21/ 16/157 BMJ-Z8

Bundesministerium für Justiz
Museumstraße 7
1070 Wien
Wien, am 25. Oktober 2016
per E-Mail: [email protected]
21/ 16/157
BMJ-Z8.451/0028-I 4/2016
Urheberrechtspaket der Europäischen Kommission
Referent: Dr. Egon Engin-Deniz, Rechtsanwalt in Wien
Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) ist die gesetzlich
eingerichtete Vertretung der Rechtsanwälte in Österreich und als solche zur
Wahrung der Rechte und Angelegenheiten sowie zur Vertretung der österreichischen
Rechtsanwälte auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene berufen. Als
solcher obliegen ihm besonders die Erstattung von Gesetzesvorschlägen und
Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen sowie die Anzeige von Mängeln der
Rechtspflege und Verwaltung bei der zuständigen Stelle und die Erstattung von
Vorschlägen zur Verbesserung von Rechtspflege und Verwaltung.
Der ÖRAK erlaubt sich, zu dem Urheberrechtspaket der Europäischen
Kommission wie folgt Stellung zu nehmen:
Das Urheberrechtspaket der Europäischen Kommission stellt einen wichtigen
weiteren Schritt zur Harmonisierung verschiedener Teilbereiche des Urheberrechts
dar. Anders als in vielen Bereichen des gewerblichen Rechtsschutzes dominieren im
Urheberrecht zu vielen Fragen des Umfangs von Schutzrechten, der
Rechtseinräumung, aber auch der Rechtsdurchsetzung nationale Vorschriften und
internationale Verträge. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist die fehlende
Regelungskompetenz der Europäischen Union im Bereich des (Urheber-)Strafrechts.
Die nationalen Bestimmungen
lassen jedoch eine effiziente strafrechtliche
Rechtsverfolgung in bestimmten Ländern der Europäischen Union nicht zu. Das
Urheberrechtspaket der Europäischen Kommission klammert naturgemäß den
strafrechtlichen Bereich aus. Er wird auch von der bereits in Kraft befindlichen
Rechtsdurchsetzungsrichtlinie nicht berührt.
Das Urheberrechtspaket bringt thematisch jedenfalls eine aus Sicht des ÖRAK
begrüßenswerte weiter voranschreitende (Teil-)Harmonisierung mit sich. Aufgrund
früherer Harmonisierungsakte der EU besteht aber zugleich eine gewisse
Unübersichtlichkeit, welche Regelungen nun harmonisiert sind und welche weiterhin
dem nationalen Gesetzgeber bzw zwischenstaatlichen Vereinbarungen vorbehalten
bleiben. Es wäre daher wünschenswert, in einem größeren einheitlichen
Rechtssetzungsakt eine Harmonisierung herbeizuführen. Das Urheberrechtspaket
der Europäischen Kommission kann immerhin als Schritt in diese Richtung betrachtet
werden. Die Thematiken sind allerdings sehr unterschiedlich und Teil einer heftigen
rechtspolitischen Diskussion. Das Urheberrechtspaket betrifft:
Ad 1.) Vorschlag für eine Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen
Binnenmarkt (COM(2016) 593 final; 2016/0280 (COD)):
In Art 2 werden gewisse Definitionen vorgenommen, wie etwa „non-for-profit“Organisationen in Art 2 Abs 1 oder in Art 2 Abs 2 die Definition von „text and data
mining“.
Die Definition in Art 2 Abs 1 für „research organisation“ erscheint in lit a den Begriff
einer „non-for-profit“- Organisation etwas eng zu definieren, weil darunter nur solche
„research organisations“ zu verstehen sind, die alle ihre Profite reinvestieren.
Art 3 Abs 4 und 5 betreffen materiell-rechtliche Neuregelungen in Bezug auf die
Ausschließlichkeitsrechte eines Urhebers. Art 3 sieht zunächst eine
Ausnahmeregelung für den Unterricht, die für die digitale Nutzung von Material für
die Veranschaulichung im Unterricht gilt, mit der Option für die Mitgliedstaaten vor,
dies von der Verfügbarkeit entsprechender Lizenzen abhängig zu machen. Die
Ausnahmeregelung ist an sich klar gefasst. Allerdings überlässt Art 3 Z 4 den
Mitgliedstaaten, dass Rechteinhaber und Forschungsorganisationen sich auf eine
"commonly-agreed practice" einigen sollen. Die Kontrolle, ob eine von der
Ausnahmeregelung des Art 3 abweichende Nutzung der "research organisation"
erfolgt, für die dem Urheber Unterlassungsansprüche zustehen, bleibt hier
weitgehend dem Urheber überlassen und ist für diesen daher nachteilig.
Art 4 des Richtlinienentwurfes sieht eine ähnliche Ausnahmebestimmung für
grenzüberschreitende Lehraktivitäten vor, in denen urheberrechtlich geschützte
Inhalte genutzt werden sollen. Gegen diese Regelung besteht inhaltlich kein
Einwand.
Es ist darauf hinzuweisen, dass auch Art 4 Z 4 im Gegensatz zu Art 3 Z 4 vorsieht,
dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen haben, einem verletzten
Rechteinhaber eine angemessene Entschädigung für einen Eingriff, der durch eine
unzulässige Nutzung iSd Art 4 Z 1 begangen wird, zukommen zu lassen. Eine solche
Regelung wäre auch für unzulässiges „text and data mining“ in Art 3 vorzusehen.
Zu Art 4 stellt sich in Umsetzung durch die österreichische Gesetzgebung in Zukunft
die Frage, ob die Privilegierung der Vervielfältigung für Zwecke des Unterrichts in
§ 42 Abs 6 letzter Satz öst UrhG noch aufrecht zu erhalten ist, oder durch die
Ausnahmeregelung nach Art 4 Z 2 weiterhin gedeckt ist.
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Art 5 bis 9 sind rechtspolitisch aus Sicht des ÖRAK erwünscht und stellen keine
Einschränkung für den Gebrauch von „out-of-commerce“-Werken durch "cultural
heritage institutions" dar.
Derzeit ist in Art 7 Z 3 lit c der Richtlinie lediglich vorgesehen, dass der
Rechteinhaber iSd Art 7 Abs 1 lit c der Bestimmung des Werkes als "out-ofcommerce" widersprechen darf. Der Fall, wenn sich der Rechteinhaber dazu
entschließt, das Werk wieder selbst kommerzieller Nutzung zuzuführen, wird jedoch
nicht geregelt. Der Richtlinientext behandelt daher ein "out-of-commerce"-Werk ein
für alle Mal als ein solches. Es sollte daher noch diskutiert werden, ob dieser Ansatz
gerechtfertigt ist.
Die Bestimmungen befassen sich mit noch urheberrechtlich geschützten Werken,
und sollten daher um Regelungen ergänzt werden, die vorsehen, dass ein Werk,
welches "out-of-commerce", also vergriffen, ist oder für das die Verlagsrechte
erloschen sind, von dem Urheber oder seinem oder seinen Nachfahren (wieder)
kommerziell in Nutzung genommen werden kann. In diesem Fall sollten die Rechte
der "cultural heritage institution" automatisch erlöschen und dem Urheber oder
seinem Rechtsnachfolger die Verwertungsrechte wieder (allein) zustehen.
Die Bestimmungen der Art 11 bis 13 betreffen die Schaffung eines
Leistungsschutzrechts für Presseverlage und eine Transparenzpflicht für Verträge
zwischen Rechteinhabern und Verwertern. Diese Bestimmungen sind ausgewogen
und ermöglichen – im Gegensatz zu nationalen Alleingängen – aus Sicht des ÖRAK
erst die Realisierung einer Vergütung für die Nutzung urheberrechtlich geschützter
Inhalte aus Presseerzeugnissen durch Onlinedienste.
Ad 2.) Vorschlag für eine Verordnung über Regeln zur Ausübung des
Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in Bezug auf bestimmte Akte
der Onlineübertragung von Rundfunkveranstaltungen und die Weiterleitung
von Fernseh- und Hörfunkprogrammen (COM(2016) 594 final; 2016/0284
(COD)):
Die EU-Kommission geht in ihrem Vorschlag vom 14.09.2016 davon aus, dass es für
das Funktionieren des gemeinsamen Marktes vorteilhaft ist, die Prinzipien der
Satellitenund
Kabel-Richtlinie
auch
auf
Online-Begleitanbote
von
Wendeunternehmen anzuwenden. Damit sollen die Senderrechte nur für das Land,
in dem das jeweilige Sendeunternehmen seinen Sitz hat, geklärt werden müssen,
was dem Herkunftslandprinzip der Satelliten- und Kabel-Richtlinie entspricht.
Zunächst fällt auf, dass die EU-Kommission inhaltsgleiche Vorschriften wie in der
Kabel-Satelliten-Richtlinie nunmehr in Form einer Verordnung regeln möchte. Es ist
aber – um eine Konsistenz von gleichartigen Rechtsakten zu gewähren –
überlegenswert, auch hier den Rechtsakt einer Richtlinie zur Anwendung zu wählen.
Ferner fällt auf, dass Art 2 keinerlei Rückschlüsse zulässt, ob die Vertragsfreiheit des
Sendeunternehmens, die Empfangsmöglichkeit auf einzelne Territorien zu
beschränken, weiter bestehen soll. Auf die Auswirkungen, ein unionsweites
Senderecht durch ein Sendeunternehmen erwerben zu müssen, wurde schon in der
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Stellungnahme des ÖRAK zum Entwurf einer PortabilitätsVO1 verwiesen.
Vereinbarungen, die die Ausübung bzw die Empfangbarkeit auf bestimmte Länder
beschränken, sollten weiterhin zulässig bleiben. Sohin sollten auch Maßnahmen,
bestimmte – auch entgeltlich vermittelte – Inhalte Verbrauchern in einem geografisch
limitierten Markt zur Verfügung zu stellen, zulässig bleiben und nicht im Umweg von
Art 2 der Verordnung das Verbot eines Geoblockings oder vergleichbarer
Maßnahmen eingeführt werden.
Dieselben Überlegungen greifen auch Platz für Kabelweitersendungen iSd Art 3. Im
Unterschied zu Art 2 für bestimmte Online-Hilfsdienste sieht Art 3 Abs 5 allerdings für
die Kabelweitersendung in geschlossenen Onlinenetzen weiterhin ausdrücklich die
Möglichkeit der Vereinbarung vor, auch die Kabelweitersendung in Ländern, in denen
die Ausübung dem Sendeunternehmen nicht eingeräumt wurde, vertraglich zu
beschränken. Gegen Art 3 besteht in diesem Sinne kein Einwand.
Ad 3.) Zu den Entwürfen der Europäischen Kommission, die eine Umsetzung
des Vertrages von Marrakesch vom 27.06.2013 bedingen, nämlich Vorschlag
bzw Entwurf
3.1 einer Verordnung über den grenzüberschreitenden Austausch zwischen der
Union und Drittstaaten von Kopien von Werken oder durch verwandte Schutzrechte
geschützten Gegenständen in einem zugänglichen Format zugunsten Blinder,
Sehbehinderter oder in anderer Weise lesebehinderter Personen (COM (2016) 595
final; 2016/0279 (COD)) und
3.2 einer Richtlinie über bestimmte zulässige Formen einer Nutzung urheberrechtlich
oder durch verwandte Schutzrechte geschützter Werke und sonstiger
Schutzgegenstände, durch die auch die Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung
bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Rechte in der
Informationsgesellschaft geändert werden soll (COM(2016) 596 final; 2016/0278
(COD)):
Rechtspolitisch ist es uneingeschränkt begrüßenswert, auch Blinden oder
Sehbehinderten oder ansonsten behinderten Personen, die nicht in der Lage sind,
beispielsweise ein Printformat aufzunehmen, Zugang zu urheberrechtlich
geschützten Werken zu ermöglichen.
Insgesamt besteht aus der Sicht des ÖRAK auch kein Zweifel, dass der Vorschlag
einer Verordnung über den grenzüberschreitenden Austausch zwischen der Union
und Drittstaaten von Kopien von Werken oder durch verwandte Schutzrechte
geschützten Gegenständen in einem zugänglichen Format zugunsten Blinder,
Sehbehinderter oder in anderer Weise lesebehinderter Personen (COM (2016) 595
final; 2016/0279 (COD)) jedenfalls den Vorgaben des Vertrages von Marrakesch
entspricht.
Insgesamt stellt sich aber die Frage, weswegen die Bestimmungen des Vertrages
von Marrakesch in zwei Rechtsakten, nämlich einer Verordnung und einer Richtlinie
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Stellungnahme des ÖRAK vom 18.01.2016 zum Entwurf der VO zur Gewährleistung der
grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt
BMJ-Z8.451/0031-I 4/2015.
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umgesetzt werden müssen. So befinden sich sowohl in dem vorgenannten
Verordnungsentwurf, als auch der Richtlinie (COM (2016) 596 final; 2016/0278
(COD)) mitunter identische Erwägungsgründe oder Definitionen, zB in Art 2 der
jeweiligen Rechtsakte. Demgegenüber hätte sich angeboten, die Inhalte von
Verordnung und Richtlinie in einer gemeinsamen Richtlinie niederzulegen.
In einem Punkt scheint aber jedenfalls die letztgenannte Richtlinie über die Inhalte
des Vertrages von Marrakesch hinauszugehen:
In Art 4 Z 2 lit a (ii) des Vertrages von Marrakesch ist ausdrücklich angeführt, dass
ein so genanntes "accessible format" die "authorized entity" im Sinne von (i) leg cit
nicht dazu berechtigt, Änderungen vorzunehmen, die darüber hinausgehen, das
Werk für die begünstigte Person zugänglich zu machen. Eine solche Einschränkung
befindet sich in Art 2 Abs 2 und 3 und Art 3 der Richtlinie nicht mehr. Lediglich Art 3
Abs 2 besagt, dass die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen haben, die Integrität des
ursprünglichen Werkes, welches in ein anderes Format konvertiert wurde,
beizubehalten.
Insofern gehen die Eingriffe, die Art 3 der Richtlinie vorsieht, über die Ausnahmen
von den Bestimmungen der Art 2-4 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen
Parlaments und des Europäischen Rates vom 22.05.2001 über den Mindestinhalt
und den Regelungsgehalt des Vertrages von Marrakesch hinaus und stellen daher
eine größere, möglicherweise bedachte, möglicherweise aber auch ungewollte
Einschränkung der Rechte des Urhebers dar. So beschränkt der Vertrag von
Marrakesch sich ausdrücklich darauf, nur jene Änderungen vorzunehmen, die
notwendig sind, um das Werk zugänglich zu machen, während Art 3 Z 2 der
Richtlinie nur davon spricht, die Integrität des Originalwerks nicht zu verletzen.
Damit stellt sich etwa die Frage, ob etwa das Originalwerk eines Bühnenstücks
mangels Wahrnehmbarkeit durch die "beneficiary" in eine Prosaerzählung
umgewandelt werden darf, oder dies bereits ein Eingriff in die "Integrität" des Werkes
darstellt.
Demgegenüber müsste nach der Bestimmung des Art 4 Abs 2 (lit a) Z (i) des
Vertrages von Marrakesch das Werk in dem geänderten Format als Bühnenwerk
bestehen bleiben.
Im Übrigen bestehen aber keine legislativen Einwendungen des ÖRAK.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rupert Wolff
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