Öffentliches Recht – VerfR Seite 1 von 3 Die Bundespolizei kontrolliert Darf sie dabei nach der Hautfarbe differenzieren? OVG Koblenz, Urt. v. 21.04.2016 7 A 11108/ 14.OVG; NJW 2016, 2820 ff. Zum Sachverhalt: M ist deutscher Staatsangehöriger mit dunkler Hautfarbe. Gemeinsam mit seiner Frau fährt er an einem Samstag mit ihren Kindern mit dem Regionalzug von Mainz nach Koblenz. Im Hauptbahnhof von B steigen drei Polizeibeamte der Bundespolizeiinspektion Koblenz in den Zug und bleiben zunächst im Eingangsbereich des Zuges stehen. Nach Abfahrt des Zuges beginnen die Beamten mit ihrer Streife durch den Zug. M, der sich mit seiner Frau und den Kindern durchgehend auf Englisch unterhält, wird von den Beamten angesprochen und aufgefordert, seinen Ausweis zu zeigen. Unklar bleibt dabei, ob die Ansprache des M durch die Beamten auf Englisch oder auf Deutsch erfolgt. M zeigt seinen Personalausweis vor. Einer der Beamten telefoniert mit der Zentrale und gibt die Personalien des M zum Datenabgleich weiter. Da sich dabei nichts Auffälliges herausstellt, gibt der Beamte dem M seinen Ausweis zurück. Der Vorgang dauert ca. 4 Min. Weitere Kontrollen im Zug durch die Beamten erfolgen nicht, da diese im nächsten Bahnhof den Zug verlassen. M erhebt eine Woche nach der Fahrt Klage zum, zuständigen VG mit dem Antrag feststellen zu lassen, dass die ihm gegenüber erfolgten Maßnahmen rechtswidrig waren. Hat eine solche Klage Aussicht auf Erfolg? Zum Urteil: • (P) Statthafte Klageart o Hinsichtlich des Ausweisverlangens liegt VA iSd. § 35 S. 1 VwVfG vor ⇒ Regelung ist gegeben, da Pflicht für den Bürger zum Vorzeigen des Ausweises begründet wird ⇒ FFkl analog § 113 I 4 VwGO statthaft, da Erledigung vor Klageerhebung eingetreten o Hinsichtlich des Datenabgleichs liegt dagegen Realhandeln vor ⇒ Rechtsfolge hier nicht ersichtlich [aA. mit konkludenter Duldungsanordnung allerdings vertretbar] ⇒ allgemeine Feststellungsklage gem. § 43 VwGO statthaft • (P) Feststellungsinteresse o Erforderlich ist hier ein qualifiziertes Feststellungsinteresse, da sich beide Maßnahmen der Bundespolizei bereits mit ihrer Durchführung erledigt haben o Ergibt sich vorliegend aus Art 19 IV GG ⇒ bei den angegriffenen Maßnahmen handelt es sich um solche, die sich typischerweise schnell erledigen ⇒ für den Betroffenen ist es angesichts dieses typischen Geschehensablauf anders nicht möglich, effektiven Rechtsschutz zu erhalten Anmerkung: Diese Fallgruppe bildet sich seit einiger Zeit neben den bereits anerkannten Fallgruppen des qualifizierten Feststellungsinteresses im Falle der Erledigung sowohl bei FFkl als auch bei der allgemeinen Feststellungsklage in der Rspr. heraus und ist ____________________________________________________________________________ www.schloemer-sperl.de Juristisches Repetitorium Hemmer © RA Dr. Uwe Schlömer/ RAuN Christian Pope -- Oktober 16 Öffentliches Recht – VerfR Seite 2 von 3 auch in der Literatur auf Zustimmung gestoßen. Insoweit ist dies auch in der Examensklausur sehr gut vertretbar. Leider hat sich dies noch nicht bis zu jedem Korrektor im Examen herumgesprochen. Aus diesem Grunde sollten Sie versuchen, neben dieser neuen Fallgruppe zusätzlich auch das Vorliegen einer der bereits anerkannten Fallgruppen zu bejahen. Hier könnte es das Vorliegen eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffs und eines Rehabilitationsinteresses sein. • Rechtsgrundlage für die Maßnahmen ist die Regelung des § 22 Ia BPolG: o Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit oder die Vereinbarkeit mit Europarecht bestehen letztlich nicht o Bedenken gegen die Zuständigkeit der Bundespolizei für derartige Maßnahmen bestehen unter Hinweis auf die Regelungen der Art 73 I Nr. 5, Art 87 I 2 GG und § 2 BPolG nicht o § 22 Ia BPolG verstößt nicht gegen Art 3 III 1 GG § Ausweislich des Wortlautes kann jede Person angehalten werden § Selbst wenn man mit Sinn und Zweck der Norm davon ausgeht, dass gerade nicht jede Person angehalten wird, sondern nur jene, bei denen angenommen werden kann, dass sie Informationen zur Erreichung des Zwecks liefern können oder selbst den Verdacht begründen, liegt kein Verstoß gegen Art 3 III GG vor ⇒ Norm ist so weit formuliert, dass für die handelnden Beamten ausreichend Raum besteht, die Norm in Einklang mit Art 3 III GG anzuwenden § Soweit mit großer Wahrscheinlichkeit Personen angesprochen werden, die gerade nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, stellt dies keinen Verstoß gegen Art 3 III GG dar, sondern eine Verletzung des Art 3 I GG, der jedoch einfacher zu rechtfertigen ist ⇒ vorliegend soll insbesondere eine illegale Migration und die damit verbundenen Begleiterscheinungen verhindert werden o Regelung ist auch im Hinblick auf den Eingriff in das APR aus Art 2 I, 1 I GG hinreichend bestimmt, da Eingriff insoweit eher von geringer Intensität (vgl. hierzu auch die Rspr. des BVerfG im Volkszählungsurteil und zur automatischen Kennzeichenerfassung) • Anwendung der Regelung des § 22 Ia BPolG im konkreten Einzelfall materiell rechtswidrig o Tatbestandsmerkmal der „Lageerkenntnisse“ und der „grenzpolizeilichen Erfahrung“ sind als unbestimmte Rechtsbegriffe voll gerichtlich überprüfbar, da ein exekutivischer Beurteilungsspielraum nicht ersichtlich ist o Überprüfung von M im konkreten Fall ermessensfehlerhaft, da Bedeutung des Art 3 III GG im Einzelfall verkannt. o Rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung idS. liegt schon vor, wenn in einem Motivbündel der handelnden Beamten ein tragendes Motiv enthalten ist, welches als unzulässiges Diskriminierungskriterium anzusehen ist ⇒ hier die Hautfarbe als Rassemerkmal iSd. Art 3 III GG ⇒ es konnte nicht mit überzeugend geklärt werden, dass dieses Merkmal in der konkreten Entscheidung nicht doch eine Rolle spielte ⇒ Rechtfertigung vorliegend nicht ersichtlich Bewertung: • Das OVG Koblenz befasst sich vorliegend mit einer Problematik, die sicherlich in der BRD kein Einzelfall ist. Derartige Kontrollen und die dabei vorrangig oder jedenfalls mitentscheidenden Auswahlkriterien dürfte schon so mancher Bahnfahrer erlebt haben. ____________________________________________________________________________ www.schloemer-sperl.de Juristisches Repetitorium Hemmer © RA Dr. Uwe Schlömer/ RAuN Christian Pope -- Oktober 16 Öffentliches Recht – VerfR Seite 3 von 3 • Der Fall verbindet in besonders interessanter Weise Themen des allgemeinen Polizeirechts mit solchen des Verwaltungsprozessrechts und des Verfassungsrechts und ist deshalb sicherlich sehr interessant für Klausuren im Staatsexamen • Gerade weil es sich um einen Fall aus dem Handeln der Bundespolizei handelt, ist dieser auch sehr gut für alle Bundesländer geeignet zur Vertiefung: • Liebscher NJW 2016, 2779 ff. Besprechung des Urteils • Zu § 22 Ia BPolG: Alter NVwZ 2015, 1567 ff. • Payandeh, JuS 2015, 695 ff. ____________________________________________________________________________ www.schloemer-sperl.de Juristisches Repetitorium Hemmer © RA Dr. Uwe Schlömer/ RAuN Christian Pope -- Oktober 16
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