Öffentliches Recht – VerfR Seite 1 von 2 Schmähkritik - Wann liegt diese vor? Oder lebt die Meinungsfreiheit?BVerfG, Beschl. v. 29.06.2016 1 BvR 2646/ 15; NJW 2016, 2870 ff. Zum Sachverhalt: Rechtsanwalt R ist Strafverteidiger und vertritt in dieser Funktion in einem Ermittlungsverfahren den Beschuldigten B. Gegen diesen wurde Haftbefehl erlassen. Bei der Haftbefehlsverkündung kam es zwischen R und der zuständigen Staatsanwältin S zu einer heftigen Auseinandersetzung. Am Abend desselben Tages meldete sich Journalist J bei R und bat um eine Stellungnahme. Hierzu war R zunächst nicht bereit. Erst nach hartnäckigem Nachfragen durch J und aufgrund seiner immer noch vorhandenen Verärgerung über die Auseinandersetzung mit S äußerte sich R dann doch zum Verfahren. Im Laufe des Telefonates äußerte der R sich dann über die S als „dahergelaufene Staatsanwältin“, „durchgeknallte Staatsanwältin, „ widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin“, sowie „geisteskranke Staatsanwältin“. Das LG verurteilte den R wegen Beleidigung der S gem. § 185 StGB zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen a 120,00 €. Nach Erschöpfung des Rechtsweges erhebt R VB gegen dieses Urteil. Zum Beschluss: • Im Rahmen des Schutzbereiches von Art 5 I GG ist vorliegend insbesondere klärungsbedürftig, ob Schmähkritik vorliegt • Da der Begriff der Schmähkritik die Meinungsfreiheit absolut verdrängt, ist dieser Begriff eng zu definieren. o Selbst eine für sich genommen herabsetzende, überzogene oder gar ausfällige Äußerung werde erst dann zu Schmähkritik, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe o Schmähkritik liege daher bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor, und sei eher auf die Privatfehde beschränkt o Maßgeblich sind insbesondere auch die die zu beurteilende Äußerung begleitenden Umstände • hier: Sachzusammenhang spricht gegen Diffamierung; Begriffe fielen vorliegend gegenüber einem mit dem Verfahrensstand betrauten J, der den R auch noch zum Verfahren befragte. Die Äußerung des R kann somit durchaus auch als Kritik an dem dienstlichen Verhalten der S angesehen werden. ⇒ Vorliegen von Schmähkritik ist vorliegend abzulehnen ⇒ Schutzbereich ist eröffnet • Eingriff ist vorliegend nicht zu rechtfertigen, da in Strafurteil angesichts der Annahme von Schmähkritik die Abwägung zwischen dem APR der S und der Meinungsfreiheit des R völlig unterblieben war ____________________________________________________________________________ www.schloemer-sperl.de Juristisches Repetitorium Hemmer © RA Dr. Uwe Schlömer/ RAuN Christian Pope -- Oktober 16 Öffentliches Recht – VerfR Seite 2 von 2 Bewertung: • Das BVerfG hebt nochmals die Bedeutung des Art 5 GG heraus • Die Annahme von Schmähkritik muss absolute Ausnahme bleiben • Sowohl im Staatsexamen, als auch in der Praxis sollte man mit der Annahme von Schmähkritik stets sehr zurückhaltend sein und deren Vorliegen im Zweifel ablehnen zur Vertiefung: • Die Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei als „Winkeladvokatur“ kann von Art. 5 I 1 gedeckt sein (BVerfG Beschl. v. 02.07.2013 - 1 BvR 1751/12) • Bezeichnung als „durchgeknallter“ Staatsanwalt keine generell unzulässige Schmähkritik (BVerfG, 1 BvR 2272/04, 26.06.2009 • Bezeichnung als „Durchgeknallte Frau“ kann dagegen ehrverletzend sein (BVerfG NJW 2014, 764 ff.) ____________________________________________________________________________ www.schloemer-sperl.de Juristisches Repetitorium Hemmer © RA Dr. Uwe Schlömer/ RAuN Christian Pope -- Oktober 16
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