Neues zur Nephroprotektion

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DIABETES UND NIERE
Neues zur Nephroprotektion
Deutsche Gesellschaft für Nephrologie: neue medikamentöse Ansätze,
um den Nierenfunktionsverlust bei Diabetespatienten aufzuhalten
on den circa 6,7 Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland weisen 30–40 % eine Nierenfunktionseinschränkung auf. Mehr als 2 000 Patienten werden jährlich neu dialysepflichtig (1); und
aus europäischen Registerdaten (ERA-EDTA Registry, [2]) ist bekannt, dass allein bei einem Viertel aller
Dialysepatienten der Diabetes mellitus alleinige Ursache für die terminale Nierenerkrankung ist. Es stellt
sich daher die Frage, wie die Nierengesundheit von
Diabetikern besser geschützt werden kann.
Das medikamentöse Armamentarium, um die diabetische Nephropathie aufzuhalten, war bislang überschaubar. Die Blockade des RAAS-Systems war
über eine lange Zeit die einzige medikamentöse Therapie, die den Krankheitsprogress effektiv verlangsamen konnte. Aufgrund ihrer nephroprotektiven Wirkung wurden sie auch Patienten verschrieben, deren
Blutdruck nicht erhöht war. Nun zeichnet sich eine
weitere Möglichkeit der Risikoreduktion und Progressionsverlangsamung ab:
Die EMPAREG-Studie hatte bereits im vergangenen Jahr gezeigt (4), dass die zusätzliche Gabe von
Empagliflozin zur Standardtherapie das kardiovaskuläre Risiko von Typ-2-Diabetikern günstig beeinflussen kann. Beobachtet wurde eine 32%ige relative
Risikoreduktion für die Gesamtmortalität und eine
38%ige relative Risikoreduktion für die kardiovaskuläre Mortalität. Im Juni wurde auch die Auswertung
der renalen Studiendaten publiziert (5).
Über 7 000 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2
und einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von
≥ 30 ml/min/1,73 m2 waren randomisiert und im
Hinblick auf renale Langzeiteffekte über 48 Monate
untersucht worden. Analysiert wurde die Progression
der Nephropathie (Auftreten von Albuminurie, Verdopplung des Serumkreatinins, Notwendigkeit, eine
RRT zu beginnen, oder renale Mortalität). Im Ergebnis zeigte sich eine signifikant geringere Progression
der Nephropathie (p < 0,001) in der EmpagliflozinGruppe. Dort trat bei 525 von 4 124 Patienten
(12,7 %) eine Verschlechterung der Nierenwerte auf,
in der Placebogruppe bei 388 von 2 061 (18,8 %).
Ähnlich wie bei RAAS-Blockern stellte sich zwar
nach Therapiebeginn zunächst ein stärkerer Abfall
der GFR (hervorgerufen durch vasomodulatorische
Mechanismen) ein, im Verlauf war die Abnahme aber
deutlich langsamer als in der Placebogruppe. Im Hinblick auf die Inzidenz der Albuminurie wurde hingegen kein signifikanter Unterschied zwischen den
Gruppen festgestellt. Zusammenfassend konnte die
Foto: Lennart Nilsson/Boehringer Ingelheim International GmbH 1976/2012
V
Substanz bei kardiovaskulären Risikopatienten mit
diabetischer Nephropathie die CKD-Progression verlangsamen und zudem das Risiko klinisch relevanter
renaler Ereignisse (akutes Nierenversagen, Hyperkaliämie) signifikant verringern. Am 1. September hat
der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) diesen
Zusatznutzen von Empagliflozin bestätigt (6).
Darüber hinaus ist eine zweite Substanz vielversprechend hinsichtlich der kardiovaskulären Risikoreduzierung und gegebenenfalls auch renalen Protektion, zu der Ende Juli eine große randomisierte Studie (7) publiziert wurde. Liraglutide ist ein Antidiabetikum aus der Gruppe der Inkretin-Mimetika, das
zusätzlich zur Standardtherapie verabreicht wird. In
der doppelblinden Studie wurden 9 340 Diabetiker
mit hohem kardiovaskulären Risiko randomisiert, die
dann entweder Liraglutide oder Placebo erhielten
(Medianes Follow-up: 3,8 Jahre).
Der primäre Endpunkt war eine Zeit-bis-zum-Ereignis-Erfassung, es wurde verglichen, nach welcher
Zeitspanne ein Ereignis (kardiovaskulärer Tod, nichtfataler Myokardinfarkt oder Apoplex) eintrat. In der
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Nierenkörperchen
(Malpighi-Körperchen)
eines Patienten nach
sechs Jahren Diabetes
mellitus. Die Nahaufnahme zeigt das Adernetzwerk, das für die
Filtration des Blutes
verantwortlich ist.
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Verumgruppe traten signifikant weniger kardiovaskuläre Todesfälle auf als in der Placebogruppe
(608/4 668 versus 694/4 4672; p < 0,001). Auch die
Gesamtmortalität war in der Liraglutide-Gruppe geringer (p = 0,02). Die Raten der nichtfatalen Myokardinfarkte und Apoplexe sowie der Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz waren in der
Verumgruppe geringer, erreichten aber kein Signifikanzniveau.
Die Pankreatitisinzidenz war bei den mit Liraglutide behandelten Patienten ebenfalls geringer, wenn
auch nicht signifikant. Die häufigste Nebenwirkung,
die zum Therapieabbruch führte, waren gastrointestinale Beschwerden. Insgesamt konnte Liraglutide also
das kardiovaskuläre Risiko senken. Was für die Nephrologie aber von besonderer Bedeutung ist: Präspezifiziert wurde auch das mikrovaskuläre Outcome erhoben, und zwar als zusammengesetzter Endpunkt aus
Nephropathie und Renopathie. Wie sich zeigte, verbesserten sich die renalen Parameter unter Therapie
(wie das Entstehen einer Makroalbuminurie). Möglicherweise hat sich damit das medikamentöse Behandlungsspektrum, um die Progression der chronischen
Nierenerkrankung zu verlangsamen und gleichzeitig
das hohe kardiovaskuläre Risiko der Patienten zu senken, gleich um zwei neue Substanzen erweitert.
Auch nichtmedikamentöse
Strategien sind wirksam
Aber auch nichtmedikamentöse Strategien sind wirksam, um die Dialysepflichtigkeit möglichst lange hinauszuschieben. Über die müssen diabetische Patienten detailliert informiert werden, denn Nierenschutz
ist Gefäßschutz. Dazu gehört zum einen die Blutdrucknormalisierung sowie bei Diabetes mellitus eine
Blutzuckersenkung auf Zielwerte, außerdem sollten
Schmerzmittel nach Möglichkeit ganz vermieden werden. Darüber hinaus sollte auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Nikotinabstinenz geachtet werden.
Hier müssen wir noch mehr Aufklärung betreiben,
denn viele der Dialysepatienten sagen, dass sie von
▄
diesem Zusammenhang bisher nicht wussten!
DOI: 10.3238/PersDia.2016.10.28.07
Prof. Dr. med. Jan Galle,
Direktor der Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren
am Klinikum Lüdenscheid,
Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN).
Interessenkonflikt: Der Autor gibt Beraterhonorare für das Böhringer
Ingelheim Advisory Board an.
@
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4316
INFLUENZA UND DIABETES
Impfung schützt vor Komplikation
D
er Herbst hat bereits begonnen und die ersten
Erkältungswellen ziehen durch das Land.
Menschen mit Typ-2-Diabetes sollten besonders
achtsam sein und die jährliche Grippeimpfung wahrnehmen. Das bestätigt eine bevölkerungsbasierte
Studie des Imperial College London. Denn während
eine Grippe bei jüngeren und gesunden Patienten
meistens wie eine heftige Erkältung verläuft, kann es
bei älteren und chronisch vorerkrankten Patienten zu
lebensbedrohlichen Komplikationen kommen.
Anhand der Daten von Clinical Practice Research
Datalink (CPRD) wurde untersucht, ob die Impfung
bei Menschen mit Typ-2-Diabetes eine Auswirkung
auf kardiovaskuläre Komplikationen der Influenza
hat. Dazu wurden die Daten der sieben Grippewellen
2003/4 bis 2009/10 ausgewertet, von denen fünf von
Viren dominiert wurden, die im Impfstoff enthalten
waren. Die Ausnahmen waren die erste Saison
2003/4, in der die Übereinstimmung gering war, und
die Saison 2009/10, das Jahr der „Schweinegrippe“,
in der der konventionelle Impfstoff völlig versagt
hatte.
Die CPRD, eine Sammlung von elektronischen
Krankenakten, ermöglichte die Berücksichtigung einer Reihe von Verzerrungen. Die große Datenbasis
28
von 124 503 Menschen mit Typ-2-Diabetes stellte sicher, dass die Ergebnisse eine statistische Signifikanz erreichen konnten.
Es zeigte sich, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes, die gegen Grippe geimpft waren, zu 30 % seltener wegen eines Schlaganfalls im Krankenhaus behandelt werden mussten und zu 22 % seltener wegen
einer Herzinsuffizienz sowie zu 15 % seltener wegen
einer Lungenentzündung in eine Klinik kamen. Es
konnte sogar eine Senkung der Sterberate in der
Grippesaison nachgewiesen werden. Nur die „protektive“ Assoziation zu einer Hospitalisierung wegen
eines Herzinfarktes verfehlte das Signifikanzniveau.
Das Ergebnis überrascht nicht. Es ist bekannt, dass
während einer Influenzawelle die wenigsten Patienten an den direkten Folgen der Virusinfektion sterben. Der Tod wird meist durch eine sekundäre (oft
bakterielle) Pneumonie herbeigeführt oder aber, wie
die aktuelle Studie andeutet, durch kardiovaskuläre
Komplikationen. Einschränkend muss jedoch hinzugefügt werden, dass eine retrospektive Studie die
protektive Wirkung nicht abschließend beweisen
kann. Es bleibt die Möglichkeit, dass sich Menschen
im späteren Stadium des Typ-2-Diabetes seltener an
einer Grippeimpfung beteiligen.
gru
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DIABETES UND NIERE
Neues zur Nephroprotektion
Deutsche Gesellschaft für Nephrologie: neue medikamentöse Ansätze,
um den Nierenfunktionsverlust bei Diabetespatienten aufzuhalten
LITERATUR
1. http://www.diabetes-stoppen.de/fakten/zahlen-und-fakten-zudiabetes (last accessed on 13. October 2016).
2. https://www.era-edta-reg.org/files/annualreports/pdf/
AR2013%20Summary%20paper.pdf (dort auf S. 6; last accessed
on 13. October 2016).
3. http://www.dgfn.eu/fileadmin/download/Aktuelles/news/
DGfN_Ratgeber_2015.pdf (last accessed on 13. October 2016).
4. Zinman B, Wanner C, Lachin JM, et al.: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med.
2015; 373 (22): 2117–28.
5. Wanner C, Inzucchi SE, Lachin JM, et al.: Empagliflozin and Progression of Kidney Disease in Type 2 Diabetes. N Engl J Med
2016 (Epub ahead of print).
6. https://www.g-ba.de/informationen/beschluesse/2694/ (last
accessed on 13. October 2016).
7. Marso SP, Daniels GH, Brown-Frandsen K, et al.: Liraglutide and
cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2016;
375 (4): 311–322.
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