Die Pressemitteilung zum

Berlin, 30. November 2016
Dada und danach
Mit drei Gemälden, sechs Aquarellen und fünf Collagen erwirbt das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg eine kostbare Werkkollektion der Dada-Künstlerin Hannah Höch.
Teilweise Hauptwerke der Künstlerin, können damit langjährige Leihgaben aus dem Nachlass dauerhaft für die Sammlung gesichert werden. Zwei Arbeiten von Raoul Hausmann
ergänzen die von der Kulturstiftung der Länder unterstützte Erwerbung.
30. November 2016, 15:30 Uhr, Germanisches Nationalmuseum,
Nürnberg; 19 Uhr festliche Präsentation
Kleinfamilie, monogame Zweierbeziehung und patriarchalische Gesellschaft: Eine abscheuliche Vorstellung für den österreichisch-deutschen Künstler Raoul Hausmann. Fanatisch
und humorlos soll er stattdessen die „ganzheitliche“ Beziehung propagiert haben. Das hieß
für ihn hauptsächlich: Neben seiner eigenen Familie wollte er um die 1920er Jahre auch
seine offene Beziehung mit der Künstlerkollegin Hannah Höch (1889–1978) nebst gemeinsamen Kindern ausleben. Die erzwungene Emanzipation jedoch fand keine Gegenliebe bei
der jungen Künstlerin, die sich zweimal für eine Abtreibung entschied und sich 1922 endgültig von Hausmann trennte, allerdings zeitlebens eine Freundschaft mit ihm beibehaltend.
Höchs Aquarell „Geburt“ von 1921 zeigt denn auch eher ein Schmerzensbild denn ein
freudiges Ereignis, in frontaler Ansicht klammert sich an den Stuhl eine erschöpfte Mutter,
mit ihrem noch angenabelten Neugeborenen in bedrückender, kärglicher Stube erbarmungslos ausgeleuchtet von einem unwirklichen Abendrot. Ganz anders dann im Bild von
1924: Es ist das einzige Mal in der Werkgruppe zur Geburtsthematik, dass Höch, die kinderlos blieb, eine glückliche, emotionale Beziehung zwischen Mutter und Kind als Motiv
zeigt. Der Schmerz weicht der Entspannung, der innigen Zweisamkeit. Zwei zentrale Werke der Künstlerin, seit vielen Jahren auf Wunsch Hannah Höchs als Leihgaben aus dem
Nachlass im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Sie wurden jetzt mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung zusammen
mit weiteren Gemälden und wertvollen Papierarbeiten für die Sammlung erworben: Dazu
kommen Geschöpfe (Gemälde, 1926/1929) und Resignation (Gemälde, 1928), Konstruktion mit
Blau (Aquarell, 1919), Raoul Hausmann (Aquarell, 1922), Kirche in Afrika (Aquarell, 1923),
Eingefangen (Aquarell, 1925), Baum der Erkenntnis (Aquarell, 1926), Stillleben (Collage, 1920),
Geselligkeit (Collage, 1925), Auf Aquarellengrund (Collage, 1936, 1945), Straßen und Kreuze
(Collage, 1959), Strauß (Collage, 1929/1965) sowie die Arbeiten Hannah Höch mit Gedicht
(Aquarell, 1915) und die Zeichnung Kopf Hannah Höch (1915) von Raoul Hausmann.
Konstruktion mit Blau, auf der Berliner Dada-Ausstellung 1919 von Höch gezeigt, demonstriert das analytische Zerschneiden der Form, als ein Hauptwerk charakteristisch für die
geometrischen Experimente dieser künstlerischen Phase. Das zentrale Werk des Ankaufs
aus der Reihe der symbolischen Gemälde, Geschöpfe (1926/1929), rückt naturphilosophische
Motive in den Fokus: Werke von Friedrich Nietzsche, Henri Bergson oder die Lebensphilosophie von Salomo Friedländer waren Inspirationsquelle für die Künstlerin und die DadaKollegen ihrer Generation.
Seite 2, Pressemitteilung vom 30. November 2016
Hannah Höch, Geburt, 1924, 75,3 x 90,5 cm; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg; © VG
Bild-Kunst, Bonn 2016
Höchs Collagen wiederum, als „Allegorien moderner Weiblichkeit“ in den Kanon der
Avantgardekunst eingegangen, verschränken oftmals Ausschnitte aus Illustrierten mit Darstellungen außereuropäischer Kunst, „primitiver“ Skulpturen, die Blätter attackieren auf
ironische Weise das Frauenbild der Weimarer Republik. Vielschichtig beschwört Höchs
Collage Geselligkeit Geschlechterklischees herauf, karikiert möglicherweise einen Männerabend in Gestalt von Königspinguin, Frack, Säule und Zigaretten, vielleicht annonciert die
Montage aber auch die Vereinnahmung männlicher Insignien durch lesbische Subkultur.
Spätere Werke wie Auf Aquarellengrund (1936/1945) feiern in Verbindung von Fotografie
und Aquarell die „Mannigfaltigkeit des Lebens“ (Hannah Höch) in Farben, Flächen und
Formen, obwohl die Künstlerin zu dieser Zeit bereits Anfeindungen der NS-Propaganda
ausgesetzt ist. „Ich habe alles gemacht und mich um Handschrift und Merkmal nie gekümmert“, bemerkte Höch resümierend zu ihrem Werk. Im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg treffen die aus allen Schaffensperioden Höchs stammenden Werke des
Nachlasses nun auf die bereits dort verwahrte exquisite Kollektion einer deutschen Protagonistin der Kunstavantgarde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Johannes Fellmann, Leiter Kommunikation
Tel +49 (0)30 / 89 36 35 29, [email protected]
Kulturstiftung der Länder, Lützowplatz 9, 10785 Berlin, www.kulturstiftung.de