Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Der Ewige Kaiser
Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn
Von Rainer Volk
Sendung: Freitag, 18. November 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Martin Gramlich
Regie: Alexander Schuhmacher
Produktion: SWR 2016
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MANUSKRIPT
Musik:
Johann Strauß Sohn: "Kaiser Franz Joseph Rettungs-Jubel-Marsch"
Michaela Pfundner:
"Franz Joseph ist ganz schwer fassbar. Man hat irgendwie das Gefühl: Jetzt hat man
ein kleines Stück von ihm – und er flutscht einem schon wieder durch die Finger."
Alma Hannig:
"Es gibt große Feste, die man zu unterschiedlichen Anlässen veranstaltet und das ist
natürlich ein Teil des Aufbaus dieser Persönlichkeit, die immer wie ein Vater oder ein
Großvater so über das ganze Land herrscht und alle vereint."
Karl Vocelka:
"Der hat 68 Jahre lang regiert und wird damit sozusagen zu einer Ikone oder zu
einem Bild seiner selbst und das wirkt auch bis heute zum Teil nach."
Ansage:
Der ewige Kaiser. Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn. Eine Sendung von Rainer
Volk.
Sprecher:
Er ist der Rekordhalter unter Europas Monarchen – fast 69 Jahre lang herrschte
Franz Joseph der Erste über Österreich-Ungarn. Sein Todestag, der 21. November
1916, liegt fast genau 100 Jahre zurück. Ein fleißiger, bescheidener und gütiger
Monarch sei er – hieß es zu seinen Lebzeiten. Heute kennen ihn viele nur noch als
Ehemann der schönen "Sisi". Wo beginnen die Klischees, wo die Fakten? Weshalb
widmete ihm Johann Strauß Sohn diesen "Rettungs-Jubelmarsch"? Das Leben Franz
Josephs hat noch viele unbekannte Facetten.
Atmo:
Bad Ischl, Feierlichkeiten
Sprecher:
Das Klischee von Franz Joseph ist jeden Sommer in Bad Ischl zu sehen. Weil Franz
Joseph in dem Kurort im Salzkammergut fast sein Leben lang die Sommer-Urlaube
verbrachte, feiert Bad Ischl rund um seinen Geburtstag, den 18.August, alle Jahre ein
"Kaiserfest". – Wer es zum ersten Mal besucht, wähnt sich auf einem großen
Kostümball. Dutzende ältere Herren paradieren in historischen Uniformen zu
Blasmusik durch den Ort. Einige Damen zeigen farbenfrohe Roben aus dem 19.
Jahrhundert.
Atmo:
Bad Ischl, Feierlichkeiten
2
Sprecher:
Mittelpunkt des Treibens ist ein ungleiches Paar: Ein älterer Herr in Uniform mit
weißem Backenbart, und eine junge Frau im weißen Ballkleid. Doppelgänger von
Franz Joseph und seiner Gattin Elisabeth, die genau verraten, welches unsere Bilder
des Duos sind. Der Wiener Historiker Professor Karl Vocelka, Autor einer neuen
Kaiser-Franz-Joseph-Biographie spitzt es zu:
Karl Vocelka:
"Diese Klischees sind sehr, sehr stark vor allem bei der Elisabeth da. Also die Romy
Schneider ist die Elisabeth, während der Franz Joseph nie mit der Figur des
Schauspielers verschmolzen ist. Ja – also Franz Joseph bleibt da – wenn Menschen
ihn sich vorstellen – in der Rolle des alten Mannes mit dem weißen Bart, während im
Film ja der junge Franz Joseph dargestellt wird. Ein Franz Joseph, der nicht so
bekannt ist. Dagegen kommt man nicht an."
Sprecher:
Wer diesen Mann begreifen will, muss also zurückgehen in die Zeit "vor dem weißen
Bart". Geboren wird Erzherzog Franz – so der offizielle Name in Jugendjahren –
1830, also noch im Biedermeier. Der zweite Vorname Joseph wird erst später
hinzugefügt. Als ältester Sohn von Erzherzog Franz Karl ist er quasi von der Wiege
an zum Kaiser bestimmt: Sein Onkel Ferdinand, ab 1835 Kaiser Ferdinand I., ist
kinderlos und dessen Bruder, der Erzherzog-Vater, hat nicht genügend
Geistesgaben, um Monarch zu sein. Also lässt Franz Josephs Mutter Sophie ihren
Ältesten von Kind an zum Kaiser ausbilden:
Karl Vocelka:
"Vieles von dem, was man später an ihm sieht, kann man aus seiner Erziehung
versuchen zu erklären. Also zum Beispiel, dass er so ein sehr ernsthafter, militärisch
ausgerichteter Mensch war, dass er diese Werte, Ehrgefühl und alle diese Werte des
19.Jahrhunderts internalisiert hatte. Dass ihn auch sein Erzieher im politischen
Bereich, Metternich, sehr, sehr stark beeinflusst hat – das ist alles, was eine sehr,
sehr lange Kontinuität bis zu seinem Tod gehabt hat."
Sprecher:
Die Anforderungen an einen Habsburger Monarchen waren beträchtlich. Denn sein
Reich ließ sich durch Bezeichnungen wie "Österreich-Ungarn", "K.-und-K." oder
"Doppelmonarchie" nur grob skizzieren, das zeigt die offizielle Liste seiner Titel:
Zitator:
Franz Joseph I. von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, König von Ungarn und
Böhmen, von Dalmazien, Croatien, Slavonien, Galicien, Lodomerien und Illyrien,
König von Jerusalem; Erzherzog zu Österreich, Großherzog von Toskana und
Krakau, Herzog von Lothringen, von Salzburg, von Steyer, Kärnthen, Krain und der
Bukowina, Großfürst zu Siebenbürgen; Markgraf von Mähren; Herzog von Ober- und
Niederschlesien, von Modena, Parma, Piacenza und Quastalla, von Auschwitz und
Zator, von Teschen, Friaul, Ragusa und Zara; gefürsteter Graf von Habsburg und
Tyrol, Kyburg, Görz und Gradiska, Fürst von Trient und Brixen, Markgraf von Oberund Niederlausitz und in Istrien, Graf von Hohenems, Feldkirch, Bregenz,
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Sonnenberg, etc., Herr von Triest, von Cattaro und auf der Windischen Mark,
Großwojwode der Wojwodschaft Serbien, etc., etc.
Sprecher:
Zeitweilig umfasste Franz Josefs Reich – nach Russland - das zweitgrößte
Staatsgebiet in Europa mit fast einem Dutzend Amtssprachen. Franz Joseph
versuchte seiner Pflicht als Regent dieses Reichs mit akribischer Arbeit gerecht zu
werden. Michaela Pfundner von der Österreichischen Nationalbibliothek hat 2016
eine Ausstellung mit dem Titel "Der ewige Kaiser" verantwortet.
Michaela Pfundner:
"Es wird immer wieder gesagt: Er sei kein Mann des Wortes, er hätte nicht gern
gelesen. Er hat sehr wohl gelesen, er studiert Akten – den ganzen Tag. Er steht um
halb vier auf, frühstückt a bisserl was – und dann setzt er sich hin und studiert Akten.
Sprecher:
Dieses bürokratische Vorgehen entsprach der Persönlichkeit dieses Mannes. Franz
Joseph war eher introvertiert und unsicher, was er hinter Gleichmut – der
"Contenance" – verbarg. Ob er tief innerlich anders empfand oder tatsächlich
gefühlsarm war, darüber rätseln Franz Joseph-Experten bis heute:
Michaela Pfundner:
"Franz Joseph ist ganz schwer fassbar. Man hat irgendwie das Gefühl: Jetzt hat man
ein kleines Stück von ihm – und er flutscht einem schon wieder durch die Finger. Der
hat das Problem: Der Kaiser ist a bisserl fad. Ja, er ist also fleißig, er ist nicht
besonders begabt. Er ist einfach, was auch Schüler auszeichnet: Was sie nicht durch
Genialität oder – die machen das durch Fleiß wett. Und der Franz Joseph macht
vieles durch Fleiß."
Musik
Johann Strauß Sohn, "Revolutions-Marsch", op.54
Zitator:
"Sein Verstand ist scharf. Sein Fleiß in den Geschäften, besonders in seinem Alter,
bewunderungswürdig. Er arbeitete ernstlich wenigstens zehn Stunden am Tage. Sein
Anstand ist würdevoll, sein Benehmen gegen alle Leute überaus höflich, aber etwas
trocken."
Sprecher:
So urteilt Franz Josephs erster Regierungschef, Reichskanzler Fürst Schwarzenberg
über den "jungen Mann" auf dem Thron. Dass er Ende 1848 Regent wird, hat Franz
Joseph den Fehlern seines kaiserlichen Onkels und seines Vaters zu verdanken: Sie
blocken in den unruhigen Monaten bis zum Frühjahr 1848, dem so genannten
"Vormärz", alle Forderungen ab, ihren Untertanen ein Parlament und eine
Verfassung zu gewähren. Als die Unruhen und Proteste in Österreich wie in ganz
Westeuropa überhand nehmen – Johann Strauß Sohn komponiert als Begleitmusik
einen "Revolutions-Marsch" – ist es zu spät.
4
Der langjährige Reichskanzler Metternich flieht aus dem brodelnden Wien nach
London, der kaiserliche Clan zieht sich ins ruhige Olmütz in Böhmen zurück. Er ist
gewaltig unter Druck und braucht für sein politisches Überleben einen
Befreiungsschlag. Den inszeniert er am 2. Dezember 1848: An einem einzigen
Vormittag peitscht die Habsburger Dynastie einen Macht-Übergang durch: die
Abdankung von Kaiser Ferdinand, den Thronverzicht von Erzherzog Franz Karl und
die Krönung von Franz Joseph zum Kaiser. Ein glänzender Coup, der Veränderung
verspricht und dabei Kontinuität wahrt. Der Wiener Historiker Professor Karl Vocelka.
Karl Vocelka:
"Es ist aber natürlich auch in dieser ganzen Situation so, dass der Franz Joseph mit
seinen 18 Jahren junges, frisches Blut war und daher man sich von ihm wirklich eine
Art Neuanfang erwartet hat. Und da schaut ja auch so aus. Als er zum Herrscher
gemacht wird, ist er ja ein konstitutioneller Monarch. Er hat nur diese Verfassung
innerhalb von ganz kurzer Zeit beseitigt. Man nennt das den "Neoabsolutismus", der
allerdings sehr viel arbeitsfähiger war als der Absolutismus in der Vormärz-Epoche."
Sprecher:
Die Monarchie muss aus der politischen Defensive herausfinden. Das gelingt ihr mit
einem Balanceakt aus Konzilianz und Beharrungsvermögen. Im Prinzip ist der junge
Kaiser nämlich rundherum altmodisch. In seinem Lebensstil äußert sich das im
Verzicht auf die damals noch neumodischen Badezimmer und auf Toiletten in seinen
Privat-Gemächern. Und politisch bekennt er sich zur antiquierten Idee des
"Gottesgnadentums". Den Nationalstaat – das große politische Konzept des
19.Jahrhunderts – lehnt er ab, betont Biograph Vocelka:
Karl Vocelka:
"Grundsätzlich sieht er eigentlich die nationalen Wünsche der Völker als eine Form
von Revolution. Und gegen die ist er natürlich. Er hat kein Verständnis für die
Einigung Italiens, die Einigung Deutschlands. Das sind alles Dinge, die ihm
sozusagen zuwider laufen.
Atmo:
Wien, Fiaker-Fahrt
Sprecher:
Wie anders die Zeit von Franz Joseph war, gemächlicher und ruhiger, spürt bereits,
wer bei einem Wien-Besuch eine Fiaker-Fahrt macht. Was wir heutzutage als
‚Entschleunigung‘ erleben, ist im 19.Jahrhundert Normaltempo. Pferdekutschen sind
auf kürzeren Strecken weiter wichtigstes Transportmittel; Eisenbahnen kommen erst
allmählich auf.
Wie die vielen Kutschen aussahen, die der Monarch persönlich im Alltag wie zur
Staats-Repräsentation nutzte, zeigt in einem Seitentrakt von Schloss Schönbrunn die
"Kaiserliche Wagenburg" – quasi das Fuhrpark-Museum der Habsburger. Kurator
Mario Döberl:
5
Mario Döberl:
"Der Franz Joseph war das Gegenteil von einem "early adapter": Er hat erst zu
einem Zeitpunkt als es schon in allen Marställen Europas Automobile gegeben hat,
hat er die erste Automobilfahrt bestritten. Das war 1908. Aber er blieb im Grunde bis
an sein Lebensende tief dem Kutschenzeitalter verhaftet. Er blieb auch ein Mann des
Pferdes."
Atmo:
Wagenburg
Sprecher:
Die Schau versucht auch zu beleuchten, wie geschickt die Monarchie ihre Fahrzeuge
als Mittel symbolischer Politik nutzte. Die schlichten Kutschen, die Franz Joseph im
Alltag bestieg, um zwischen Schloss Schönbrunn und der Hofburg zu pendeln,
sollten seine Bescheidenheit betonen. Und was die Kleidung anging, erklärt Mario
Döberl, so zeigte sich Franz Joseph in nur drei Typen von Garderobe:
Mario Döberl:
"Entweder in militärischer Uniform – das war meistens der Fall. Oder in Jagdkleidung
oder im Ordensornat. Also wenn er zum Beispiel militärische Uniform getragen hat,
dann hat er auch militärische Tugenden unterstrichen. Wie Tapferkeit oder
Pflichtbewusstsein oder auch Korrektheit. Und wenn er eine Jagdkleidung getragen
hat, dann konnte er sich als Mann mit privaten Leidenschaften zeigen.
Sprecher:
Doch anfangs war der Erfolg dieser Symbol-Politik bescheiden. Viele Untertanen
vergaßen zunächst nicht, dass der junge Kaiser letztlich alle liberalen Hoffnungen der
Revolutionsjahre 1848/49 abgewürgt hatte. 1853 hätte der Monarch seine BetonPolitik beinahe mit dem Leben bezahlt. Denn am 18. Februar meldete die
"Österreichisch-Kaiserliche Wiener Zeitung" ein Attentat auf Franz Joseph:
Zitator:
"Seine Majestät wurde heute halb 1 Uhr während eines Spazierganges auf der
Bastei nächst dem Kärtnertore von einem Individuum meuchlerisch von rückwärts
angefallen und mit einem Küchenmesser in der Gegend des Hinterkopfes verletzt."
Musik:
Johann Strauß Sohn: "Kaiser Franz Joseph Rettungs-Jubel-Marsch"
Sprecher:
"Elyen Kossuth – Es lebe Kossuth!" ruft der Attentäter János Libényi, ein junger
Schneider aus Ungarn. Das Hoch auf den Anführer der ungarischen
Freiheitsbewegung von 1848 zeigt klar: Die Tat soll die Unterdrückungspolitik der
Habsburger rächen. Franz Joseph kommt mit leichten Schnittwunden davon - was
Johann Strauß zu jenem "Rettungs-Jubel-Marsch" veranlasst, der auch Motive von
Haydns "Kaiser-Hymne" enthält.
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Sprecher:
Die Wende zu einem Staatsoberhaupt, dem auch Bewunderung und Verehrung
entgegen gebracht wurden, gelang Franz Joseph nur allmählich. Und dann auch
nicht wegen seiner Politik, sondern mithilfe jener privaten Entwicklungen, die seither
vor allem in der Klatschpresse und in den Massenmedien des 20. Jahrhunderts
immer wieder dargestellt worden sind, kurz: mithilfe von "Ihr":
Filmausschnitt "Sisi":
"Erzählen Sie mir noch ein bisserl von Ihr. – Von mir? Da gibt’s nicht viel zu erzählen.
Meine Lieblingsbeschäftigung ist reiten. – Ja, wirklich – meine auch. – Meine
Lieblingsblumen sind rote Rosen. – Meine auch! – Und meine Lieblings-Mehlspeis‘
ist Apfelstrudel. – Meine auch!
Sprecher:
So schmalzig die Dialoge in den "Sisi"-Filmen auch klingen mögen – es hatte wirklich
"gefunkt" zwischen den beiden. Die Beziehung zwischen dem jungen Monarchen und
der 17-jährigen bayerischen Prinzessin Elisabeth Amalie Eugenie, genannt Sisi,
gipfelte im April 1854 in einer Liebesheirat, gestehen selbst die skeptischsten
Historiker zu. Allerdings hielt das private Glück nur kurz, sagt der Franz-JosephBiograph Karl Vocelka – und gibt den strengen Vorschriften am Wiener Hof die
Schuld:
Karl Vocelka:
"Die Elisabeth ist sehr frei und unbekümmert in Possenhofen aufgewachsen, ohne
Repräsentationspflichten und Zeremoniell, kommt dann in dieses steife
Hofzeremoniell und die Hofgesellschaft hat sie nicht wirklich akzeptiert und das hat
sie auch zu spüren bekommen. Aber in letzter Instanz geht die Ehe doch mehr
schlecht als recht, aber doch dahin. Der Franz Joseph hat die Elisabeth bis zum
Ende – oder: bis zu ihrem Ende – sehr geliebt."
Sprecher:
Obwohl die politische Rollenaufteilung klar ist – er regiert, sie ist "nur" Gattin – nutzt
der Kaiser mitunter Elisabeths Charme, wenn es diplomatisch heikel wird. Zum
Beispiel 1867, als Elisabeth durch ihre guten Kontakte zu führenden Politikern in
Budapest hilft, eine Aussöhnung mit der ungarischen Reichshälfte zustande zu
bringen.
Musik:
Franz Liszt: Ungarische Krönungsmesse "Gloria"
Sprecher:
Doch zeigt schon die Musik, zu der Franz Joseph am 8.Juni 1867 in Budapest zum
ungarischen König gekrönt wird, wie heikel die Vereinbarung ist. Denn der Komponist
der "Krönungsmesse", Franz Liszt, darf sein eigenes Werk beim feierlichen
Gottesdienst nicht dirigieren – weil er Ungar ist. Chor und Orchester leitet der
Österreicher Gottfried Preyer.
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Sprecher:
Der "Ausgleich" genannte Vertrag mit den Ungarn zählt zu den wenigen nachhaltigen
politischen Erfolgen von Franz Joseph. Obwohl er teuer erkauft ist, denn die Ungarn
erhalten ein eigenes Parlament und große Steuer-Autonomie. Die HabsburgerMonarchie muss diese Zugeständnisse schlucken, wenn sie zeigen will: Es geht
nach Gebietsverlusten in Oberitalien 1859 und dem verlorenen Krieg gegen Preußen
1866 nicht nur bergab.
Atmo:
Wien Trambahn
Sprecher:
Politische Symbolik hat neben zweckmäßigen Überlegungen auch die
Stadterneuerung von Wien, die Franz Joseph per Dekret anstößt. Der Abriss der
Stadtmauer Wiens und der Bau eines Prachtboulevards – der "Ringstraße" – an ihrer
Stelle soll den Aufbruch in die Moderne zeigen.
Atmo:
Wien Trambahn
Sprecher:
An der neuen Ringstraße werden Wiens Repräsentations-Bauten errichtet Parlament, Burgtheater, Staats-Oper und Börse. Das "Leuchtturm-Projekt" soll
bemänteln, wie sehr Franz Josephs Reich wirtschaftlich und sozial anderen
Großmächten hinterher hechelt. Eine Teilschuld daran habe auch Franz Joseph
getragen, findet Alma Hannig, Historikerin an der Universität Bonn und Autorin
mehrerer Bücher über die Habsburger:
Alma Hannig:
"Manche sagen, es fehlte der Architekt und es gab nur einen Bastler, der immer
versucht hat, noch etwas zu flicken, aber keine weitere Vision gehabt hat. Und er
reagiert auf alles, was passiert, eben einen Tick zu spät. Ob das die militärische
Situation ist, ob es die wirtschaftliche Lage ist, die soziale Lage ist. Diese
Vorstellung, dass er im Grunde erst dann handelt, wenn es gar nicht anders geht,
wenn das Ende dann bevorsteht – das ist leider ein Teil seines Charakters."
Sprecher:
Gleichwohl nahmen Nimbus und Beliebtheit des Kaisers allmählich zu: Das lag
allerdings weniger an Franz Josephs Qualitäten als Staatschef als an einer
geschickten Inszenierung seiner Herrschaft. Die Hofpropaganda griff dafür das
Regierungsmotto "Viribus unitis" auf – "mit vereinten Kräften" – und verherrlichte
Franz Joseph als große "Vaterfigur" eines auseinander driftenden Imperiums.
Alma Hannig:
"Kinderbücher, Schulbücher sind voll davon. Es gibt große Feste, die man zu
unterschiedlichen Anlässen veranstaltet und das ist natürlich ein Teil des Aufbaus
dieser Persönlichkeit, die immer wie ein Vater oder ein Großvater so über das ganze
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Land herrscht und alle vereint. Und das ist ganz wichtig, dass man das auch so sieht,
dass damit Generationen aufgewachsen sind."
Sprecher:
Die steigende Sympathie für den Kaiser ließe sich aber auch erklären mit der
Anteilnahme Mitgefühl seiner Untertanen. Denn Franz Joseph erlebt eine Reihe
schwerer privater Schicksalsschläge. Zunächst 1889 den Selbstmord seines Sohnes,
Kronprinz Rudolf, mit seiner Geliebten Mary Vetsera im Jagdschloss Mayerling.
Rudolf lag mit seinem Vater zwar "über Kreuz" – er war seinem Vater zu weich, zu
liberal und intellektuell. Doch trieb sein Tod auch die Beziehung zwischen Kaiser und
Kaiserin in die Krise.
Karl Vocelka:
Ganz dramatisch wird’s dann eigentlich nach dem Selbstmord – vom Kronprinzen
Rudolf. Da reist sie eigentlich sehr wirr und ungeordnet in Europa herum. Aber davor
muss man sich davor hüten, das zu übertrieben, diese Abwesenheit der Elisabeth."
Atmo:
Wien, Mexikoplatz
Sprecher:
Ausgerechnet 1898 – das Jahr seines 50. Thronjubiläums – wird für Franz Joseph
dann zum Schreckensjahr. Eine Ahnung davon bekommt heute noch, wer am Wiener
Mexikoplatz durch tobende Kinder hindurch in die "Franz von Assisi-Kirche" geht:
Ursprünglich hieß das Gotteshaus "Kaiser-Franz-Joseph-RegierungsJubiläumskirche". Die Pläne stammten aus dem Jahr des Thron-Jubiläums. Doch alle
Feierlichkeiten werden am 9. September 1898 jäh überschattet von der Ermordung
Elisabeths. Ein italienischer Anarchist stößt ihr in Genf bei einem Spaziergang eine
Feile in den Brustkorb. Elisabeth stirbt binnen weniger Stunden. An die JubiläumsKirche wird deshalb ein Anbau angefügt – die "Elisabeth-Kapelle", deren düstere
Mosaiken und Marmor-Schmuck Kirchenbesucher durch eine Gittertür hindurch
betrachten können. Franz Joseph äußert sich zum Tod seiner Gattin in einem
"Aufruf", der wie alle diese Schreiben mit der Formel "An meine Völker" begann:
Zitator:
"Die schwerste, grausamste Prüfung hat Mich und Mein Haus heimgesucht. Meine
Frau, die Zierde meines Thrones, die treue Gefährtin, die Mir in den schwersten
Stunden Meines Lebens Trost und Stütze war – an der ich mehr verloren habe, als
Ich auszusprechen vermag, ist nicht mehr. Ein entsetzliches Verhängnis hat sie Mir
und Meinen Völkern entrissen."
Sprecher:
Neben der "treuen Gefährtin" hatte Franz Joseph indes bereits seit Jahren eine
Freundin: Die Burgschauspielerin Katharina Schratt war 23 Jahre jünger und war
dem Kaiser von Sisi selbst vorgestellt worden – eventuell mit dem Hintergedanken,
so die Ehe-Pflichten loszuwerden. Was Monarch und Mätresse aneinander hatten,
zeige ihr Briefverkehr – so Michaela Pfundner von Österreichs Nationalbibliothek:
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Michael Pfundner:
"Diese Briefe sind natürlich in ihrer Form noch immer sehr formal, man wird da jetzt
keine pikanten Details finden. Aber sie sind schon sehr persönlich und sehr privat.
Und man sieht, was ihn bewegt und dass er durchaus an Tratsch aus dem
Burgtheater interessiert ist. Oder wie wichtig ihm ist, dass sie seinen Schmuck trägt.
Also er kommt zu ihr, und ist quasi der "private Kaiser". Und sie ist sehr diskret – also
bis zu ihrem Tod gelingt es niemandem, ihr auch nur ein Wort zu entlocken."
Sprecher:
Neben der privaten Freundin hätte Franz Joseph allerdings auch einen politischen
Vertrauten als Berater gebraucht. Denn in Europa heizt sich die Stimmung Anfang
des 20. Jahrhunderts immer weiter auf. Auf dem Balkan fleddern die Großmächte
sozusagen den Leichnam des auseinanderfallenden Osmanischen Reichs. Dadurch
geraten die Machtbalancen in Europa deutlich ins Wanken, die Kriegsgefahr wächst,
erklärt der Historiker Vocelka:
Karl Vocelka:
"Auf der einen Seite wünscht sich der Franz Joseph die gute alte Zeit zurück, also
die drei großen konservativen Mächte in Europa: die Deutschen, die Russen und die
Habsburger Monarchie, die zusammenarbeiten. Aber in letzter Instanz klappt das
nicht wirklich, weil die Interessenskonflikte sehr groß gewesen sind. Also das war
wirklich eine teuflische Geschichte, diese Balkan-Situation – da ändert sich die
Situation wöchentlich."
Sprecher:
1914 explodiert die Lage auf dem Balkan. Im Juni wird Franz Josephs Neffe der
österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo ermordet, Ende Juli erklärt
Österreich Serbien den Krieg, der Beginn des Eersten Weltkriegs. Bis heute rätselt
die Welt, ob Kaiser Franz Joseph hineinstolperte in diesen Konflikt. Sicher ist, dass
ihn Minister und Generäle drängten, gegenüber Serbien und seiner Schutzmacht
Russland Härte zu zeigen. Das Bemerkenswerteste an der Politik Wiens aber war ein
Manko, meint die Historikerin Alma Hannig:
Alma Hannig:
"Das Spannende an Österreich-Ungarn auch vergleichbar mit Deutschland ist, dass
man in diesen Krieg reingeht, ohne überhaupt ein Ziel zu haben. Und das einzige
Ziel, was dann wirklich 1914 formuliert wird, funktioniert nicht. Und das ist natürlich
auch zutiefst deprimierend."
Atmo:
Trommelwirbel
Sprecher:
Der Monarch nimmt im Krieg kaum mehr Einfluss auf die Strategie seiner Militärs und
beschränkt sich auf Symbolpolitik – etwa in dem er seine Technik – Skepsis
überwindet und in einer Tonaufnahme seine Unterstützung für einer
Wohltätigkeitsorganisation der Armee bekundet:
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Archiv-Ton Franz Joseph:
"Ich begleite das Wirken des Österreichischen Militär-Witwen- und Waisenfonds mit
meinen herzlichsten Wünschen. Möge seinen edlen Bestrebungen zum Wohle
meiner braven Krieger voller Erfolg beschieden werden."
Sprecher:
Schwere Niederlagen haben die Aussichten der Wirtschaft wie der Militärs zu dieser
Zeit bereits verdüstert. Franz Joseph versucht, die Lage durch sein altes Rezept zu
meistern: mit viel Arbeit am Schreibtisch. Doch im Herbst 1916 lässt seine lange
robuste Gesundheit nach: Er erleidet eine Lungenentzündung. Binnen weniger Tage
verschlechtert sich sein Zustand. Am 21. November 1916 stirbt er abends im Schlaf.
Umstände, die der Hof ein letztes Mal nutzt, um das Image der Monarchie
aufzupolieren, meint Michaela Pfundner:
Michaela Pfundner:
"Bitte mich um halb vier zu wecken, ich bin mit meiner Arbeit nicht fertig geworden" –
das sind die berühmten letzten Worte vieler berühmter Personen. Es drückt
irgendwie sein Leben aus: dieses Beamtentum, der erste Diener des Staates, der
Fleißige. Wenn es nicht wahr ist – dann gibt’s etwas wieder, was Franz Joseph ganz
gut charakterisiert."
Sprecher:
Der Tradition entsprechend wird der Kaiser-Leichnam in die "Kapuzinergruft" am
Wiener Neuen Markt gebracht – der Grablege der Habsburger-Dynastie. Dort steht
der Sarkophag bis heute, auf Marmorsockeln ruhend, in einer Dreiergruppe:
Atmo:
Führung in der Kapuzinergruft
Sprecher:
Typisch ist: Die Fremdenführerin, die an diesem Tag mit einer Schulklasse in der
Gruft steht, redet mehr über Sisi und Rudolf als über Franz Joseph: Sie bieten
einfach mehr Stoff für Anekdoten und Tratsch als der einstige, ewige Monarch.
Musik:
Kaiserwalzer
Sprecher:
Franz Josephs Nachfolger, sein Großneffe, der junge Kaiser Karl II., wirkt nach der
Generationen übergreifenden, scheinbar ewigen Ära Franz Josephs fast wie ein
Postscriptum, ein Anhängsel. Ihm bleibt nicht mehr die Zeit, die Donaumonarchie zu
retten. 1918 muss er ins Exil gehen. Der Historiker und Franz Joseph-Biograph
Vocelka:
Karl Vocelka:
"Viele Zeitgenossen haben den Tod Franz Josephs sozusagen als Vorzeichen des
Endes der Habsburger Monarchie gesehen. Realiter ist es natürlich nicht das Ende,
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sondern der Karl übernimmt sozusagen "ganz regulär" die Herrschaft. Allerdings in
einer wirklich sehr, sehr schwierigen Situation, um die er auch nicht zu beneiden
war."
Sprecher:
Selbst seine Gegner spürten im November 1916, dass sich eine Epoche ihrem Ende
zuneigte. Typisch formulierte es das ansonsten sehr Habsburg-kritische Zentralorgan
der sozialdemokratischen Partei Österreichs, die "Arbeiter-Zeitung", in einem
Nachruf:
Musik:
Kaiserwalzer
Zitator:
"Denn bei einem so langen Regieren wohnt eine verbindende Kraft inne, die selbst
von Regententugend unabhängig ist und ihre Wirksamkeit schon aus ihrer Dauer
empfängt. Durch die Dauer der Regierung Franz Josephs ist jenes Gefühl der
Beständigkeit erzeugt worden, das gerade in diesem zerrissenen und schwankenden
Staate wohltätig wirkte."
*****
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