29.11.2016, Steuermilliarden für Riester-Rente - Totgesagte

Manuskript
Beitrag: Steuermilliarden für Riester-Rente –
Totgesagte leben länger?
Sendung vom 29. November 2016
von Anke Becker-Wenzel, Ingo Dell und Klaus Wollscheid
Anmoderation:
Im Frühjahr hieß es, die Riester-Rente sei gescheitert. Mit diesen
Worten läutete Horst Seehofer das Totenglöckchen für die private
Vorsorge, weil sie nicht gegen die Altersarmut hilft. Andrea
Nahles war zwar gegen die Beerdigung der Riester-Rente,
stimmte aber zu, dass sie sich für Menschen mit kleinem
Einkommen kaum lohnt. Jetzt ist Winter und tatsächlich:
Totgesagte leben länger - die Bundesregierung will noch mehr
Steuergeld in die Riesterrente stecken. Nur, fragen unsere
Autoren Ingo Dell und Klaus Wollscheid, was bringt das den
Geringverdienern?
Text:
O-Ton Andrea Nahles, SPD, Bundesarbeitsministerin:
Drei Ziele hat das Gesamtkonzept. Erstes Ziel: die
Hauptursachen für Altersarmut zu beseitigen. Zweites Ziel:
Ich will, dass alle im Alter ihren im Arbeitsleben gewonnenen
Lebensstandard erhalten können. Drittens: Wir wollen für die
Menschen auch über das Jahr 2030 hinaus Verlässlichkeit
und Sicherheit geben.
Andrea Nahles und ihre Rentenreform. Vergangenen Freitag in
Berlin. Die Bundesarbeitsministerin möchte die betriebliche
Altersvorsorge stärken. Ein Baustein: die Riester-Rente, vor allem
für Geringverdiener.
Riestern kommt bei ihm gar nicht gut an: Peter S., ehemaliger
Maschinenschlosser aus Hamburg. Er hat privat vorgesorgt, mit
einem Riester-Vertrag. Über acht Jahre lang hat er Monat für
Monat rund 100 Euro in einen Fondssparplan gesteckt, mit
staatlicher Förderung. Heute ist der 63-Jährige nicht mehr gut auf
die Riester-Rente zu sprechen.
O-Ton Peter S., Riester-Sparer:
Ich bekomme 28,51 Euro verrentet oder monatliche Rente.
Ich müsste 93 Jahre alt werden, damit ich aus dieser
Geschichte plus/minus Null herauskomme.
Als er im vergangenen Jahr in den Ruhestand ging, hatte er fast
15.000 Euro auf seinem Riester-Konto. Einen Teil davon ließ er
sich auszahlen. Aus dem Rest bezieht er jetzt die kümmerliche
Monatsrente.
O-Ton Peter S., Riester-Sparer:
Von den 28,51 Euro kann ich, wenn´s hochkommt, meinen
Roller zweimal volltanken und die Hälfte vom Strom
bezahlen, das war´s dann. Also, da kann man nicht viel mit
anfangen. Ich bin sehr enttäuscht von der Riester-Rente und
von dem Modell - das Modell ist es ja, was das hergibt - und
kann immer wieder nur sagen: Ich kann es keinem
empfehlen.
Doch die Bundesarbeitsministerin und die Große Koalition halten
an Riester fest, weiten das Vorsorgemodell sogar noch aus:
Auf jährlich 165 Euro soll die Grundzulage steigen - elf Euro mehr
als bisher.
Bei Riester-Erspartem gibt es in Zukunft keine Anrechnung mehr
auf die Grundsicherung – bis zu einer Höhe von 200 Euro. Davon
sollen vor allem Geringverdiener profitieren.
Damit das Riestern auch über die betriebliche Altersvorsorge
attraktiver wird, gibt es eine Steuererleichterung für Arbeitgeber,
wenn sie ihren Mitarbeitern freiwillig Zuschüsse zahlen.
Untaugliche Mittel, die an den grundsätzlichen Fehlern von
Riester nichts ändern, kritisieren Experten.
O-Ton Axel Kleinlein, Vorstandsvorsitzender Bund der
Versicherten:
Das, was wir als Signal bekommen haben aus dem NahlesMinisterium, war ganz eindeutig, dass keine neuen Lösungen
entwickelt werden sollen. Es wird alter Wein in neuen
Schläuchen verkauft, der schmeckt nicht gut, das ist keine
gute Lösung.
Seit 2001 hat sich zwar die Zahl der Riester-Verträge von 1,4 auf
heute 16,5 Millionen erhöht. Doch seit 2012 stagnieren die
Zahlen. Und: Nach Schätzungen sind inzwischen circa 20 Prozent
dieser Verträge beitragsfrei gestellt – die Sparer zahlen also nicht
mehr länger in die Verträge ein. Riester droht, zum Ladenhüter zu
werden. Die Versicherungsbranche ist dennoch zufrieden.
O-Ton Peter Schwark, Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft:
16,5 Millionen Verträge sind meines Erachtens eine Zahl, die
weltweit in dieser Zeit und in dieser Verbreitung nicht
erreicht wurde mit einem freiwilligen Produkt – von daher
verstehe ich diejenigen nicht, die immer sagen, das sei nicht
zufriedenstellend. Man sollte das Erreichte sehen und auch
würdigen.
Dabei sind Riester-Verträge für den Steuerzahler richtig teuer.
Brandenburg an der Havel. Von hier aus hat die staatliche
Rentenversicherung seit 2002 etwa 25 Milliarden Euro an
Zulagen gezahlt. Rund 1.400 Mitarbeiter sind damit beschäftigt.
Verwaltungskosten: 148 Millionen Euro allein in diesem Jahr.
Doch ein Vielfaches blieb bei den privaten Versicherungskonzernen hängen. In den ersten fünf Vertragsjahren würden
Riester-Beiträge fast vollständig durch Gebühren und Provisionen
der Versicherer aufgefressen, bemängeln Kritiker.
O-Ton Axel Kleinlein, Vorstandsvorsitzender Bund der
Versicherten:
Die Kosten rundherum, die zerstören das, was man als
Rendite-Hoffnung insgesamt haben kann. Die Riester-Rente
ist deswegen unterm Strich erst mal gescheitert.
Nicht ohne Grund, wie wir bei einer Stichprobe feststellen.
Cornelia Neukirchner von der Verbraucherzentrale Sachsen gibt
sich als kinderlose Angestellte aus, Nettoeinkommen: 1.500 Euro.
Wir drehen mit versteckter Kamera. Mit dabei, als Zeuge, ihr
vermeintlicher Partner. Sie möchte angeblich riestern. Die
Antworten der Versicherungsvertreter werden erstaunlich
unpräzise, sobald es um das Thema „Kosten“ geht.
O-Ton Versicherungsvertreter, Gedächtnisprotokoll:
Was die Versicherer verdienen, das kann selbst ich nicht so
richtig nachvollziehen. Dazu sind die Verträge zu
intransparent, wie man so schön sagt.
O-Ton Versicherungsvertreter, Wortprotokoll:
Ich kann sagen, dass die Kosten ungefähr bei allen
Versicherungen gleich sind. Also, da nehmen sie sich alle
nix. Ich sehe es ja auch an der Höhe unserer Vergütung, die
bei allen Versicherern annähernd gleich ist.
Bei allen angebotenen Riester-Verträgen müsste unser Lockvogel
mindestens 83 Jahre alt werden, damit sich das Riester-Sparen
überhaupt lohnt.
O-Ton Cornelia Neukirchner, Verbraucherzentrale Sachsen:
Mein Fazit ist, dass die Beratungen insgesamt sehr
durchwachsen waren. Eine zentrale Rolle bei den Verträgen
sind ja die Kosten. Die Vertreter konnten allerdings keine
konkreten Angaben dazu machen. Besonders kritisch zu
sehen ist, dass zwei Vertreter behauptet haben, die Kosten
würden keine Rolle spielen, da die bei allen Verträgen mehr
oder weniger gleich sind.
Immerhin hat die Bundesarbeitsministerin das Problem der
intransparenten Kosten erkannt:
O-Ton Andrea Nahles, SPD, Bundesarbeitsministerin:
Der Vorschlag, den ich jetzt mache, ist, dass wir auch ein
Standard-Riester Produkt anbieten, dass alle einen StandardRiester anbieten müssen, der eben sehr klar die
Verwaltungskosten, all die Nachteile, verdeckten Klauseln
beseitigt, die jetzt da oft dazu geführt haben, dass sich die
Leute über den Tisch gezogen gefühlt haben.
Doch eines ändert sich damit nicht: Viele Geringverdiener riestern
nicht, weil sie es sich schlicht nicht leisten können - zumal sie ihre
Monatsbeiträge für einen Riester-Vertrag vom Nettoeinkommen
zahlen müssen.
O-Ton Prof. Gerd Bosbach, Wirtschaftsforscher, Hochschule
Koblenz:
Einer, der wenig Geld hat, hat nicht das Geld, da noch 50
Euro im Monat zurückzulegen. Und im Laufe seines Lebens
wird er sowieso irgendwann mal das Geld für was anderes
brauchen und kann den Vertrag nicht durchhalten.
Aktuelle Zahlen, wie viele Geringverdiener riestern, kann uns die
Zulagenstelle in Brandenburg auf Nachfrage nicht nennen. Laut
Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung erhalten die oberen
20 Prozent der Einkommensbezieher 38 Prozent der RiesterFörderung - die unteren 20 Prozent gerade mal sieben. Bei
Geringverdienern kommt zu wenig an. Deshalb stellen sich viele
Linke in der SPD gegen ihre Ministerin.
O-Ton Hilde Mattheis, SPD, MdB:
Ich sehe da schon eine Spreizung dessen, was ich mit
Riester eigentlich wollte - nämlich diejenigen im unteren
Einkommensbereich zu erreichen. Ich erreiche sie nicht.
Also, muss ich jetzt die Konsequenz daraus ziehen: Die
Riester-Rente auslaufen lassen, natürlich mit
Bestandsschutz – das ist klar.
Die größte Oppositionspartei geht noch einen Schritt weiter:
O-Ton Matthias W. Birkwald, DIE LINKE, MdB, Mitglied
Sozialausschuss:
Die Riester-Verträge haben nicht solche Erträge, dass sie die
gesetzliche Rente ersetzen könnten. Deswegen sagen wir:
Schluss mit Riester. Wir müssen dafür sorgen, dass die
Riester-Vermögen von der Allianz beispielsweise und
anderen Versicherungsunternehmen zu günstigen Kosten
auf das persönliche Rentenkonto bei der Gesetzlichen
Rentenversicherung übertragen werden, da ist es sicher.
Andrea Nahles hält an Riester fest. Doch ihrer Riester-Reform
scheint die Ministerin selbst nicht so recht zu vertrauen. Sie
schlägt zusätzlich eine Solidarrente vor. Mit der hätten Rentner,
die ein Leben lang gearbeitet haben, mehr als die
Grundsicherung. - Wozu dann noch riestern?
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