PD Dr. Falk Mylich VL Gesellschaftsrecht & Kapitalgesellschaftsrecht WS 2016/17 Stunde 5 Thema 1: Der Sorgfaltsmaßstab des § 708 BGB Weil Gesellschafter sich gegenseitig so akzeptieren sollen, wie sie sind, gilt als Sorgfaltsmaßstab beim Handeln der Gesellschafter die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten (siehe auch § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, § 690, § 1359 BGB, § 1664 BGB, § 2131 BGB). Vornehmlich kommt § 708 BGB in Geschäftsführungsangelegenheiten zur Anwendung, kann aber auch bei allgemeinen Pflichten (Einlageleistung) zur Anwendung kommen. Jedoch wird gem. § 277 BGB für grobe Fahrlässigkeit immer gehaftet. Der Maßstab gilt allein für Personengesellschaften, was sich an § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG zeigt, wo den Geschäftsleitungsorganen die Sorgfalt in kaufmännischen Angelegenheiten auferlegt wird. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass § 93 Abs. 1 S. 1 AktG analog auf Publikumspersonengesellschaften anzuwenden ist. In der GmbH & Co KG führt der Geschäftsführer der GmbH die Geschäfte der KG. Auch gegenüber der KG gilt hier § 43 GmbHG. Seit der Grundsatzentscheidung BGHZ 46, 313 wird einhellig die Auffassung vertreten, dass § 708 BGB beim Gesellschafterverhalten im Straßenverkehr keine Anwendung findet. Diese These ist falsch. Die Behauptung, dass jeder im Straßenverkehr nach allgemeinem Maßstab sorgfältig sein müsse, ist zu pauschal und kann nicht präzise belegt werden. Vielmehr muss zwischen Rechtsgütern Dritter und dem Vermögen der Gesellschaft differenziert werden. Auf erstere findet § 708 BGB natürlich keine Anwendung. Daher war die Entscheidung des BGH auch richtig, weil die körperliche Integrität eines Mitgesellschafters beschädigt wurde. Wäre es um das Auto gegangen, hätte differenziert werden müssen: § 708 BGB wäre unanwendbar, wenn das Auto im Eigentum eines Dritten stünde, hingegen wäre § 708 BGB anwendbar bei Beschädigung eines der Gesellschaft gehörenden Autos. Zutreffend hat das OLG Karlsruhe (NJW 2008, 925) § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB angewendet, als ein mangelbehaftetes Auto im Straßenverkehr durch die übliche Leichtfertigkeit des Fahrers (=Käufers) beschädigt worden ist. Zu welchen absurden Lösungen die pauschale Formel des BGH führt, zeigt sich an der Nichtanwendung von § 1359 BGB, wenn ein Ehegatte den anderen im Straßenverkehr schädigt (BGHZ 63, 51). Warum soll § 1359 BGB hingegen bei körperlichen Schädigungen nach Gartenarbeit anwendbar sein? Umstritten ist die Reichweite von § 708 BGB. Grundsätzlich ist die unsorgfältige Ausführung einer berechtigten Geschäftsführung erfasst. Nach aktuellerer Rechtsprechung (BGH NJW 1997, 314) ist § 708 BGB auch auf die Prüfung des Gesellschafters anwendbar, ob er überhaupt geschäftsführungsbefugt ist. (Beispiel: Geschäftsführer verkennt, dass ein ungewöhnliches Geschäft vorliegt, zu dessen Vornahme er gem. § 116 Abs. 2 HGB alle Mitgesellschafter hätte fragen müssen.) Verkennt er hingegen schuldhaft, dass er nicht geschäftsführungsbefugt ist und führt das Geschäft gleichwohl aus und es kommt zu einem Schaden, ist auf die Geschäftsausführung § 678 BGB anzuwenden. Wegen des Übernahmeverschuldens PD Dr. Falk Mylich VL Gesellschaftsrecht & Kapitalgesellschaftsrecht WS 2016/17 kommt es nicht mehr darauf an, ob der aus der konkreten Geschäftsführung entstandene Schaden schuldhaft herbeigeführt worden ist. Thema 2: Die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis Gem. § 117 HGB kann dem Geschäftsführer die Geschäftsführungsbefugnis entzogen werden. Voraussetzung ist aber ein wichtiger Grund. Außerdem erwartet das Gesetz anders als bei der GbR eine Gestaltungsklage. Dieses Erfordernis kann aber im Gesellschaftsvertrag abbedungen werden – nicht jedoch der wichtige Grund. § 712 BGB gestattet nur die Entziehung der übertragenen Geschäftsführung bei wichtigem Grund. Man wird aber auch die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis aus wichtigem Grund dann zulassen müssen, wenn der betroffene Gesellschafter nur noch die gesetzlich vorgesehene Gesamtgeschäftsführungsbefugnis hat. Das ist das mildere Mittel gegenüber der Kündigung der Gesellschaft aus wichtigem Grund. Hier zeigt sich bereits ein wesentlicher Kern: Die Entziehung von Geschäftsführungs- oder Vertretungsbefugnis (§§ 117, 127 HGB; §§ 712, 715 BGB) ist grundsätzlich das mildere Mittel gegenüber dem Ausschluss aus wichtigem Grund (§ 140 HGB) bzw. der Kündigung aus wichtigem Grund (§ 723 BGB). Bei derartigen Problemen ist immer abzuwägen und zu überlegen, ob das mildere Mittel nicht die bessere Lösung darstellt. Thema 3: Die Vertretungsmacht (Teil 1) Die Vertretungsmacht ist in den §§ 125-127 HGB für die OHG geregelt. Sie ist (anders als in der GbR - §§ 714, 709 BGB) von der Geschäftsführungsbefugnis unabhängig. PRINZIP DER SELBSTORGANSCHAFT: Wie bei der Geschäftsführung gilt auch hier das Prinzip der Selbstorganschaft. Das bedeutet, dass es wenigstens eine Konstellation geben muss, in der ausschließlich ein oder mehrere Gesellschafter vertretungsbefugt sind. Beispiel: In einer OHG ist A von der Vertretung ausgeschlossen und B und C sind gemeinsam zur Vertretung berechtigt. Außerdem darf B zusammen mit dem Prokuristen P und C ebenfalls zusammen mit dem Prokuristen P vertreten. Das Prinzip der organschaftlichen Vertretungsmacht ist gewahrt, weil B/C gemeinsam auftreten können und damit eine Konstellation existiert, in der ausschließlich Gesellschafter auftreten. Scheidet hingegen C aus der OHG aus, gibt es nur noch die Vertretungskonstellation B/P. Dann ist die Vertretungsmacht an die Mitwirkung eines Nichtgesellschafters gekoppelt. Im Ergebnis zwingt das Prinzip der Selbstorganschaft zur Alleinvertretung durch B oder Gesamtvertretung A/B. Die Lösung ist Auslegungsfrage. Die Idee der Selbstorganschaft ist, dass es keine Blockierer und Bremser von außerhalb bei dringenden Entscheidungen geben darf, sondern vielmehr die Gesellschafter selbst aufgrund ihrer persönlich unbegrenzten Haftung das Heft des Handelns in der Hand haben müssen. Beispiel: Die o.g. OHG hat ein großes Bauwerk in Auftrag gegeben. Mit der Zeit kommen den Gesellschaftern Zweifel, ob sie die Finanzierung hinbekommen und das Werk effektiv nutzen können. Die Gesellschafter sollen nicht an die Mitwirkung eines Prokuristen gebunden sein, um finanzielle Risiken zu vermeiden, sondern selber gem. § 649 BGB kündigen können. Umstritten ist, inwieweit im Gesellschaftsrecht die Generalvollmacht zulässig ist. Letztlich dürfte PD Dr. Falk Mylich VL Gesellschaftsrecht & Kapitalgesellschaftsrecht WS 2016/17 sie nicht gegen das Prinzip der organschaftlichen Vertretungsmacht verstoßen, wenn sie jederzeit widerrufen werden kann (unklar). BESCHRÄNKUNGEN: Gem. § 125 Abs. 2 HGB ist Gesamtgeschäftsführung möglich. Die Eintragung einer solchen im Handelsregister wirkt nur deklaratorisch. Eine Begrenzung der Gesamtgeschäftsführung auf bestimmte Situationen ist nicht möglich. Das ergibt sich aus dem Zusammenhang mit § 126 HGB. Dort wird statuiert, dass eine Beschränkung der Vertretungsmacht dem Umfang nach nicht möglich ist. Eine Ausnahme gilt für Geschäfte mit Gesellschaftern (BGHZ 38, 26). Diese sind nicht schutzwürdig. Weitere Beschränkungsmöglichkeiten neben der Gesamtvertretungsmacht sind Mischformen mit Prokuristen (solange das Prinzip der organschaftlichen Vertretungsmacht gewahrt bleibt). So können Gesellschafter und Prokurist zusammen vertreten (gemischte Gesamtvertretung, siehe Bsp. Bei der Selbstorganschaft) oder der Gesellschafter allein, aber der Prokurist immer mit ihm zusammen (unechte Gesamtvertretung). In der letzteren Konstellation ist die Aktivtätigkeit des Prokuristen sinnlos, weil der Gesellschafter das auch allein erledigen kann; allerdings ist der Prokurist gem. § 125 Abs. 2 S. 3 HGB allein zur Entgegennahme von Willenserklärungen befugt. Bei wichtigem Grund kann gem. § 127 HGB die Vertretungsmacht entzogen werden. Umstritten ist, inwieweit Grundlagengeschäfte die umfassende organschaftliche Vertretungsmacht ausschließen. Klar nicht erfasst von den §§ 125 ff. HGB sind Änderungen des Gesellschaftsvertrags. Bei einem Grundlagengeschäft werden zwar die Grundlagen der Gesellschaft berührt, jedoch kommt man ohne Vertragsänderung aus. In Anknüpfung an § 361 AktG a.F. (nunmehr § 179a AktG) hat der BGH die Veräußerung des gesamten Geschäftsbetriebs einer Personengesellschaft zwar für dinglich, aber nicht für schuldrechtlich wirksam gehalten (BGH NJW 1995, 596). MISSBRAUCH DER VERTRETUNGSMACHT: Letztlich ist immer an den Missbrauch der Vertretungsmacht zu denken, wenn der Vertretungsberechtigte nach außen zwar so handeln darf, intern aber einer Einschränkung unterworfen ist. Voraussetzungen: (1) Evidenz für den Vertragspartner; (2) Auf eine Fahrlässigkeit des Vertreters kommt es hingegen nicht an; (3) umstritten ist, ob ein Nachteil bzw. Schaden für den Vertretenen vorliegen muss. Rechtsfolge: Das schuldrechtliche Geschäft ist unwirksam. Das dingliche Geschäft ist zumeist wirksam. Das gilt dann nicht, wenn sich die interne Beschränkung auf die Veräußerung ganz bestimmter Gegenstände bezogen hat. Handeln Vertreter und Dritter bewusst zum Nachteil der Gesellschaft, liegt ein kollusives Zusammenwirken vor, das gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig ist und damit zur Nichtigkeit des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts führt (a.A. § 177 BGB). IN DER KLAUSUR ist zunächst immer zu prüfen, ob Vertretungsmacht für das konkrete Geschäft vorliegt (unter Einbeziehung aller hier behandelten Prämissen). Falls das eigentlich zu bejahen ist, ist in einem weiteren Punkt zu hinterfragen, ob evtl. die Vertretungsmacht wegen der Grundsätze des Missbrauchs doch fehlt. FORTSETZUNG IN DER ZUSAMMENFASSUNG ZUR STUNDE 6
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