Dauerhafte linksventrikuläre Unterstützung statt Organ

Foto: HeartWare Inc./Herzzentrum Leipzig
FORTGESCHRITTENE HERZINSUFFIZIENZ
Dauerhafte linksventrikuläre
Unterstützung statt Organ
Immer mehr Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz können als Ersatz für
eine Transplantation mit einem mechanischen Unterstützungssystem versorgt werden.
ür Patienten mit einer schweren Herzinsuffizienz war die Herztransplantation lange Zeit die
einzige lebensrettende Option. Kunstherzen dienten
bis vor kurzem lediglich als Möglichkeit, bei einer
akuten Verschlechterung der Symptomatik die Wartezeit auf das neue Organ überbrücken zu helfen. Dr.
med. Jochen Hahn, Oberarzt am Herzzentrum Leipzig, legte auf dem Deutschen Chirurgenkongress dar,
dass sich dies deutlich geändert hat. „Inzwischen
kommen immer öfter und mit immer größerem Erfolg mechanische Unterstützungssysteme als dauerhafte Lösung und damit als echte Alternative zur
Herztransplantation zum Einsatz“, sagte er. Allerdings warnte er gleichzeitig vor einer unkritischen
Ausweitung der Indikation.
Unter den Kunstherzen dominieren die linksventrikulären Unterstützungssysteme oder LAVD (Left
Ventricular Assist Device); ein Total-Artificial-Heart-System (TAH) kommt deutlich seltener zum Einsatz. Zu den wichtigsten Vertretern der LAVD zählen
F
HeartMate II® und HeartMate III® sowie Heartware
HVAD®. „Wir betreuen im Herzzentrum Leipzig derzeit etwa 160 Patienten mit einem linksventrikulären
Unterstützungssystem“, erläutert Hahn, der die
Transplantations- und VAD-Ambulanz in der Abteilung Herzchirurgie am Herzzentrum leitet. Davon
dient rund ein Drittel als Brücke zur Transplantation.
Ein zweites Drittel möchte ebenfalls auf die Warteliste für ein neues Herz, hat aber Kontraindikationen. So ist zum Beispiel bei einigen der Body-MassIndex zu hoch für eine Transplantation. „Und
schließlich trägt bei uns ein weiteres Drittel der Patienten ein linksventrikuläres Unterstützungssystem
als Dauerlösung oder Destination-Therapie. Viele
sind damit sehr zufrieden“, berichtet der Herzchirurg. Der bisher älteste Patient erhielt 2010 in Leipzig mit 75 Jahren ein LVAD – und sei dankbar für die
gewonnenen Lebensjahre.
Der Bedarf an Unterstützungssystemen wächst
stetig. Denn die Zahl der Herztransplantationen geht
Perspektiven der Kardiologie 2/2016 | Deutsches Ärzteblatt
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HeartMate III® zur
linksventrikulären
Unterstützung
treibt das Blut durch
einen magnetischen
Impeller, eine Art
Schraube, an und
entlastet so die linke
Herzkammer. Die
Steuerung der Pumpe und die Batterieversorgung (in den
schwarzen Gurten)
liegen außerhalb des
Körpers.
in Deutschland nach wie vor zurück, sie war 2015
mit 284 auf dem Tiefstand (zum Vergleich: Im Jahr
2000 waren es mehr als 500 Herzen). Die mittlere
Wartezeit beträgt derzeit etwa 18 Monate (1). Jeder
fünfte der Patienten stirbt währenddessen. Gleichzeitig nimmt aufgrund der demografischen Entwicklung
die Zahl der Patienten mit Herzinsuffizienz zu (Kasten), so dass 2013 in Deutschland bereits 395 666 Patienten stationär versorgt wurden – wegen Myokardinfarktes waren es nur rund halb so viele (2). Man
schätzt, dass allein in den USA etwa 250 000 bis
300 000 Patienten im Alter bis 75 den Klassen NYHA IIIB oder IV zuzuordnen sind und damit LVADKandidaten wären (3).
Die DGTHG-Leistungsstatistik 2014 offenbart die
Rasanz der Implantationsraten auch hierzulande (4).
Wurden vor zehn Jahren noch weniger als 250 univentrikuläre Unterstützungssysteme eingesetzt, waren es 2014 bereits 915, inzwischen sind es mehr als
1 000 im Jahr. Die biventrikulären Systeme lagen zuletzt unter 50 im Jahr. „Das hat auch damit zu tun,
dass man die LVAD-Systeme früher implantiert, bevor es zu einem globalen Herzversagen kommt. Zudem ist der Einsatz eines LVAD-Systems immer einfacher und mit weniger Komplikationen behaftet“,
erläutert Hahn.
Die Geräte sind inzwischen so miniaturisiert, dass
nur eine partielle Sternotomie notwendig ist. Die
neueren Geräte sind zudem haltbarer und zuverlässiger. Noch kommt der Strom von außen, an komplett
implantierbaren Systemen mit transkutaner Energieversorgung wird geforscht. Entscheidend für die Miniaturisierung war die Entwicklung von nichtpulsatilen Systemen mit dem Verzicht auf mechanische
Druckkammern. Die Erkenntnis, dass der Blutfluss
nicht zwingend einen Puls benötigt, dass auch ein laminärer Fluss keine großen Nachteile mit sich bringt,
ermöglichte den Verzicht auf die vergleichsweise riesigen hydraulischen Antriebe.
Komplikationen sind Blutungen nach dem Eingriff und Reoperationen. Schleimhautblutungen, gastrointestinale und zerebrale Blutungen sind möglicherweise spezifisch für LVAD-Patienten. Da meist
nur der linke Ventrikel unterstützt wird, kann es überdies zu einem Rechtsherzversagen kommen. Die Gefahr der Pumpenthrombose, in deren Folge es auch
zu einem Hirninfarkt kommen könnte, macht eine
gerinnungshemmende, eng überwachte Therapie notwendig. Kommt es zu Infektionen der Driveline –
dem Verbindungskabel zwischen der (implantierten)
Pumpe und den Batterien (außerhalb) – kann auch eine Sepsis drohen. Die Komplikationsrate liegt insgesamt bei 15–20 % pro Patient pro Jahr.
Die Überlebensraten von Transplantation und
LAVD sind zumindest in den ersten Jahren vergleichbar gut. 85 % der Patienten leben nach dem ersten
Jahr mit neuem Herz oder Pumpe, nach dem zweiten
und dritten Jahr sind es 80 % respektive 78 % nach
einer Transplantation, 70 % respektive 64 % mit einem Unterstützungssystem. Für den Vergleich nach 5
und 10 Jahren liegen kaum Daten vor (5). Den Leipziger Erfahrungen zufolge leben rund 50 % der Patienten mit LAVD länger als 5 Jahre.
Attraktive Vergütung könnte
zu einem Boom führen
Foto: © St. Jude Medical, 2016/Herzzentrum Leipzig
Im Grunde sind die Indikationen für die Implantation
eines LVAD ähnlich der einer Herztransplantation,
also in der Hauptsache die terminale Herzinsuffizienz oder eine chronisch-ischämische Herzerkrankung. Allerdings sind Alter, pulmonale Hypertonie
und ein Tumor anders als bei einer Transplantation
nur relative Kontraindikationen. Deswegen gibt es
letztlich viel mehr mögliche Kandidaten. Da die Implantation eines LVAD derzeit attraktiv vergütet wird
und es eine große Zahl von Patienten gibt, die erkennbar davon profitieren, könnte es zu einem ähnlichen Boom der LVADs kommen, wie dies beim kathetergestützten Aortenklappenersatz (TAVI) zu beobachten war.
Hahn warnt indes davor, nur den Eingriff im Blick
zu haben. „Die Patienten benötigen eine kontinuierliche und engmaschige Betreuung, zudem die Möglichkeit, bei Komplikationen wieder auf die Liste zur
Herztransplantation zu kommen. Dafür brauchen sie
die Anbindung an das Zentrum und die Zentren
selbst benötigen eine Lernkurve, bis sie die Nachsorge beherrschen. Für Patienten in der Destination-
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HERZINSUFFIZIENZ: ZUNAHME VORPROGRAMMIERT
● Jährlich wird ein Europäer von 1 000 herzinsuffizient.
● Insgesamt leiden etwa 10 Millionen Patienten in Europa an
einer eingeschränkten Pumpfunktion.
● Im Alter von 70–80 Jahren sind bis zu 20 % betroffen.
● In Deutschland war die Herzinsuffizienz 2006 mit 317 000
●
●
Fällen erstmals häufigster Grund für eine stationäre Aufnahme und ist es nach wie vor.
Die Zahl der Krankenhaustage stieg in Deutschland im Zeitraum zwischen 2000 und 2013 um ein gutes Fünftel, obwohl sich im gleichen Zeitraum die mittlere Liegedauer um
mehr als 25 % verkürzte.
Für das Jahr 2050 werden in Deutschland rund 10 Millionen
Menschen über 80 Jahre alt sein, darunter rund 350 000
Menschen mit Herzinsuffizienz
Quellen: Ponikowski P, Voors AA, Anker SD: European Heart Journal (online) 20. Mail 2016.
Neumann T, Biermann J, Neumann A, et al.: Deutsches Ärzteblatt. 2009; 106(16): 269–275.
eine Pumpenthrombose, und eine Verzögerung durch
eine antibiotische Therapie kann bedrohliche Folgen
haben. „Die LVAD-Ambulanz und das Team im
Herzzentrum Leipzig sind daher jederzeit Ansprechpartner für die Hausärzte, die LVAD-Patienten betreuen“, erläutert Hahn.
Allerdings eröffnen die neuen Systeme vielen Patienten neue Optionen, die zuvor keine Chance auf
eine Transplantation hatten. Die Hemmschwelle sinke auch in Bezug auf die Patienten auf der Warteliste,
sagt Hahn, da man intervenieren könne, bevor es zu
einem Desaster kommt. Schwierig ist allerdings, dass
diejenigen, die nicht mehr unmittelbar bedroht sind,
weil sich die Symptome unter einem LVAD bessern,
in der Warteliste zurückgestuft werden. Daher wird
derzeit ein neuer Herzinsuffizienz-Score (CASScore) erarbeitet, der diesen veränderten Verhältnis▄
sen Rechnung trägt.
DOI: 10.3238/PersKardio.2016.10.14.05
Therapie läuft die Betreuung sogar bis zum Tod.“ So
telefoniert die LVAD-Koordinatorin des Herzzentrums Leipzig wöchentlich mit den LVAD-Patienten,
um schon im Vorfeld Probleme zu erkennen. Ein
dunkler Urin ist zum Beispiel ein Warnhinweis auf
Dr. med. Martina Lenzen-Schulte
Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein interessenkonflikt
besteht.
@
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4116
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Dauerhafte linksventrikuläre
Unterstützung statt Organ
Immer mehr Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz können als Ersatz für eine
Transplantation mit einem mechanischen Unterstützungssystem versorgt werden.
LITERATUR
1. Garbade J: Herztransplantation in Sachsen – wo stehen wir?
Ärzteblatt Sachsen 2015; 11: 284–90.
2. Müller-Werdan U, Werdan K: Die Zahl der Patienten steigt, aber
auch die differenzierten Therapien. Deutsches Ärzteblatt 2016;
113(25): 1207–14.
3. Mancini D, Colombo PC: Left Ventricular Assist Device. State-ofthe-art-review. Journal of the American College of Cardiology
2015; 65(23): 2542–55.
4. DGTHG-Leistungsstatistik 2014.
5. Lund LH, Edwards LB, Kucheryavaya AY, et al.: The Registry of
the International Society for Heart and Lung Transplantation:
Thirtieth Official Adult Heart Transplant Report-2013; focus
theme: age. J Heart Lung Transplant 2013; 32(10): 951–64.
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