Arbeitsintegration — Stadt Winterthur

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LIFESTYLE
MZ Mittwoch, 4. März 2009
Schneidern für das Theater
swissmade
Der Weg zur Kostümbildnerin ist lang, Praktikumsplätze an Theatern sind rar.
Zwei Schweizer hoffen auf ihre Chance am Kostümdesign-Wettbewerb in Luzern.
VERBLÜFFEND Etuis aus Reissverschlüssen. HO
Simple Hülle, grosser Auftritt
Es muss nicht immer ausgeklügeltes
Design sein. Manchmal verblüfft das
Einfache ebenso. In den Ateliers und
Werkstätten des KAP-Projekts in Winterthur entsteht solches. Zum Beispiel
die farbenfrohen Zip-Etuis und -Taschen,
die aus Reissverschlüssen genäht sind.
Die Hülle besteht aus einem scheinbar
ewig langen Reissverschluss, den man
ohne Sinn und Zweck, aber mit viel
Spass ganz öffnen kann. Zuletzt hält
man einen langen, gekringelten Reissverschluss in der Hand.
Diese Einfachheit ist bei der KAP (Koordinationsstelle für Arbeitsprojekte
Winterthur) Programm. In den Ateliers
und Werkstätten arbeiten stellenlose
Jugendliche und Erwachsene – meistens
ohne entsprechendes Know-how. Die
Leiterin der Textilwerkstatt, Christine
Sparano, erklärt: «Die bei uns hergestellten Produkte dürfen technisch und
handwerklich nicht zu anspruchsvoll
sein.» Die handwerklichen Arbeiten sind
lediglich ein Teil des Arbeitsintegrationsprojekts, daneben gibt es Qualifikationsund Coachingprogramme, die den Einstieg oder den Wiedereinstieg ins Berufsleben ermöglichen sollen.
Die Zip-Etuis und -Taschen gehören zu
den Verkaufsrennern des Sortiments, das
langsam wächst. Zu Weihnachten kam
ein grösseres Modell in Silber und Gold
dazu, eine unkonventionelle Clutch Bag
für unter den Arm. Das neuste Stück ist
eine schwarze Umhängetasche, so gross,
dass ein Ordner darin verstaut werden
kann. Entsprechend der Grösse der
Tasche ist auch der verwendete Reissverschluss breiter und gröber. Ein weiterer Renner: Die momentan ausverkaufte
Tasche wird zurzeit nachproduziert.
Auch die anderen Produkte von KAP
folgen der Idee «schlicht, funktional und
doch überraschend». Teilweise sind die
Gegenstände aus Recycling-Material
gemacht, wie die Pfeffermühle aus einer
Velonabe, teilweise auch aus selbst
produziertem Abfallmaterial. Der Kosmetikbeutel Luna zum Beispiel: Er ist
aus Resten einer halb transparenten
Kunststofffolie genäht, die auch für
Einkaufstaschen verwendet wird.
EIN MOMENT DER SPANNUNG Susanne Boner prüft im Theater, ob das von ihr entworfene und genähte Kostüm der Schauspielerin auch wirklich passt. H0/LUZERNER THEATER
T E RT I A H AG E R
Das Wissen, dass ihre zwei Theaterkostüme am nächsten Samstag nur ein paar wenige Minuten im Scheinwerferlicht stehen
werden, frustriert Susanne Boner kurz. Dann sagt die gelernte
Schneiderin und Textildesignerin: «So darf man natürlich
nicht denken.»
Zusammen mit vier anderen
Teilnehmern wurde sie für
den Theaterkostüm-Preis Prix
Juste-au-Corps des Luzerner
Theaters nominiert. Seit der
Wettbewerbsausschreibung im
letzten Oktober drehte sich in
ihrem Atelier im Dachstock einer alten Fabrikantenvilla in
Oberentfelden fast alles um die
zwei Kostüme für das Musical
«Sugar – manche mögen’s heiss»
nach der Kinokomödie von Billy
Wilder. «Das Theater hat mich
schon immer fasziniert», erzählt
die 27-Jährige. Die Aargauerin
mag es, mit verschiedenen Leuten an einem Projekt zu arbeiten.
AUCH FÜR DEN 37-jährigen Modedesigner Nik Aerni gehört dies
zum besonderen Reiz des Kostümdesigns. Neben Boner ist er
der zweite Schweizer am Wettbewerb. Die anderen drei Finalis-
ten kommen aus Deutschland.
«Die Arbeit in einem Team ist
kreativ», sagt Nik Aerni. Theaterkostüme sind ein Gemeinschaftswerk, an dem auch der
Dramaturg, die Maske und die
Bühnenbildner mitreden.
Nicht so bei diesem Wettbewerb: Die Teilnehmer entwarfen
Kostüme ganz nach ihrem Geschmack. Erst bei der Realisation erhielten sie Unterstützung
in Form von Stoffen und durch
die Maskenbildner, die bei Haaren und Make-up mithalfen.
«Kostüme zu machen, ist für
mich Mode in einem direkten
Sinn», erklärt Boner. Es gehe
nicht um Trends, sondern um Figuren, mit denen sie sich auseinandersetzen müsse. «Einmal
ist es eine Diva, ein anderes Mal
vielleicht ein Bünzli.» Für den
Wettbewerb tauchte sie in die
Welt der späten 1920er-Jahre
von Al Capone, Marlene Dietrich
und Greta Garbo ein – in die
Zeit, wo der Originalfilm spielt.
«Mir gefiel die Schwarz-WeissÄsthetik des Films», erzählt Boner. Zur Recherche füllte sie ein
Heft mit Fotos damaliger Stars,
ergänzt mit Literatur zur Zeit.
«Durch
Einschränkung
bekommt man neue Freiheiten»,
ist sie überzeugt. Sie begnügte
sich bei ihren Kostümen mit
Schwarz, Weiss und Grau. Für
die Frauenfigur Sweet Sue kreierte sie eine Art Hotpants mit
Latz aus einem Organza-artigen
Stoff, dazu einen opulenten Kragen. Der Bösewicht Spats Colombo trägt dunkle Kleider.
UM DAS KOSTÜM von Spats Colombo abgenutzt aussehen zu
lassen, duschte sie den Blazer ab,
füllte die nassen Taschen mit
Steinen, um sie auszuleiern, und
rieb den Manchesterstoff später
mit trockener Seife ein, um helle
Flecken zu erzeugen. «Ich muss
wohl noch mehr dahinter»,
glaubt sie. Damit der Zuschauer
das Abgewetzte auch wirklich sehen kann, ist manchmal Klotzen
statt Kleckern gefragt.
Dass man im Theater üppig
anrichten muss und darf, gefällt
auch Nik Aerni. «Im Gegensatz
zur Mode geht es bei den Kostümen vielmehr um visuelle Effekte», sagt der in Zürich lebende
Solothurner. Der Autodidakt,
der eine Ausbildung als Tanzlehrer hat und seit 1996 in den verschiedensten Mode- und Stylingbereichen tätig ist, mag das
Plakative. Deshalb hat er seine
Kostüme für die beiden Drag
Queens, wie er sie nennt, des
Stücks entworfen. Die Musikerfiguren, die im Stück als Frauen
verkleidet bei einer Frauenband
untertauchen, steckt er in Instrumentenkostüme. «Die Instrumente waren für mich das
zentrale Thema», erklärt Nik Aerni seine Idee. Und so wird eine Figur ein Kostüm in Form einer
Bassgeige, die andere in Form eines Saxofons tragen. «Einmal
streng und eher konservativ und
Bei Kostümen darf
und muss man
manchmal üppig
anrichten
einmal verspielt und mehr Freigeist», ergänzt Aerni. Passend zu
den beiden Charakteren.
Er freut sich auf die Modeschau. «Klar ist man enttäuscht,
wenn man nicht gewinnt», sagt
Aerni. «Es gibt keine richtige
oder falsche Variante», beruhigt
sich Susanne Boner.
Den Gewinn, die Kostümgestaltung für eine Produktion des
Luzerner Theaters sowie ein
Praktikum an der Deutschen
Oper in Berlin, bekommt trotzdem nur einer. Ein grosse Chance; Praktikumsplätze und Assistentenstellen sind Mangelware.
THEATERPREIS
Am nächsten
Samstag wird in
Luzern der «Prix
Juste-au-Corps»
zum fünften Mal
verliehen. Die
nominierten Kandidaten zeigen
ihre Theaterkostümkreationen
für das Musical
«Manche mögens
heiss» an einer
szenisch inszenierten Modeschau.
Der Wettbewerb
ist einzigartig in
Europa. Der Gewinner bekommt
einen Auftrag für
eine Kostümproduktion am
Theater in Luzern
sowie ein Praktikum an der Deutschen Oper in Berlin. Informationen
und Karten:
www.luzernertheater.ch
und 041 228 14 14.
Die Produkte von KAP sind im Online-Shop
www.kapshop.ch oder direkt an der Palmstrasse 16 in Winterthur erhältlich. Zudem
bei Einzigart, Josefstrasse 36 in Zürich, und
in Basel bei Werkstück, Güterstrasse 204.
Etuis in rund 20 verschiedenen Farben ab
10 Franken, grosse Tasche ab 110 Franken.
mein lifestyle
(THA)
Hilfe für junge
Mode-Labels
Neue Plattform
Socke war eine PET-Flasche
DIE SCHWEIZER MODESZENE ist aktiv, junge Designer und ihre Labels boomen. Nur
fehlt ihnen oft ein idealer Absatzkanal, um
an ihre Zielgruppen zu gelangen. Die junge
Firma «shoppingstobe.ch» hat nun eine
Plattform entwickelt, welche den Jung-Designern die Möglichkeit gibt, ihre Mode online zu verkaufen. Noch ist die Homepage
www.shoppingstobe.ch klein und übersichtlich. Zurzeit haben sich Labels wie Taxi Clothing, «stustyle», «sniver» oder Bergspitz aufgeschaltet. Zudem sollen auch Miniunternehmer, welche aus dem national bekannten Schulprojekt Young Enterprise Switzerland hervorgehen, aufgeführt werden. Geschäftsführer Patrick Merz möchte damit
den Design-Nachwuchs aktiv fördern. ( S C )
Geschirr, Teppiche, Taschen,
Lampen und Vasen: Aus rezykliertem Kunststoff entsteht viel
Neues und Schönes.
SHOPPING
TERTIA HAGER
Andi Stutz: «Ich bin nicht
Label-sexuell»
Ein junges amerikanisches Unternehmen produziert
eine Sportsocke aus 100 Prozent Recyclingmaterial.
DASS IN EINER SPORTSOCKE
alte PET-Flaschen stecken, überrascht aber doch ein wenig.
Zwar kommt das reissfeste und
witterungsbeständige Material
als Polyester in der Textilbranche zum Einsatz, rezykliert
kennt man es dort aber weniger.
Das US-amerikanische Unternehmen Teko hat sich ganz der
Umwelt verschrieben und setzt
für seine Sportsocken unter an-
derem auf Recyclingmaterial:
zwei Drittel stammen aus
Industrieabfällen und ein Drittel aus wiederverwerteten PETFlaschen. Die Ökophilosophie
der im Jahr 2004 gegründeten
Firma wurde 2005 in den USA
mit einem «Green Choice
Award» ausgezeichnet. Teko
will nicht nur die Nachhaltigkeitsidee fertig denken und von
den Rohstoffen über die Produktion bis zur Distribution
mit der geringsten Belastung
für die Umwelt funktionieren,
sondern auch ein Produkt herstellen, das der extremen Bean-
spruchung im Sportbereich
standhalten kann. Als kluges
Verkaufsargument gibt Teko
deshalb eine Garantie von einem Jahr: bei Blasen, übermässiger Geruchsentwicklung und
anderen Unannehmlichkeiten.
Nebst den «Recyling-Modellen» aus Kunstfaser gehören
auch Baumwoll- und MerinoSocken zum Sortiment. Der Rohstoff für die Baumwoll-Linie
kommt aus der Schweiz. Produziert wird in den USA. Seit kurzem sind die «grünen» Sportund Freizeitsocken im Schweizer Fachhandel erhältlich. ( T H A )
SUSI BODMER
als idealer Absatzkanal
«Lifestyle wird für mich immer weniger
wichtig. Was man braucht, sind gute
Hemden und T-Shirts, zwei Paar Jeans,
zwei bis drei Anzüge und einen warmen
Mantel. Das reicht vollkommen aus, auch
für einen Geschäftsmann. Die Krawatten
habe ich zum Glück im Haus. Ich bin nicht
Label-sexuell, es ist mir egal, was ich trage, Hauptsache, die Qualität stimmt und
die Stoffe sind gut, denn diese gehen an
die Haut.»