Rechtssicher ell pflegen & führen aktu ➫ Arbeitsrecht Kirchennahe Pflegeunternehmen: Das etwas andere Arbeitsverhältnis Eine Pflegekraft aus RheinlandPfalz war in einem Alten- und Pflegeheim beschäftigt. Dieses unterstand dem Bischöflichen Stuhl und gehörte zum Deutschen Caritasverband. Als die Mitarbeiterin dem Pflegeunternehmen mitteilte, dass sie aus der Kirche ausgetreten war, kündigte man ihr. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat dies für rechtens erklärt (Az. 7 Sa 250/08). Wie kann es sein, dass Kirchen einen derartigen Sonderstatus besitzen? Wie weit gehen ihre Rechte? Und welche Loyalitäten werden den Mitarbeitern der kirchlichen bzw. kirchennahen Pflegeunternehmen abverlangt? Sonderstellung für die Kirchen Kirchen spielen in Deutschland als Träger von Pflegeunternehmen und damit auch als Arbeitgeber eine wichtige Rolle. Noch dazu genießen sie eine ganz besondere Stellung. Auf der einen Seite gibt es in Deutschland zwar eine Trennung von Staat und Kirche, andererseits wird die Religionsausübung aber für etwas Öffentliches und „Staatstragendes“ gehalten. Doch damit nicht genug: Den Kirchen wird vom Grundgesetz ein relativ weitgehendes Selbstbestimmungsrecht eingeräumt. Geregelt ist dies in Art. 140 des Grundgesetzes. Kirchliche Selbstbestimmung im Arbeitsrecht Die (unvollkommene) Trennung von Staat und Kirche auf der einen Seite und das Selbstbestimmungsrecht der Kirche auf der anderen Seite führen im Arbeitsrecht zu manchen Streitigkeiten. Der Grundkonflikt besteht darin: Jede Religionsgesellschaft ordnet ihre Angelegenheiten selbst, also auch die Arbeitsverhältnisse zwischen der Kirche bzw. kirchennahen 2 Einrichtung und ihren Mitarbeitern. Doch wie weit geht dieser kirchliche Sonderweg? Und inwiefern darf der Staat sich einmischen, z. B. über die weltlichen Gerichte? Diese Fragen müssen auf drei Ebenen geklärt werden: zum einen im individuellen Arbeitsrecht – wo die Kirche bestimmte Anforderungen an Moral und Loyalität stellen darf. Kann also beispielsweise ein Pflegeunternehmen der Caritas einer Pflegekraft kündigen, weil diese sich hat scheiden lassen und somit gegen katholische Loyalitätspflichten verstoßen hat? Das Verhältnis von Kirche und Staat prallt auch im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung aufeinander. Hier geht es um Fragen der Mitarbeitervertretung. Ebenso wie die überbetriebliche Mitbestimmung soll das hier nicht weiter vertieft werden. Bei dieser beschreiten die Kirchen den sogenannten Dritten Weg: Arbeitsbedingungen werden durch besondere Gremien festgelegt. Tarifverhandlungen finden nicht statt, man entscheidet im Miteinander. Das Heikelste dabei ist, dass Arbeitskampfmaßnahmen tabu sind. § gelungen, die dieses Selbstbestimmungsrecht ausformulieren? Für katholische Einrichtungen wurde dazu 1993 auf einer Bischofskonferenz die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ (Grundordnung, GrOkathk) verabschiedet. Die Grundordnung gilt sowohl für die Kirche selbst als auch für rechtlich selbständige Einrichtungen, also insbesondere für Einrichtung des Deutschen Caritasverbandes. Die Grundordnung enthält Rechtsvorschriften über: u die Begründung von Arbeitsverhältnissen u Loyalitätsobliegenheiten für ein Arbeitsverhältnis und das Verfahren bei deren Verletzung u kollektives Arbeitsrecht u gerichtlichen Rechtsschutz Nach Ansicht der Kirchen setzt das weltliche Arbeitsrecht zu sehr auf Konfrontation. Zwar will das kirchliche Arbeitsrecht das Gegeneinander von Interessen nicht negieren, möchte es jedoch in andere Bahnen lenken. Dies fußt – in der Nachfolge Jesu – auf dem Gedanken der „Gemeinschaft des Dienstes“. In der evangelischen Kirche hat der Rat der evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) im Jahr 2005 die Richtlinie über die Anforderungen der privatrechtlichen Mitarbeit in der EKD des diakonischen Werkes der EKD (EKD-Loyalitätsrichtlinie) erlassen. Sie spricht lediglich eine Empfehlung an die Gliedkirchen aus und enthält keine Regelungen für das kollektive Arbeitsrecht sowie den gerichtlichen Rechtsschutz. Normiert werden immerhin: u G rundlagen des kirchlichen Dienstes u berufliche Anforderungen bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen u berufliche Anforderungen während des Arbeitsverhältnisses u Umgang mit Verstößen Rechtsquellen Die Kirchenklausel Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ist im Grundgesetz garantiert. Doch wo finden sich die Re- Außer den kircheneigenen Regelungen gibt es noch eine Vorschrift im Allgemeinen Gleichbehandlungs- Leitgedanke „Dienstgemeinschaft“ Der haftungssichere Rechtsberater für Profis in der Pflege § ➫ Arbeitsrecht gesetz (AGG), die sogenannte Kirchenklausel. Sie steht in § 9 Abs. 2 AGG. Darin heißt es, dass die Kirche von ihren Mitarbeitern ein „loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses“ verlangen darf. § 9 Abs. 1 AGG geht noch weiter und formuliert, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist, wenn sie nach dem Selbstverständnis der Kirche entsprechend der übertragenen Aufgaben eine „berufliche Anforderung“ darstellt. Diese Vorschrift macht immerhin deutlich, dass der Gesetzgeber nicht jedes kirchliche Selbstverständnis als Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung durchgehen lässt. Soll in einem Pflegeunternehmen beispielsweise eine Pflegekraft eingestellt werden, die u.a. auch seelsorgerisch tätig ist, so darf die Kirche sicherlich andere Maßstäbe anlegen, als wenn es sich um die Einstellung einer „normalen“ Pflegekraft handelt. Besonderheiten in der Auswahlphase Die Kirchenklausel des AGG kann bereits im Bewerbungsverfahren eine Rolle spielen. Zunächst einmal gilt, dass die Kirche selbstverständlich frei darin ist, Mitarbeiter auszuwählen, die ihr genehm sind. Dies hat weniger etwas mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche zu tun, sondern vielmehr mit dem Gedanken der Vertragsfreiheit. Gleichwohl stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, was ein kirchlicher Arbeitgeber beim Bewerbungsgespräch abfragen darf. Die Kirchenklausel erlaubt es grds., den Bewerber daraufhin abzuklopfen, ob er sich entsprechend dem Selbstverständnis der jeweiligen Kirche loyal verhalten wird. Jedoch: Darf der Bewerber bspw. nach seiner sexuellen Orientierung befragt werden? Vergleichsweise harmlos erscheinen da noch die Frage nach Ehe, Familie und Scheidung. www.rechtssicher-pflegen.com | Auf die „Verkündigungsnähe“ kommt es an Beim Fragerecht des Arbeitgebers, bei einer Kündigung und auch in anderen Konstellationen kommt es darauf an, welche Loyalitätsobliegenheiten die Mitarbeiter haben. Und inwieweit weltliche Gerichte dies überprüfen dürfen. Aktueller Stand der Dinge: u In einem ersten Schritt müssen die Gerichte zunächst untersuchen, ob die religiöse Begründung überhaupt plausibel und nicht willkürlich ist. u In einem zweiten Schritt dürfen sie sogar eine inhaltliche Bewertung vornehmen. Dabei dürfen sie sich jedoch nicht über das religiöse Selbstverständnis hinwegsetzen. Gegebenenfalls müssen sie bei kirchlichen Stellen nachfragen. Die Kriterien, die weltliche Gerichte bei ihrer Beurteilung von Loyalitätsobliegenheiten anlegen dürfen, können Sie aus der Checkliste ersehen. Ein ganz besonderes Kriterium ist die „Verkündigungsnähe“: Je näher der Mitarbeiter zur Verkündigung steht, umso stärker sind seine Loyalitätsobliegenheiten. Das bedeutet konkret: Eine Putzkraft einer kirchlich getragenen Pflegeeinrichtung darf womöglich noch nicht einmal nach einem religiösen Be- Checkliste: Loyalitäts obliegenheiten verletzt? uA rt und Gewicht der Verletzung uA usmaß der Glaubwürdigkeitsgefährdung uB elastung der kirchlichen Dienstgemeinschaft uA rt der kirchlichen Einrichtung uC harakter der übertragenen Aufgabe uN ähe der Aufgabe zum Verkündigungsauftrag der Kirche („Verkündigungsnähe“) u S tellung des Mitarbeiters in der Einrichtung Login: pflegerecht | kenntnis gefragt werden. Eine Pflegekraft hingegen schon. Und der Leiter eines Pflegeunternehmens muss sich noch weitergehende Fragen, eventuell sogar nach seiner familiären Situation, gefallen lassen. Obliegenheiten können nicht eingeklagt werden Kommt man nach den zuvor geschilderten Kriterien zu dem Ergebnis, dass eine Loyalitätsobliegenheit besteht, so liegt damit noch keine Loyalitätspflicht vor. Der Unterschied ist durchaus beachtlich: Eine Pflicht kann eingeklagt werden, eine Obliegenheit jedoch nicht. Wird die Obliegenheit allerdings verletzt, so kann dies Nachteile mit sich bringen. Das bedeutet für das kirchliche Arbeitsverhältnis: Wenn sich ein Mitarbeiter bspw. für eine extremistische Gruppe engagiert, dann kann er nicht gezwungen werden, dies zu unterlassen. Schon gar nicht kann dies eingeklagt werden. Aber er kann ermahnt, abgemahnt oder schließlich sogar gekündigt werden. Bei Einstellung werden Bedingungen akzeptiert Abschließend noch zu dem eingangs geschilderten Fall aus Rheinland-Pfalz. Die Richter des Landesarbeitsgerichts hielten die Kündigung der aus der Kirche ausgetretenen Mitarbeiterin für wirksam. Zum einen, weil die Pflegekraft bei ihrer Einstellung die Arbeitsbedingungen des kirchlichen Arbeitgebers akzeptiert hatte. Zum anderen sei der Kirchenaustritt ein Bruch mit einem ganz elementaren Selbstverständnis der Kirche gewesen. Da konnten ihr auch eine sechsjährige unbeanstandete Beschäftigungszeit und Unterhaltspflichten gegenüber ihrem Ehemann sowie drei Kindern nicht helfen. Außerdem hat das Gericht es als unerheblich angesehen, dass die Altenpflegerin keinerlei pastorale, katechetische oder leitende Diensttätigkeit hatte. v Passwort: hausverbot 3
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