Warum ein ‚Ja` zum Atomausstieg die Gesundheit

Factsheet Uran
Incomindios
04.11.2016
Warum ein ‚Ja’ zum Atomausstieg die Gesundheit indigener Völker fördert
Die Hintergründe zur Abstimmung
Am 27. November wird in der Schweiz über die „Volksinitiative für den geordneten Ausstieg
aus der Atomenergie“ abgestimmt. Die Initiantinnen und Initianten fordern die Förderung
erneuerbarer Energien sowie ein Verbot der Kernenergie, wobei die fünf bestehenden
Schweizer Kernkraftwerke nach maximal 45 Jahren Laufzeit vom Netz genommen werden
sollen.1 Lanciert wurde das Volksbegehren 2012 durch die Grüne Partei im Verbund mit
anderen Organisationen als Reaktion auf das Reaktorunglück in Fukushima ein Jahr zuvor
und im Bewusstsein, dass sich mit Beznau I das älteste Kernkraftwerk der Welt in der
Schweiz befindet.2
Herkunft von Schweizer Brennstäben unklar
Woher das Uran genau stammt, das in den Schweizer Atomkraftwerken verwendet wird, ist
nicht bekannt. Generell sind die Transportwege der Brennstoffe diffus. 2010 liess sich der
Sprecher des AKWs Mühleberg im ‚Bund’ mit der Aussage zitieren, dass die
Verantwortlichen nicht genau wissen könnten, woher Uran stamme.3 Laut Incomindios,
Public Eye und Greenpeace hat sich jedoch die damalige NOK und heutige AXPO sowie
Gösgen-Däniken AG anfangs der 1980er-Jahren an Explorationen und Uranabbauprojekten
beispielsweise bei den Havasupai im Grand Canyon, Arizona, beteiligt.
Dass die AXPO Uran aus der kanadischen Provinz Saskatchewan bezieht, ist ausserdem
bekannt.4 Wie die Lakota äussern sich auch die dort lebenden Indigenen mehrheitlich
dezidiert gegen den Uranabbau auf ihren Gebieten; seit den 1960er-Jahren beobachten sie
vermehrt Missbildungen bei Neugeborenen. Ähnliche Phänomene wurden bei den Fischen in
den von den Gruben verstrahlten Gewässern festgestellt.5
Uranabbau betrifft insbesondere indigene Völker
Offensichtlich betrifft die Abstimmung zum Atomausstieg nicht nur die Schweizer
Bevölkerung, sondern auch die indigenen Völker: Ungefähr drei Viertel der bekannten
Uranvorkommen befinden sich in ihren Territorien.6 Die weltweit grössten Fördergebiete
befinden sich in Kasachstan, Kanada und Australien. Aber auch in den USA, Russland,
Brasilien sowie in den afrikanischen Ländern Niger, Namibia und Südafrika wird in grossem
Stil Uran abgebaut.7 In den entsprechenden Gebieten leben beispielsweise Tuareg oder
Nama, verschiedenste Gruppierungen der Aborigines sowie in den USA und Kanada die
1
Schweizerische Bundeskanzlei: Eidgenössische Volksinitiative „Für den geordneten Ausstieg aus der
Atomenergie (Atomausstiegsinitiative)“. <https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis407t.html> [08.10.2016].
2
Ja zum geordneten Atomausstieg: Initiative. <https://www.geordneter-atomausstieg-ja.ch/de/argumente.html>
3
Moser, Adrian: Wo das Uran für Mühleberg herkommt, 31.08.2010. <http://www.derbund.ch/bern/stadt/Wo-dasUran-fuer-Muehleberg-herkommt/story/26672587> [Stand: 10.10.2016].
4
Kanada und USA: Uranabbau in indianischen Siedlungsgebieten, Factsheet Uran Greenpeace.
<http://www.greenpeace.org/switzerland/Global/switzerland/de/publication/Nuclear/Factsheet_Uranabbau_USA_u
nd_Kanada.pdf> [Stand: 18.10.2016]; Helena Nyberg.
5
Graetz, Geordan: Uranium mining and First Peoples. The nuclear renaissance confronts historical legacies, in:
Journal of Cleaner Production 84, 2014, S. 343. <http://ac.els-cdn.com/S095965261400287X/1-s2.0S095965261400287X-main.pdf?_tid=494683f2-94fa-11e6-852500000aab0f27&acdnat=1476771517_2af74b0e8a5689cb2ddbdc4c084c6f5d> [Stand: 18.10.2016]
6
Graetz, Geordan: Uranium mining and First Peoples. The nuclear renaissance confronts historical legacies, in:
Journal of Cleaner Production 84, 2014, S. 339-347. <http://ac.els-cdn.com/S095965261400287X/1-s2.0S095965261400287X-main.pdf?_tid=494683f2-94fa-11e6-852500000aab0f27&acdnat=1476771517_2af74b0e8a5689cb2ddbdc4c084c6f5d> [Stand: 18.10.2016].
7
Kernenergie.ch: Der Rohstoff Uran. <https://www.kernenergie.ch/de/uran-und-radioaktivitaet/rohstoff-uranvorkommen-abbau.html> [Stand: 18.10.2016].
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Navajo, Shoshone, Cree, Métis oder die Lakota.8 Wie verheerend sich diese Situation auf die
indigene Bevölkerung auswirken kann, legte der damalige ‚UN Special Rapporteur on the
Rights of the Indigenous Peoples’, James Anaya, in seinem 2012 verfassten Länderbericht
zu den USA dar:
„[...] a history of inadequately controlled extractive and other activities within or near
remaining indigenous lands, including nuclear weapons testing and uranium mining in
the western United States, has resulted in widespread environmental harm, and has
caused serious and continued health problems among Native Americans.“9
Das Leiden der Lakota
Eine der bekanntesten indigenen US-Menschenrechtsaktivistinnen und Uran-Gegnerinnen
ist die Lakota Charmaine White Face. 2002 gründete sie die Umwelt- und
Menschenrechtsorganisation ‚Defenders of the Black Hills’10. Denn auf dem traditionellen
Territorium der Sioux in Teilen Wyomings, Colorados, Montanas sowie North und South
Dakotas befinden sich über 3000 stillgelegten Uranminen. Betroffen ist auch das Gebiet der
Black Hills. Diese sind nicht nur die heiligen Bergen der Lakota, sondern auch ein
internationales Touristenmagnet. Obwohl die Minen „nur“ in den 1940er bis 1980er Jahren
betrieben worden waren11, verstrahlen sie – und dies ist der Öffentlichkeit kaum bekannt –
bis heute nicht nur die umliegenden Gewässer, sondern auch die Luft radioaktiv.12 Die
Region weist so die höchste Krebs-Todesrate der Vereinigten Staaten auf.13 Aus diesem
Grund sprach sich Charmaine White Face bei einem Besuch in Bern im September 2015
dezidiert für einen Schweizer Atomausstieg aus: „Es ist mir ein zentrales Anliegen, dass die
Schweiz schnell und ganz aus der Atomenergie aussteigt, denn: Der Uranabbau ist der erste
Schritt der nuklearen Produktionskette. Er hat nicht nur lokale, sondern auch globale
Folgen.“14 Grundsätzlich sind von diesem „heimlichen Fukushima“ alle Bewohner in den USWeststaaten betroffen, allerdings sind die Konsequenzen für die Indigenen besonders
gravierend, da sich ungefähr drei Viertel dieser stillgelegten Uranminen auf nie vertraglich
8
Graetz, Geordan: Uranium mining and First Peoples. The nuclear renaissance confronts historical legacies, in:
Journal of Cleaner Production 84, 2014, S. 341. <http://ac.els-cdn.com/S095965261400287X/1-s2.0S095965261400287X-main.pdf?_tid=494683f2-94fa-11e6-852500000aab0f27&acdnat=1476771517_2af74b0e8a5689cb2ddbdc4c084c6f5d> [Stand: 18.10.2016]
9
United Nations General Assembly, Human Rights Council. Report of the Special Rapporteur on the rights of
indigenous peoples, James Anaya. The situation of indigenous peoples in the United States of America.
<https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G12/162/70/PDF/G1216270.pdf?OpenElement> [Stand:
08.10.2016].
10
Living Justice Press. Charmaine White Face.
<http://www.livingjusticepress.org/index.asp?Type=B_BASIC&SEC=%7BF107BA0B-2AB5-440F-BB2949AF49AAC7A3%7D> [Stand: 08.10.2016].
11
Jones Jarding, Lilias: Uranium Activities’ Impacts on Lakota Territory, 2010, S. 2, in:
http://www.cleanupthemines.org/wp-content/uploads/2013/11/URANIUM-IMPACTS-IN-LAKOTA-TERRITORY.pdf
[Stand: 08.10.2016].
12
Jones Jarding, Lilias: Uranium Activities’ Impacts on Lakota Territory, 2010, in:
http://www.cleanupthemines.org/wp-content/uploads/2013/11/URANIUM-IMPACTS-IN-LAKOTATERRITORY.pdf; White Face, Charmaine: Report on Water Tests for Radioactive Contaminiation, insbes. S. 1113, 2011. <http://www.defendblackhills.org/document/waterreport32011.pdf> [Stand: 18.10.2016].
13
Rogers, Deborah / Petereit, Daniel G.: Cancer Disparities Research Partnership in Lakota Country: Clinical
Trials, Patient Services, and Community Education fort the Oglala, Rosebud, and Cheyenne River Sioux Tribes,
in: Am J Public Health 95, 2005, S. 2129-2132. <https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1449496/>
[Stand: 09.10.2016]; Haverkamp, Donald / Espey, David / Paisano, Roberta / Cobb, Nathaniel: Cancer Mortality
Among American Indians and Alaska Natives: Regional Differences, 1999-2003.
<https://www.ihs.gov/epi/documents/cancer/9903CMAIANRD.pdf> [Stand: 18.10.2016].
14
Rütti, Toni: Uranabbau in den USA. Das lange Leiden der Lakota, in: ee-news, 21.09.2015. <http://www.eenews.ch/de/article/31976/uranabbau-in-den-usa-das-lange-leiden-der-lakota> [Stand: 18.10.2016].
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abgetretenem Land oder auf Reservatsland befinden.15 Um die sofortige Säuberung dieser
Uranminen zu fordern, haben sich deshalb verschiedene indigene Gruppierungen, unter
ihnen auch die ‚Defenders of the Black Hills’, zur Organisation ‚Clean Up the Mines!’
zusammengeschlossen. Konkret soll erreicht werden, dass der vor zwei Jahren an einen
Kongressabgeordneten übergebene Entwurf eines ‚Uranium Exploration and Mining
Accountability Acts’ vor dem Kongress besprochen und verabschiedet wird. Dieser würde die
teure Säuberung stillgelegter Minen gesetzlich verankern. Denn dies ist bisher noch nicht der
Fall.16
Ungestillter Hunger?
In South Dakota wird indessen weitergekämpft. Nachdem das amerikanische
Justizministerium einen Minenbetreiber aufgrund von Befunden über massiv erhöhte
Strahlungen zu Entschädigungszahlungen von 179 Mio. Dollar für die Säuberungsarbeiten
verklagt hat, steht bereits ein neues Projekt in den Startlöchern: Powertech USA Inc. möchte
im Südwesten des Bundesstaates South Dakota erneut Uran abbauen. Die Firma erwartet,
dass Ende 2017 alle Formalitäten erledigt sein werden und mit der Konstruktion und
Inbetriebnahme der Dewey-Burdock-In-Situ Uran-Mine begonnen werden kann.17 Der
Stammesrat des Oglala Sioux Tribe, der in die Konsultationen der ‚Nuclear Regulatory
Commission’ (NRC) einbezogen wurde, spricht sich vehement gegen diese erneuten
nuklearen Aktivitäten aus. Zwar würde sich der Standort der künftigen Mine nicht auf
Reservatsland befinden. Doch Sorgen bezüglich der Folgen für die Umwelt bestehen
allemal. Und auch kulturelle Bedenken werden angebracht, befindet sich das Fördergebiet
doch an den Ausläufern der Black Hills und somit auf dem traditionellen Stammesland der
Lakota. 2015 gab das ‚Nuclear Regulatory Commission’s Atomic Safety and Licensing
Board’ (ASLB) den Oglala Lakota in diesen Bedenken Recht und rügte sowohl die NRC als
auch Powertech USA Inc. Längerfristig wird das Projekt aber wohl kaum mehr aufzuhalten
sein, denn der Hunger nach Uran bleibt – bisher – ungestillt.18
Unter den Folgen des Abbaus des Rohstoffs leiden indigene Völker ganz besonders. Der
Kampf für eine Welt ohne Atomstrom ist deshalb gleichbedeutend mit einem Engagement für
ihre Rechte. Setzen wir ein Zeichen und legen am 27. September ein ‚Ja’ in die Urne!
15
Horchler, Andras: Amerikas heimliches Fukushima, 09.05.2015, in: Deutschlandradio Kultur.
<http://www.deutschlandradiokultur.de/uranbergbau-in-south-dakota-amerikas-heimlichesfukushima.979.de.html?dram:article_id=320189> [Stand: 10.10.2016].
16
Clean Up the Mines, Press Release: We are the Miner’s Canary: Indigenous Organisations Call for Clean Up of
„Homegrown“ Radioactive Pollution Crisis. <http://www.cleanupthemines.org/press-release-we-are-the-minerscanary-indigenous-organizations-call-for-clean-up-of-homegrown-radioactive-pollution-crisis/> [Stand:
10.10.2016].
17
Siehe dazu: Horchler, Andras: Amerikas heimliches Fukushima, 09.05.2015, in: Deutschlandradio Kultur.
<http://www.deutschlandradiokultur.de/uranbergbau-in-south-dakota-amerikas-heimlichesfukushima.979.de.html?dram:article_id=320189> [Stand: 10.10.2016]; Cook, Andrea J.: Permitting dispute could
delay uranium mining for years, 26.08.2014, in Rapid City Journal:
<http://rapidcityjournal.com/news/local/permitting-dispute-could-delay-uranium-mining-for-years/article_471ce12a5c79-51e1-90a4-832435a99f24.html> [Stand: 10.10.2016]; Dewey Burdock Uranium Project
<http://azargauranium.com/projects/usa/dewey-burdock/> [Stand: 10.10.2016].
18
Summary of Meeting with the Oglala Sioux Tribe Regarding the Dewey-Burdock In Situ Uranium Recovery
Project, 19.05.2016. <http://pbadupws.nrc.gov/docs/ML1618/ML16182A069.pdf> [Stand: 18.10.2016]; Oglala
Sioux Win Consultation Over Uranium Mine in South Dakota, in Indian Country Today, 4.5.2015, in:
<http://indiancountrytodaymedianetwork.com/2015/05/04/oglala-sioux-win-consultation-over-uranium-mine-southdakota-160247> [Stand: 18.10.2016].