1707 FMH Editorial eHealth im klinischen Alltag, mit Blick aus der Neuen Welt Yvonne Gilli Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortliche Digitalisierung / eHealth Nur wenige Tage nach der Wahl des 45. Präsidenten von Informatiker kennt den Wert von Standards für die Amerika begann in Chicago das 40. AMIA-Symposium1. Verwendung von Daten, Interoperabilität, Systemsta- AMIA steht für «American Medical Informatics Asso bilität und Werkzeuge für die Entscheidungsunterstüt- ciation». Das Symposium bietet eine unabhängige wis- zung. Der Kliniker kennt seine eigenen Praxisabläufe senschaftliche Plattform für den internationalen und und Bedürfnisse. In der Zusammenarbeit erreichen interprofessionellen Erfahrungsaustausch zu Medizin- beide ihre Ziele.»3 Dies ist die Schlussfolgerung eines informatik, Computertechnologie und Gesundheits- Forschungsprojekts am Vanderbilt Hospital: Über versorgung. fünfzig Pflegeverantwortliche auf Akutstationen in- Mit dem elektronischen Patientendossier will die klusiv Pädiatrie stellten sich erfolgreich der Herausfor- Schweiz einen Impuls setzen für die Digitalisierung im derung, das elektronische Dokumentationssystem so Gesundheitswesen. Die Politik hofft gar auf eine Effi zu reorganisieren, dass die administrative Belastung zienzsteigerung mit Kostenreduktion. Dieses Ziel ist sinkt. Wichtige Probleme erkannten sie in redundanter unter den gegebenen Rahmenbedingungen kaum zu oder unnötiger Dokumentation und in den Kommuni- erreichen: Zu klein sind die finanziellen Anreize, um kationsabläufen innerhalb des Betreuungsteams. Mit die klinikeigenen Informatiksysteme und individuel- Hilfe von interdepartementalen Arbeitsgruppen konn- len Praxislösungen zukunftsfähig zusammenzufüh- ten sie die Dokumentationszeit pro Pflegeperson um ren. Zu gross ist der Wissens- und Ausbildungsrück- eine halbe Stunde pro Tag senken und das Dokumenta- stand im Bereich der Medizininformatik, heute bereits tionsvolumen pro Patient um ein Drittel reduzieren. ein Trend- und Mangelberuf in den USA. Ich gehe davon aus, dass für Ärztinnen und Ärzte das gleiche Potential brach liegt und für mehr Zufrieden- Den Erfahrungsvorsprung anderer Länder gilt es bei der Ausgestaltung des elektronischen Patientendossiers zu nutzen. heit und Zeit für direkten Patientenkontakt zu nutzen wäre. Dies ist ein einfaches Beispiel der Herausforderungen im klinischen Alltag. Die Referate des AMIA-Symposi- Auf Initiative der FMH nahm eine Delegation der Inter- ums umfassen ein Volumen von über zweitausend Sei- professionellen Arbeitsgruppe elektronisches Patien- ten und berühren praktisch jedes Thema, das auch uns tendossier (IPAG EPD) am AMIA-Kongress teil. Dominik unter den Nägeln brennt, von der eMedikation bis zu Aronsky ermöglichte uns zwei Besuche in führenden Big Data. Für exzellente Lösungen «folgt» die Informa- Kliniken, dem Vanderbilt University Medical Center in tik den komplexen klinischen Abläufen und nicht um- 2 1www.amia.org Nashville und bei Partners HealthCare in Boston. 2 Prof. Dominik Aronsky, Praxisbezogene Impulsreferate und der Besuch ei- MD, PhD, FAC, studierte Medizin an der Universität ner grossen Notfallstation sensibilisierten uns für Bern und Medizininfor- das Potential, das in der Schweiz noch brach liegt. matik an der University of Für exzellente Lösungen folgt die Informatik den komplexen klinischen Abläufen und nicht umgekehrt. Utah, Vanderbilt Univer- Meine wichtigste Take-Home Message ist einfach: sity, Nashville. Mandatiert Wir dürfen profitieren vom Erfahrungsvorsprung in gekehrt. Die Brücke zwischen den beiden Disziplinen den USA und einigen europäischen Ländern, sofern schlagen unter anderen die Medizininformatikerin- wir ihre Erkenntnisse in unsere Prozesse integrieren. nen. Die Förderung von Ausbildung, Forschung und von der FMH als Experte der IPAG EPD. 3 A Terminology Framework for Nursing Docu- Was die elektronische Erfassung, Bewirtschaftung und Anwendung ist möglich mit geeigneten politischen Deborah Ariosto, PhD, den Austausch von Patientendaten betrifft, sind wir Rahmenbedingungen. Sie kosten etwas mehr, als die MSN, RN. Vanderbilt mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert. Schweiz bis jetzt noch zu investieren bereit ist in eine Software- und Hardwarelösungen müssen benutzer- Zukunft, die unsere Gesundheitsversorgung grund freundlich sein und einen Mehrwert generieren. «Der legend verändern wird. mentation Redesign, University Medical Center, Nashville, TN. AMIA Symposium 2016. SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG – BULLETIN DES MÉDECINS SUISSES – BOLLETTINO DEI MEDICI SVIZZERI 2016;97(49–50):1707
© Copyright 2025 ExpyDoc