Fachthema Dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung Systemdurchgängigkeit aus Praxissicht Sektorkopplung mit intelligenten Automationskonzepten Die fluktuierende Stromerzeugung durch erneuerbare Energien lässt sich durch die Kopplung des Strom- und Wärmesektors kosteneffizient und netzdienlich in das Energiesystem integrieren. In Hybrid-Heizkraftwerken kann die Wärme abhängig vom aktuellen Erneuerbare-Energien-Angebot mit Blockheizkraftwerken, Wärmepumpen oder Elektroerhitzern erzeugt werden. Dazu wird moderne Automatisierungstechnik und IT benötigt, mit der die unterschiedlichen Anlagenkombinationen intelligent gesteuert werden. S ektorkopplung und Wärmewende erfordern intelligente Automationskonzepte [1]. Dass die Energiewende auch Wärmewende bedeutet, ist längst keine Frage mehr. Aktuelle Diskussionen um die Deckelung des ErneuerbarenEnergien-Zubaus durch das kommende Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2017 zur Dämpfung des Strompreises lassen die Einhaltung von gesetzten Klimaschutzzielen bei Fortsetzung des aktuellen Trends als nicht mehr realistisch erscheinen [2]. Die EEG-Umlagenbegrenzung mit dem Argument der Stromkostendämpfung lässt außer Betracht, dass gleichzeitig die Börsenpreise stetig sinken. Dabei lassen sich erzeugte, aber überschüssige Erneuerbare-Energien-Strommengen über Sektorkopplung kosteneffizient und einfach in das Energiesystem integrieren. Der Wärmesektor ist dafür besonders geeignet, da der Wärmeverbrauch über die Hälfte der Endenergie in Deutschland ausmacht und bisher nur zu rd. 12 % durch Dipl.-Ing. Heinz Hagenlocher, Bereichsleiter Energy Automation Solutions, Avat Automation GmbH, Tübingen erneuerbare Energien gedeckt wird1). Durch die Verknüpfung des Strom- und Wärmesektors mit Wärmepumpen, Elektroerhitzern und Blockheizkraftwerken (BHKW) lassen sich Angebot und Nachfrage besser aufeinander abstimmen. Elektroerhitzer finden heute wegen der schnellen Reaktionszeiten vor allem ihren Einsatz zur Regelleistungsbereitstellung. Aufgrund der Netzentgelt- und Umlagensystematik sind andere Anwendungsfelder heute nicht wirtschaftlich. Für ein breites Demand-Side-Management mit Wärmepumpen können in Zukunft Smart-Meter-Gateways in Verbindung mit variablen Stromtarifen attraktiv werden. BHKW sind heute Stand der Technik und werden bereits aufgrund ihrer Flexibilität zum Ausgleich der fluktuierenden erneuerbaren Energien eingesetzt. Obwohl zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage hauptsächlich BHKW eingesetzt werden, die mit dem fossilen Energieträger Erdgas2) befeuert werden, tragen diese durch ihre hohe Energieeffizienz und Wetterunabhängigkeit deutlich zur Integration der erneuerbaren Energien bei. Aufgrund des nahtlosen Zusammenspiels mit moderner Automatisierungstechnik, z. B. in intelligent gesteuerten Anlagenkombinatio1) zum Vgl.: in 2015 Erneuerbare-EnergienAnteil am Bruttostromverbrauch bereits 30 % 2) Auch der Einsatz von Biogas oder über Power-to-Gas hergestelltes Methan ist problemlos möglich, wenn die Aggregate dafür ausgelegt sind. PDF 7369 aus EuroHeat&Power 45. Jg (2016), Heft 10, S. 37-40 nen – »hybriden Heizkraftwerken« – kann das Erneuerbaren-EnergienAngebot sowohl auf Erzeuger- als auch Verbraucherseite optimal ergänzt werden. Es liegt daher nahe, korrelierend mit der Zunahme des Erneuerbare-Energien-Anteils auch die BHKW-Leistung auszubauen. Integration der erneuerbaren Energien mit hybriden Heizkraftwerken In einem Hybrid-Heizkraftwerk wird die Wärme abhängig vom aktuellen Erneuerbare-EnergienAngebot entweder mit BHKW oder elektrischen Wärmeerzeugern erzeugt. Durch den gezielten Einsatz von Erneuerbare-Energien-Überschussstrom3) wird Erdgas substituiert. Die Einsatzoptimierung nach strompreisoptimierten Fahrplänen für Netzeinspeisung oder -entnahme führt zu einem um rd. 50 % reduzierten Primärenergieeinsatz und entsprechender CO2-Reduktion. In Bild 1 ist das Prinzip eines HybridHeizkraftwerks im Vergleich mit konventioneller Wärmeerzeugung mit Gaskessel gegenübergestellt. Im Klartext heißt dies: In Zeiten von Überschussstrom wird das Erdgas nicht verbraucht, sondern verbleibt im Netz und kann später, z. B. in Spitzenlastphasen, bedarfsabhängig wieder entnommen werden. Dadurch ergibt sich ein langfristiger Speichereffekt: überschüssiger Erneuerbare-Energien-Strom verdrängt Erdgas, dieses verbleibt daher im Gasnetz. Das Gasnetz fungiert somit als »virtueller Stromspeicher«, über den saisonale Schwankungen zwischen Erneuerbare-EnergienErzeugung und Stromverbrauch ausgeglichen werden können. Diese besondere Betriebsstrategie und Anlagentechnik stellt überdurchschnittliche Anforderungen an die Mess-, Steuer- und Regeltechnik und erfordert entsprechendes KnowHow beim Automatisierer. Pilotanwender in Sachen »virtueller Stromspeicher« ist die Polizeihochschule Biberach. Die Ausbildungsstätte setzt auf eine flexible Power-to-Heat-Anlage, die die Strom- und Wärmeversorgung 3) Als Indikator für das Überangebot dient die Stromprognose der Stromhandelsbörse Epex Spot 37 Fachthema Dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung Gasnetz 100 % Wärmespeicher 210 47 % 53 % Primärenergieeinsparung 100 50 BHKW 190 140 100 Umweltwärme Gaskessel 190 40 40 konventionelle Wärmeerzeugung Stromnetz virtueller Stromspeicher Wärmeabnehmer konventionelle Wärmeerzeugung im Vergleich zu Hybrid-BHKW/virtueller Stromspeicher 9878.1 Bild 1. Prinzip der Primärenergieeinsparung und des Stromspeichereffekts im hybriden Heizkraftwerk im Vergleich zu Gaskessel geschickt miteinander verbindet. Auch wenn solche Objektversorgungskonzepte häufig durch regulatorische Rahmenbedingungen wirtschaftlich gehemmt werden, lassen sich hingegen in der öffentlichen Wärmeversorgung ähnliche Projekte wirtschaftlich realisieren. Einheitliche und durchgängige Kommunikationsinfrastruktur Ein in Zukunft spannendes Geschäft liegt für Stadtwerke weiterhin in der Wärmeversorgung. Mit langfristigen Wärmelieferverträgen ist es zwar eines ohne herausragende Renditen, aber dafür strategisch interessantes und risikoarmes4) Geschäft. Mit dem Ausbau dieser Sparte wird der Heimvorteil im Kundenkontakt genutzt und eine sonst nur sehr schwer erreichbare Kundenbindung mög4) Mit Gewichtungsfaktoren in Preisgleitklauseln können Beschaffungs-, Lohnkosten- und Abnahmerisiken vermindert werden. 38 lich. Zusätzliches Geschäft lässt sich durch Energieverbrauchsportale und Energieberatung generieren, die die Verbrauchsdaten integrieren und nutzen. Lokale Energie- und Klimaschutzkonzepte, die immer häufiger von Kommunen erstellt werden, helfen bei der strategischen Nah- und Fernwärmeerschließung und der öffentlichen Kommunikation des gesellschaftlichen Nutzens von Fernwärmekonzepten. Ein wirtschaftlicher Anlagenbetrieb erfordert nicht nur qualifiziertes Personal, sondern auch den strategisch getriebenen Ausbau einer geeigneten Energieinfrastruktur. Dazu gehören neben intelligenter Regelungstechnik für Erzeugungsanlagen und Wärmenetze auch der Einsatz innovativer Übergabestationsregler und Automationskonzepte, wie in Bild 2 dargestellt, die den komplexen Anforderungen gerecht werden. Beispiele hierfür sind solarthermische Fernwärmeunter- stützung, Touch-Displays vor Ort, offene Programmierumgebungen für einfache Anpassungen, die Informationsbereitstellung über das Web sowie Smartphones oder auch der durchgängige Fernzugriff bis zum Endkunden für das Serviceund Betriebspersonal. Sind erst einmal mehrere Anlagen im Portfolio vorhanden, ist es sinnvoll, diese hydraulisch über Netzschlüsse und datentechnisch durch Automatisierungstechnik zu einem Verbund auszubauen. Automatisierungstechnik gewinnt für den wirtschaftlichen Anlagenbetrieb an Bedeutung Die intelligente Automatisierung mit den damit erfassten Informationen und dem dadurch möglichen Anlagenzugriff schafft deutliches Optimierungspotenzial in Energiebeschaffung und Anlagenbetrieb. Ein Trend in Richtung Digitalisierung zeigt sich auch in der WärmeEuroHeat&Power 45. Jg (2016), Heft 10 Leitebene bedienen und beobachten Visualisierung überwachen melden, alarmieren protokollieren, archivieren Betriebsführung, Energiemanagement Automatisierungsebene überlagerte Regelung BHKW-Heizzentrale Einbindung aller Hauptund Nebenaggregate Feldebene Regelung Heizkreise Warmwasserbereitung Pufferspeicher-Management Wärmebedarfsprognose Zählerdatenerfassung Wärme-Leitsystem DHCS DHCS District Heating Control System Heizzentralen-Controller HPSC HPSC Heat & Power Station Controller Nahwärmestationsregler LHSC LHSC Local Heating Substation Controller 9878.2 Bild 2. Durchgängige Automatisierung und volle Kontrolle von der Leitebene bis in die Feldebene versorgung und der Kopplung von Wärme- und Stromsektor. Übergeordnete Regelungen steigern die Wirtschaftlichkeit durch gezieltes Unterstützen des Bilanzkreismanagements von Strom und Gas oder EuroHeat&Power 45. Jg (2016), Heft 10 durch börsenpreisoptimierten Betrieb der Erzeugungsanlagen. Die wesentliche Flexibilität kann jedoch hauptsächlich auf der Anlagenebene über den gesamten Pool der Wärmeversorgungsanlagen erschlossen werden. Wie die dezentralen Anlagen und Bilanzkreise ineinandergreifen und sich beeinflussen, ist in Bild 3 ersichtlich. Durch komplexe, den Betrieb und die Vermarktung beeinflussende 39 Fachthema Dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung Bilanzkreismanager Direktvermarkter Epex MS-Verteilnetz 20 kV BK Strom Trafo 1 Trafo 2 NS-Verteilnetz 400 V NS-Verteilnetz 400 V VPPC Master HZ 1 HZ 2 Slave HZ 3 G G Puffer GK Übergabe- LHSC station 1 HZ 4 Slave Slave BHKW Puffer GK Übergabe- LHSC station 2 BK Gas Puffer GK Übergabe- LHSC station 3 BHKW Elektrokessel Übergabe- LHSC station 4 Übergabe- LHSC station … p WW-Speicher & WT WW-Speicher & WT Verbraucher 1 WW-Speicher & WT Verbraucher 2 p WW-Speicher & WT Verbraucher 3 WW-Speicher & WT Verbraucher 4 Kommunikationsverbindung Bilanzkreis Gas Wärmeleitung/Wärmenetz Anlagepool Wärmeversorgung Bilanzkreis Strom Virtual Power Plant Controller Verbraucher … 9878.3 Bild 3. Übersicht der Bilanzkreise und übergreifendes Optimierungspotenzial Energiegesetze werden heute auch an Automatisierungsunternehmen überdurchschnittliche Anforderungen gestellt und ein umfassendes energiewirtschaftliches und -rechtliches Wissen eingefordert. Das enthält z. B. auch die Erstellung und regelungstechnische Integration von Wetter- und Lastgangprognosen sowie Berechnung, Management und der sichere Versand von viertelstundenscharfen Fahrplänen. Aufgrund der zunehmend dezentralen Versorgungsstruktur durch die Nutzung der erneuerbaren Energien wird sich dieser Trend nicht nur fortsetzen, sondern massiv an Bedeutung gewinnen. Energiewende erfordert Kommunikationsfluss – nicht nur auf technischer Ebene Der verstärkte Einfluss des Vermarktungsrisikos auf den technischen Anlagenbetrieb macht eine Abbildung der Marktdaten und der volatilen Preissignale in den Betriebs- und Regelungskonzepten heute unverzichtbar. Galt beispielsweise vor 40 wenigen Jahren noch der Planungsgrundsatz der maximalen Betriebsauslastung von BHKW (Grundlast nach Jahresdauerlinie), so ist heute schon bei der Planung sowohl für Eigenstromnutzung, als auch für Anlagen zur Einspeisung in die öffentliche Versorgung sowie zur Verminderung von Ausgleichsenergiekosten eine Simulation unerlässlich. Dabei werden Auslegungsvarianten und das Zusammenspiel spartenübergreifender Rahmenbedingungen und Parameter simuliert sowie betriebswirtschaftlich mit historischen Preisverläufen bewertet. Für die verschiedenen Szenarien und um ein möglichst zielgerichtetes Ergebnis zu erreichen, ist eine ergebnisneutrale und offene Kommunikation notwendig. Nicht selten ergeben sich durch solche Beratungsgespräche weitere Ansatzpunkte für spartenübergreifende Diskussionsanstöße und für Optimierungsmöglichkeiten, wodurch Doppelinvestitionen in IT-Lösungen vermieden oder vorhandene Software und technische Infrastruktur mit überschaubarem Aufwand erweitert werden können. Literatur [1] Sektorkopplung erleichtern. Interview mit Andreas Kuhl mann (Dena), Solarthemen; www.solarthemen.de/index. php/2016/03/10/interviewandreas-kuhlmann-denasektorkopplung-erleichtern/ [2] Quaschning, V: Sektor kopplung durch die Energie wende. Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW j Berlin, 2016. [email protected] www.avat.de EuroHeat&Power 45. Jg (2016), Heft 10
© Copyright 2025 ExpyDoc