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Seite 64: Schach-Fragen
Sam Shankland
... kam beim amerikanischen Olympiasieg in Baku (SCHACH 10/2016) an
Brett 4 eine gleichermaßen wichtige und vergleichsweise schwerere Aufgabe
zu als den magischen Drei, Caruana, Nakamura & So, auf die sich das Interesse der Schachöffentlichkeit in erster Linie konzentrierte. Seit Abschluss seines Studiums 2014 ist der heute 25-Jährige, der gern in der Bundesliga spielen
würde, mit Leib und Seele Schachprofi und hat nicht vor, daran in absehbarer
Zeit etwas zu ändern. Shankland liebt seine Heimat Walnut Creek/Kalifornien (65.000 Einwohner): »Die Natur und die Wanderwege sind einfach umwerfend und die Stadt hat genau die richtige Größe. Sie bietet mir die nötige
Ruhe zum Arbeiten, aber auch ein lebendiges Stadtzentrum in Laufnähe und
die Bahnstation, von der alle 15 Minuten ein Zug nach San Francisco fährt.«
1. Wo möchten Sie im Moment gerne sein?
Auf den Fidschi-Inseln. Oder bildlich gesprochen:
Ganz oben! Ich möchte Weltmeister werden!
2. Was würden Sie tun, wenn es ab morgen absolut
kein Schach mehr in Ihrem Leben geben würde?
Ich habe mehrere Hobbies: Kochen, Fitnessstudio,
Klettern, Schreiben, Aktienhandel ... Wenn ich Geld
verdienen müsste, würde ich meinen Abschluss in
Wirtschaftswissenschaften entstauben und mich
nach einem »richtigen« Job umtun.
3. Was halten Sie a) für die schädlichste und b) für
die beste Entwicklung im modernen Schach?
a) Ich glaube, dass das Fern- und Computerschach
einen sehr negativen Einfluss auf das Nahschach auf
Spitzenniveau ausgeübt haben. Nun weiß man in fast
jeder Eröffnung bzw. Variante, was der beste Zug ist,
und daran lässt sich nicht bzw. kaum rütteln. Das
schränkt die menschliche Kreativität gewaltig ein.
Ich denke, dass aus Schach Chess960 werden muss,
auch wenn der Tag noch fern sein mag.
b) Die hilfreichste Entwicklung ist das Internet,
dank dessen man zu praktisch jeder Tag- und Nachtzeit einen starken Gegner finden kann. Ein viel
größerer Kreis von Spielern bekommt damit Trainingsmöglichkeiten, die es zuvor so nicht gab.
4. Wer ist Ihrer Meinung nach a) die am meisten
über- und b) die am meisten unterbewertete Persönlichkeit der Schachgeschichte?
Überbewertet: Morphy. Unterbewertet: Iwantschuk.
5. Mit welchen Klischees über Schachspieler sehen
Sie sich konfrontiert und wie kommentieren Sie diese?
Ich denke, dass die Klischees in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich ausfallen. Als Repräsentant
unseres Spieles versuche ich mein Bestes, ein gutes
Beispiel zu geben und die Schachspieler positiv darzustellen – und kann dazu nur alle anderen aufrufen.
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6. Welche Themen möchten Sie in der Schachöffentlichkeit/Schachpresse stärker behandelt wissen?
Ich wünschte mir, dass die Schachspieler und Organisatoren ernsthafter darum bemüht wären, Schach
für die breite Öffentlichkeit zugänglicher zu machen.
Jedes Mal, wenn ich einen Großmeister sehe, der sich
unprofessionell benimmt (zu spät kommt, sich nicht
entsprechend kleidet, abfällige Bemerkungen macht
usw.), denke ich, dass wir uns einen Minischritt von
unserem Ziel entfernt haben. Mir unterlaufen derartige Fehler natürlich mitunter auch; jeder von uns
sollte eine persönliche Verantwortung spüren, die
Außendarstellung des Schachs interessanter, ehrenhafter und zuschauerfreundlicher zu gestalten!
7. Was möchten Sie in Ihrem Leben unbedingt noch
erlernen bzw. bedauern, es nie erlernt zu haben?
So viele Dinge und so wenig Zeit ...
Vielleicht darf ich stattdessen sagen, was ich schon
gelernt habe, aber gerne noch früher gelernt hätte?!
Die große Bedeutung einer gesunden Ernährung und
ausreichenden Schlafs sowie die Einstellung, Menschen nicht vorzuverurteilen, bevor man sie zur Sache gehört hat.
8. Was ist Ihnen peinlich?
Ich bin Schachspieler ... Mir ist es peinlich, wie ein
Kind zu verlieren. Ich bin sehr stark geworden, es
passiert mir aber trotzdem noch öfter, als mir lieb ist.
9. Was gefällt Ihnen an sich und was missfällt Ihnen
an sich?
Mein Ehrgeiz! Und zwar sowohl in positiver als auch
in negativer Hinsicht. Dank seiner habe ich schon
früh im Leben große Erfolge feiern können, er macht
es mir aber manchmal auch schwer, für einen Moment innezuhalten und zu genießen.
10. Welchen Missstand würden Sie in Ihrem Land
beseitigen, wenn es in Ihrer Macht stünde?
Schach 11/16
Seite 64: Schach-Fragen
Ich würde neue standardisierte Bewerbungstests für die Hochschulen
einführen, für die man sich nicht direkt und ausschließlich mit raffinierten Vorbereitungskursen, die auf den
veröffentlichten Fragen der Vorjahre
basieren, präparieren kann. Ganz allgemein ist die Art der Hochschule,
die man in den USA besucht, ein
wichtiger Fingerzeig darauf, welche
Art von Zukunft man erwarten darf.
Ich denke, es ist falsch, wenn die einzige total objektive Bewertungsmethode, die für jeden gleich sein sollte,
doch nur ein weiterer Weg ist, die
herauszufiltern, die für die teuere
Vorbereitung darauf zahlen können.
S. Shankland
I. Nyschnik
Biel (MTO) 2011
2539
2589
Welt dazu einladen, also Platz 1 bis
32 der Eloliste.
16. Auf welche eigene Leistung sind
r+-+nvk+ Sie besonders stolz und warum?
z +l+r+- Auf meine Brett-Goldmedaille bei
-zRz-w-+ der Olympiade in Tromsø 2014 mit
+N+Pz-zp neun Punkten aus zehn Partien. Auf
PV-+Pz-s dem Papier hatte ich zuvor schon besErgebnisse erzielt, nicht jedoch,
+Q+-+P+P sere
wenn mein Land auf mich zählte.
-Z-+LSP+
+ + +RM- 17. Mit wem würden Sie gerne einen
Tag lang tauschen und warum?
Stellung nach 23... Íc8-d7
Das würde zensiert werden.
24. Îfc1 g4 25. h:g4 h:g4 26.
18. Wann haben Sie zum letzten Mal
Ì:g4 Ëg5 27. Ìc7 Í:g4 28.
etwas zum ersten Mal getan und was?
f:g4 f3 29. g:f3 Ëf4 30. Íe1
Ì:c7 31. Î:c7 Îh7 32. Î1c2
Leider ist es mir vertraglich unter11. Wer sind Ihre Helden in der GeÍe7 33. Î:e7 Î:e7 34. Í:h4
sagt, diese Frage korrekt zu beantÎh7 35. Íf2 Îf8 36. Ëe3
genwart?
worten. Wer das Schachgeschehen
Ëh2+ 37. Êf1 Ëh1+ 38.
aufmerksam verfolgt, wird in etwa
Garri Kasparow, weil er die Idee der
Íg1 Îh2 39. Êe1 Îg2 40.
zwei Monaten wissen, warum.
harten Arbeit revolutioniert und mit
Êd2 Ë:g1 41. Ëg5+ Êh8
ihr die Schachwelt dominiert hat,
19. Aktuelle Frage: Am Rande der
42. Îc7 Ëd4+ 43. Êc1 Îg1+
Magnus Carlsen, weil er der stärkste
Olympiade in Baku haben Sie sich
44. Êc2 Ë:a4+ 45. Êc3
Spieler der Welt ist, und Hikaru NaËd4+ 46. Êb3 ... 1-0 (69) kritisch über die Zusammenstellung
kamura, weil er seit Fischer der erste
Ihrer, der amerikanischen, Mannund einzige wirkliche Spitzenspieler ist, der sich in schaft geäußert. Bitte schildern Sie Ihre Gedanken.
amerikanischen Turnieren hochgearbeitet hat, und Im Fußball und Basketball haben FIFA und FIBA die
der mich damit inspiriert und überzeugt hat, dass das Regel aufgestellt, dass ein Spieler, sobald er bei einer
auch für mich möglich ist.
Weltmeisterschaft für ein Land gespielt hat, nie wie12. Welche Frage würden Sie gerne gestellt bekom- der für ein anderes antreten darf. Die FIDE kennt
men und wie lautet die Antwort darauf?
derartige Beschränkungen nicht, sie verlangt nicht
einmal die Staatsbürgerschaft. Für Spitzenspieler ist
Sind Hunde die besseren Haustiere als Katzen? Ja!
es daher sehr einfach, die Föderation zu wechseln. In
13. Welche drei Bücher können Sie empfehlen?
vielen der besten Mannschaften der Welt finden wir
Dvoretsky’s Endgame Manual, Grandmaster Prepa- Leute, die nicht in dem jeweiligen Land aufgewachration: Calculation (Jacob Aagaard), Outliers, The sen sind, sondern sich in ihrer Heimat zu starken
Story of Success (Malcolm Gladwell)
Spielern entwickelt und erst die Föderation gewech14. Welches ist die interessanteste Schachpartie, die selt haben, nachdem diese Entwicklung abgeschlossen war. Kein erstrebenswerter Zustand, aber man
Sie je gespielt haben?
kann den Spielern schwerlich einen Vorwurf maMeine Partien sind im allgemeinen nicht sonderlich
chen, solange es die Regeln erlauben.
interessant, da sie sehr konkret ablaufen und von
Ich bin stolz darauf, mit vier herausragenden Koljedem Computer leicht zerpflückt werden können.
legen
zu spielen, die ich außerordentlich schätze, und
Wenn ich eine heraushebe, dann vielleicht den Sieg
ich
würde
nie einen Einzelnen dafür kritisieren, dass
gegen Ilja Nyschnik in Biel 2011 (siehe oben).
er eine Entscheidung trifft, die vollkommen legal
15. Welche Spieler würden Sie einladen, wenn ein und die beste Wahl für seine weitere Karriere ist.
Sponsor Sie mit der Ausrichtung eines Turniers be- Aber ich denke, dass es strengere Regeln dafür geben
auftragen würde?
sollte, wer für welches Land spielen darf. Einmal, um
Ich würde definitiv ein K.o.-Turnier veranstalten – die Integrität der Nationalmannschaften zu erhalten,
das beste System für jede Einzelsportart (der Welt- und zudem, um die Interessen der einheimischen
cup ist mit Abstand meine Lieblingsveranstaltung im Spieler zu schützen, die so aus ihren LandesmeisterTurnierkalender). Ich würde die stärksten Spieler der schaften und Nationalteams herausgedrückt werden.
Schach 11/16
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