- DSE Wien

2INTERVIEW: AMS-Wien-Chefin Petra Draxl
6PORTRAIT: INIGO – Perspektive Handel
a r b e i t s m a r k t p o l i t i k
7NEUES MITGLIED: VHS BBE Deutsch
Clearing
8RÜCKBLICK: DSE-Jobmesse
2/16
10 DENKANSTOSS: Mindestsicherung
Mindestens
ungleich
Ein soziales Netz für alle Fälle?
VEREINSZEITUNG DES WIENER DACHVERBANDES FÜR SOZIAL-ÖKONOMISCHE EINRICHTUNGEN
EDITORIAL
Foto Wilke
S
ie sollte die Armutsbekämpfung
harmonisieren und eine Weiterentwicklung der Sozialhilfe der
Länder bringen: die Bedarfsorientierte
Mindestsicherung (BMS). Bei ihrer Einführung vor fünf Jahren – nach Analysen
und jahrelangen Vorbereitungen –
­wurde sie als sozialpolitischer Meilenstein gefeiert. Generell wurde neben
bundeseinheitlichen Standards ein erleichterter Zugang zu Leistungen der
BMS ohne Stigmatisierung angestrebt;
erwerbsfähige Menschen sollten stärker
an die aktive Arbeitsmarktpolitik angebunden werden. Beides ist gelungen.
Die Folgen von Finanz- und Wirtschaftskrise sowie Entwicklungen am Arbeitsmarkt sind aber auch in der BMS unübersehbar. Die realen Bruttoeinkommen der
untersten 25 Prozent sind seit 2008 um
ernüchternde 20 Prozent gesunken, was
nicht so sehr auf eine zunehmende Ungleichheit als solche zurückzuführen ist,
sondern vor allem strukturelle Arbeitsmarktentwicklungen widerspiegelt. Die
Gruppe der working poor wächst – und
damit die Zahl der BMS-BezieherInnen.
Die Flüchtlinge in der BMS haben die
Diskussion nun massiv zugespitzt.
Bemerkenswert ist die Entwicklung der
politischen Diskussion um die Verlängerung der Bund-Länder-Vereinbarung zur
BMS: Da geht es weniger um Inhalte, es
geht vielmehr um die Demonstration
politischer Macht. Wer gibt in der
­Koalition die Linie vor, welche LänderForderung setzt sich durch? Statt einen
sinnvollen Kompromiss zu finden, wird
die BMS-Debatte für eine weitere gesellschaftliche Polarisierung genützt.
Die Herausforderungen der Armuts­be­
kämpfung als Aufgabe der Politik treten
in den Hintergrund – auf Kosten
der Betroffenen.
Ihr/Euer Christoph Parak
2
ar b e i ts ma r k tp ol i ti k akti v
AKTIV: Bei Ihrem Amtsantritt als Chefin des AMS
Wien im Sommer 2012 haben Sie einen Strategiewechsel angekündigt: weg von der aktivierenden hin zur qualifizierenden Arbeitsmarktpolitik. Ist dieser Strategiewechsel gelungen?
Draxl: Ja, ich glaube, dass uns das gelungen
ist. Wir haben unsere Angebotslandschaft
verändert, und wir haben parallel mit dem
Qualifikationsplan 2020 und der Einführung
des Qualifikationspasses auch Instrumente
weiterentwickelt, die diese Strategie unterstützen. Ich habe bei meinem Amtsantritt
auch gesagt, dass das AMS Wien ein Motor
der Arbeitsmarktpolitik werden soll – das
haben wir erfüllt: Wir sind seit 9 Monaten
Nummer eins im AMS-internen Messsystem.
AKTIV: Ungeachtet aller wichtigen qualifizierenden Maßnahmen gibt es ein Überangebot
an Arbeitskräften. Wo sehen Sie Lösungsansätze neben Höherqualifizierungen? Was kann
man arbeitsmarktpolitisch für die Menschen
machen, die da sind?
Draxl: Beim Arbeitskräfteangebot in Wien
ist es notwendig, nachzuschauen, woher
dieses Angebot kommt: Ein Teil dieser Arbeitskräfte sind Menschen, die schon in der
Stadt leben – zum Beispiel Frauen, die auf
den Arbeitsmarkt zurückkehren. Die werden
wir qualifizieren, integrieren und „unsere
Hausaufgaben erledigen“.
Was neu angekommene Asylberechtigte betrifft, wird sich meiner Meinung nach noch
einiges tun, wie man in der politischen Diskussion dieser Tage sieht: Es kann ja nicht
sein, dass Wien die Hauptlast für Österreich
trägt. Noch dazu, wenn die freien Arbeitsplätze nicht in Wien, sondern zum Beispiel in
der Tourismusbranche der westlichen Bundesländer zu finden sind.
Die dritte Gruppe sind Menschen aus unseren angrenzenden Nachbarstaaten. Auch
hier sind gewisse Mechanismen sichtbar –
jemand fängt in Tirol zu arbeiten an und
meldet sich dann in Wien arbeitslos: Wien ist
eben Anziehungspunkt, um hier zu leben.
Da können wir nur dagegen halten, indem
wir den Menschen, die hier leben, Startvorteile bieten, zum Beispiel durch Qualifizierung und unsere Jobplattform.
AKTIV: Wien ist eine seit Jahren stark wachsende Stadt. Aktuell liegt die Arbeitslosenquote in Wien bei rund 13%. Betroffen sind insbesondere Niedrigqualifizierte und Ältere mit gesundheitlichen Einschränkungen. Was kann
man mit Menschen tun, die am Arbeitsmarkt
de facto keine Chance haben?
Draxl: Bei den Niedrigqualifizierten stellt
sich sehr stark die Frage, wo ich eine Arbeit
finde und aufnehmen kann – die Arbeitsmärkte sind innerhalb Österreichs unter-


dse im dialog
AMS-WIEN-CHEFIN DRAXL IM INTERVIEW
AMS/Petra Spiola
„Qualifizieren,
integrieren und unsere
Hausaufgaben erledigen“
„Arbeitsmarktpolitik AKTIV“ sprach mit Petra Draxl über die Entwicklungen
seit ihrem Amtsantritt vor vier Jahren, Niedrigqualifizierte, Ältere mit gesundheitlichen
Einschränkungen, die Grenzen aktiver Arbeitsmarktpolitik, die Bedarfsorientierte
­Mindestsicherung und die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene.
schiedlich. Bei dieser Gruppe sind die wichtigsten Ansätze Mobilität erhöhen, Social
Skills verbessern und Höherqualifizierung.
Die Mobilitätsbereitschaft kann entscheidend sein: In Westösterreich oder Deutschland wird auch nach Niedrigqualifizierten
gesucht. Zusätzlich machen wir jetzt auch
den Roll-out des Qualifikationspasses, um
vor Ort Abhilfe zu schaffen. Man muss die
Höherqualifizierung entmystifizieren: Wir
werden es alle noch erleben, dass man in jeder Form von Arbeit eine gewisse Intellektualität und Ausbildung braucht – beispielsweise ausreichende Computerkenntnisse. Es
geht nicht nur um höhere Einkommen mit
höherer Ausbildung, intellektuelle und technologische Problemlösung wird in allen
Branchen unumgänglicher, sei es die neue
Registrierkassa oder Lagersoftware. Teilweise müssen wir erwachsene Menschen stärker motivieren als jetzt, damit sie Basiskenntnisse nachholen oder ergänzen.
Bei älteren Arbeitsuchenden und Personen
mit gesundheitlichen Einschränkungen gibt
es ganz andere Problemstellungen. Hier sind
wir noch auf der Suche nach Antworten:
Was können wir tun, wenn jemand bereits
mit Einschränkungen lebt? Wir arbeiten momentan sehr intensiv an der Prävention, also
daran zu verhindern, dass die Arbeitsfähigkeit verloren geht. Für das Hauptproblem
aber, wenn sie einmal verloren gegangen ist,
gibt es derzeit noch keine perfekte Lösung:
Hier braucht es ein viel besseres Zusammenspiel zwischen den Einrichtungen, ob das
jetzt Therapieplätze, medikamentöse Einstellungen etc. sind – das halte ich wirklich
für ein extrem schwieriges Thema mit derzeit nur sehr wenigen Lösungsoptionen,
wenn man ehrlich ist. In diesem Bereich
geht es auch sehr stark um Fragen der Resilienz: Wie bringt man Menschen rechtzeitig
dazu, belastbarer zu werden und auf ihre eigene Stabilität zu schauen? Das sind Fragen,
die sich in einem Dreieck zwischen Gesundheitssystem, dem einzelnen Menschen mit
seiner Eigenverantwortung und natürlich
der Politik bewegen. Die Politik kann beispielsweise einen geförderten Arbeitsmarkt
ausbauen, aber auch hier sind die Mittel be-
Wir werden es alle noch erleben, dass man in jeder Form
von Arbeit eine gewisse Intellektualität und Ausbildung braucht –
beispielsweise ausreichende Computerkenntnisse.
grenzt – eine Diskussion, die wir ja gerade
führen, man denke an die Hartz-IV-Debatte
um gemeinnützige Arbeit, für die es nur Entschädigungszahlungen geben soll. Oder ist
es doch besser, ein kollektivvertragliches
Entgelt zu zahlen wie in unseren Sozialökonomischen Betrieben?
AKTIV: Zuletzt ist die Effektivität und Effizienz
der aktiven Arbeitsmarktpolitik in den Fokus
der Debatte gerückt. Angesichts der aktuellen
Rahmenbedingungen: was kann eine aktive
Arbeitsmarktpolitik leisten und wo liegen
Grenzen?
Draxl: Aktive Arbeitsmarktpolitik leistet die
entsprechenden Begleitprozesse zu dem,
was wirtschaftlich notwendig ist. In Zeiten,
in denen viele Jobs offen sind, organisieren
wir, dass Menschen sich rasch in diese Jobs
bewegen. Wenn es aber, so wie jetzt, nicht
genug Jobs gibt, kümmern wir uns um die
Höherqualifizierung von Menschen. Darüber
hinaus werden wir mitverantwortlich gemacht, ein Stück Integrationspolitik zu tragen. Hier leisten wir einen großen Beitrag,
denke ich. Aktive Arbeitsmarktpolitik bedeutet natürlich auch die Auseinandersetzung
mit der Frage, was man mit Gruppen macht,
die sehr schwierig in den Arbeitsmarkt zu
➞ Fortsetzung auf Seite 4
a rbeitsma r ktpoliti k a ktiv
3

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dse im dialog
➞ Fortsetzung von Seite 3
i­ntegrieren sind. Auch die Frage der Schulungseffizienz hängt eng damit zusammen
und wird bei uns intern intensiv diskutiert.
Wenn ich Menschen, die geringe Chancen
am Arbeitsmarkt haben, nicht in diese Maßnahmen aufnehme, steigt sofort unsere
Schulungseffizienz, weil die Vermittlungsquote höher wird. Da geht es einfach darum,
wem stelle ich was zur Verfügung? Das ist
natürlich eine hochpolitische Diskussion:
Welchen Effekt kann ich damit erreichen,
wem ich welche Maßnahmen zur Verfügung
stelle? Welche Unterstützung bekommt beispielsweise jemand, der mit über 50 arbeitslos ist? Womit kann ich bei dieser Person erfolgreich sein? Stellt man der betreffenden
Person das Richtige zur Verfügung?
AKTIV: Es ist unumstritten, dass verfestigte
Langzeitarbeitslosigkeit zu vielen Problemen
führt und letztlich eine Reintegration in den
Arbeitsmarkt besonders schwierig macht. Das
deklarierte AMS-Ziel, den Übertritt in Langzeitbeschäftigungslosigkeit zu verhindern, wurde
vor einiger Zeit aufgegeben und nur für gewisse Gruppen beibehalten. Warum?
Draxl: Das Ziel ist nur mehr für Jugendliche
aufrecht. Für Erwachsene ist es auch deswegen gefallen, weil es aus einer Epoche kam,
als der Arbeitsmarkt sehr aufnahmefähig
und eine sinnvolle Intervention möglich war,
durch die die Menschen wieder eine Beschäftigung annahmen. Nun ist die Arbeitsmarktlage aber schwieriger geworden und
es sind andere Mittel gefragt, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Deshalb hat man das
neue Ziel gesetzt, in eine Geschäftsfalllogik
zu gehen: Das heißt, ich schaue, ob jemand
mit dem, was wir tun, die Arbeitslosigkeit
tatsächlich beenden kann, und nicht, ob ich
den Übertritt verhindern kann.
AKTIV: Die Einführung der Bedarfsorientierten
Mindestsicherung vor 5 Jahren wurde mit dem
arbeitsmarktpolitischen Auftrag verknüpft, die
BMS-BezieherInnen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wie bewerten Sie die seither gesetzten Maßnahmen?
Draxl: Ich denke, dass wir als AMS Wien sehr
viel getan haben, um Menschen zu integrieren. Vom Effekt her ist das natürlich unterschiedlich gelungen, je nachdem, um welche Gruppen mit welcher Ausgangslage es
geht. Die Gruppe der BMS-BezieherInnen ist
in unseren Maßnahmen überproportional
vertreten. Die Frage, wie gut die einzelnen
Untergruppen integriert werden können, ist
nicht so einfach zu beantworten: Bei Jugendlichen beispielsweise gelingt dies besonders schlecht, darum wollen wir hier weitere Schritte gehen – da braucht es Veränderungen, ein anderes Konzept für die
Betreuung von Menschen bis 25, um zu verhindern, dass sie in diesem System bleiben.
AKTIV: Sie wollten Wien über ein europäisches
Städtenetzwerk mit anderen Ballungsräumen
vergleichen, verknüpft mit dem Ziel, dass Wien
zu einem Motor der österreichischen Arbeitsmarktpolitik wird. Was ist daraus geworden
und welche Städte haben für Sie Referenzcharakter?
Draxl: Wir haben uns sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt und uns
auch extern begleiten lassen, um Referenzstädte zu finden. Über die Flüchtlingskrise
sind wir sehr intensiv mit Deutschland und
Schweden in Austausch getreten, der auch
laufend stattfindet. Wir arbeiten mit Hamburg, Berlin und München zusammen, gerade zu den Themen Jugendbeschäftigung,
Flüchtlinge und Service für Unternehmen.
Der Fokus liegt auf deutschen Städten, weil
wir hier gemeinsam am meisten lernen können. Erst kürzlich war auch eine schwedische Delegation da, mit der wir uns intensiv
zur Flüchtlingsproblematik ausgetauscht haben – man muss natürlich auch schauen,
welche Themen gerade relevant sind, und
wo es dazu geeignete Ansprechpartner gibt.
Auch in Brüssel waren wir zu diesem Thema
stark vertreten: Wien gehört im deutschsprachigen Raum zu den ersten, die hier Instrumente entwickelt haben, und das hat uns
natürlich verstärkt in den europäischen Diskurs gebracht.
AKTIV: Ein spannendes Thema, wobei die Arbeit ja hauptsächlich hinter den Kulissen stattfindet.
Draxl: Ja, weil es um gemeinsames und gegenseitiges Lernen geht – die Schweden interessieren sich für unseren Kompetenzcheck, wir schauen uns an, wie ihre „Fast
Track Line“ funktioniert, wir diskutieren die
Kompetenzerfassung der Deutschen usw.
Hier geht es wirklich darum, durch den gemeinsamen Austausch besser vorwärts zu
kommen – das ist natürlich öffentlich nicht
so interessant, bringt uns aber sehr viel.
AKTIV: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview in voller Länge gibt’s auf
www.dse-wien.at.
Petra Draxl
leitet seit Juli 2012 die Landesgeschäftsstelle des AMS Wien; zuvor war sie im BMASK als Abteilungsleiterin
für den ESF zuständig. Nach ihrem Doppelstudium Pädagogik und Psychologie in Graz führte sie das
Grazer Jugendbeschäftigungsprojekt „Insel“, Ausgangspunkt für ihre langjährige arbeitsmarktpolitische
­Berufserfahrung; u.a. war sie als selbstständige Beraterin für das AMS und die ÖSB Unternehmensberatung
tätig, wo sie 1999 die Geschäftsführung übernahm.
AMS/Petra Spiola
4
Wir arbeiten mit Hamburg, Berlin und München zusammen,
gerade zu den Themen Jugendbeschäftigung, Flüchtlinge und
Service für Unternehmen.
ar b e i ts ma r k tp ol i ti k akti v
dse von innen
RÜCKBLICK LANGE NACHT DER WIENER SOZIALWIRTSCHAFT
Fotos: DSE-Wien/Martin Juen
Sommerliches Vernetzungsevent
EINLADUNG
Schon traditionell organisiert der DSEWien jedes Jahr gemeinsam mit dem
AMS Wien und dem waff die Lange
Nacht der Wiener Sozialwirtschaft:
Heuer trafen sich rund 400 AkteurInnen
aus der Arbeitsmarktpolitik zum
geselligen Beisammensein.
Ungezwungen schmausten, tanzten,
plauderten sie im Schutzhaus zur
Zukunft und unterstützten durch
Loskauf und Spenden das Benefiz­
anliegen des Abends.
4. Lange Nac
ht der
Wiener Sozial
wirtschaft
23. Juni 2016
// ab 18 Uhr
Schutzhaus zu
r Zukunft
Auf der Schm
elz
Verlängerte Gu
1150 Wien
ntherstraße
Dank den Sponsoren
Ohne die Unterstützung durch DSE-Mitglieder
sowie Unternehmenssponsoren und ohne die
großzügigen Spenden von Vereinen und Privatpersonen wären weder die äußerst attraktiv bestückte Tombola noch der Erlös von 3.400,- Euro
für den Verein backup möglich gewesen.
Hauptpreise von
Bockwerk l Job-TransFair
Die insgesamt 400 Preise stammten von
FAB l DRZ l Wiener Hilfswerk l zib-Training l
Michl's l AMS l Job-TransFair l Jugend am
Werk l Caritas l Rapid l Austria l gabarage l
WSD l fix&fertig l Trendwerk l SL Roland ­Sauer
l Wohnen mit Service l Volkshilfe Beschäftigung l Wienwork l Inigo l Die Caterei l
Kolping Campus Krems l DSE-Wien
DSE-Präsident Walter Wojcik und DSE-GF ­Christoph
Parak freuten sich, Sozialminister Alois Stöger
­begrüßen zu dürfen.
Gerd Gressl
Tolle Stimmung, wunderbares Wetter, mitreißende Rhythmen und viele
­interessante Gespräche ließen die Gäste bis tief in die Nacht hinein feiern.
Großzügige Geldspenden von
bfi l bit-Schulungscenter l zib-Training l
die Berater l best
Eva Obemeata,
Obfrau des Vereins
backup, freute sich
über 3.400 Euro, die
bei der Job-TransFair
Tretbootregatta
übergeben werden
konnten und Arbeitslosen in akuter
Notlage zugutekommen (rechts DSE-GF
­Christoph Parak).
?
dse von innen
Neues Projekt: INIGO – Perspektive Handel
Ja, es darf ein bisserl mehr sein!
Spar bietet in Kooperation mit der Caritas in einer Filiale in Favoriten Arbeitsplätze mit sozialem Mehrwert:
30 langzeitarbeitslose Frauen und Männer werden im Bereich Einzelhandel qualifiziert und erhalten die Chance,
(wieder) in den Arbeitsmarkt einzusteigen.
Ein gutes Team: (v.l.) Geschäftsfeldleiterin Birgit Reingruber, Administrator Georg Schaubschläger und Marktleiter Rudi Savic.
w
Blitzsauber, einladend und hell präsentiert sich die SPAR-Filiale in der
Quellenstraße 185. Ein Supermarkt
wie jeder andere, nur ein kleiner Aufkleber
am Eingang lässt erkennen, dass hinter den
Kulissen ein innovatives arbeitsmarktpolitisches Projekt läuft: eine nachahmenswerte
enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft
und Sozialwirtschaft.
Wie alles begann
Das Handelsunternehmen SPAR trat vor einiger Zeit an die Caritas der Erzdiözese Wien,
Fachbereich Arbeit und Chance, mit dem
Angebot einer längerfristigen Unternehmenskooperation heran. Konkret ging es um
die Übernahme einer SPAR-Filiale, die die
Caritas als Einzelhändler betreiben sollte.
­Eine derartige Kooperation gibt es bereits
in Oberösterreich und seit Kurzem auch in
Graz. Seit Anfang August wird nun der SPARMarkt in Favoriten als Sozialökonomischer
Betrieb (SÖB) geführt und beschäftigt derzeit 11 Transitarbeitskräfte (befristet auf ein
halbes Jahr); weitere 13 Personen befinden
sich im Training. Insgesamt wird es 20 Tran­
sitarbeitsplätze geben, hauptsächlich in
­Teilzeit.
Sieben FachanleiterInnen unterstützen die
MitarbeiterInnen bei ihrem Neustart im Ein-
6
ar b e i ts ma r k tp ol i ti k akti v
zelhandel und schulen sie in allen Bereichen
des Marktes ein (Kassa, Feinkost, Obst und
Gemüse, Trockensortiment, Regalbetreuung,
Reinigung). Jede/r kann dann nach ihren/
seinen Vorlieben und Talenten eingesetzt
werden, aber: „Wer Feinkost und Kassa beherrscht, ist am besten vermittelbar“, weiß
Geschäftsfeldleiterin Birgit Reingruber von
der Caritas. Zusätzlich zu den fachlichen
Schulungen gibt es individuelles Coaching:
Magdalena Popovic hilft bei der Bewältigung unterschiedlichster Probleme sowie
bei Bewerbung und Jobsuche.
Neue Chancen
Durch Qualifizierung und Weiterbildung innerhalb der Filiale und mit den laufenden
Weiterbildungsprogrammen von SPAR eröffnen sich für langzeitbeschäftigungslose
Menschen neue Chancen. Zum Beispiel für
eine junge Frau, die erst seit Kurzem in der
Quellenstraße 185 arbeitet: Einige MarktleiterInnen von anderen Filialen haben schon
Interesse an einer Übernahme in ihren SPARMarkt gezeigt. Nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit ein toller Neustart! Geplant ist, dass
ca. 40 bis 50% der in der Caritas-Filiale ausgebildeten MitarbeiterInnen von SPAR in andere Märkte übernommen werden – aktuell
laufen schon erste Gespräche zur Vermittlung.
Innovationen und Synergien
Sehr hilfreich dabei ist, dass Marktleiter Rudi
Savic über jahrelange SPAR-Erfahrung verfügt – er kennt viele seiner KollegInnen aus
anderen Filialen und kann so bei Personalanfragen punktgenau die passenden MitarbeiterInnen vorschlagen. Mit Begeisterung
ist er bei der Sache und sprüht nur so vor
Ideen für Neuerungen: Beispielsweise soll
der Kaffeeautomat, der für die Kunden im
Ausgangsbereich aufgestellt wurde, durch
kleine Stehtischchen ergänzt zum „MeetingPoint“ werden. „Weiters ist geplant, ein eigenes Regal mit bei der Caritas produzierten
Produkten zu bestücken – eine Möglichkeit,
die sich durch den Einzelhändlerstatus ergibt“, erklärt Birgit Reingruber.
Auch Synergien mit dem schon seit 1992 bestehenden Caritas-SÖB INIGO Restaurant,
Salon, Catering sind möglich, verrät INIGOGeschäftsführerin Trixi Pech: Lebensmittel,
die nicht mehr verkauft werden können,
aber noch in Ordnung sind, sollen in Zukunft in den Küchen des INIGO Verwendung
finden.
Wertvolle Unterstützung
Sie empfindet die Unterstützung durch SPAR
als sehr hilfreich und schätzt es auch, dass
SPAR-Gebietsbetreuer in den Markt kom-
dse von innen
Neues DSE-Mitglied VHS BBE Deutsch Clearing
men, um das neue Projekt bezüglich Warenwirtschaft und Aktionen zu unterstützen. Trixi Pech sieht den (Lebensmittel-)Handel als
ein Berufsfeld, das für den Wiedereinstieg
besonders geeignet ist, bietet es doch eine
große Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten,
die an die jeweiligen Leistungsniveaus und
Fähigkeiten der ProjektteilnehmerInnen an-
Passgenaue Unterstützung
beim Deutschlernen
Viele Menschen, die nach Österreich kommen, um hier zu leben und zu
arbeiten, bringen Qualifikationen mit, die am Arbeitsmarkt gefordert
und gesucht sind – entweder zur Gänze oder zumindest teilweise.
w
Die Abteilung Obst und Gemüse gehört zu den
wichtigsten Bereichen im Markt.
gepasst werden können. „Durch den hohen
KundInnenkontakt wirkt die Beschäftigung
im Handel integrationsfördernd und sensibilisiert die Gesellschaft für das Potenzial von
am Arbeitsmarkt benachteiligten Menschen“, ist sie überzeugt.
Eröffnungsfeier am 27.1.2017
Vom Erfolg und den Zukunftsperspektiven
des SÖB INIGO – Perspektive Handel können
sich bei der offiziellen Eröffnungsfeier am
27.1.2017 AMS-Wien-Geschäftsführerin Petra Draxl, SPAR-Geschäftsführer Alois Huber,
namhafte VertreterInnen der Caritas und alle
BesucherInnen selbst überzeugen – Termin
vormerken!
info
INIGO – Perspektive Handel
wird als regulärer Handelsbetrieb geführt. Dabei stehen die wirtschaftlichen Interessen des Lebensmittelhändlers genauso im Mittelpunkt wie die Qualifizierung und Vermittlung von Transitarbeitskräften.
Quellenstraße 185, 1100 Wien
Tel. (01) 602 190 210
E-Mail: [email protected]
www.caritas.at
Deutschkenntnisse enorm wichtig
Was nützt den Asylberechtigten und MigrantInnen beispielsweise ein im Heimatland mit
Auszeichnung absolviertes Pharmaziestudium, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre KundInnen in der Apotheke zu verstehen und ihnen das entsprechende Medikament zu
empfehlen? Welchen Vorteil ziehen sie aus einem betriebswirtschaftlichen Studium,
wenn sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nicht zum Einsatz bringen können, da ihnen
die Sprachkenntnisse fehlen? „Menschen mit anderen Erstsprachen als Deutsch werden
also immer wieder mit dieser Problematik konfrontiert, solange ihre Deutschkenntnisse
nicht den beruflichen Anfordernissen entsprechen“, weiß die Expertin, die heuer mit dem
AMS-Award für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde (siehe auch Bericht auf Seite 9).
Clearing für passgenaue Unterstützung
Hier kommt nun das Clearing der BBE Deutsch an den Wiener Volkshochschulen ins Spiel:
Beim AMS Wien als Arbeit suchend vorgemerkte Personen können von ihren BeraterInnen für den Sprachkurs Deutsch zugebucht werden, für welchen im Vorfeld eine Clearingphase zu absolvieren ist, die aus einem schriftlichen Einstufungstest und einem Einstufungs- und Beratungsgespräch besteht.
Ziel dieses Clearings ist es, sowohl die sprachlichen Fertigkeiten und aktuellen Sprachniveaus der potenziellen SprachkursteilnehmerInnen zu eruieren, als auch deren berufliche Werdegänge und Lernbiografien in Betracht zu ziehen, um
möglichst homogene Lerngruppen zusammenstellen zu können. Sieglinde
Schittl: „Etwaige Lernhemmnisse werden ebenso miteinkalkuliert, um den
Menschen bestmögliche Lernbedingungen anzubieten.“
info
BBE Deutsch Clearing
BBE Deutsch West – VHS Rudolfsheim Fünfhaus, Schwenderg. 41, 1150 Wien
BBB Deutsch Süd – VHS Favoriten, Arthaberpl. 18, 1100 Wien
BBE Deutsch Nord – VHS polycollege Stöbergasse, Stöberg. 11-15, 1050 Wien
BBE Deutsch Ost – VHS Urania, Veranstaltungszentrum Praterstern, Praterstern 1, 1020 Wien
Tel. 01 89174 105211
a rbeitsma r ktpoliti k a ktiv
7
VHS
DSE/Reinberg-Leibel; Spar
Sie hätten also die Möglichkeit, jene freien Stellen zu besetzen, die derzeit trotz hoher Arbeitslosenzahlen nicht besetzt werden können, weil die bereits im Lande befindlichen Arbeitsuchenden dafür nicht oder nicht ausreichend qualifiziert sind. Das
könnte eines der großen Probleme des Arbeitsmarktes lösen – wäre da nicht die natürlicherweise häufig auftretende Sprachbarriere, wie Sieglinde Schittl, Leiterin der Beratungs- und Betreuungseinrichtung Deutsch Clearing, erläutert.
TeilnehmerInnenrekord bei PERSPEKTIVE:16
Über 2.000 BesucherInnen bei
neunter Jobmesse des DSE-Wien
Die jährliche DSE-Jobmesse fand
heuer zum zweiten Mal im Wiener
Rathaus statt: Mehr als 2.000 Interessierte hatten in Volkshalle
und ­Arkadenhof die Möglichkeit,
über 30 sozialintegrative Betriebe
aus Wien kennen zu lernen, sich
­Informationen zu aktuellen
­Stellenangeboten zu holen und
sich individuell beraten zu lassen.
Auch wichtige institutionelle
Partner wie AMS, MA 40, Sozialminsteriumservice, waff und
Schuldnerberatung waren bei der
Jobmesse vertreten.
w
Wie schon im Vorjahr bot das AMS
auch heuer die Möglichkeit, sich direkt am AMS-Stand zu den im Rahmen der Jobmesse ausgeschriebenen
Jobs zubuchen zu lassen – 50 Jobs konnten somit gleich direkt vor Ort vergeben
werden, darüber hinaus wurden zahlreiche
Vorstellungsgespräche für die kommenden
Tage vereinbart.
Auch zahlreiche Beratungs- und Betreuungsorganisationen waren auf der Job­
messe vertreten, die „sehr gezielt indi­
Bei der DSE-Pressekonferenz am Podium: Petra Draxl, Thomas Rihl, Daniela Schallert, Tanja Wehsely (v.l.)
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ar b e i ts ma r k tp ol i ti k akti v
Fotos: DSE-Wien/Martin Juen
So viele BesucherInnen
wie noch nie bei der
PERSPEKTIVE:16
dse von innen
Auch Tanja Wehsely und Petra Draxl
durften im ­Arkadenhof
„Hand anlegen“ und sich als Fliesen­legerinnen versuchen.
AMS Awards
Erfolge für DSE-Mitglieder
w
Jedes Jahr zeichnet das AMS Wien besonders erfolgreiche arbeitsmarktpolitische Projekte aus. In der Kategorie der Sozialökonomischen Betriebe konnte
heuer das Projekt Kolping Handwerk die begehrte Trophäe einheimsen. Bewertungskriterien waren die Zielerreichung in den Bereichen Arbeitsmarkterfolg (Anzahl der Personen, die drei Monate nach Ende der Projektteilnahme in Beschäftigung sind) sowie Teilnahmezufriedenheit (bezüglich des Projektträgers und des
Nutzens).
Mit einer Auszeichnung für ihr Lebenswerk wurde Sieglinde Schittl, die langjährige
Leiterin der VHS-BBE Deutsch Clearing (siehe auch Bericht auf Seite 7), geehrt.
Fotos: AMS Wien
Ausprobieren und gewinnen
Im Arkadenhof konnten sich die Mitgliedsbetriebe in Aktion präsentieren und Einblicke in ihren Arbeitsalltag aus den Be­
reichen Gastronomie, Renovierung, Radund Auto-Werkstatt sowie Sozialmarkt
oder Grünraumbetreuung geben –
Interessierte hatten die Möglichkeit,
selbst „Hand anzulegen“ und ihr Können
zu testen.
Am DSE-Stand gab es für die BesucherInnen
die Möglichkeit, am diesjährigen JobmesseGewinnspiel teilzunehmen – zu gewinnen
gab es Restaurantgutscheine, darüber hinaus wurden von Trendwerk Sachpreise und
Gutscheine für Elektrorad-Probefahrten zur
Verfügung gestellt – der DSE-Wien sagt
­Danke!
Die DSE-Jobmesse hat sich in den vergangenen neun Jahren als Plattform etabliert, Arbeitsuchenden in Wien die Möglichkeit zu
geben, an einem Ort mit den Wiener arbeitsmarktpolitischen DienstleisterInnen ins Gespräch zu kommen, Kontakte zu knüpfen
und neue Möglichkeiten zu entdecken.
Übrigens: nächstes Jahr feiert die Jobmesse
ihr 10-jähriges Jubiläum – also Termin vormerken und am 19.9. 2017 dabei sein!
Job-TransFair
viduell beraten und bei der Problemlösung
unterstützen, die einer Arbeitsmarkt­
integration im Weg stehen können“, wie
Daniela Schallert, Präsidiumsmitglied des
DSE-Wien, bei der Pressekonferenz zu Beginn der Job­messe e
­ rläuterte. Mit ihr am
Podium saßen DSE-Präsidiumsmitglied
Thomas Rihl, AMS-Wien-Geschäftsführerin
Petra Draxl sowie die waff-Vizevorsitzende
und Wiener Landtagsabgeordnete Tanja
Wehsely.
Im Nordvestibül des Rathauses hatten die
TeilnehmerInnen bei drei Workshops die
Möglichkeit, sich und ihre Kompetenzen zu
präsentieren und dazu Feedback von erfahrenen TrainerInnen einzuholen. Zudem wurden vor Ort professionelle Bewerbungsfotos
angefertigt und den BesucherInnen mit­
gegeben.
Foto links: v.l.: Marion Praschberger (Leiterin der Sozialeinrichtungen von Kolping Österreich),
Petra Draxl (AMS-Wien-Geschäftsführerin) und Albert Pribyl (Geschäftsführer von ­Kolping
­Österreich)
Foto rechts: Sieglinde Schittl freute sich über den von AMS-Wien-Chefin Petra Draxl über­
reichten Preis für ihr Lebenswerk.
a rbeitsma r ktpoliti k a ktiv
9
?
dse denkfabrik
GASTKOMMENTAR
Fakten statt Mythen in der
Diskussion zur Mindestsicherung
Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung ist in der letzten Zeit unter Druck geraten. Ein faktenorientierter
Zugang täte der aktuellen Diskussion gut.
„Wir können uns die Mindest­
sicherung nicht leisten“
Im Jahr 2015 haben 284.374 Personen Geldleistungen der Mindestsicherung bezogen.
Das entspricht rund 3,3% der österreichischen Bevölkerung. Zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs dieser
Menschen wurden 765,2 Mill. € aufgewendet. Weitere 42,5 Mill. wurden für die Übernahme von Krankenversicherungsbeiträgen
investiert.
Die Kosten für die Mindestsicherung entsprechen etwa 0,87% der österreichischen
Sozialausgaben im Jahr 2015. Dieser Betrag
sollte für die Sozialbudgets des Bundes und
der Länder finanzierbar sein. Die konkrete
Aufteilung der Kosten ist jedoch problematisch und unsolidarisch, denn gerade ärmere
Gemeinden haben viele BMS-BezieherInnen
und damit auch höhere Kosten zu tragen als
10
ar b e i ts ma r k tp ol i t ik akti v
reichere Gemeinden mit wenigen Anspruchsberechtigten.
„Wer arbeitet, ist der Dumme“
Von GegnerInnen der Mindestsicherung
wird immer wieder darauf verwiesen, dass
„Arbeit sich lohnen muss“ und diese daher
unter den Erwerbseinkommen liegen muss.
Statt jedoch für existenzsichernde Löhne
einzutreten, wird die Mindestsicherung
­kritisiert.
Für die betroffenen Menschen ist die Mindestsicherung keine „soziale Hängematte“,
sondern ein Leben am Minimum. Sie liegt
mit 837,76 € für alleinstehende Personen um
rund 330 € unter der Armutsgefährdungsschwelle. Die Voraussetzungen zum Bezug
der BMS sind streng: Wer arbeitsfähig ist,
aber nicht arbeiten will, dem wird die Mindestsicherung gekürzt oder gestrichen. Fakt
ist, dass es selbst mit sehr geringen Gehältern von rund 1.000 € brutto aufgrund von
Weihnachts- und Urlaubsgeld einen deutlichen Abstand (20%) zur Mindestsicherung
gibt.
Für Familien mit mehreren Kindern kann es
durchaus zu dem Fall kommen, dass sich
durch die Mindestsicherung höhere Einkommen ergeben, als durch Erwerbsarbeit zu
verdienen wäre. Doch dies liegt in der Natur
der Mindestsicherung, die zur Armutsvermeidung Leistungen für jede anspruchsberechtigte Person im Haushalt vorsieht. Im
Gegensatz dazu erhält wohl kaum jemand
ein höheres Gehalt, nur weil er/sie eine Familie hat.
Zukünftige Herausforderungen
sind groSS
Bis Ende 2016 muss die Regierung eine
neue 15a-Vereinbarung – die rechtliche
Grundlage der Mindestsicherung zwischen
Bund und Ländern – verhandeln. Gelingt
keine Einigung, droht eine weitere Aufwei-
arbeit plus/Pletterbauer
w
Die Einführung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) im Jahr
2010 war ein wichtiger sozialpolitischer Erfolg, der erstmals bundesweite Mindeststandards für das letzte soziale Netz definierte. Doch dieser Erfolg ist unter Druck
geraten. Es wird nicht mehr darüber debattiert, wie Armut vermieden werden kann,
oder wie die BezieherInnen der Mindestsicherung beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt unterstützt werden können.
Stattdessen dominiert das Bild der „sozialen
Hängematte“, in der es sich langzeitarbeitslose Menschen und Flüchtlinge angeblich
gemütlich machen. Der Grundpfeiler unseres Sozialstaats – die Solidarität – wird immer mehr in Frage gestellt.
Fakten spielen in der aktuellen Debatte über
die Mindestsicherung kaum eine Rolle. Doch
es lohnt sich genauer hinzusehen, denn
trotz der ausgesprochen schlechten Datenlage können viele Mythen leicht widerlegt
werden.
Philipp Hammer
ist Referent für Grundlagenarbeit bei arbeit plus –
Soziale Unternehmen Österreich.
chung des untersten sozialen Netzes. Doch
auch wenn die Zeit drängt, wäre es dringend nötig, innezuhalten und eine faktenorientierte Diskussion zu führen. Das sind
wir den ärmsten drei Prozent unserer Mitmenschen schuldig.
Was es dringend braucht, ist aus unserer
Sicht eine Übertragung der Mindestsicherung in die Kompetenz des Bundes. Nur so
können einheitliche Standards sichergestellt werden. Zudem zeigen die Erfahrungen in den Sozialen Unternehmen von arbeit plus, dass BMS-BezieherInnen arbeiten
wollen. Doch gerade für gering qualifizierte
Menschen gibt es in Zeiten einer langjäh­
rigen Wirtschaftskrise und Rekordarbeits­
losigkeit immer weniger Arbeitsplätze.
Für sie braucht es neue Angebote einer
dauerhaften Beschäftigung in einem er­
weiterten Arbeitsmarkt. Denn: Eine bezahlte Arbeit ist unverzichtbar, um Menschen
Teilhabe an unserer Gesellschaft zu er­
möglichen.
dse denkfabrik
?
ANALYSE
Mindestsicherung: Sonderfall Wien
Wien als einzige Großstadt Österreichs steht sowohl in punkto ­Arbeitsmarktsituation
als auch hinsichtlich der Anzahl der BezieherInnen von Bedarfsorientierter Mindestsicherung (BMS)
vor besonderen Herausforderungen.
Neue Wifo-Studie zur BMS
Seit Implementierung der Mindestsicherung
haben sich die Zahl der Leistungsbeziehenden und das dafür verwendete Budgetvolumen in Wien sukzessive erhöht – besonders
ab 2014. Eine Studie des WIFO stellte die
Frage nach den Ursachen. Ein Faktor ist die
Zuwanderung. Die Zahl der subsidiär
Schutz- und Asylberechtigten unter den
BMS-Leistungsbeziehenden hat sich zwischen 2010 und 2015 fast verdreifacht.
Evident ist, dass die BMS – besonders in
Wien – die wachsende Gruppe armutsgefährdeter Menschen erreicht. Die BMS-Leistung
ist aber zu niedrig, um Menschen aus der
­Armutsgefährdung zu holen. Erwerbsarbeit
ist und bleibt die beste Lösung zur dauerhaften Überwindung von Armut – allerdings
erschwert die derzeitige Arbeitsmarktlage
den Übergang in stabile Beschäftigungsverhältnisse. Vor diesem Hintergrund sind die
Höhe und die zunehmende Verfestigung der
Arbeitslosigkeit als wesentliche Einflussfaktoren für die Entwicklung der BMS zu sehen.
Ein FREIER JOB –
44 Arbeitsuchende
Ende 2014 waren etwa
50.000 BMS-Beziehende
beim AMS vorgemerkt.
Ihre Integration in den
Arbeitsmarkt ist jedoch
durch fehlende berufliche Qualifikation sowie
ausgeprägte Arbeitsmarktferne erschwert.
62% dieser Gruppe im Erwerbsalter haben maximal einen Pflichtschulabschluss. Der Stellenandrang zeigt aber auch,
dass BMS-Beziehende
gewillt sind zu arbeiten:
Auf jede beim AMS gemeldete offene Stelle
kommen in Österreich
rund 12 Arbeitsuchende. Für Menschen mit
maximal Pflichtschulabschluss liegt die Zahl
mit 18,8 deutlich höher und in Wien sogar
bei 43,6 Arbeitsuchenden. Außerdem gilt es
zu beachten, dass in Wien fast die Hälfte der
BMS-Beziehenden nicht in der Lage ist zu arbeiten, da es sich um Kinder, Pensionisten
oder Menschen mit Betreuungspflichten
handelt.
schwieriger Voraussetzungen kleine Erfolge
verzeichnet werden konnten, die keinesfalls
als zu gering geschätzt werden dürfen. Das
Ziel der dauerhaften Wieder-/Eingliederung in
das Erwerbsleben gilt es weiter zu verfolgen.
Es bedarf vereinter politischer Anstrengung,
arbeitsmarktferne und langzeitbeschäfti-
arbeit plus
w
2015 bezogen in Österreich 284.374
Personen Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS),
mehr als die Hälfte, nämlich 56%, davon leben in Wien. Für die Bundeshauptstadt wurden 63% der Gesamtkosten aufgewendet.
Wien weist darüber hinaus eine hohe durchschnittliche Bezugsdauer mit 8,8 Monaten
und den höchsten Anteil an Bedarfsgemeinschaften auf, die länger als ein halbes Jahr
BMS-Leistungen erhalten (71%). Vor allem
die Zahl der Personen mit Ergänzungs­
leistungen ist überdurchschnittlich ge­
stiegen.
Die deutliche Konzentration auf Wien lässt
sich nicht durch die Höhe der BMS erklären,
denn Wien liegt österreichweit mit einer
durchschnittlichen Leistungshöhe von 555
Euro/Monat an fünfter Stelle. Der Grund für
die überdurchschnittliche Inanspruchnahme
liegt wohl in typischen strukturellen Eigenheiten einer Großstadt: höhere Arbeitslosigkeit, höhere Anonymität und auch leichterer
Zugang zu Beratungsangeboten.
Arbeitsmarktpolitische
MaSSnahmen unersetzbar
Die vom Sozialministerium beauftragte Studie „3 Jahre Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) – Auswirkungen auf die Wiedereingliederung der Bezieher/innen ins Erwerbsleben“ stellt fest, dass trotz
gungslose Personen zu unterstützen. Ein gezielter Ausbau des zweiten Arbeitsmarktes
sollte angestrebt werden. Zusätzlicher Bedarf besteht im Angebot von niederschwelligen Beratungs- und Betreuungsangeboten:
Betroffene sind oftmals mit einer Vielzahl
von Problemen konfrontiert, die nicht allein
durch Arbeitsmarktpolitik gelöst werden
können. Auch eine längerfristige Begleitung
und Betreuung von BMS-Beziehenden wäre
daher vorteilhaft.
Es ist wichtig, dass es nicht bei Einzelmaßnahmen und Symptombekämpfung bleibt.
Ein gut ausgebautes soziales Sicherungsnetz, das Arbeitsanreize setzt, ist und bleibt
eine wesentliche Bedingung für die Integration der ärmsten Schichten in die Gesellschaft.
a rbeitsma r ktpolitik a ktiv
11
IN MEDIAS RES
A
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Ob Film, TV, Print oder Internet: Diese Rubrik widmet sich arbeitsmarktrelevanten News mit Medienbezug.
Gerfried Sperl (Hg.)
Ungleichheit
Wien 2016, 103 Seiten, Czernin-Verlag
Anthony B. Atkinson
Ungleichheit. Was wir dagegen
tun können
Stuttgart 2016, 474 Seiten, Klett Cotta
M
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E
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in
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12 Autorinnen und Autoren beschäftigen sich in Gerfried Sperls
kurzem Sammelband mit dem Thema
Ungleichheit, und die Bandbreite
reicht dabei vom literarischen Kurztext
bis hin zur akademischen Abhandlung.
Ziel des Herausgebers war, nicht nur
die finanzielle Ungleichheit zu beleuchten – dementsprechend breit gefächert sind die Themen der Beiträge,
die sich auch intensiv mit der ungleichen Verteilung von Arbeit, aber auch
Arbeiterrechten beschäftigen. Während Andreas Sator die Gründe
für die nach wie vor bestehende Gehaltsschere zwischen Männern
und Frauen analysiert, beobachtet Günther Wallraff, dass Arbeitnehmer nicht mehr gleich Arbeitnehmer ist, weil prekäre, unter­
bezahlte Arbeitsverhältnisse unter Aushebeln von Arbeitnehmerschutz in bestimmten Branchen immer mehr zum neuen Standard
werden.
Was einige der AutorInnen von unterschiedlichen Positionen beobachten: Je weiter die „Bildungsschere“ aufgeht, desto weniger Solidarität findet sich in einer Gesellschaft – warum einen Beitrag leis­
ten, um die prekäre Situation der „Ungebildeten“ zu bekämpfen,
wenn man selbst glaubt, von diesem Problem nie betroffen werden
zu können?
Branko Milanović stellt in seinem Beitrag fest, dass zwar die globale
Ungleichheit seit den 80ern kleiner geworden ist, innerhalb der einzelnen Länder die Kluft zwischen Arm und Reich aber immer größer
wird. Dieser Umstand begründet für Joseph Stiglitz den wachsenden Verlust von Vertrauen in die politischen Eliten – weil es keine
Lösung ist, so wie bisher weiterzumachen, wenden sich die WählerInnen Extrempositionen zu.
Für Harry G. Frankfurt hingegen ist ökonomische Gleichheit oder
Ungleichheit von keiner besonderen moralischen Bedeutung: „Es ist
nicht wichtig, dass jeder dasselbe hat. Was moralisch zählt, ist, dass
jeder genug hat.“
Die einzelnen Beiträge dieses Sammelbands sind so unterschiedlich
wie ihre AutorInnen – und doch läuft die Argumentation aller in
dieselbe Richtung: So wie jetzt sollte es nicht weitergehen. Wer kurze, schnell zu lesende Inputs zum Thema Ungleichheit sucht, findet
in Gerfried Sperls „Ungleichheit“ einiges an Material.
12
ar b e i ts ma r k tp ol i t ik akti v
w
Ungleichheit ist ein hochaktuelles
Thema und wird unweigerlich mit
dem Namen Thomas Piketty verbunden. Jetzt hat Tony Atkinson – renommierter Ungleichheitsforscher, nach
dem sogar ein Verteilungsindex benannt ist, und Ziehvater von Piketty –
sich des Themas angenommen. Sein
Buch ist ein Appell, einen Schritt
­zurückzutreten und grundlegende
politische Fragen neu zu stellen. Der
Fokus liegt auf Großbritannien, dennoch gibt es viele verallgemeinerbare Punkte. Im Gegensatz zu
Piketty diskutiert er sehr konkrete Vorschläge zur Reduktion von
Ungleichheit und erweitert den Fokus von der Konzentration auf
Topeinkommen auf diejenigen am unteren Ende der Verteilung.
Der Aufbau ist dreigeteilt: Der Diagnoseteil zeichnet die bisherige
Entwicklung der Ungleichheit nach und geht auf die Lehrmeinung
bezüglich technischem Wandel und Globalisierung ein. Dann folgen 15 Reformvorschläge für die Bereiche Steuer- und Sozialpolitik,
Arbeitsmarktpolitik und zur Kontrolle über Kapital sowie „erwägenswerte Ideen“. Umstrittene Vorschläge sind ein „Mindesterbe“
an alle 18-Jährigen, eine staatliche Jobgarantie für Arbeitswillige
und die Schaffung eines Wirtschafts-und Sozialrats. Der dritte Teil
enthält z.B. eine Machbarkeitsstudie zur (Un)Möglichkeit solcher
Reformen im Zuge der Globalisierung und der Frage nach der Finanzierbarkeit. Atkinson nennt Maßnahmen, die eine Richtungs­
angabe für jene sein sollen, die etwas an der jetzigen Lage ändern
wollen. Die Vorschläge sind so gestaltet, dass ihre Umsetzung im
heutigen System möglich wäre.
„Ungleichheit. Was wir dagegen tun können“ ist lesenswert, und es
ist für Nicht-ÖkonomInnen verständlich, liefert sachlich fundierte
Argumente und Vorschläge, die weiter reichen, als man es von Publikationen über Ungleichheit gewohnt ist, und zeigt eine große
Bandbreite möglicher Forderungen zur Schaffung einer gerechteren Gesellschaft. Atkinson betont, dass wir für ein gutes Verständnis von Ungleichheit alle Aspekte unserer Gesellschaft untersuchen
müssen. Steigende Ungleichheit ist nicht unvermeidlich, sondern
kann reduziert werden. Wie weit man Vorschlägen des Autors zustimmt, bleibt jeder/jedem selbst überlassen. Auf jeden Fall bietet
das Buch genügend Stoff zum Nachdenken und Diskutieren.
res
S
A
Martin Ford
Aufstieg der Roboter.
Wie unsere Arbeitswelt gerade auf den
Kopf gestellt wird – und wie wir darauf
reagieren müssen.
Uwe Mauch
Die Armen von Wien –
13 Sozialreportagen
Wien 2016, 182 Seiten, Verlag des Österreichischen
­Gewerkschaftsbundes
w
Uwe Mauch, seit 1995 Redakteur
beim „Kurier“, tritt mit seinem
neues­ten Buch in die Fußstapfen des
legendären Wiener Sozialreporters Max
Winter. Max Winter (1870 – 1937) gilt
als Pionier und Meister der Sozialreportage und deckte Missstände öffentlichkeitswirksam auf. Dabei verwendete er
zusätzlich zu den klassischen journalis­
tischen Methoden sozialwissenschaftliche Ansätze wie zum Beispiel die offene oder verdeckte teilnehmende Beobachtung.
Auch Uwe Mauch geht dahin, wo es „wehtut“: Selbst in einer wohlhabenden Stadt wie Wien gibt es Menschen, die manifest arm sind,
nur fallen sie im Stadtbild kaum auf. Zwei Jahre lang recherchierte
der Autor und lernte einige der Armen von Wien kennen: Wohnungs- und Heimatlose, kranke Menschen ohne Krankenversicherung, Einsame in elenden Unterkünften, Hungrige bei Ausspeisungen, Bettelnde auf der Straße, Obdachlose, Verschuldete, Working
Poor, Langzeitarbeitslose und andere.
In 13 Sozialreportagen versucht er, den Ungehörten eine Stimme zu
geben, die Unsichtbaren in unser Bewusstsein zu rücken. Er schaut
genau hin, berichtet, interviewt und nimmt kurz am Leben der Betroffenen teil. Berührend, aber gleichzeitig doch zumeist sachlich
schildert er Leidenswege, beschreibt Umstände und Probleme, immer auf Augenhöhe mit den Menschen, denen er begegnet.
Und da geht es auch um Kinder, deren Kindheit niemals sorglos war,
um SchülerInnen, die hungrig in die Schule kommen und im Krankheitsfall nicht nach Hause geschickt werden wollen, weil dort das
Bett vom großen Bruder, der Nachtschicht arbeitet, besetzt ist. Um
Langzeitarbeitslose, die entmutigt und entkräftet sind und Mauch
zu einem Vergleich mit der berühmten Marienthal-Studie anregen.
Abgerundet wird das Bild durch ein Interview mit Sozialforscher Martin Schenk, das noch einmal die Phänomene Armut und Ausgrenzung
thematisiert. Eine Daten- und Faktensammlung ergänzt mit Zahlen
zum Thema – wussten Sie beispielsweise, dass der Gesundheitsstatus
jener 405.000 Menschen, die in Österreich manifest arm sind, dreimal
so schlecht ist, wie der Status der restlichen Bevölkerung?
Übrigens: Vom Kaufpreis jedes Exemplars (Euro 19,90) gehen zwei
Euro an AmberMed, die Armenambulanz, der auch ein Kapitel gewidmet ist.
Kulmbach 2016, 365 Seiten, Plassen
Verlag
w
MArtin Ford
WIN
NER
Seit Jahrhunderten wird die ökonomische Entwicklung angetrieben vom
technischen Fortschritt. Abgesehen von
Übergangsphasen mit kurzer Arbeitslosigkeit, die jedoch „nie systemisch oder
dauerhaft“ waren, entstanden in Folge
neue Arbeitsplätze mit besseren Jobs,
höherer Produktivität, besseren Gehältern und letztlich höherem gesellschaftlichem Wohlstand. Allerdings, so Martin Ford: „Die symbiotische Beziehung zwischen
verbesserter Produktivität und steigenden Gehältern zerfällt seit
den 1970er-Jahren.“ Ursache dafür sei die „grundlegende Veränderung im Verhältnis von Mensch und Maschine“, angetrieben „von
der nicht erlahmenden Innovation im Bereich der Computertechnologie“.
Der Faszination für neue technische Möglichkeiten stehen die real
beobachtbaren und erwarteten Auswirkungen für die Wertigkeit
und Verwertbarkeit der Arbeitskraft samt Konsequenzen für den
Arbeitsmarkt sowie die daran anknüpfenden Systeme der sozialen
Sicherung gegenüber. Zentrale Frage ist demnach, ob der technische Fortschritt in Gestalt „disruptiver Technologien“ zu einer
grundlegenden Gefährdung des gewachsenen gesellschaftlichen
und ökonomischen Systems führt? Wird „eine grundlegende Neuordnung nötig“, um den – westlichen – Wohlstand zu erhalten?
Martin Fords Prognosen für so gut wie alle Wirtschaftssektoren
sind düster, und er untermauert sie mit vielen konkreten Beispielen, vor allem aus den USA. Dass nicht nur niedrig qualifizierte Jobs
mit viel Routinetätigkeit massiv betroffen sind, wird anhand des
Hochschul- und des Gesundheitswesens aufgezeigt.
Aber was wird aus unserem Gemeinwesen, wenn die alles durchdringende Automatisierung in vorhergesagtem Ausmaß stattfindet? Maschinen sind schließlich keine KonsumentInnen, die Produkte und Dienstleistungen kaufen. Wer ersetzt die stockende
Nachfrage an Produkten und Dienstleistungen? Wenn die Ungleichheit größer wird, die Mittelschicht schrumpft, die Gruppe der
Prekarisierten massiv wächst, bleiben nur noch die Wohlhabenden,
die sich Konsum jenseits der nackten Existenzsicherung leisten
können. In den USA entfallen heute schon fast 40 Prozent der
­Konsumausgaben auf 5 Prozent der Haushalte. Prognose für die
weitere Entwicklung: düster. Gleichwohl zeigt Ford Lösungsansätze
auf wie z.B. ein bedingungsloses Grundeinkommen, dessen Einführung er aber für unrealistisch erachtet. Zu guter Letzt bleibt auch
etwas an Optimismus über, der aber nur dann berechtigt sei, wenn
die technologischen Innovationen als Lösung des Problems ­genützt
und auch mit den Folgen des Klimawandels verknüpft werden.
Es ist ein sehr lesenswertes Buch, das zum Nachdenken anregt.
Aufstieg
der
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Wie unsere Arbe
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den Kopf geste
llt wird – und wie
wir darauf reag
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VERLAG
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AMS WIEN STELLT VOR:
Back to the Future –
Stufen in die Zukunft
Ein neuer Sozialökonomischer Betrieb bietet BMS-beziehenden Jugendlichen nieder­schwellige Tätigkeiten
in einem motivierenden Stufenmodell.
w
Im Dezember startet ein neues Sozialökonomisches Projekt für junge, arbeitsfähige Bezieherinnen und Bezieher der Mindestsicherung: Back to the Future. Den 18- bis 24-Jährigen werden einfache
handwerkliche Tätigkeiten unter der Anleitung qualifizierter Fachkräfte angeboten –
wobei die Arbeiten sehr unterschiedlich
sind, sowohl in der Schwierigkeit als auch in
den Berufsfeldern, denen sie zuzuordnen
sind. Das steigert die Chance, im Anschluss
an das Projekt auch wirklich vermittelbar
zu sein.
Stufen zum Erfolg
Der Einstieg ins Erwerbsleben erfolgt über
mehrere Stufen, wobei in der ersten Phase
das Stundenausmaß so gewählt ist, dass das
Nettoentgelt nur knapp über der Mindest­
sicherung liegt. Wer „aufsteigen“ will, muss
sich bewähren: Für den Wechsel in die
nächsthöhere Stufe werden transparente
und nachvollziehbare Kriterien definiert, die
im Rahmen von Feedback-Gesprächen evaluiert werden. Mit den Stufen steigt nicht
nur die Entlohnung, auch die Tätigkeiten
werden interessanter und anspruchsvoller.
Natürlich: Absteigen kann man auch – allerdings nur im beiderseitigen Einvernehmen
und dann, wenn die Leistung nicht ausreicht.
Kontinuierliche Begleitung
Das Programm soll die Jugendlichen nicht
nur an die Fertigkeiten, sondern auch an Arbeitstugenden heranführen, die das Erwerbsleben erfordert. Im Rahmen einer sozialpädagogischen Betreuung wird natürlich
eine umfassende Unterstützung angeboten,
darüber hinaus aber natürlich auch die Bewerbungssituation trainiert und auch Ausbildungen angeboten. Der Fokus der begleitenden Betreuung liegt auf der Vermeidung
von Abbrüchen und, wo das gebraucht wird,
auch auf der Einrichtung eines unterstützenden Netzwerks.
Über den Zeitraum von höchstens zwei Jahren werden die Jugendlichen also intensiv
und kontinuierlich begleitet. Das muss auch
sein, denn die arbeitsmarktpolitische Erfolgsvorgabe ist hoch: Drei Monate nach
dem Austritt aus dem Projekt soll zumindest
einer von vier Jugendlichen in einer Beschäftigung sein, die weder geringfügig
noch sozialökonomisch ist.
Back to the Future wird vom Europäischen Sozialfonds (vertreten durch den
waff), vom AMS Wien und von der MA 40
finanziert.
AMS/Das Medienstudio
Völlig neues Programm
„Sozialökonomische Unternehmen sind ein
wichtiges Instrument, wenn es darum geht,
jene Menschen wieder an die Arbeit heranzuführen, die lange keine hatten“, sagt AMSWien-Chefin Petra Draxl. Allerdings müsse
das Angebot ständig weiterentwickelt werden, weil sich auch die Erfordernisse des Arbeitsmarkts ständig ändern. „Mit Back to the
Future haben wir ein völlig neues Programm
für diese Zielgruppe – junge Menschen, die
davor weder durch Weiterbildung noch
durch Vermittlung eine realistische Chance
auf Beschäftigung hatten.“
Die Bandbreite der Tätigkeiten, die bei
Back to the Future angeboten werden,
reicht von der Industrieproduktion bis zur
Garten­pflege, von der Autoaufbereitung
bis zur ­Lebensmittelveredelung.
„Unser Ziel ist der Erwerb von Arbeits­
erfahrungen und Fertigkeiten für diese junge Zielgruppe und vor ­allem natürlich ein
dauerhafter Job auf dem ersten Arbeitsmarkt.“
Zielgruppe sind junge Menschen, die davor weder durch Weiterbildung noch durch Vermittlung eine realistische Chance auf Beschäftigung hatten.
14
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
dse aktiv
GASTBEITRAG WAFF
50 Millionen Euro ESF-Mittel für
den Wiener Arbeitsmarkt bis 2020
„Armutsbekämpfung und soziale Inklusion“ – das ist der Schwerpunkt der laufenden
Strukturfondsperiode des Europäischen Sozialfonds.
StartWien – Das Jugendcollege
Das Projekt StartWien-Jugendcollege ist
ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die
Mittel des Europäischen Sozialfonds sinnvoll eingesetzt werden können, nämlich
als „gewinnbringende" Investition in die
Zukunft junger Menschen. Das Jugendcollege bietet 1.000 Kursplätze für jugendliche ZuwanderInnen, vorwiegend AsylwerberInnen und -berechtigte, die nicht mehr
schulpflichtig sind. Ziel ist es, die Jugendlichen zwischen 15 und 21 Jahren in einem
Votava
w
Für Wien bedeutet das: Bis 2020
können 52 Mio. Euro aus dem ESFTopf für Arbeitsmarktprojekte in
diesem Schwerpunkt eingesetzt werden.
Inklusive der nationalen Kofinanzierung
stehen damit 104 Mio. für den Wiener Arbeitsmarkt zur Verfügung. Zugutekommen wird das BezieherInnen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, Jugendlichen und MigrantInnen.
Als „zwischengeschaltete“ Stelle organisiert der waff (Wiener ArbeitnehmerInnen
Förderungsfonds) den Einsatz der ESF-Mittel für wichtige Arbeitsmarktprojekte und
ist für die Umsetzung der ESF-Programme
in Wien verantwortlich. Der waff hat darauf gedrängt, mit der Umsetzung von ESFMaßnahmen raschest möglich zu beginnen. So konnten noch im Vorjahr die Umsetzung von Beratungs- und
Betreuungseinrichtungen sowie die Realisierung von Deutschkursen starten. Insgesamt sind bis dato über 30.000 Menschen
in Maßnahmen eingestiegen. Neben den
soziapolitisch wichtigen Aspekten im Sinne der „Herstellung von Chancengerechtigkeit“ trägt die Tatsache, dass ESF-Mittel
zur gezielten Unterstützung von ausgrenzungsgefährdeten WienerInnen eingesetzt
werden können, auch dazu bei, den Haushalt der Gemeinde Wien zu entlasten.
Die neun Trägerorganisationen des Jugendcolleges bieten 1.000 Kursplätze für jugendliche ZuwanderInnen zwischen 15 und 21 Jahren.
modularen System fit für den Einstieg in eine weiterführende Schule oder berufliche
Ausbildung zu machen.
Dafür werden jährlich sechs Millionen Euro
eingesetzt. Eine Hälfte wird aus Mitteln des
Europäischen Sozialfonds (ESF), die andere
Hälfte aus Mitteln der Abteilung für Integration und Diversität MA 17, des AMS Wien
und des FSW Wien finanziert.
„Back to the Future –
Wiener Jugendunterstützung“
Ein weiteres beispielhaftes Projekt ist „Back
to the future – Wiener Jugendunterstützung“ (siehe auch Bericht auf Seite 14). Zielgruppe sind beim AMS Wien vorgemerkte
junge BMS-BezieherInnen im Alter zwischen
18 und 24 Jahren, die bisher weder durch
Weiterbildung oder Qualifizierung noch
durch Arbeitsvermittlung eine realistische
Chance auf Beschäftigung hatten. Mit dem
Projekt werden in einem ersten Schritt für
200 junge BMS-BezieherInnen Ausbildungsund Beschäftigungsangebote geschaffen.
Intensive Betreuung und Angebote zur Ausbildung und Erwerbsorientierung sollen diesen jungen Erwachsenen dabei helfen, ein
selbstständiges Leben ohne Mindestsiche-
rung führen zu können. Das Gesamtvolumen beträgt für ein Jahr 5 Mio. Euro, getragen werden die Kosten durch den ESF, AMS
Wien und Stadt Wien.
Der waff setzt aber auch ganz bewusst für eigene Projekte im Rahmen des Qualifikationsplans Wien 2020 ESF-Mittel ein. Die Zielsetzung: WienerInnen mit maximal Pflichtschulabschluss zu einer besseren Ausbildung zu
verhelfen. Konkret sind das der ChancenScheck (bis zu 3.000 Euro für Beschäftigte mit
höchstens Pflichtschulabschluss zur Höherqualifizierung bis hin zum Lehrabschluss; sowie Informationsveranstaltungen und Vernetzungsarbeit, um Personen mit maximal
Pflichtschulabschluss für das Thema der Höherqualifizierung zu sensibilisieren.
Passende und ausreichende Unterstützungs­
angebote, die gerade auch Qualifizierungsmöglichkeiten mit einschließen, sind ein wesentlicher Beitrag zu einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt und damit zur
Armutsbekämpfung. Oder, wie es Tanja
Wehsely, die stv. waff-Vorstandsvorsitzende,
anlässlich der DSE-Jobmesse im Rathaus formulierte: „In einer solidarischen Gesellschaft
geht es darum, Möglichkeiten für ALLE zu
erschließen.“
a rbeitsma r ktpolitik a ktiv
15
vorschau
D.R.Z
Der DSE-Wien blickt nach vorn
statt zurück. Das steht in den nächsten
Monaten auf dem Programm:
ART VENT KARLSPLATZ/WEIHNACHTSDORF ALTES AKH
Trendige Designgeschenke aus
Elektroschrott
Filmladen
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DIVERSE KINOS
Ich, Daniel Blake
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Der verwitwete Tischler Daniel Blake ist schwer herzkrank und
darf laut seinem Arzt nicht arbeiten gehen. Sein Antrag auf
Sozialhilfe wird aber abgelehnt. Um die Arbeitslose zu bekommen, müsste er nachweisen, dass er Arbeit sucht – was er gesundheitlich nicht dürfte … Im Spießrutenlauf durch den Behördendschungel lernt er die Alleinerzieherin Katie kennen. Gemeinsam versuchen sie, der bitteren Armut zu entkommen.
Filmemacherlegende Ken Loach bekam für sein engagiertes So­
zialdrama heuer die Goldene Palme in Cannes. Der Film läuft ab
25.11.2016 in folgenden Kinos: Burg, Artis, Votiv, De France,
Cine, Urania, Village W3, Apollo, UCI Millennium
w
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DS
Wie jedes Jahr gibt es auch heuer wieder den Volkshilfe-Punschstand vor dem Millenniumstower (U6 Station Handelskai). Hier
kann man Gutes genießen und Gutes tun – jeweils
dienstags schenken Prominente wie z.B. die
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AMS-Wien-GFs Petra Draxl und Winfried
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Göschl (6.12.2016 ab 16.30 Uhr) heißen
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Geöffnet bis 23. Dezember 2016,
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Montag bis Samstag 15 bis 20 Uhr
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-wien.at
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Zweiter Arbeitsmarkt stark und vielfältig – so
nennt sich die von DSE-Wien und arbeit plus veranstaltete Tagung der Fach-Schlüsselarbeitskräfte der
Sozialen Unternehmen 2017. Am Donnerstagnachmittag
(19.1.) wird zum Thema Vielfalt ein Blick über den Tellerrand
in andere (Arbeits-)Kulturen und Lebenswege geworfen, der Freitagvormittag steht ganz im Zeichen der Stärkung der TeilnehmerInnen.
Infos zu den Restplätzen bzw. Anmeldung unter
http://arbeitplus.at/tagung-2017/
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Medieninhaber und Herausgeber: DSE-Wien Taborstraße 24/18, A-1020 Wien T 01/720-38-80, F DW 20, [email protected], www.dse-wien.at, ZVR 220045008 Redaktion: Ruth Kreuz,
Christoph Parak, Magdalena Reinberg-Leibel, Eva Schober Grafisches Konzept: Anita Frühwirth/www.effundwe.at Druck: Donau Forum Druck Ges.m.b.H. V­ ersand: fix und fertig.
Die Mitgliedsorganisationen des DSE-Wien werden von folgenden Einrichtungen gefördert:
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Volkshilfe Wien
mit Baklava“
Punschen für den guten Zweck
…
19. und 20.1.2017: „Melange
MILLENNIUMSTOWER VOLKSHILFE PUNSCHSTAND
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URANIA
Upcycling, also aus alt und wertlos mach neu und hochwertig,
schont nicht nur Umwelt und Ressourcen, sondern bringt auch
wunderschöne Geschenkideen hervor: Das beweist die TrashDesignManufaktur mit attraktiven Schmuckstücken, individuellen DekoObjekten sowie kreativen Accessoires aus Elektroschrott-Teilen – zu
kaufen zum Beispiel bei:
ART ADVENT 2016 am Karlsplatz: bis 23.12.2016 täglich von
12 bis 20 Uhr; Weihnachtsdorf Altes AKH: bis 23.12.2016, Mo–Sa
14 bis 22 Uhr, So, feiertags 11 bis 22 Uhr