unBehindert bewegen unBehindert fühlen unBehindert hören unBehindert sehen unBehindert verstehen unBehindert.glauben.leben. ... wie das Leben von Menschen mit und ohne Behinderung in den Pfarrgemeinden gelingen kann EVANGELISCHE Kirche in Österreich unBehindert.glauben.leben. Die Vereinten Nationen, die Republik Österreich, die Katholische und die Evangelische Kirche Österreichs bekräftigen ein gleichberechtigtes Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung: UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - Artikel 1, Zweck Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Republik Österreich – Bundesverfassung - Artikel 7 Abs. 1: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. 2| Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz. (1 Sam 16,7) |3 unBehindert.glauben.leben. Inhalt Vorwort 6 1. Behinderung und Barrieren 9 Barrieren 12 1.1 Hören – schwerhörig – gehörlos 14 Gehör-los 16 1.2 Sehen – sehbehindert – blind 19 1.3 Verstehen – Lernschwierigkeiten – geistige Behinderung 21 1.4 Bewegen - Bewegungseinschränkungen 22 1.5 Fühlen – psychische Belastung 25 2. Wohnen, Lernen, Arbeiten 26 3. Gemeindeleben 29 4. Arbeitsgemeinschaft „Seelsorge bei Menschen mit Behinderung“ und Diakoniewerk 30 Impressum 35 In der Mitte der Broschüre (zum Herausnehmen) „Anregungen und Impulse“ zum Nachlesen, Nachdenken und danach Handeln 4| Abkürzungen im Text: ARGE ... Arbeitsgemeinschaft bei Menschen mit Behinderung Pfarrgemeinde ... Katholische Pfarrgemeinde/Evangelische Pfarrgemeinde |5 unBehindert.glauben.leben. Vorwort 6| enschen mit all ihren Unterschieden gehören zur Gemeinde Jesu Christi, das ist Grundwissen der Kirchen. Sie versuchen in all ihren Handlungsfeldern diese Erkenntnis in die Tat umzusetzen. Darauf zu achten, dass dies nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt, ist ihre bleibende Aufgabe. Barrierefreiheit in jeder Beziehung ist dabei Voraussetzung und Integration das große Ziel. Ich wünsche mir, dass unsere Seelsorge Handlungsdefizite liebevoll erkennt, benennt und nach Möglichkeit beseitigt, Menschen an ihren jeweiligen Standorten und auf ihren Wegen begleitet, christliche Orientierung gibt und für ein gutes gesellschaftliches Miteinander eintritt. M D Ihr Olivier Dantine Superintendent Ihr Manfred Scheuer Bischof ie Welt, die Gesellschaft wäre ärmer und kälter, wenn es Menschen mit Behinderung nicht gäbe. Sie sind ein Geschenk und eine Gabe. Es ist nicht unsere Großzügigkeit, unser Wohlwollen oder unsere Anerkennung, durch die Leben in seiner Heiligkeit und Unantastbarkeit begründet und gestiftet wird. Nicht durch uns wird Leben heilig, sondern durch den, der es schenkt, durch Gott. Gott schreibt das Hoheitszeichen seiner Liebe und Würde auf die Stirn eines jeden Menschen. Keiner ist wiederholbar und ersetzbar, keiner ist eine Nummer oder ein Serienprodukt. Jeder Mensch hat einen unendlichen Wert. Gott hat sich jeden einzeln ausgedacht als Wunder mit einem speziellen Auftrag. |7 unBehindert.glauben.leben. 1. Behinderung und Barrieren Jeder Mensch besitzt Würde, die ihm von Gott gegeben ist. In jedem Menschen begegnen wir Gott, gleich ob er reich, arm, behindert oder nicht behindert ist. Oft sind Menschen versucht, nur den perfekten, fehlerfreien Menschen als Abbild Gottes zu sehen. Jesus hingegen hat sich besonders mit den Menschen am Rande der Gesellschaft, mit kranken, behinderten, sündigen und armen Menschen solidarisiert und die Begegnung mit diesen Menschen als Gottesbegegnung gedeutet. „Wir (die Menschen mit Behinderung) sind eine Minderheit, der man unfreiwillig beitreten kann, ohne Warnung, jederzeit. Dieses Risiko kann Kreativität und Offenheit hervorrufen für das, was Gott tun wird.“ (Nancy Eiesland, amerikanische Theologin) 8| Die Bandbreite möglicher Behinderungen ist groß. Es gibt Körperbehinderungen, Seh- und Hörbehinderungen, psychische Belastungen und geistige Beeinträchtigungen. Eine Behinderung ist gegeben, wenn Menschen über einen längeren Zeitraum nicht im normalen Umfang am Leben in der Gesellschaft teilhaben können, wenn Menschen in vielen alltäglichen Situationen auf Hilfe angewiesen sind, aber auch, wenn Menschen mit Behinderung in der Schule, im Beruf oder bei ihrer Teilnahme am öffentlichen Leben weniger Chancen als anderen eingeräumt werden. |9 unBehindert.glauben.leben. „Ich wäre längst nicht so behindert, wenn ich nicht so behindert würde…“ Behinderung liegt nicht nur in der Person der Betroffenen begründet, sondern auch im Unvermögen des gesellschaftlichen Umfelds, diese Menschen zu integrieren. Wer ist behindert? Behinderung ist kein Einzelschicksal: Menschen mit Behinderung leben mitten unter uns, auch in der Pfarrgemeinde. Nur sehr wenige Behinderungen sind angeboren (etwa vier Prozent). Fast alle Behinderungen sind im Laufe des Lebens entstanden, zum Beispiel durch Unfälle oder Krankheiten. Behinderung kann jeden treffen. Viele ältere Menschen sind in irgendeiner Weise behindert. 10 | | 11 unBehindert.glauben.leben. „Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich.“ (Ps 139,5) Barrieren Viele Menschen können schlecht Treppen steigen, finden keinen Platz mit dem Kinderwagen, Rollator oder Rollstuhl. Eine schwere Kirchentür ist für viele kaum zu öffnen. Für manche ist der Weg vom Parkplatz bis zur Kirche zu weit, für andere der gepflasterte Kirchplatz zu holprig. Einige beklagen sich, dass sie die Lektoren schlecht verstehen können. Viele haben Schwierigkeiten, die kleine Schrift in Gesang- und Gebetsbüchern zu entziffern. Wenn Kirche und Pfarrheim nur schwach beleuchtet sind, fühlen sich ältere Menschen unsicher und haben Angst, eine Schwelle oder eine Kante zu übersehen. Es gibt auch sprachliche Barrieren: So versteht z.B. nicht jede/r eine komplizierter geratene Predigt. Wenn Eltern mit einem Kind mit geistiger Behinderung die Blicke anderer Gemeindemitglieder auf sich ziehen, weil es manchmal unruhig ist und das eine oder andere Mal vor Freude oder Ärger laut schreit, wenn jemand psychisch belastet ist und unter Ängsten leidet, wenn je12 | mand das Gefühl hat, wegen seiner Behinderung ständig angestarrt zu werden, wenn, wenn, wenn … Barrierefrei ist mehr als stufenlos. Barrierefreiheit tut allen Menschen gut. Je nach Behinderungsform gibt es sehr unterschiedliche Barrieren. Eine umfassende Barrierefreiheit ist nicht überall und sofort zu erreichen. Doch mit Ideen und Kreativität lassen sich manche Barrieren leicht überwinden. „Da brachte man einen Gelähmten zu ihm; er wurde von vier Männern getragen. Weil sie ihn aber wegen der vielen Leute nicht bis zu Jesus bringen konnten, deckten sie dort, wo Jesus war, das Dach ab, schlugen (die Decke) durch und ließen den Gelähmten auf seiner Tragbahre durch die Öffnung hinab.“ (Mk 2,3-4) In der Mitte der Broschüre finden Sie unter anderem praktische „Anregungen und Impulse“, die Sie bei Ihrem ersten Herangehen an ein „barrierefreies“ Leben unterstützen. Ganz allgemein geht es um Offenheit, Sensibilität und Veränderungsbereitschaft, das heißt: das Miteinander in Begegnungen suchen und entwickeln Ausgewogenheit zwischen Tradition und Veränderung gestalten und leben eine Ansprechperson für Menschen mit Behinderung nennen und ausbilden Menschen mit Behinderung helfen gerne bei einem Rundgang durch pfarrliche Einrichtungen und weisen auf ihre individuellen Zugangs- und Umgangs-Barrieren hin Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen bei Neuerungen und Veränderungen miteinbeziehen | 13 unBehindert.glauben.leben. „Nicht sehen können trennt den Menschen von den Dingen, nicht hören können trennt ihn von den Menschen.“ (Immanuel Kant) 1.1 Hören – schwerhörig – gehörlos Menschen mit verminderter Hörfähigkeit versuchen, solange wie möglich die Lautsprache zu verwenden, um Informationen auszutauschen. Gehörlose Menschen sind gezwungen, die Gebärdensprache einzusetzen. In grenzwertigen Situationen kann es vorkommen, dass hochgradig hörbehinderte Menschen beide Ausdrucksformen benutzen, indem sie gleichzeitig sprechen und gebärden. Bei uns ist etwa jeder fünfte Mensch hörgeschwächt. Auch viele junge Menschen sind davon betroffen. Aber Hörbehinderungen sind nicht leicht zu erkennen. Deshalb werden die Probleme von Menschen mit verminderter Hörfähigkeit oft übersehen. Fast alle Angebote in Pfarrgemeinden, vom Gottesdienst bis zu Veranstaltungen im Pfarrhaus sind zu einem hohen Anteil mit Hören verbunden. Gesprochene Sprache ist das wesentliche Kommunikationsmittel. Mit Hörgeräten 14 | oder Cochlea-Implantaten (CI) lässt sich diese Behinderung zumindest teilweise ausgleichen. Trotzdem ist die Kommunikation für Menschen mit verminderter Hörfähigkeit erheblich erschwert. Sie fühlen sich ausgeschlossen, wenn sie im Gottesdienst Gebete, Lesungen und Predigt akustisch nicht richtig verstehen. Lautsprecher in Kirchen und Pfarrsälen allein sind oft keine Hilfe, weil sie die Sprache verzerren und zu starkem Raumhall führen. Hilfreich sind technische Hilfsmittel wie Induktionsanlagen, die es in einigen Kirchen, wie beispielsweise im Dom St. Jakob und in der evangelischen Christuskirche in Innsbruck, sowie in manchen öffentlichen Gebäuden gibt. Anmerkung: Eine Induktionsanlage (IndukTive Höranlage) besteht aus Verstärker und Induktionsschleife. Hörgeräteträger können mit Hilfe einer solchen Anlage das in ein Mikrofon Gesprochene oder Gesungene direkt (ohne Nebengeräusche) und angepasst an ihre Hörbeeinträchtigung im Ohr hören, wenn das Hörgerät mit einer T-Spule (T wie Telefon) ausgestattet ist. Damit diese Anlagen von Menschen mit verminderter Hörfähigkeit genutzt werden können, ist es notwendig, mit diesem Logo deutlich darauf hinzuweisen. Bei Begegnungen von Menschen mit verminderter Hörfähigkeit wenden die Gesprächspartner einander das Gesicht zu, damit das Ablesen von den Lippen möglich ist. Es ist hilfreich, in normaler Lautstärke, langsam und deutlich zu sprechen sowie einfache Wörter und kurze Sätze zu verwenden. Gestik und Mimik unterstützen die Kommunikation. | 15 unBehindert.glauben.leben. Gehör-los Die Verständigung mit gehörlosen Menschen im Alltag wie auch im Gottesdienst erfordert Kenntnisse in der Gebärdensprache, denn sie können die „normale Sprache“ nicht hören. Da ihre „Fremdsprache“ in den meisten Pfarrgemeinden niemand beherrscht, muss es eine besondere Seelsorge für gehörlose Menschen geben. Wenn gehörlose Menschen in einen Gottesdienst oder zu einer Veranstaltung kommen, brauchen sie einen Gebärdensprachdolmetscher. „Da brachte man einen Taubstummen zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren.“ (Mk 7,32) In der Diözese Innsbruck gibt es einen Gehörlosenseelsorger, der die Gebärdensprache kann. Er organisiert mit regionalen Gehörlosenvereinen Gottesdienste, nimmt seelsorgliche Aufgaben wahr und begleitet Taufen, Trauungen oder Beerdigungen in Pfarrgemeinden. Über die „Beratungsstelle für Gehörlose & Dolmetschzentrale für Gebärdensprache“ in Innsbruck können gegebenenfalls weitere GebärdensprachdolmetscherInnen angefragt werden, die vor Ort bei Gottesdiensten, aber auch anderen Veranstaltungen (z.B. bei Vorträgen oder Besinnungstagen) gehörlosen Menschen einen Zugang zum gesprochenen Wort ermöglichen. Der Begriff „gehörlos“ ersetzt die bisherige Bezeichnung „taubstumm“. 16 | | 17 unBehindert.glauben.leben. 1.2 Sehen – sehbehindert – blind Wenige Menschen sind von Geburt an sehbehindert oder blind. Einige Menschen müssen sich damit abfinden, dass sie über kurz oder lang nur noch schlecht oder gar nicht mehr sehen können. Andere trifft es von heute auf morgen. Mit dieser (neuen) Situation zurechtzukommen, ist ein schmerzlicher Prozess. Trotz der Beeinträchtigung können und möchten sehgeschädigte Menschen am Leben in der „sehenden“ Pfarrgemeinde teilhaben. Sehschwache, insbesondere ältere Menschen, benötigen beim Lesen ein großes, klares, kontrastreiches Schriftbild (z.B. zur Anzeige von Liednummern) bzw. eigene Informationen der Pfarrgemeinde für Sehbehinderte. Hilfreich sind auffällig markierte Stufen und Schwellen und gekennzeichnete Glastüren. In schlecht beleuchteten Räumen fühlen sie sich unsicher. Bei farblich eintönigen Fußböden übersehen sie leicht eine Schwelle oder Stolperfalle. Hinweisschilder und Plakate können sie nicht immer entziffern. Um sensibel für die Bedürfnisse sehbehinderter Menschen zu werden, lohnt es sich, Kirche und Pfarrheim einmal mit verbundenen Augen, vielleicht an der Hand eines sehenden Partners, zu erleben. „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ (Antoine de Saint Exupéry) 18 | | 19 unBehindert.glauben.leben. 1.3 Verstehen – Lernschwierigkeiten – geistige Behinderung Menschen fällt es oft schwer, alles sofort richtig zu verstehen. Was ist überhaupt normal, was heißt richtig verstehen? Menschen mit geistiger Behinderung haben häufig eine hohe emotionale und soziale Kompetenz. Lachen, Weinen, Sich-Freuen und Traurig-Sein bringen sie oft spontan und herzlich zum Ausdruck. Auch wenn manche nicht reden können, gibt es verschiedene lebendige Formen der Kommunikation. Es gibt unterschiedlichste Gründe, warum sich Familien mit einem Kind mit Behinderung zurückziehen: Sie werden unangenehm angestarrt, Gottesdienstbesucher fühlen sich durch ihr Kind gestört, von anderen wird es gehänselt. Sie finden in der Pfarrgemeinde nicht genügend Verständnis und Gelegenheit zum Austausch, obwohl sie in ihrer Situation genau das brauchen würden. Es gibt aber auch andere Erfahrungen: Menschen mit Behinderung sind eine Bereicherung für Pfarrgemeinden. Elementar gestaltete Gottesdienste mit viel Singen und Bewegung sprechen auch andere Gemeindemitglieder an. Menschen mit Behinderungen sind mit Freude dabei und helfen gerne mit. „In jedem ist etwas Kostbares, das in keinem anderen ist.“ (nach Martin Buber) 20 | Die ARGE organisiert immer wieder Begegnungsfeste mit Menschen mit Behinderung und Pfarren sowie ökumenische Gottesdienste. Mitglieder der ARGE stehen für Information und Erfahrungsaustausch gerne zur Verfügung. | 21 unBehindert.glauben.leben. 1.4 Bewegen - Bewegungseinschränkungen Was geht in einem Menschen vor, der nach einem Unfall mit der Diagnose „Querschnittslähmung“ konfrontiert wird? Wer hilft in dieser Situation? Wie kann die Gemeinde helfen? Menschen mit einer körperlichen Behinderung möchten möglichst ohne Hilfe auskommen, sind aber trotzdem oft auf Hilfe angewiesen. Jede Treppe wird zum unüberwindbaren Hindernis. Eine zu schmale Tür schließt Menschen im Rollstuhl aus, selbst wenn sie geöffnet ist. In den Gemeinden steigt die Anzahl der Senioren. Im Alter sind die meisten Menschen weniger mobil. Es fällt schwerer, zu laufen und Treppen zu steigen. Auch das Hören und Sehen wird immer schwieriger. Was kann getan werden, um älteren und körperbehinderten Menschen das Leben in der Pfarrgemeinde zu erleichtern? Barrierefreies Planen, Bauen und Einrichten ist kein Sonderrecht für Menschen mit Behinderung. Rampen werden nicht nur von Rollstuhlfahrern, sondern auch für Kinderwagen genutzt. Immer mehr Menschen sind auf Barrierefreiheit angewiesen, um aktiv am Gemeindeleben teilhaben zu können. 22 | „Alle Menschen sind Ebenbild und Geschöpfe Gottes, und daher sind alle wertvoll und dazu bestimmt, wie Geschwister zu leben.“ | 23 unBehindert.glauben.leben. 1.5 Fühlen – psychische Belastung Fast ein Drittel der Bevölkerung erleidet im Laufe ihres Lebens eine manifeste psychische Erkrankung. Besonders häufig treten Depressionen auf. Psychisch Kranke sind keine Randgruppe, schon gar nicht eine Minderheit. Psychisch kranke Menschen verbringen nur einen kleinen Teil ihrer Zeit in einer Klinik. Im Alltag findet man sie zu Hause, vielleicht auch in der Pfarrgemeinde. Anders als bei anderen Krankheiten schämen sich viele Betroffene wegen ihrer psychischen Beeinträchtigung. Sie wird verschwiegen. Vorurteile und fehlende Informationen führen im Umfeld zu Angst, Unsicherheit, Ablehnung, Distanzierung und sozialer Isolierung. „Herr, heute möchte ich Dir danken, dass es mir von Tag zu Tag besser geht. Sicher freut es Dich auch. Wenn meine Zukunft auch noch im Dunkeln liegt, will ich es doch mit Dir wagen.“ (aus einem Fürbittbuch) 24 | Beim Umgang mit psychisch Kranken geht es darum, Ausgrenzung zu vermeiden und die menschliche Würde trotz der Krankheit zu sehen. Im öffentlichen Leben gibt es Selbsthilfegruppen oder Gesprächskreise für Menschen mit psychischer Belastung. Warum nicht auch in der Kirche, wo Jesus einlädt? | 25 unBehindert.glauben.leben. 2. Wohnen, Lernen, Arbeiten Im Land Tirol gibt es mehrere Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung. Immer öfter bilden sich verschiedene Formen von Wohngruppen oder kleinen Wohngemeinschaften. Je kleiner und verstreuter aber die Wohngruppen sind, desto mehr sind auch die Pfarrgemeinden gefragt, von sich aus Kontakt zu ihren neuen Gemeindemitgliedern aufzunehmen. Die Kontaktsuche oder Eröffnung einer neuen Wohngruppe gibt Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie die Begegnung zwischen den Bewohnerinnen/Bewohnern und den Mitgliedern der Pfarrgemeinde gestaltet werden könnte. Etwas anders sieht es aus, wenn es in der Gemeinde eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen, ein Sonderpädagogisches Zentrum oder Integrativen Unterricht gibt. Die Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter und Schülerinnen/Schüler wohnen oft weit entfernt und sind vielleicht in einer anderen Pfarrgemeinde zu Hause. Trotzdem können Werkstatt oder Schule in das Gemeindeleben einbezogen werden, zum Beispiel durch einen Schulgottesdienst oder einen Gottesdienst in der Werkstatt, durch Beteiligung und Mitarbeit beim Pfarrfest, durch das Einbeziehen in die Sakramentenkatechese oder durch Besuche von Mitgliedern der Pfarrgemeinde in der Werkstatt oder Schule. 26 | “... eine Kirche, die den Menschen dort begegnet, wo sie sind: bei der Arbeit und beim Spaß, auf dem Fußballplatz und in ihren Häusern ...“ (aus „Eine einladende Kirche“ von Kardinal Franz König) | 27 unBehindert.glauben.leben. 3. Gemeindeleben Das Leben einer Pfarrgemeinde hat viele Facetten: Gruppen von jung bis alt treffen sich im Pfarrheim. Menschen engagieren sich auf unterschiedlichste Weise in der Pfarrgemeinde. Auch Menschen mit Behinderungen können am Gemeindeleben teilhaben. ,,Eine Gemeinde ohne Menschen mit Behinderung ist eine behinderte Gemeinde.“ 28 | Die Bücherei empfiehlt Menschen mit einer Sehbehinderung Hörbücher, für einen gehbehinderten Lektor wird ein Zugang zum Mikrofon geschaffen, in einem Chor singen Menschen mit geistiger Behinderung mit. Kinder mit einer Behinderung fahren beim Ferienlager mit oder nehmen selbstverständlich an Tischgruppen teil. Im Pfarrheim trifft sich eine Selbsthilfegruppe von Menschen mit psychischer Belastung oder mit einer Körperbehinderung. Caritas, Diakonie und die Sozialsprengel bieten an vielen Orten familienunterstützende Dienste an. Menschen mit Behinderung benötigen eventuell zur Teilnahme am Gemeindeleben Assistenz oder technische Hilfsmittel. In Absprache mit den Einrichtungen für Menschen mit Behinderung lassen sich viele Fragen klären. | 29 unBehindert.glauben.leben. 4. Arbeitsgemeinschaft „Seelsorge bei Menschen mit Behinderung“ und Diakoniewerk Die Arbeitsgemeinschaft „Seelsorge bei Menschen mit Behinderung“ der Diözese Innsbruck unterstützt Familienangehörige, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung und Pfarrgemeinden. Sie macht mit speziellen Angeboten die besondere Zuwendung Gottes erlebbar und ist Ansprechpartner für Menschen mit geistiger Behinderung, Körperbehinderung, Mehrfachbehinderung sowie für Blinde, Gehörlose und Schwerhörige. Die Evangelische Kirche lässt in ihren Pfarrgemeinden und den Einrichtungen der Diakonie Österreich „Nächstenliebe in unserer Zeit“ als Kernkompetenz in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung spüren und wachsen. Menschen mit Behinderung finden in Einrichtungen der Diakoniewerke reguläre Beschäftigung, Wohnmöglichkeiten und spezielle Bildungsangebote. Diese Einrichtungen stehen darüberhinaus den Pfarrgemeinden als professionelle Partner mit ihrem ganzen Know-how zur 30 | Verfügung. Das Evangelische Diakoniewerk Gallneukirchen bei Linz betreibt in Tirol das Kulinarium Kitzbühel (Cateringservice, Betriebsküche Eurotours), Werkstätte und Wohnbereiche in Kirchbichl sowie die Johann Sebastian Bach Musikschule in Innsbruck. Die Namen und Zuständigkeiten der Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in der Katholischen und Evangelischen Kirche finden Sie auf den zwei Folgeseiten. Die Aussendung dieser Broschüre an die Pfarren in Tirol wird mit folgenden pastoralen Zielsetzungen verbunden: 1. Die Pfarrgemeinden werden ermutigt, zu Menschen mit Behinderung, deren Familien und Einrichtungen Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Die Diözese Innsbruck bietet dazu einen Lehrgang „Spirituelle Begleitung für Menschen mit Behinderung“ an. 2. Die Pfarrgemeinden / Seelsorgeräume werden gebeten, im Rahmen ihrer Aufgabenverteilung eine Kontaktperson zu beauftragen, die das Thema von „Menschen mit Behinderung“ immer wieder aufgreift und präsent hält. 3. Menschen mit Behinderung möchten in der Pfarrgemeinde integriert sein und wie alle anderen Gemeindemitglieder ganzheitlich dazugehören. Der Fachbegriff dafür ist Inklusion. Inklusive Konzepte sprechen alle Sinne an und helfen, sich auf das Wesentliche und Wichtige zu konzentrieren. Inklusion ist deshalb ein wichtiges Thema für die Pfarrgemeinde. Bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung geht es darum, nicht die Einschränkung (Behinderung) der Person in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die besonderen Fähigkeiten (Charismen) zu suchen und diese als Bereicherung der Pfarrgemeinde erlebbar zu machen. „Allein ist das schwer zu tragen. Wir gehören zu einer christlichen Gemeinde – und die hat keine Ahnung, wie es uns geht! Es wird Zeit, dass wir uns melden. Wir möchten dazugehören!“ | 31 unBehindert.glauben.leben. Die nachfolgend genannten Personen stehen für Information, Beratung und Begleitung zur Verfügung: Seelsorgerin bei Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderungen im Haus Franziskus, Innsbruck (SLW) Sr. Birgitt Eckerstorfer 6130 Schwaz, Ludwig Penz-Straße 21 Tel.: 0664-1672393 e-Mail: [email protected] Seelsorger bei Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderungen im Seraphischen Liebeswerk (SLW) Pater Markus Präg (OFMcap) 6460 Imst, Dr. Carl-Pfeiffenberger-Straße 13, Kapuzinerkloster Handy: 0664-1298048 e-Mail: [email protected] Seelsorger bei Menschen mit Behinderung Helmuth Zipperle (Diakon) 6167 Fulpmes, Deniflestraße 28 Handy: 0699-10434326 e-Mail: [email protected] 32 | Evangelischer Seelsorger in der Behindertenhilfe (Diakoniewerk Gallneukirchen), der als evangelische „Hotline“ bei fachlichen Fragen zur Verfügung steht: Pfr. Mag. Herbert Rolle Martin-Boos-Strasse 4 4210 Gallneukirchen Handy: 0664-8583660 email: [email protected] Behindertenarbeit in der Caritas Mag. Klaus Burger 6020 Innsbruck, Heiliggeiststraße 16 Tel.: 0512-7270 e-Mail: [email protected] Blindenapostolat Christine Horngacher 6020 Innsbruck, Karmelitergasse 6/2/7 Handy: 0664-3508430 e-Mail: [email protected] Gehörlosenseelsorge (Seelsorge in Gebärdensprache) Manfred Pittracher 6020 Innsbruck, Riedgasse 9 Tel.: 0512-2230-4310 e-Mail: [email protected] Evangelische Gehörlosenseelsorge Pfarrerin Mag. Manuela Briggl 1190 Wien, Börnergasse 16 Tel.: 0664/5345278 Fax 3157125-10 e-Mail: [email protected] bzw. die jeweilige evangelische Pfarrgemeinde vor Ort Ansprechpartner und spiritueller Begleiter in Fragen und Anliegen der Hörverminderung Reinhold Pölsler 9900 Lienz, Kärntnerstraße 42, Bildungshaus Osttirol Tel.: 04852-65133-0 e-Mail: [email protected] Die ARGE ist der Abteilung „Familie und Lebensbegleitung“ zugeordnet: Leiter der Abteilung Familie und Lebensbegleitung Dipl.-Theol. Alfred Natterer 6020 Innsbruck, Riedgasse 9 Tel.: 0512-2230-4300 e-Mail: [email protected] Weitere Kontaktadressen zum Thema „Menschen mit Behinderung“: „Wer hilft Wie in Tirol“ - www.werhilftwie-tirol.at Die Eingabe des Suchbegriffes „Behinderung“ beschleunigt die Suche nach entsprechenden Kontaktadressen. Evangelische Blinden- und Sehbehindertenseelsorge Pfarrer lic. theol. Hartmut Schlener, 1140 Wien, Freyenthurngasse 20 Tel.: 01/9142115 Fax DW 28 bzw. die jeweilige evangelische Pfarrgemeinde vor Ort | 33 unBehindert.glauben.leben. Bilderverzeichnis Titelseite: unBehindert bewegen: Rollstuhlfahrer vor einer Treppe, Sven Weber - Fotolia.com unBehindert fühlen: Tränen der Sorge und des Schmerzes, Hunor Kristo - Fotolia.com unBehindert hören: Gebärde des Wortes „Gott“, Manfred Pittracher unBehindert sehen: Lesen mittels Blindenschrift, DBSV/Lautenschläger unBehindert verstehen: Freude am Perlenketten-Knüpfen, Peter Schafferer Labyrinth des Lebens, Reinhold Pölsler Seite 3: Ein Bub küsst seine Schwester mit Down-Syndrom, philidor – Fotolia.com Seite 8: Tanzen mit dem Rollstuhl, Peter Schafferer Seite 10: Rollstuhlfahrer vor einer Treppe, Sven Weber - Fotolia.com Seite 12: Schwester Birgitt bringt Freude, Gerhard Berger Seite 15: Gebärde des Wortes „Jesus“, Manfred Pittracher Seite 17: Berührende Hände, Gerhard Berger Seite 18: Otti entdeckt eine Marienstatue, Heinz Kellner Seite 20: Spastische Hände am Klavier, Gerhard Berger Seite 23: Freude am Kuchenbacken, Peter Schafferer Seite 24: Begeisterung beim Filzen, Peter Schafferer Seite 27: Freude am Kurierdienst, Peter Schafferer Seite 28: Waldpädagogin, Heinz Kellner Seite 31: Barrierefrei beim Gabengang, Heinz Kellner Impressum Diözese Innsbruck Seelsorgeamt Riedgasse 9 6020 Innsbruck T (0512) 22 30-41 00 [email protected] www.dibk.at Redaktion: Schwester Birgitt Eckerstorfer, Diakon Helmuth Zipperle, Reinhold Pölsler (alle ARGE) und evangelische Pfarrerin Mag. Hannah Hofmeister (Seelsorgerin für die Altenwohnheime, Innsbruck) Layout: Mag.(FH) Christian Palfrader, www.wortdruck.at Die Broschüre „Gemeinsam mit Grenzen leben“ des Bistums Münster und die Broschüre „Es ist normal, verschieden zu sein“ der Katholischen Kirche Vorarlberg dienten als Grundlage und Initiation für diese Handreichung. Ein herzliches Vergelt’s Gott auch allen weiteren Mitwirkenden für die wertvollen Anregungen. © Diözese Innsbruck 2012 34 | | 35
© Copyright 2025 ExpyDoc