakturen (D 1-7; D/9=andere diaphysäre Frakturen). D/6 Apophysenfrakturen werden den metaphysären Frakturen zugerechnet. Übergangsfrakturen mit oder ohne metaphysären Keil zählen zu den epiphysären Frakturen. Intra- bzw. extraartikuläre knöcherne Bandausrisse werden den epiphysären bzw. metaphysären Frakturen zugeordnet. Suprakondyläre Humerusfrakturen (Code 13-M/3) werden zusätzlich nach dem Dislokationsausmaß in vier Grade (I-IV) nach von Laer eingeteilt: keine Dislokation (I), Dislokation in einer Ebene (II), Rotation des dis talen Fragments mit Dislokation in zwei Ebenen (III) sowie Ro tation und Dislokation in drei Ebenen oder vollständige Dislokation ohne knöchernen Kontakt (IV). Radiusköpfchenfrakturen (21-M/2 oder /3; oder 21-E/1 oder /2) werden zusätzlich nach der axialen Abweichung und dem Ausmaß D/4 I D/5 CJ D/7 der Dislokation klassifizier t: keine Angulation und keine Dislokation (I), Angulation mit Dislokation weniger als eine halbe Schaftbreite (II) sowie Angulation mit Dislokation mehr als eine halbe Schaftbreite (III). Schenkelhalsfrakturen. Epiphysenlösungen ohne und mit metaphysärem Keil werden entsprechend den Typ-E-Frakturen nach Salter und Harris in E/ 1 und E/2 unterteilt. Frakturen des Schenkelhalses werden als metaphysäre Typ-M-Frakturen klassifiziert: transzervikal (I), basezervikal (II) und per trochantär (III). Die intertrochantäre Linie b egrenzt die Metaphyse. Der vollständige Frakturcode setzt sich somit aus fünf bzw. sechs Codes zusammen, je nachdem ob ein Ausnahmecode angewendet wird. 33 INGO MARZI (Hrsg.) Kindertraumatologie Unter Mitarbeit von DORIEN SCHNEIDMÜLLER Mit Beiträgen von L. AUDIGE, V. BÜHREN, c. CASTELLANI, H.-G. DIETZ, J. FRANK, R. KRAUS, A. A. KURTH, L. VON LAER, w. E . LINHART, M. MAI ER, I. MARZI, c. PLOSS, s. ROSE, W. SCHLICKEWEI, P. P. SCHMITTENBECHER, F. J. SCHNEIDER, D. ScHNEIDMÜLLER, C. SEEBACH, M. SEIF EL NASR, TH. SLONGO, A. THANNHEIMER, TH. L. M. J. VOGL, A. WEINBERG, WESSEL, A. WETTER, A. M. WOREL MIT 570 ZUM TEIL 2 - FARBIGEN ABBI LD UNGEN 1000 EINZELDARSTEL LUNGEN UND 43 TABELLEN IN STEINKOPFF Prof. Dr. med. I NGO MARZI Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt am Main ISBN 3-7985-1512-3 Steinkopff Verlag, Darmstadt Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaill ierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverftlmung oder der Vervielfaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist g rundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. 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