AZ_LIF_1 31 31 LIFESTYLE MZ Mittwoch, 4. März 2009 Schneidern für das Theater swissmade Der Weg zur Kostümbildnerin ist lang, Praktikumsplätze an Theatern sind rar. Zwei Schweizer hoffen auf ihre Chance am Kostümdesign-Wettbewerb in Luzern. VERBLÜFFEND Etuis aus Reissverschlüssen. HO Simple Hülle, grosser Auftritt Es muss nicht immer ausgeklügeltes Design sein. Manchmal verblüfft das Einfache ebenso. In den Ateliers und Werkstätten des KAP-Projekts in Winterthur entsteht solches. Zum Beispiel die farbenfrohen Zip-Etuis und -Taschen, die aus Reissverschlüssen genäht sind. Die Hülle besteht aus einem scheinbar ewig langen Reissverschluss, den man ohne Sinn und Zweck, aber mit viel Spass ganz öffnen kann. Zuletzt hält man einen langen, gekringelten Reissverschluss in der Hand. Diese Einfachheit ist bei der KAP (Koordinationsstelle für Arbeitsprojekte Winterthur) Programm. In den Ateliers und Werkstätten arbeiten stellenlose Jugendliche und Erwachsene – meistens ohne entsprechendes Know-how. Die Leiterin der Textilwerkstatt, Christine Sparano, erklärt: «Die bei uns hergestellten Produkte dürfen technisch und handwerklich nicht zu anspruchsvoll sein.» Die handwerklichen Arbeiten sind lediglich ein Teil des Arbeitsintegrationsprojekts, daneben gibt es Qualifikationsund Coachingprogramme, die den Einstieg oder den Wiedereinstieg ins Berufsleben ermöglichen sollen. Die Zip-Etuis und -Taschen gehören zu den Verkaufsrennern des Sortiments, das langsam wächst. Zu Weihnachten kam ein grösseres Modell in Silber und Gold dazu, eine unkonventionelle Clutch Bag für unter den Arm. Das neuste Stück ist eine schwarze Umhängetasche, so gross, dass ein Ordner darin verstaut werden kann. Entsprechend der Grösse der Tasche ist auch der verwendete Reissverschluss breiter und gröber. Ein weiterer Renner: Die momentan ausverkaufte Tasche wird zurzeit nachproduziert. Auch die anderen Produkte von KAP folgen der Idee «schlicht, funktional und doch überraschend». Teilweise sind die Gegenstände aus Recycling-Material gemacht, wie die Pfeffermühle aus einer Velonabe, teilweise auch aus selbst produziertem Abfallmaterial. Der Kosmetikbeutel Luna zum Beispiel: Er ist aus Resten einer halb transparenten Kunststofffolie genäht, die auch für Einkaufstaschen verwendet wird. EIN MOMENT DER SPANNUNG Susanne Boner prüft im Theater, ob das von ihr entworfene und genähte Kostüm der Schauspielerin auch wirklich passt. H0/LUZERNER THEATER T E RT I A H AG E R Das Wissen, dass ihre zwei Theaterkostüme am nächsten Samstag nur ein paar wenige Minuten im Scheinwerferlicht stehen werden, frustriert Susanne Boner kurz. Dann sagt die gelernte Schneiderin und Textildesignerin: «So darf man natürlich nicht denken.» Zusammen mit vier anderen Teilnehmern wurde sie für den Theaterkostüm-Preis Prix Juste-au-Corps des Luzerner Theaters nominiert. Seit der Wettbewerbsausschreibung im letzten Oktober drehte sich in ihrem Atelier im Dachstock einer alten Fabrikantenvilla in Oberentfelden fast alles um die zwei Kostüme für das Musical «Sugar – manche mögen’s heiss» nach der Kinokomödie von Billy Wilder. «Das Theater hat mich schon immer fasziniert», erzählt die 27-Jährige. Die Aargauerin mag es, mit verschiedenen Leuten an einem Projekt zu arbeiten. AUCH FÜR DEN 37-jährigen Modedesigner Nik Aerni gehört dies zum besonderen Reiz des Kostümdesigns. Neben Boner ist er der zweite Schweizer am Wettbewerb. Die anderen drei Finalis- ten kommen aus Deutschland. «Die Arbeit in einem Team ist kreativ», sagt Nik Aerni. Theaterkostüme sind ein Gemeinschaftswerk, an dem auch der Dramaturg, die Maske und die Bühnenbildner mitreden. Nicht so bei diesem Wettbewerb: Die Teilnehmer entwarfen Kostüme ganz nach ihrem Geschmack. Erst bei der Realisation erhielten sie Unterstützung in Form von Stoffen und durch die Maskenbildner, die bei Haaren und Make-up mithalfen. «Kostüme zu machen, ist für mich Mode in einem direkten Sinn», erklärt Boner. Es gehe nicht um Trends, sondern um Figuren, mit denen sie sich auseinandersetzen müsse. «Einmal ist es eine Diva, ein anderes Mal vielleicht ein Bünzli.» Für den Wettbewerb tauchte sie in die Welt der späten 1920er-Jahre von Al Capone, Marlene Dietrich und Greta Garbo ein – in die Zeit, wo der Originalfilm spielt. «Mir gefiel die Schwarz-WeissÄsthetik des Films», erzählt Boner. Zur Recherche füllte sie ein Heft mit Fotos damaliger Stars, ergänzt mit Literatur zur Zeit. «Durch Einschränkung bekommt man neue Freiheiten», ist sie überzeugt. Sie begnügte sich bei ihren Kostümen mit Schwarz, Weiss und Grau. Für die Frauenfigur Sweet Sue kreierte sie eine Art Hotpants mit Latz aus einem Organza-artigen Stoff, dazu einen opulenten Kragen. Der Bösewicht Spats Colombo trägt dunkle Kleider. UM DAS KOSTÜM von Spats Colombo abgenutzt aussehen zu lassen, duschte sie den Blazer ab, füllte die nassen Taschen mit Steinen, um sie auszuleiern, und rieb den Manchesterstoff später mit trockener Seife ein, um helle Flecken zu erzeugen. «Ich muss wohl noch mehr dahinter», glaubt sie. Damit der Zuschauer das Abgewetzte auch wirklich sehen kann, ist manchmal Klotzen statt Kleckern gefragt. Dass man im Theater üppig anrichten muss und darf, gefällt auch Nik Aerni. «Im Gegensatz zur Mode geht es bei den Kostümen vielmehr um visuelle Effekte», sagt der in Zürich lebende Solothurner. Der Autodidakt, der eine Ausbildung als Tanzlehrer hat und seit 1996 in den verschiedensten Mode- und Stylingbereichen tätig ist, mag das Plakative. Deshalb hat er seine Kostüme für die beiden Drag Queens, wie er sie nennt, des Stücks entworfen. Die Musikerfiguren, die im Stück als Frauen verkleidet bei einer Frauenband untertauchen, steckt er in Instrumentenkostüme. «Die Instrumente waren für mich das zentrale Thema», erklärt Nik Aerni seine Idee. Und so wird eine Figur ein Kostüm in Form einer Bassgeige, die andere in Form eines Saxofons tragen. «Einmal streng und eher konservativ und Bei Kostümen darf und muss man manchmal üppig anrichten einmal verspielt und mehr Freigeist», ergänzt Aerni. Passend zu den beiden Charakteren. Er freut sich auf die Modeschau. «Klar ist man enttäuscht, wenn man nicht gewinnt», sagt Aerni. «Es gibt keine richtige oder falsche Variante», beruhigt sich Susanne Boner. Den Gewinn, die Kostümgestaltung für eine Produktion des Luzerner Theaters sowie ein Praktikum an der Deutschen Oper in Berlin, bekommt trotzdem nur einer. Ein grosse Chance; Praktikumsplätze und Assistentenstellen sind Mangelware. THEATERPREIS Am nächsten Samstag wird in Luzern der «Prix Juste-au-Corps» zum fünften Mal verliehen. Die nominierten Kandidaten zeigen ihre Theaterkostümkreationen für das Musical «Manche mögens heiss» an einer szenisch inszenierten Modeschau. Der Wettbewerb ist einzigartig in Europa. Der Gewinner bekommt einen Auftrag für eine Kostümproduktion am Theater in Luzern sowie ein Praktikum an der Deutschen Oper in Berlin. Informationen und Karten: www.luzernertheater.ch und 041 228 14 14. Die Produkte von KAP sind im Online-Shop www.kapshop.ch oder direkt an der Palmstrasse 16 in Winterthur erhältlich. Zudem bei Einzigart, Josefstrasse 36 in Zürich, und in Basel bei Werkstück, Güterstrasse 204. Etuis in rund 20 verschiedenen Farben ab 10 Franken, grosse Tasche ab 110 Franken. mein lifestyle (THA) Hilfe für junge Mode-Labels Neue Plattform Socke war eine PET-Flasche DIE SCHWEIZER MODESZENE ist aktiv, junge Designer und ihre Labels boomen. Nur fehlt ihnen oft ein idealer Absatzkanal, um an ihre Zielgruppen zu gelangen. Die junge Firma «shoppingstobe.ch» hat nun eine Plattform entwickelt, welche den Jung-Designern die Möglichkeit gibt, ihre Mode online zu verkaufen. Noch ist die Homepage www.shoppingstobe.ch klein und übersichtlich. Zurzeit haben sich Labels wie Taxi Clothing, «stustyle», «sniver» oder Bergspitz aufgeschaltet. Zudem sollen auch Miniunternehmer, welche aus dem national bekannten Schulprojekt Young Enterprise Switzerland hervorgehen, aufgeführt werden. Geschäftsführer Patrick Merz möchte damit den Design-Nachwuchs aktiv fördern. ( S C ) Geschirr, Teppiche, Taschen, Lampen und Vasen: Aus rezykliertem Kunststoff entsteht viel Neues und Schönes. SHOPPING TERTIA HAGER Andi Stutz: «Ich bin nicht Label-sexuell» Ein junges amerikanisches Unternehmen produziert eine Sportsocke aus 100 Prozent Recyclingmaterial. DASS IN EINER SPORTSOCKE alte PET-Flaschen stecken, überrascht aber doch ein wenig. Zwar kommt das reissfeste und witterungsbeständige Material als Polyester in der Textilbranche zum Einsatz, rezykliert kennt man es dort aber weniger. Das US-amerikanische Unternehmen Teko hat sich ganz der Umwelt verschrieben und setzt für seine Sportsocken unter an- derem auf Recyclingmaterial: zwei Drittel stammen aus Industrieabfällen und ein Drittel aus wiederverwerteten PETFlaschen. Die Ökophilosophie der im Jahr 2004 gegründeten Firma wurde 2005 in den USA mit einem «Green Choice Award» ausgezeichnet. Teko will nicht nur die Nachhaltigkeitsidee fertig denken und von den Rohstoffen über die Produktion bis zur Distribution mit der geringsten Belastung für die Umwelt funktionieren, sondern auch ein Produkt herstellen, das der extremen Bean- spruchung im Sportbereich standhalten kann. Als kluges Verkaufsargument gibt Teko deshalb eine Garantie von einem Jahr: bei Blasen, übermässiger Geruchsentwicklung und anderen Unannehmlichkeiten. Nebst den «Recyling-Modellen» aus Kunstfaser gehören auch Baumwoll- und MerinoSocken zum Sortiment. Der Rohstoff für die Baumwoll-Linie kommt aus der Schweiz. Produziert wird in den USA. Seit kurzem sind die «grünen» Sportund Freizeitsocken im Schweizer Fachhandel erhältlich. ( T H A ) SUSI BODMER als idealer Absatzkanal «Lifestyle wird für mich immer weniger wichtig. Was man braucht, sind gute Hemden und T-Shirts, zwei Paar Jeans, zwei bis drei Anzüge und einen warmen Mantel. Das reicht vollkommen aus, auch für einen Geschäftsmann. Die Krawatten habe ich zum Glück im Haus. Ich bin nicht Label-sexuell, es ist mir egal, was ich trage, Hauptsache, die Qualität stimmt und die Stoffe sind gut, denn diese gehen an die Haut.»
© Copyright 2024 ExpyDoc