SWR2 Tagesgespräch

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Kerstin Andreae (MdB), stellvertretende
Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen,
gab heute, 25.11.16, dem Südwestrundfunk ein
Interview zum Thema: „Abschluss der
Haushaltsberatungen im Bundestag“. Das „SWR2
Tagesgespräch“ führte Florian Rudolph.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
25.11.2016
Andreae (Grüne): Etat 2017 ist Haushalt der verpassten Chancen
Baden-Baden: Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Andreae signalisiert
Zustimmung zu der von Union und SPD verabredeten Angleichung der Renten in Ost- und
West bis 2025. Im Grundsatz unterstütze ihre Partei diesen Schritt, sagte die Freiburgerin im
SWR-Tagesgespräch. Allerdings stecke der Teufel im Detail: man müsse fragen, was das für
die Höherwertung der Osteinkommen bedeutet. Es gebe erhebliche Lohnunterschiede in Ost
und West, aber auch innerhalb des westlichen Bundesgebietes. Deshalb werde ihre Partei
genau schauen, wie die Angleichung umgesetzt wird.
Beim Haushalt für 2017, den der Bundestag heute verabschieden will, spricht Andreae von
verpassten Chancen. Trotz günstiger Rahmenbedingungen durch die gute Konjunktur und
historisch niedrige Zinsen sei nicht gelungen, zu gestalten und umzusteuern. Stattdessen setze
Finanzminister Schäuble auf ein „Weiter so“. Als Beispiel nennt Andreae, dass
umweltschädliche Subventionen nicht abgebaut und in umweltfreundliche Technologien
investiert würden. Den Schuldenabbau stellt die Spitzenkandidatin der Grünen nicht in Frage.
Allerdings müsse das zu verteilende Geld zielgerichteter eingesetzt werden, weil die
Gesellschaft an entscheidenden Punkten auseinanderdrifte. So gebe es eine reiche
Rentnergeneration, aber auch viele, die von Altersarmut betroffen seien. Der Staat investiere
Milliarden in die Familienförderung, gleichzeitig sei jedes fünfte Kind von Armut bedroht. Trotz
niedriger Arbeitslosigkeit verfestige sich die Langzeitarbeitslosigkeit. Geld müsse deshalb
zielgerichteter eingesetzt werden, etwa für Forschung und Entwicklung, Klimaschutz und
Aufstiegsmobilität, als das im vorliegenden Etat der Fall sei.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Rudolph: Zunächst möchte ich Sie kurz um Ihre Meinung zu den Ergebnissen des
Rentengipfels von gestern Abend bitten. Union und SPD haben beschlossen, die Renten
in Ostdeutschland bis 2025 an das Westniveau anzugleichen. Fünf Jahre später als
geplant. Außerdem sollen Menschen, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen künftig
mehr Geld bekommen.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Andreae: Also, wir werden es uns im Einzelnen natürlich anschauen, was die Koalition jetzt auf
dem Gipfel gestern beschlossen hat. Im Grundsatz sind wir durchaus der Meinung, dass es die
Angleichung von Ost- und Westrenten geben muss. Aber Sie müssen ins Detail schauen, was
heißt das dann für die Höherwertung der Osteinkommen. Es gibt ja durchaus erhebliche
Lohnunterschiede zwischen West und Ost, aber auch erhebliche Lohnunterschiede innerhalb
des westlichen Bundesgebietes. Und da wird der Teufel im Detail stecken. Da werden wir
genau schauen, wie die Umsetzung dieser Angleichung dann stattfindet. Im Grundsatz ist es
richtig, über 25 Jahre nach der Wiedervereinigung hier eine Angleichung anzustreben.
Rudolph: Unser Thema heute wird der Haushalt sein 2017, den will der Bundestag heute
beschließen. Was ist denn Ihr Fazit nach diesen monatelangen Etatberatungen?
Andreae: Also, mein Fazit ist, dass es ein Haushalt ist, der eigentlich dem Anspruch, das Land
zu gestalten und auch an den Stellen nachzujustieren, umzusteuern und Chancen zu ergreifen,
wo es eigentlich notwendig ist, dass der Haushalt diesen nicht gerecht wird. Sie müssen sehen,
dass der Finanzminister Schäuble tatsächlich eine sehr gute Ausgangsposition hat. Die Zinsen
sind historisch niedrig. Das hat in der Konsequenz einfach zur Folge, dass er weniger Mittel für
die Schuldentilgung aufbringen muss. Diese Mittel stehen ihm jetzt haushalterisch zur
Verfügung. Wir haben eine gute konjunkturelle Lage in einem durchaus schwierigen
europäischen Umfeld. Und auch hier führt das dann zu Steuermehreinnahmen, das heißt, der
Finanzminister Schäuble hat eigentlich durchaus die Möglichkeit mit zusätzlichen Mitteln
tatsächlich auch in diesem gestalterisch vorzugehen. Und das erleben wir nicht. Sondern wir
erleben ein weiter so. Es wird einfach in den vorhandenen Strukturen weiter gearbeitet. Ich
nenne Ihnen ein Beispiel: Wir haben über 50 Milliarden Euro umweltschädliche Subventionen
und umweltschädlich heißt wirklich, schädlich für die Umwelt. Und hier umzusteuern,
Subventionen abzubauen und in Umweltfreundliches und dieses dann zu fördernde Verhalten
zu gehen, das wird eben nicht angegangen.
Rudolph: Wie sieht es aus mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland? Ist
der zu retten, einfach indem man mehr Geld ausgibt und auf die schwarze Null pfeift?
Andreae: Auf überhaupt keinen Fall. Der Schuldenabbau, der ausgeglichene Haushalt, auch
keine neue Schulden aufzunehmen, das unterstützen wir von Seiten der Grünen auf jeden Fall.
Und Sie müssen sehen, ich gehör auch nicht zu denen, die dieses Land schlecht reden wollen,
das ist bei Leibe nicht der Fall, aber wir haben eine Gesellschaft der zwei Gesichter. Wir haben
auf der einen Seite eine sehr reiche Rentner-Generation und auf der anderen Seite immer mehr
Menschen, die von Altersarmut bedroht sind. Wir haben einen Haushalt, der unendlich viele
Milliarden in die Familienförderung steckt und ausgibt dafür und gleichzeitig jedes fünfte Kind,
was von Armut bedroht ist. Wir haben eine niedrige Arbeitslosigkeit und auf der anderen Seite
eine sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit. Das heißt, diese Gesellschaft driftet an
entscheidenden Punkten auseinander und dann muss ich Geld und Mittel wirklich zielgerichtet
ausgeben für Aufstiegsmobilität, für den Zugang zum Arbeitsmarkt gerade für Frauen, für
Migranten. Ich muss Strukturen verändern und deswegen ist dieser Haushalt ein Haushalt der
verpassten Chancen.
Rudolph: Das heißt, das wären die eben genannten Punkte auch, die Akzente, die Sie
setzen würden als beispielsweise Partner einer schwarz-grünen Koalition, die dann einen
gemeinsamen Etat verantworten muss?
Andreae: Also mit wem wir in Partner- und Koalitionsverhandlungen gehen, steht ja im Moment
nicht zur Frage. Aber tatsächlich sind das die Punkte, die wir in diesen Haushaltsberatungen
eingebracht haben, mehr Mittel für Forschung und Entwicklung, mehr Mittel für
Aufstiegsmobilität, mehr Mittel, um der Digitalisierung und diesen Veränderungsprozessen auch
Antworten zu geben, mehr Mittel für den Bereich Klimaschutz, weil das einfach die
Herausforderungen sind, vor denen wir stehen. Und ich habe manchmal den Eindruck, wir
stellen uns gar nicht mehr den großen Herausforderungen. Wir geben keine großen Antworten
mehr. Gerade der Klimawandel ist eine der zentralen Fragen, die uns jetzt, aber auch eben
auch in der Zukunft beschäftigen werden, die die Lebensgrundlage von Menschen zerstören.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Heißt, wir müssen hier massiv umsteuern. Das betrifft alle Bereiche. Das ist die ökologische
Industriepolitik, das ist die Agrarwende, das ist eben im Verkehrsbereich bei der Mobilität. Es
gäbe da sehr viel zu tun. Der Haushalt würde die Möglichkeiten bieten, auch die finanziellen
Mittel, die derzeit da sind, würde die Möglichkeiten dazu bieten und sie wird leider nicht
ergriffen.
Rudolph: Sie haben die günstige Ausgangslage, die finanziellen Möglichkeiten
angesprochen. Ihre Partei geht wieder mit einer Forderung nach höheren Steuern in den
Wahlkampf. Als Spitzenkandidatin, wie groß sind Ihre Bauchschmerzen damit?
Andreae: Ich bin durchaus der Meinung, dass wir bei der Frage, wer finanziert eigentlich diesen
Staat und dieses Gemeinwesen sehr genau hinschauen müssen. Wenn wir uns die
Einkommenssituation und die Vermögenssituation anschauen, dann sehen wir eben, dass vor
allem die Mittelschicht doch in weiten Teilen unter Druck gerät durch Steuern, durch
Sozialabgaben. Und deswegen stellen wir die Frage, was ist ein gerechtes Steuersystem und
das beinhaltet eben, dass hohe Vermögen auch mehr besteuert werden sollen. Aber so, dass
es nicht wirtschaftlich schädlich ist, dass es keine Arbeitsplätze und Innovationen gefährdet und
das ist der Beschluss, den wir auf unserem letzten Bundesparteitag gefasst haben. Ich kann
damit gut leben, weil er eben zwei Dinge berücksichtigt. Das eine ist die Frage, wer finanziert
dieses Gemeinwesen, bekommen wir eine gerechtere Verteilung hin. Wissen Sie, es geht nicht
um mehr Geld für den Haushalt, sondern es geht um die Frage, wer dann entlastet werden
kann und wie wir eine höhere Gerechtigkeit ins Steuersystem hinein bekommen. Aber es wird
auch die wirtschaftliche Vernunft angemahnt, weil es uns nichts nützt, wenn wir dann am Ende
des Tages Betriebe schädigen und womöglich Arbeitsplätze abbauen.
- Ende Wortlaut -
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