SÜDWESTRUNDFUNK Anstalt des öffentlichen Rechts Radio Fernsehen Internet PRESSE Information Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an. Kerstin Andreae (MdB), stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, gab heute, 25.11.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema: „Abschluss der Haushaltsberatungen im Bundestag“. Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Florian Rudolph. Mit freundlichen Grüßen Zentrale Information Chefredaktion Hörfunk Zentrale Information SWR Tagesgespräch Postadresse 76522 Baden-Baden Hausadresse Hans-Bredow-Straße 76530 Baden-Baden Telefon Telefax 07221/929-23981 07221/929-22050 Internet www.swr2.de Datum: 25.11.2016 Andreae (Grüne): Etat 2017 ist Haushalt der verpassten Chancen Baden-Baden: Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Andreae signalisiert Zustimmung zu der von Union und SPD verabredeten Angleichung der Renten in Ost- und West bis 2025. Im Grundsatz unterstütze ihre Partei diesen Schritt, sagte die Freiburgerin im SWR-Tagesgespräch. Allerdings stecke der Teufel im Detail: man müsse fragen, was das für die Höherwertung der Osteinkommen bedeutet. Es gebe erhebliche Lohnunterschiede in Ost und West, aber auch innerhalb des westlichen Bundesgebietes. Deshalb werde ihre Partei genau schauen, wie die Angleichung umgesetzt wird. Beim Haushalt für 2017, den der Bundestag heute verabschieden will, spricht Andreae von verpassten Chancen. Trotz günstiger Rahmenbedingungen durch die gute Konjunktur und historisch niedrige Zinsen sei nicht gelungen, zu gestalten und umzusteuern. Stattdessen setze Finanzminister Schäuble auf ein „Weiter so“. Als Beispiel nennt Andreae, dass umweltschädliche Subventionen nicht abgebaut und in umweltfreundliche Technologien investiert würden. Den Schuldenabbau stellt die Spitzenkandidatin der Grünen nicht in Frage. Allerdings müsse das zu verteilende Geld zielgerichteter eingesetzt werden, weil die Gesellschaft an entscheidenden Punkten auseinanderdrifte. So gebe es eine reiche Rentnergeneration, aber auch viele, die von Altersarmut betroffen seien. Der Staat investiere Milliarden in die Familienförderung, gleichzeitig sei jedes fünfte Kind von Armut bedroht. Trotz niedriger Arbeitslosigkeit verfestige sich die Langzeitarbeitslosigkeit. Geld müsse deshalb zielgerichteter eingesetzt werden, etwa für Forschung und Entwicklung, Klimaschutz und Aufstiegsmobilität, als das im vorliegenden Etat der Fall sei. Wortlaut des Live-Gesprächs: Rudolph: Zunächst möchte ich Sie kurz um Ihre Meinung zu den Ergebnissen des Rentengipfels von gestern Abend bitten. Union und SPD haben beschlossen, die Renten in Ostdeutschland bis 2025 an das Westniveau anzugleichen. Fünf Jahre später als geplant. Außerdem sollen Menschen, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen künftig mehr Geld bekommen. Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Andreae: Also, wir werden es uns im Einzelnen natürlich anschauen, was die Koalition jetzt auf dem Gipfel gestern beschlossen hat. Im Grundsatz sind wir durchaus der Meinung, dass es die Angleichung von Ost- und Westrenten geben muss. Aber Sie müssen ins Detail schauen, was heißt das dann für die Höherwertung der Osteinkommen. Es gibt ja durchaus erhebliche Lohnunterschiede zwischen West und Ost, aber auch erhebliche Lohnunterschiede innerhalb des westlichen Bundesgebietes. Und da wird der Teufel im Detail stecken. Da werden wir genau schauen, wie die Umsetzung dieser Angleichung dann stattfindet. Im Grundsatz ist es richtig, über 25 Jahre nach der Wiedervereinigung hier eine Angleichung anzustreben. Rudolph: Unser Thema heute wird der Haushalt sein 2017, den will der Bundestag heute beschließen. Was ist denn Ihr Fazit nach diesen monatelangen Etatberatungen? Andreae: Also, mein Fazit ist, dass es ein Haushalt ist, der eigentlich dem Anspruch, das Land zu gestalten und auch an den Stellen nachzujustieren, umzusteuern und Chancen zu ergreifen, wo es eigentlich notwendig ist, dass der Haushalt diesen nicht gerecht wird. Sie müssen sehen, dass der Finanzminister Schäuble tatsächlich eine sehr gute Ausgangsposition hat. Die Zinsen sind historisch niedrig. Das hat in der Konsequenz einfach zur Folge, dass er weniger Mittel für die Schuldentilgung aufbringen muss. Diese Mittel stehen ihm jetzt haushalterisch zur Verfügung. Wir haben eine gute konjunkturelle Lage in einem durchaus schwierigen europäischen Umfeld. Und auch hier führt das dann zu Steuermehreinnahmen, das heißt, der Finanzminister Schäuble hat eigentlich durchaus die Möglichkeit mit zusätzlichen Mitteln tatsächlich auch in diesem gestalterisch vorzugehen. Und das erleben wir nicht. Sondern wir erleben ein weiter so. Es wird einfach in den vorhandenen Strukturen weiter gearbeitet. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir haben über 50 Milliarden Euro umweltschädliche Subventionen und umweltschädlich heißt wirklich, schädlich für die Umwelt. Und hier umzusteuern, Subventionen abzubauen und in Umweltfreundliches und dieses dann zu fördernde Verhalten zu gehen, das wird eben nicht angegangen. Rudolph: Wie sieht es aus mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland? Ist der zu retten, einfach indem man mehr Geld ausgibt und auf die schwarze Null pfeift? Andreae: Auf überhaupt keinen Fall. Der Schuldenabbau, der ausgeglichene Haushalt, auch keine neue Schulden aufzunehmen, das unterstützen wir von Seiten der Grünen auf jeden Fall. Und Sie müssen sehen, ich gehör auch nicht zu denen, die dieses Land schlecht reden wollen, das ist bei Leibe nicht der Fall, aber wir haben eine Gesellschaft der zwei Gesichter. Wir haben auf der einen Seite eine sehr reiche Rentner-Generation und auf der anderen Seite immer mehr Menschen, die von Altersarmut bedroht sind. Wir haben einen Haushalt, der unendlich viele Milliarden in die Familienförderung steckt und ausgibt dafür und gleichzeitig jedes fünfte Kind, was von Armut bedroht ist. Wir haben eine niedrige Arbeitslosigkeit und auf der anderen Seite eine sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit. Das heißt, diese Gesellschaft driftet an entscheidenden Punkten auseinander und dann muss ich Geld und Mittel wirklich zielgerichtet ausgeben für Aufstiegsmobilität, für den Zugang zum Arbeitsmarkt gerade für Frauen, für Migranten. Ich muss Strukturen verändern und deswegen ist dieser Haushalt ein Haushalt der verpassten Chancen. Rudolph: Das heißt, das wären die eben genannten Punkte auch, die Akzente, die Sie setzen würden als beispielsweise Partner einer schwarz-grünen Koalition, die dann einen gemeinsamen Etat verantworten muss? Andreae: Also mit wem wir in Partner- und Koalitionsverhandlungen gehen, steht ja im Moment nicht zur Frage. Aber tatsächlich sind das die Punkte, die wir in diesen Haushaltsberatungen eingebracht haben, mehr Mittel für Forschung und Entwicklung, mehr Mittel für Aufstiegsmobilität, mehr Mittel, um der Digitalisierung und diesen Veränderungsprozessen auch Antworten zu geben, mehr Mittel für den Bereich Klimaschutz, weil das einfach die Herausforderungen sind, vor denen wir stehen. Und ich habe manchmal den Eindruck, wir stellen uns gar nicht mehr den großen Herausforderungen. Wir geben keine großen Antworten mehr. Gerade der Klimawandel ist eine der zentralen Fragen, die uns jetzt, aber auch eben auch in der Zukunft beschäftigen werden, die die Lebensgrundlage von Menschen zerstören. Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Heißt, wir müssen hier massiv umsteuern. Das betrifft alle Bereiche. Das ist die ökologische Industriepolitik, das ist die Agrarwende, das ist eben im Verkehrsbereich bei der Mobilität. Es gäbe da sehr viel zu tun. Der Haushalt würde die Möglichkeiten bieten, auch die finanziellen Mittel, die derzeit da sind, würde die Möglichkeiten dazu bieten und sie wird leider nicht ergriffen. Rudolph: Sie haben die günstige Ausgangslage, die finanziellen Möglichkeiten angesprochen. Ihre Partei geht wieder mit einer Forderung nach höheren Steuern in den Wahlkampf. Als Spitzenkandidatin, wie groß sind Ihre Bauchschmerzen damit? Andreae: Ich bin durchaus der Meinung, dass wir bei der Frage, wer finanziert eigentlich diesen Staat und dieses Gemeinwesen sehr genau hinschauen müssen. Wenn wir uns die Einkommenssituation und die Vermögenssituation anschauen, dann sehen wir eben, dass vor allem die Mittelschicht doch in weiten Teilen unter Druck gerät durch Steuern, durch Sozialabgaben. Und deswegen stellen wir die Frage, was ist ein gerechtes Steuersystem und das beinhaltet eben, dass hohe Vermögen auch mehr besteuert werden sollen. Aber so, dass es nicht wirtschaftlich schädlich ist, dass es keine Arbeitsplätze und Innovationen gefährdet und das ist der Beschluss, den wir auf unserem letzten Bundesparteitag gefasst haben. Ich kann damit gut leben, weil er eben zwei Dinge berücksichtigt. Das eine ist die Frage, wer finanziert dieses Gemeinwesen, bekommen wir eine gerechtere Verteilung hin. Wissen Sie, es geht nicht um mehr Geld für den Haushalt, sondern es geht um die Frage, wer dann entlastet werden kann und wie wir eine höhere Gerechtigkeit ins Steuersystem hinein bekommen. Aber es wird auch die wirtschaftliche Vernunft angemahnt, weil es uns nichts nützt, wenn wir dann am Ende des Tages Betriebe schädigen und womöglich Arbeitsplätze abbauen. - Ende Wortlaut - Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
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