29.11.2016, Gescheiterte Rüstungspolitik - Bedingt flugbereit

Manuskript
Beitrag: Gescheiterte Rüstungspolitik –
Bedingt flugbereit
Sendung vom 29. November 2016
von Marc Lindemann
Anmoderation:
Bei ihrem Amtsantritt hatte sich die Verteidigungsministerin viel
vorgenommen. Die Bundeswehr, so Ursula von der Leyens
Ambition, sollte alles können: Deutschland und die NATO-Partner
verteidigen und zugleich Auslandseinsätze führen. Dafür wollte
sie die Rüstung reformieren. Fregatten, die nicht ablegen;
Transportflugzeuge, die nicht landen; Hubschrauber, die nicht
fliegen - damit sollte Schluss sein. Doch wie war das noch mit den
Worten und den Taten? Eine Manöverkritik von Marc Lindemann.
Text:
Truppenbesuch beim Kampfhubschrauberregiment 36. Der
Verteidigungsministerin wird der Tiger präsentiert. Er ist der
einzige Kampfhubschrauber der Bundeswehr und seit Jahren
kaum einsetzbar. Doch drei Jahre nach Amtsantritt braucht Ursula
von der Leyen endlich Erfolge.
O-Ton Ursula von der Leyen, CDU, Bundesverteidigungsministerin, Quelle: Bundesministerium der Verteidigung, am
9.08.2016:
Wir wissen alle, dass wir im letzten Jahr beim Tiger eine
echte Talsohle durchschritten haben und erhebliche
Probleme mit der Einsatzbereitschaft gehabt haben. Heute
fliegt jeder zweite Tiger wieder. Das ist eine gute Bewegung
nach vorne, die auch notwendig war.
Die Verteidigungsministerin war angetreten, die Rüstungsprojekte
unter Kontrolle zu bringen. Wie beim Tiger galt fast immer: zu
teuer, zu spät, kaum einsetzbar. Für die Opposition hat sich daran
wenig geändert.
O-Ton Tobias Lindner, B‘90/GRÜNE, MdB, Mitglied
Verteidigungsausschuss:
Ich finde es schon spannend, worüber sich Frau von der
Leyen freuen kann, wenn sie von schöngerechneten 50
Prozent Klarstand redet. Man muss sich deutlich machen,
Deutschland hat 48 dieser Hubschrauber, gut 20 davon sind
in der Wartung, im Umbau und vom Rest sind dann gerade
einmal 50 Prozent klar.
Tatsächlich sind insgesamt nur 13 Tiger einsatzbereit in der
gesamten Bundeswehr. Der aktuelle Rüstungsbericht der
Regierung zeigt die desolate Lage des Airbus-Produktes:
die Auslieferung des Tiger - 80 Monate zu spät
Kostensteigerung: eine Milliarde und 60 Millionen Euro
Frontal 21 liegt ein technischer Untersuchungsbericht zum
Waffensystem Tiger vor: Brandschäden an den Kabelbäumen
zwingen zu Notlandungen. Beim Abfeuern der Raketen kokelt das
Heck des Hubschraubers an. Eine Panzerabwehrrakete fällt
während des Fluges ab.
Trotzdem bot die Ministerin den Tiger für den Militäreinsatz in Mali
an. Fragwürdig, wie mit so einem Pannenflieger ein stärkeres
militärisches Engagement in der Welt funktionieren soll - wie es
sich Ursula von der Leyen wünscht.
O-Ton Ursula von der Leyen, CDU,
Bundesverteidigungsministerin:
Es hat sich nicht nur die Welt verändert, sondern es hat sich
auch Deutschlands Rolle in der Welt verändert. Das heißt, wir
sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, wir sind bereit zu
führen.
Wer führen will, braucht funktionierendes Fluggerät. Und das ist
Mangelware bei der Bundeswehr - so wie der
Transporthubschrauber NH90. Auch dieses Projekt von Airbus
bereitet seit Jahren Probleme. Im Rüstungsbericht heißt es:
Verzögerung: 152 Monate
233 Millionen Euro teurer als geplant
Eine Menge Steuergeld. Um das Debakel zu verschleiern, bedient
sich das Verteidigungsministerium eines Taschenspielertricks:
weniger Hubschrauber für mehr Geld. Statt 122 Helikopter
werden nur noch 82 gekauft. Das verringert zwar die
Gesamtkosten, doch der Stückpreis steigt: von ursprünglich 37
auf jetzt 46 Millionen Euro.
O-Ton Tobias Lindner, B‘90/GRÜNE, MdB, Mitglied
Verteidigungsausschuss:
Man hat zwar die Zahl der Hubschrauber deutlich reduzieren
können, aber dafür kauft man jetzt den teuersten
Transporthubschrauber in der Geschichte der Bundeswehr.
Die Stückkosten sind nach oben geschnellt und das Ganze
war nur möglich, indem man sich auf eine Bedingung von
Airbus eingelassen hat.
Die Bedingung des Konzerns: weitere 18 Hubschrauber für die
Marine. Doch die wollte die Airbus-Helikopter nicht. Hielt sie für
untauglich. Gekauft wurde trotzdem. Die Bundeswehr in der
Airbus-Falle:
O-Ton Marcel Dickow, Stiftung Wissenschaft und Politik:
Wenn der, der das Angebot macht, der, der etwas kaufen will
und der Hersteller zu dicht bei einander sind, dann entstehen
Verquickungen, die alles andere sozusagen als
marktkonform sind, die eben gerade Marktgesetze außer
Kraft setzen. Und das ist der Fall in der Rüstungsindustrie im
Allgemeinen und sicherlich auch bei dem ein oder anderen
Projekt bei Airbus.
Die Bundeswehr ist abhängig von ihrem größten Lieferanten –
und das seit Jahrzehnten. Statt Kontrolle und Transparenz - enge
Verflechtungen zwischen Rüstungsindustrie und
Verteidigungsministerium.
O-Ton Timo Lange, LobbyControl:
Wir beobachten in den letzten Jahren Wechsel aus dem
Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums unter
anderem zu Rüstungsunternehmen. Es gibt aus keinem
anderen Ministerium so viele Wechsel von Beamten in
Unternehmen. Das Verteidigungsministerium ist hier nicht
transparent, anders als auch der Anspruch von Frau von der
Leyen.
Koblenz. Das Beschaffungsamt der Bundeswehr. 11.000 Beamte
sollen sämtliche Rüstungsverträge prüfen - offenbar wenig
erfolglos. Die Kosten explodieren weiter. Ein Riesen-Apparat –
kaum zu kontrollieren.
Mehrere Beamte wechselten in den vergangenen Jahren in die
Industrie. Doch Nähe gibt es auch anders herum. Nach
Frontal 21-Recherchen arbeitet ein Airbus-Mitarbeiter im
Beschaffungsamt - ausgerechnet für ein Helikopter-Projekt. Auf
dem Flur der staatlichen Hubschrauber-Kontrolleure ein Türschild
des Konzerns.
O-Ton Timo Lange, Lobby Control:
Also, das ist erstmal aus meiner Sicht an sich ein Unding,
dass ein Airbus- beziehungsweise Eurocopter-Mitarbeiter
direkt in diesem Amt arbeitet, dort einen Schreibtisch hat,
damit auch Zugang zu all möglichen Informationen und
Abläufen hat, die nicht direkt in seinem Zuständigkeitsbereich liegen. Das ist eine Praxis, die ich hochproblematisch finde.
Das Verteidigungsministerium spricht auf Nachfrage von einem
sogenannten Unterstützungsvertrag und erklärt,
Zitat:
„Amtseigenes Fachpersonal steht für diese Aufgabe derzeit
(…) nicht zur Verfügung.“
Die Bundesregierung veröffentlicht jährlich Namen und Aufgaben
sogenannter externer Mitarbeiter im Transparenzbericht. Über
den Airbus-Mann im Rüstungsamt keine Auskunft. Das sei nicht
nötig, so das Verteidigungsministerium.
O-Ton Tobias Lindner, B‘90/GRÜNE, MdB, Mitglied
Verteidigungsausschuss:
Das riecht natürlich schon nach Verschleierung. Also, es ist
zwar verständlich, dass man auch während man ein Produkt
nutzt, natürlich sich mit der Industrie austauschen muss
über Probleme, aber das Beschaffungsamt in Koblenz soll
die Rüstungsindustrie kontrollieren, auf die Einhaltung der
Verträge achten. Und da geht es eigentlich nicht, dass
Industriemitarbeiter auf dem gleichen Büroflur dann sitzen.
Der Einfluss der Rüstungsindustrie ist auch unter Ursula von der
Leyen groß. Wie wenig eine einzelne Ministerin ausrichten kann,
zeigt sich am Airbus-Pannenflieger A400M. Laut Rüstungsbericht:
Verspätung: 107 Monate
eine Milliarde und 487 Millionen Euro Kostensteigerung
Bis heute sind erst fünf Maschinen ausgeliefert. 17 sollten es
sein. In einem vertraulichen Prüfbericht fällt die Luftwaffe ein
verheerendes Gesamturteil: Der A400M ist nur „bedingt
geeignet“.
O-Ton Marcel Dickow, Stiftung Wissenschaft und Politik:
Da waren die Unternehmen zu dicht dran an den Bestellern
und demzufolge kam es dann eben zu Verschiebungen, die
eher zum Vorteil der Industrie waren und zum Nachteil des
Steuerzahlers.
Doch das Verteidigungsministerium lobt den Pannenflieger auf
seiner Homepage als „Lufttransport de Luxe“ und weißt dazu
unter anderem auf die „Toiletten an Bord“ und „Urinale im Heck“
hin. Und trotzig heißt es: „Die Maschine ist richtig und gut. Punkt.“
Tatsächlich müssen seit Jahren Flugzeuge einer russischukrainischen Firma den Job des A400M übernehmen. Vom
Flughafen Leipzig aus bringen sie deutsches Gerät in die
Einsatzgebiete. Eine Abhängigkeit, die bei erfahrenen MilitärStrategen für Kopfschütteln sorgt.
O-Ton Hans-Lothar Domröse, General a.D.:
Das ist spätestens der Zeitpunkt, wo ich als operativer
Kommandeur sagen würde, mit diesen Truppen kann ich so
jetzt nicht mehr weiter operieren. Es ist gefährlich für die
Soldaten, aber vor allen Dingen kann ich den Auftrag ja nicht
mehr erfüllen. Wenn ich meinen Auftrag nicht mehr erfüllen
kann, wenn ich da gar nicht mehr hinkomme, wo ich
hingehen soll, dann muss ich der Politik melden, ich kann
den Auftrag nicht erfüllen.
Ursula von der Leyen wollte die Bundeswehr befreien aus dem
Griff der Rüstungsindustrie - weit gekommen ist sie noch nicht.
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