Die Erinnerung lebt Im Alter von 81 Jahren steht Eva Weyl auf der Rednerempore des Pädagogischen Zentrums im Gymnasium Fabritianum. Ihr erster Besuch an einer Schule ist dies nicht. Dass diese Frau eine Überlebende des Holocausts sein soll, sieht man ihr vorerst nicht an. Erst als sie anfängt ihre ganz persönliche Familiengeschichte in Gefangenschaft des Nazi-Regimes zu erzählen, wird klar, dass dieser Mensch ein Zeitzeuge der begangenen Verbrechen ist. Weyls Eltern stammen aus Kleve, wo sie ein großes Kaufhaus besaßen, und sind bereits 1934 als Reaktion auf die antijüdische Propaganda in die Niederlande emigriert. Sie selbst wurde 1935 geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie für knapp vier Jahre im Gefangenenlager Westerbork – über 100.000 Menschen wurden durch dieses Lager in den Osten und in den Tod geschickt. Eva Weyl und ihre Familie überlebten. „Nie wieder Auschwitz!“ – Mit diesem Ausruf beginnt die überzeugte Jüdin ihre Geschichte zu erzählen. Hierbei vermittelt sie gleich einen zukunftsgerichteten Appell an die anwesenden Jugendlichen der Abschlussjahrgangsstufe Q2. Eva Weyl ruft den 9. November 1938 ins Gedächtnis, die Reichsprogromnacht, in welcher deutschlandweit Synagogen in Brand gesetzt und jüdische Läden geplündert wurden. Sie erinnert an die rassistische NS-Ideologie und die unmenschlichen Maßnahmen diese auszuführen. Weyl erzählt von der Entrechtung der Juden und deren Diskriminierung, die ihren unmenschlichen Höhepunkt ab der Eroberung Russlands in Juni 1941 erreicht. Der Bau dieser KZ, die als Massenvernichtungslager dienten, bezeichnet die heute in Amsterdam lebende Frau als „den Beginn der Industrialisierung der Judenvernichtung“. Weiter betont sie, dass dieses systematisch organisierte Verbrechen einzigartig in der Geschichte sei. In den Niederlanden entstand bereits 1938 ein Wartelager, welches Flüchtlingen als Unterkunft bis zur Weiterreise in die USA diente. Das Lager Westerbork wurde im Folgejahr durch die Deutschen besetzt und als Wartelager für bis zu 20.000 Gefangene eingerichtet. Viele der niederländischen Juden wurden hierhin verschleppt. Jedoch mussten sie, anders als in anderen Lagern, nicht unter unmenschlichen Bedingungen Schwerstarbeit vollrichten oder hungern. Unter der Führung des Oberdienstleiters Albert Konrad Gemmeker fehlte es den Häftlingen nicht an Essensmöglichkeiten und Bildungs- sowie Freizeiteinrichtungen, wie Weyl erzählt. Den Gefangenen war es außerdem erlaubt alle 10 Tage duschen zu gehen sowie ein Krankenhaus und einen Zahnarzt aufzusuchen, die eigens für das Gefangenenlager eingerichtet wurden. Weyl kommt 1942 dorthin. Sie ist damals erst sechs Jahre alt. Folter oder Totschlag gibt es in Westerbork nicht. Sie sagt, sie hätte nie große Angst gehabt. Man hatte Freunde und Spaß. Sie wusste nicht von den Gerüchten der schlechten Umstände im Osten. Sie war ja noch ein Kind. Weyls Eltern jedoch kannten sie. Glauben schenken konnte man diesen allerdings nicht, dafür war das Leben im Gefangenenlager zu angenehm, zu lebenswert. In Wahrheit jedoch war all dies eine große Lüge der Nazis, eine einzige Täuschung. Weyl verdeutlicht anschaulich, wie ihrer Familie und den anderen gefangenen Juden ein Schein vorgelebt wurde. Am Ende drohte den Meisten das, wovon sie nur gehört hatten – die systematische Tötung durch das NS-Regime. Hierzu fuhr wöchentlich ein mit vielen Häftlingen gefüllter Zug gen Osten in die Vernichtungslager. Den Häftlingen blieb das Ziel stets ungewiss. Die Zahl deportierter Juden von Westerbork aus beläuft sich auf ca. 107.000, von denen nur knapp 5.000 überleben konnten. Diese wurden in 97 Zügen in die Konzentrationslager Auschwitz, Solibor, Treblinka und Bergen-Belsen gebracht. Am 12. April 1945 wurde das Lager durch die Alliierten Kanadier befreit. Die 81jährige weiß heute um ihr Glück, dass sie und ihre Familie nicht unter den deportierten Häftlingen damals waren. Sie sagt heute: „Meine Geschichte hatte ein Happy End!“ Bis heute feiert die vitale Weyl diesen Tag der Befreiung mit Familie und anderen Insassen. Zum Ende hin gibt sie den über 100 Schülerinnen und Schülern eine nachhaltige Botschaft mit auf den Weg: „Ich bin eine Zeitzeugin, das ist meine Geschichte. Indem ich euch meine Geschichte erzählt habe, mache ich euch zu Zweitzeugen.“ Weyl mahnt zum Nachdenken, betont, dass das Schicksal der Juden nicht in Vergessenheit geraten dürfe. Sie schließt ihre Präsentation mit ihrem Einleitungssatz: „Nie wieder Auschwitz!“ Das Gymnasium Fabritianum wird sich an den Besuch von Eva Weyl erinnern: Ihr zu Ehren wird ein Stuhl mit einer Namensplakette im Pädagogischen Zentrum versehen. Und bei den Projekttagen im nächsten Sommer werden sich Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit der Zeitzeugin das Lager Westerbork in den Niederlanden anschauen. Wir danken Frau Weyl für ihren Besuch, der lange in uns nachklingen wird.
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