Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie

Machen Überstunden längerfristig krank?
Die Prüfung einer arbeitsbezogenen Resilienzhypothese
Daniela Weseler
10. Kongress für
Gesundheitspsychologie
31.08.-02.09.2011
Berlin
Sonja Sobiraj & Kathleen Otto
Universität ErlangenErlangen-Nürnberg
Universität Leipzig
[email protected]
[email protected]
[email protected], kathleen.otto@uni
[email protected]@uni--leipzig.d
leipzig.de
e
Machen Überstunden längerfristig krank?
Beim Eintritt in einen Job unterschreibt der Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag über eine festgesetzte Zahl an Stunden. Der Arbeitnehmer
Ar
hat eine Erwartung, wieviel
Zeit des Tages er für die Arbeit verwenden kann, und wieviel für das restliche Privatleben. Muss der Arbeitnehmer nun Überstunden
Überstu
machen, so kann dies einerseits
zu Konflikten mit dem Privatleben (Steinmetz, Frese, & Schmidt, 2008) und dadurch zu Befindensbeeinträchtigungen führen. Andererseits
Ande
werden unabhängig von
zeitlichen Konflikten mehr Ressourcen verbraucht als ursprünglich vorgesehen, was wiederum zu Befindensbeeinträchtigung führen
führe kann (Kattenbach, Demerouti,
Nachreiner , 2010). Weiterhin kann aber auch eine Imbalance zwischen verwendeten, im Vergleich zu den ursprünglichen Erwartungen erhöhten,
erhöhte Anstrengungen
und der aktuellen Entlohnung zu Beeinträchtigungen im Wohlbefinden führen (Modell der Gratifikationskrisen; Siegrist, 1996). Wir nehmen an, dass Arbeitnehmer,
die Überstunden leisten, durch den Mehraufwand mit anderen Plänen in Konflikt geraten und unter der Ungewissheit, ob der Mehraufwand
Mehr
Erfolg und damit
Entlohnung bringt, ein beeinträchtigtes Wohlbefinden aufweisen.
Hypothese 1: Überstunden hängen positiv mit Befindensbeeinträchtigungen zusammen.
Überstunden zum eigenen Nutzen?
Im Arbeitskontext ist bekannt, dass Persönlichkeit einen puffernden Effekt auf die Wirkung von Stressoren haben kann (z.B. Longua,
L
DeHart, Tennen, & Armeli,
2009). Es ist anzunehmen, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale Arbeitnehmern helfen können, sich angemessene Entlohnungen für
f ihren Mehraufwand zu
suchen und einzufordern (Siegrist, 1996). Weiterhin kann man annehmen, dass bestimmte Persönlichkeitseigenschaften förderlich sind, um mit dem Stressor
Überstunden umzugehen und arbeitsbezogene Anforderungen effizienter zu bewältigen (Lazarus & Folkman, 1984).
1984
Personen, die hohe Eigeninitiative zeigen, sollten sich dieser Annahme nach aktiver und persistenter Entlohnungen suchen (Frese
(Fr
& Fay, 2001). Ein Effekt
proaktiver Verhaltensweisen auf späteren subjektiven und objektiven Karriereerfolg konnte bereits gezeigt werden (Seibert, Crant,
Cr
& Kraimer, 1999). Ebenso sollten
diejenigen Arbeitnehmer, die karriereorientiert sind, stärker nach Möglichkeiten suchen, sich Anerkennung und Status zu verschaffen (Gerber, Wittekind, Grote, &
Staffelbach, 2009). Flexibilität sollte Arbeitnehmern helfen, Arbeitsanforderungen zu bewältigen und sich durch erfolgreiche Arbeit kurzfristige
kurzf
Erfolge zu
verschaffen.
Hypothese 2: Arbeitsbezogene Persönlichkeitsmerkmale moderieren den Zusammenhang zwischen Überstunden und Befindensbeeinträchtigungen.
Befindensbeeinträch
Ergebnisse
Modell
Der Zusammenhang zwischen Überstunden und Irritation wird moderiert durch Eigeninitiative (Tabelle 1) und Flexibilität
(Tabelle 2). Die negativen Zusammenhänge sind unter hoher Ausprägung beider Persönlichkeitseigenschaften
abgeschwächt (Abbildung 1 und 2). Während die Slope Analyse bei geringer Eigeninitiative einen signifikant negativen
Zusammenhang (p=.01)
=.01) und bei niedriger Flexibilität einen marginal signifikant negativen Zusammenhang (p=.07)
(
zeigte,
konnte bei hoher Eigeninitiative (p=.48)
(
und hoher Flexibilität (p=.94) kein signifikanter Anstieg gezeigt werden.
t1
Überstunden
t1
Befindensbeeinträchtigung
• Irritation
t2
Tabelle 1. Moderierte Regression zur Erklärung von Irritation (t2)
durch Überstunden und Eigeninitiative (t1)
Tabelle 2. Moderierte Regression zur Erklärung von Irritation (t2)
durch Überstunden und Flexibilität (t1)
Irritation t2
Schritt 1
Irritation t2
Schritt 1
Alter
Irritation t1
B
SE B
β
-.04
.70
.04
.17
-.12
.58***
Schritt 2
• Online – Längsschnittstudie mit 70 Diplom-Psychologen
(Berufserfahrung: 0-10 Jahre), 2 Messzeitpunkte, Intervall 1-2
Jahre
• Alter: Ø 30 Jahre (SD=4.81)
• Geschlecht: 77.5% weiblich
• Vertraglich vereinbarte Arbeitszeit: Ø 32.2 h/Woche (SD=8.31)
• Reale Arbeitszeit: Ø 40.3h/Woche (SD=9.50)
Eigeninitiative t1
Schritt 3
Überstunden x
Eigeninitiative
• Überstunden pro Woche: Differenz zwischen vertraglich
vereinbarter und tatsächlicher Arbeitszeit pro Woche
• Arbeitsbezogene Persönlichkeit: (a) Eigeninitiative (Frese, Fay,
Hilburger, Leng, & Tag, 1997; 7 Items, α =.85),
(b) Karriereorientierung (Bischof, 1990; Kurzversion; 4 Items, α
=.82), (c) Flexibilität (Hossiep & Paschen, 1998; 14 Items, α =.87)
• Befindensbeeinträchtigung: Irritation (Mohr et al., 2006, 5 Items,
t1: α =.83; t2: α =.90)
.02
.02
.15
-.23
.31
-.11
-.074
.03
-2.76*
Anmerkung. N=35, R²=.38
=.38 Schritt 1;
1 ∆R²= .02** Schritt 2; ∆R²=.10*** Schritt 3
*p < .05, **p < .01. ***p<.001,
Überstunden t1
Flexibilität t1
Schritt 3
Überstunden x
Flexibilität
SE B
β
-.04
.70
.04
.17
-.12
.58***
.02
.02
.15
-.13
.23
-.08
-.05
.03
-1.82*
Anmerkung. N=35, R²=.38 Schritt1; ∆R²= .02** Schritt 2; ∆R²=.08** Schritt 3.
6,00
6,00
5,36
5,50
5,50
5,00
5,00
Irritiation
4,50
Instrumente
B
Schritt 2
Überstunden t1
Methoden
Alter
Irritation t1
4,00
4,55
4,24
3,84
3,50
niedrig
3,00
hoch
2,50
2,00
Eigeninitiative
1,50
Irritiation
Arbeitsbezogene Persönlichkeit
• Eigeninitiative
• Flexibilität
• Karriereorientierung
4,50
4,00
3,50
3,00
2,50
1,50
1,00
0,50
0,50
1,79
2,09
2,00
1,00
0,00
2,55
niedrig
hoch
Flexibilität
1,40
0,00
-1SD
1SD
+1SD
-1SD
Überstunden
Überstunden
Abbildung 1. Zusammenhang zwischen Überstunden
und Irritation in Abhängigkeit von Eigeninitiative
+1SD
Abbildung 2. Zusammenhang zwischen Überstunden
und Irritation in Abhängigkeit von Flexibilität
Für Karriereorientierung konnten keinerlei Moderationseffekte auf den Zusammenhang zwischen Überstunden und
Irritation gezeigt werden.
Diskussion
Ausblick
H1: Überstunden (t1) hingen nicht mit Irritation (t2) zusammen.
Die nicht vorhandenen Zusammenhänge zwischen hoher Arbeitszeitbelastung und Befindensbeeinträchtigungen, die in anderen
Studien gefunden werden konnten ( z.B. Park, Kim, Chung, & Hisanaga, 2001; Sparks, Cooper, Fried, & Shirom, 1997) deuten
darauf hin, dass Überstunden nicht generell, sondern nur unter bestimmten Bedingungen negativ wirken.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Förderung
arbeitsbezogener Persönlichkeitsmerkmale wie
Eigeninitiative und Flexibilität bereits in der beruflichen
Ausbildung implementiert werden muss.
Zukünftige Studien sollten die spezifischen Prozesse
unter die Lupe nehmen, die die salutogenetische
Wirkung von Eigeninitiative bei Stressexposition
erklären. Weiterhin sollte untersucht werden, welchen
Einfluss Karriereerfolg und antizipierter Karriereerfolg
durch Absolvieren von Zusatzausbildungen haben
(Modell der Gratifikationskrisen).
H2: Eigeninitiative und Flexibilität (t1) moderierten den Zusammenhang zwischen Überstunden (t1) und Irritation (t2).
Die Ergebnisse sprechen dafür, dass hoch initiative Arbeitnehmer gegenüber niedrig initiativen besser mit Überstundenaufkommen
Überstundenaufkomme
umgehen können, und die Mehrarbeit möglicherweise besser für das proaktive Eintreiben von Entlohnungen nutzen können.
Währenddessen scheinen weniger initiative Arbeitnehmer eher unter höherem Mehraufwand zu leiden. Karriereorientierung
widerum scheint keinen protektiven Effekt zu haben. Dies könnte daran liegen, dass diejenigen, die karriereorientiert sind, nicht
n
unbedingt die richtigen Strategien verwenden, sich auch kurzfristig Entlohnung zu verschaffen. Scheinbar können dagegen flexible
flexi
Arbeitnehmer mit der zusätzlichen Belastung besser umgehen und möglicherweise durch das flexible Handeln auch kurzfristige
Erfolge verbuchen oder zumindest Arbeitsanforderungen effektiver bewältigen als wenig flexible Arbeitnehmer.
References
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Frese, M., Fay, D., Hilburger, T., Leng, K. & Tag, A. (1997). The concept of personal initiative: Operationalization, reliability and validity in two German samples. Journal of Occupational
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Lazarus, R. S., & Folkman, S. ( 1984). Stress, appraisal and coping. New York: Springer
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Seibert, S. E., Crant, J. M., & Kraimer, M. L. (1999). Proactive personality and career success. Journal of Applied Psychology, 84, 416-427.
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Steinmetz, H., Frese, M., & Schmidt, P. (2008). A longitudinal panel study on antecedents and outcomes of work-home
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Sparks, K., Cooper, C., Fried, Y., & Shirom, A. (1997). The effects of hours of work on health: A meta-analytic
meta
review. Journal of Occupational & Organizational Psychology, 70, 391-408.
Gedruckt im Universitätsrechenzentrum, Universität Leipzig