1 Sonntag, 16. Oktober 2016 29. SONNTAG IM JAHRESKREIS C, 21. Sonntag nach Trinitatis Ex 17, 8-13, 2Tim 3, 14-4, 2, Lk 18, 1-8 VA 19.00 Goggendorf, 8.30 Roseldorf (Erntedank), 10.00 Braunsdorf (Erntedank) Liebe Schwester und Brüder, in einer österreichischen Wochenzeitung1 zum Thema „Gott denken“ plädiert der Philosoph Holm Tetens, der die Frage nach Gott auch für philosophisch keineswegs obsolet hält, für die prinzipielle Vernünftigkeit religiöser, zumal christlicher Glaubensinhalte. Auf die Feststellung, dass heute viel von einer „Rückkehr der Religion“, von einer Entsäkularisierung, die Rede ist, und die Frage, ob er dem zustimme, gibt Tetens folgendes zu bedenken: „Da muss man sehr genau hinsehen. Ich bin ein wenig skeptisch. Die intellektuellen Eliten in den westlichen Ländern wenden sich immer stärker vom Glauben und von den Kirchen ab. Die Entplausibilisierung des Gottesgedankens und -glaubens durch Wissenschaft und Technik sowie unsere Lebensform schreitet in diesen Kreisen meines Erachtens munter fort. So gesehen sollten sich die christlichen Kirchen nicht zu früh zurücklehnen und meinen, dass die Säkularisierungsthese widerlegt sei. Ich glaube, dass sich das Christentum und die Kirchen sehr stark verändern werden – meiner Ansicht nach nicht zu ihrem Vorteil –, wenn es ihnen nicht gelingt, einen Teil der Eliten für die Sache des Glaubens zurückzugewinnen.“2 Wohlgemerkt: nicht nur die „intellektuellen Eliten in den westlichen Ländern“ wenden sich vom Glauben ab, sondern auch viele aus unseren eigenen Reihen. Denn wie viele Eltern beklagen, dass ihre Kinder nicht glauben und mit der Kirche nichts mehr zu tun haben wollen? Und wie vielen Erwachsenen selbst mangelt es an Glauben und an der Bereitschaft, 1 Interview mit dem Philosophen Holm Tetens: „Die Ratio des Glaubens“, in: Die Furche 40, 6.10.2016, 72. Jg., 4- 5. 2 Ebd. 2 Sonntag für Sonntag ihren Glauben in der Gemeinschaft der Kirche mit anderen zu feiern, geschweige denn zu bekennen? Man hat doch seinen Glauben! Fragt sich nur, welchen? Die Frage JESU am Schluss des heutigen Evangeliums, ob ER, wenn ER wiederkommt auf der Erde noch Glauben vorfinden wird,3 mag uns einerseits zu denken geben, andererseits aber scheint sie „in den religiös erkalteten Gesellschaften des Westens“4 doch berechtigt zu sein. Was aber geht denn (nun wirklich) mit dem Glauben verloren? Auch bei Ihnen hier? Manche der Antworten, die wir uns vielleicht selber zu geben versuchen und die uns von anderen gegeben werden, angefangen von „Was soll denn schon verloren gehen?“, bis hin zu einem besorgniserregenden „Leider vieles von dem, was Menschen nicht entbehren können“,5 werden uns wohl überraschen. Der sich selbst als „religiös unmusikalisch“ bezeichnende Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas möchte das Bewusstsein dafür wecken, was in der heutigen Gesellschaft fehlt, wenn Religion, Glaube, nicht zur Sprache kommen. Er hat in seiner Dankesrede für den Friedenspreis des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Pauluskirche und auch später die westliche Gesellschaft eindringlich davor gewarnt, „auf das ... Potential der Religion und zumal des Christentums für die heutige Lebenskultur zu verzichten. Religiöse Tradition und Sprache haben eine unaufgebbare Bedeutung“.6 Auch in der zeitgenössischen Literatur sind immer wieder Wege zum religiösen Geheimnis, zumal des Christentums, und in seine Tiefe eröffnet worden. Ebenso hat der deutsche Schriftsteller Martin Walser wiederholt gefragt: „Was fehlt, wenn Gott fehlt?“ Und darauf geantwortet: „Er fehlt – mir!“7 Würde Ihnen GOTT fehlen? Bewegt Sie überhaupt die Frage, was ist, wenn es keinen Glauben mehr hier auf Erden, in unserer westlichen Gesellschaft, hier bei Ihnen, geben wird? Was geht denn nun wirklich verloren, wenn es keinen Glauben mehr gibt? – Vieles! Vor 3 Lk 18, 8b. 4 Rüdiger Safranski, in: Die Furche 40, 6. 5 Univ. Prof. Wolfgang Langer, in: „Erfüllte Zeit“, Ö1 vom 17.10.2010. 6 Vgl. Egon Kapellari, Exerzitien für Chorherren des Stiftes Klosterneuburg von 3. bis 7. Juli 2016 in Vorau, 3. Vortrag: „Gott suchen mit Augustinus“, 7. 7 Ebd. 3 allem aber die Hoffnung! Die Hoffnung auf GOTT, der auf uns zukommt und der vollenden wird, was ER einmal begonnen hat. Dafür ist das Gleichnis des heutigen Evangeliums von dem gottlosen, rücksichtslosen und menschenverachtenden Richter und der auf ihr Recht drängenden Witwe wohl ein ausgezeichnetes Beispiel. Es geht darum, so zu tun wie diese Witwe: nicht aufzugeben, sondern dranzubleiben, hartnäckig zu sein und unerschütterlich zu bleiben – nicht zu resignieren! Das gilt für unseren Glauben, vor allem aber für unser Beten! Wozu uns JESUS ja am Beginn des Evangeliums auffordert: im Beten nicht nachzulassen! Denn wie schnell sind wir, mich nicht ausgenommen, versucht, aufzugeben, das Beten zu lassen, weil wir anscheinend nicht erhört werden und es ohnehin keinen Sinn macht. Geduld fehlt uns allemal! Aber wer allezeit betet, das ist doch keiner, der unaufhörlich irgendwelche Gebete vor sich hinmurmelt, sondern einer, der sich in seinem Vertrauen auf GOTT und in den Widrigkeiten seines Lebens, die hier und jetzt erfahren und oft erlitten werden müssen, nicht beirren lässt,8 sondern einfach weiter betet und vertraut! Unser Gebet muss nicht sanft, „süßlich“ und angenehm sein, sondern darf die ganze Bandbreite unseres Verhältnisses zu GOTT, unser Hadern und Zweifeln, unsere Ängste und Sorgen, unsere Freude und unsere Zuversicht, umfassen. Es kann auch zu einem Ringen und Kämpfen werden. Denn vielleicht will ja GOTT nur von uns wissen, ob ER denn wirklich gebraucht wird?9 Die Antwort auf diese Frage und darauf, ob es für mich von Bedeutung ist, wenn Gott fehlt, wenn Menschen aufhören zu beten und vom Glauben lassen, muss jeder von uns für sich selber finden. Und sich diese Antwort auch ehrlich eingestehen. Wie immer sie ausfallen mag. 8 Langer, „Erfüllte Zeit“, 17.10.2010. 9 Vgl. Klaus Berger, Meditationen zu den Sonntagsevangelien, Lesejahr C, 279.
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