Das Anti-Müller- Hormon (AMH) - green-ivf

Das Anti-MüllerHormon (AMH)
Marker der ovariellen
Funktion und Spiegel
der biologischen Uhr
Was passiert im
Eierstock während
des Zyklus?
Im Eierstock (Ovar) sind seit der Geburt bereits alle
Eianlagen (Follikel) für das gesamte Leben vorhanden. Die Größe dieses Follikelpools beträgt etwa
500.000 ruhende Eianlagen (Primordialfollikel, die
so genannte ovarielle Reserve) zu Beginn der Pubertät. Aus diesen unreifen Eianlagen entwickeln
sich maximal 400-500 im Laufe des Lebens bis
zum reifen sprungreifen Follikel. Der Rest geht zugrunde.
Die Hormone im Monatszyklus
schwanken naturgemäß sehr
stark. Unter dem Einfluss
der Steuerhormone FSH und
LH wird in den wachsenden
Eianlagen (Follikelphase) aus
den männlichen Hormonvorstufen das weibliche Hormon
Östradiol gebildet. Nach dem
Eisprung, der durch LH ausgelöst wird, entsteht aus dem
gesprungenen Follikel der
Gelbkörper, der die Hormone
Östradiol und Progesteron bildet (Gelbkörperphase). Diese
zweite Zyklushälfte ist die Uhr
des Zyklus und dauert ca. 13
Tage bevor der Gelbkörper
durch „programmierten Zelltod“ abstirbt; es sei denn, eine
Schwangerschaft tritt ein.
FSH
Heranwachsende Follikel
unter FSH- und LH-Einfluss
LH
Synthese von
Östradiol und
Androgenen
in den wachsenden
Follikeln
ruhender
Follikelpool
AMH
Eierstock
Gelbkörper
in verschiedenen
Stadien,
Synthese von
Progesteron
und Östradiol
Graaf´scher Follikel
kurz vor dem Eisprung.
Trigger: LH
Hemmung
Förderung
Abb. 1: Hormonelle Regulation des menstruellen Zyklus. Das AMH hat wesentliche Funktionen in der Selektion des dominanten, zum Eisprung kommenden Follikels. Es hemmt die Follikelrekrutierung aus dem Pool ruhender
Eiaanlagen. Es hemmt die FSH-Wirkung (FSH= Follikelstimulierendes Hormon) an wachsenden Follikeln und es erhöht die LH-Ausschüttung. Steigende Spiegel von Östradiol hemmen später die AMH-Produktion in den kleinen
Follikeln.
AMH:
Der aufschlussreichste Marker zur
Beurteilung der ovariellen Funktion
Bereits 2-3 Wochen vor der Monatsblutung
(1. Blutungstag = 1. Zyklustag) reifen zunächst 20
– 50 Follikel heran, von denen schließlich meistens
1 dominanter Follikel selektiert wird, aus dem der
Eisprung (Ovulation) erfolgt.
Das Anti-Müller-Hormon (AMH) ist dabei aus zwei
Gründen von sehr großer Bedeutung:
1. es ist ein sehr wichtiger Faktor der Follikelselektion,
2. es spiegelt indirekt den Vorrat der noch vorhandenen Eianlagen wider,
und ist damit derzeit der aufschlussreichste Laborparameter zur Beurteilung der ovariellen Funktion
und steht im Zentrum der hormonellen Regelung
des Zyklus (s. auch Abbildung 1). Die AMH-Bestimmung erfolgt aus dem Blut. Es ist stabil und Blutproben zur AMH-Messung können gelagert und an
das untersuchende Labor verschickt werden.
Tage in Bezug
zur Ovulation
AMH Median
(10.–90. Perzentile)
-20 bis -6 (früh präovulatorisch)
3.4 (1.4–6.3)
-5 bis -3 (präovulatorisch)
2.5 (1.0–5.3)
-2 (spät präovulatorisch)
3.3 (0.8–6.0)
-1 (spät präovulatorisch)
2.6 (0.9–5.4)
0 (am Tag des Eisprunges)
1.9 (0.8–3.7)
1 bis 5 (postovulatorisch)
3.0 (1.2–3.6)
Tabelle 1: AMH-Werte im weiblichen Zyklus für gesunde Frauen ohne Fertilitätsproblem und ohne Zyklusstörungen5, für den Beckman Coulter Access
AMH Assay.
Wichtige Eigenschaften des AMH
auf einen Blick:
1.Es besteht ein direkter Zusammenhang
zwischen dem AMH-Wert und dem Pool an
ruhende Eianlagen: Je höher der AMH-Wert
desto höher die Reserve des Eierstockes.
2.Das AMH wird nur von kleinen so genannten
Antralfollikeln bis zu einer Größe von 7 mm
gebildet (s. auch Abb. 1). Größere Follikel
bilden kein AMH mehr, stattdessen wird die
AMH-Bildung durch die steigenden Östradiolspiegel gehemmt.
3.Das AMH hemmt direkt die Rekrutierung der
Primärfollikel aus dem ruhenden Pool der
Primordialfollikel, hemmt die FSH-Wirkung
an den Follikeln und “bremst” damit den Follikelverbrauch.
4.Das AMH sinkt deutlich mit zunehmendem
Alter der Frau als Folge der abnehmenden
ovariellen Follikelreserve.
5.Das AMH zeigt geringe zyklustagabhängige
Schwankungen (s. Tabelle 1).
6.Das AMH sinkt bei längerer Anwendung hormoneller, empfängnisverhütender Mittel (z.B
Antibabypille) um bis zu 30 %.
7.Das AMH sinkt während einer Schwangerschaft.
8. Werte des AMH unterhalb der Nachweisgrenze weisen auf das vollständige Erlöschen der
Ovarialfunktion (Klimakterium) innerhalb der
nächsten 3 – 5 Jahre hin. Das AMH ist aber
kein Kriterium, das Ende der Verhütungsnotwendigkeit festzustellen.
9.Bei Eizellreifungsstörungen sind die Werte
des AMH verändert und damit ist es ein indirekter Marker für die dabei beeinträchtigte
Eizellqualität, z.B. beim so genannten
PCO-Syndrom.
AMH:
Der Marker der ovariellen Reserve
Die Größe des ruhenden Follikelpools weist erhebliche, interindividuelle Schwankungen auf. Für Paare
mit eingeschränkter Fruchtbarkeit wurden entsprechende so genannte Perzentilennomogramme
veröffentlicht1 (siehe Abb. 2, AMH Perzentilen für
verschiedene Altersgruppen, die die Verteilung
der AMH-Werte zeigen). Ein AMH-Wert auf der 50.
Perzentile (schwarze Linie) besagt, dass 50 % der
altersgleichen Frauen einen höheren, aber auch 50
% einen niedrigeren AMH-Wert haben. AMH-Werte
unter dieser 50. Perzentile sprechen dafür, dass
die biologische Uhr, bezogen auf das Frauenalter,
vorgeht. AMH-Werte über dem 50. Perzentil deuten darauf hin, dass die biologische Uhr nachgeht2
und somit noch eine relativ hohe ovarielle Reserve
vorhanden ist. Für jede Frau ist eine individuelle
Einordnung auf ihre Perzentile möglich.
7
6
5
AMH in ng/ml
3. Perzentil
10. Perzentil
4
25. Perzentil
50. Perzentil
3
75. Perzentil
Ein AMH-Wert unter 1,4 ng/ml erfasst altersunabhängig 80 % aller Patientinnen mit einer reduzierten ovariellen Funktionsreserve3. Bei AMH-Werten
unter 0,5 ng/ml ist diese sogar drastisch eingeschränkt. Da AMH-Werte um bis zu 0,2 ng/ml pro
Jahr fallen können, sollten entsprechende Kontrollmessungen nach 6 – 12 Monaten erfolgen, um
eine vorschnelle Abnahme nicht zu übersehen.
Entscheidend ist die AMH-Bestimmung bei Frauen
über 30 bzw. vor allem über 35 Jahre. Sollte bei
diesen ein erniedrigter Wert (unter der 50. Perzentile) festgestellt werden, wissen wir, dass im Falle
eines unerfüllten Kinderwunsches die Aussichten
auf eine erfolgreiche Therapie deutlich niedriger
sind: Hier gilt es dann, keine Zeit mehr zu verlieren.
Bei jungen Frauen sagt der AMH-Wert alleine
wenig über die individuellen Chancen aus, spontan
schwanger zu werden. Bei Frauen mit altersbezogen
niedriger Schwangerschaftswahrscheinlichkeit kann
ein AMH-Wert auf einem hohen Perzentil zeigen,
dass die biologische Uhr zurückgestellt ist und die
entsprechend hohe ovarielle Reserve mit vielen Follikelanlagen Vorteile, z.B. bei der Kinderwunschbehandlung, bringt.
90. Perzentil
97. Perzentil
2
1
0
<24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 >45
Patientinnenalter
Abb. 2: Perzentilennomogramm für das Anti-Müller-Hormon (AMH)1.
Grün: die biologische Uhr ist zurückgestellt, gelb und rot: die biologische Uhr
ist vorgestellt. Y-Achse: AMH in ng/ml, X-Achse: Patientinnenalter.
Das AMH ist somit das wichtigste reproduktive
Hormon der Frau, welches eine zentrale Rolle in
der Regulation des Zyklusgeschehens spielt4 und
die Zahl der noch vorhandenen Eianlagen widerspiegelt. Die AMH-Messung ist sehr wichtig für die
Diagnose jedweder Form von Zyklusstörungen5.
Moderne, vollautomatische AMH-Assays geben
dabei verlässliche Resultate innerhalb von 20 Minuten zur zeitnahen Beratung einer Frau.
QUELLEN
1. Almog B, Shehata F, Suissa S, et al (2011) Age-related
normograms of serum antimullerian hormone levels
in population of infertile women: a multicenter study.
FertilSteril 95:2359–2363.
2.Gnoth C (2013) Natural fertility in couples and epidemiological aspects of subfertility. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz
56:1633–1641.
3. Gnoth C, Schuring AN, Friol K, et al (2008) Relevance
of anti-Mullerian hormone measurement in a routine
IVF program. Hum Reprod 23:1359–1365.
4. Dewailly D, Robin G, Peigne M, et al (2016) Interactions
between androgens, FSH, anti-Müllerian hormone and
estradiol during folliculogenesis in the human normal and polycystic ovary. Hum Reprod Update. doi:
10.1093/humupd/dmw027
5. Gnoth C, Roos J, Broomhead D, et al (2015) Antimullerian hormone levels and numbers and sizes of antral
follicles in regularly menstruating women of reproductive age referenced to true ovulation day. Fertil Steril
104:1535–1543.
Autor:
Prof. Dr. Christian Gnoth
(green-ivf, Grevenbroich)
in Zusammenarbeit mit
Dr. Peter Jagiello
(Beckman Coulter GmbH)
Beckman Coulter GmbH
Europark Fichtenhain B13, 47807 Krefeld
[email protected]
Version 20160920