SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Mit 78 im Kopfstand Yogalehrerin im Ashram Von Gudrun Holtz Sendung: Freitag, 14. Oktober 2016, 10.05 Uhr Redaktion: Rudolf Linßen Regie: Gudrun Holtz Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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In dieser Zeit war Ingrid meine Yogalehrerin. Die Begegnung mit ihr ließ mich die letzten drei Jahre gedanklich nicht mehr los. Sie hatte mich sowohl mit ihrem Unterricht und auch als Person beeindruckt. Während der Yogawoche nahm ich zwei Mal pro Tag an einer 90-minütigen Yogaunterrichtsstunde teil. Plagten mich in den ersten zwei Tagen meine entsetzlichen Rückenschmerzen noch weiterhin, löste sich dieser Krampf im Körper zunehmend auf. Meiner Meinung nach lag das daran, dass wir im Unterricht zu hören bekamen, jeder solle sich nur nach seinem Tempo bewegen. An den ersten beiden Tagen lag ich überwiegend nur auf der Matte und lauschte Ingrids Stimme und ihren Worten. Diese Mischung versetzte mich bereits in einen Entspannungszustand. Auch das Wissen darum, dass Ingrid erst mit Anfang 60 mit Yoga begonnen hatte und sie mit Ende 70 noch immer Yoga unterrichtet, war Balsam für meinen Rücken. Mir wurde mit damals mit Ende 30 klar: Vieles ist möglich, auch wenn man die 60 bereits überschritten hat. Ich will mehr über Ingrids Leben im Ashram erfahren. Ich bin im Foyer des Ashrams in Horn-Bad Meinberg angekommen, und die 78jährige gebürtige Holsteinerin Ingrid Stahnecke begrüßt mich: O-Ton1: Ingrid „Wir befinden uns hier zurzeit im Ashram Yoga Vidya bei Bad Meinberg. Ich bin mit Yoga Vidya seit 2000 verbunden. 2003 wurde dann hier das Haus eröffnet, und ich war gleich beim Eröffnungstag dabei und ich war von vornherein fasziniert von dem Gebäude der Pyramide. Ich bin in die Halle rein und war sofort Zuhause. Ich habe noch meinen Hauptwohnsitz in der Nähe von Bremen, KirchweihDorf, und da bin ich auch öfter. Aber mich zieht es hier natürlich immer her Autorin1: Wir sitzen nebeneinander auf breiten grünen Plüschsofas. Es ist eine lichtdurchflutete Eingangshalle, die mich an ein Wellness-Hotel erinnert. Die Fenster reichen vom Boden bis zur Decke, auffallend große Grünpflanzen schmücken den 2 Raum. Figuren aus Mosaiksteinen sind an der verlängerten Flurseite angebracht, die zu einem der Seminarräume führt. Wir stehen auf und dringen weiter in das Gebäude vor. Dabei bemerke ich erneut, dass die ehemalige Kurklinik bereist älter ist und ein bisschen Jugendherbergscharakter aufweist. Die Tür eines Zimmers steht offen. Sie sind einfach eingerichtet. Die Atmosphäre ist sehr freundlich, jede Person, die uns begegnet lächelt. Ingrid hat schneeweißes Haar und trägt eine Brille. Ihr strahlendes Gesicht guckt mich wertschätzend an. Ihr Gesicht ist rund und wird von zwei großen Augen beherrscht, die eher Klugheit, als Melancholie zeigen. Sie führt ein aktives Leben. Seit über 13 Jahren geht sie den Weg des Yoga, ausübend und lehrend. Ingrid hat eine besondere Aufgabe im Ashram: O-Ton Ingrid2: „Ich unterrichte viel, weil ich ja sonst auch keine Aufgaben habe, und ich bin natürlich sehr frei, und natürlich muss ich auch im Sinne des Hauses lehren und leben. Das ist alles selbstverständlich. Yogalehrerin bin ich geworden, nachdem ich 2000 einen Kundalini-Einführungskurs gebucht hatte, ohne in Wirklichkeit eine Ahnung davon zu haben, was wirklich dahintersteckt. Da bin ich dran gekommen, bei meinem Erdbeerbauern in Rotenburg Wümme. Ich wollte Erdbeermarmelade kochen und aus meinem eigenen Garten, und das war die Lieblingsmarmelade der ganzen Familie und vieler Freunde. Und da war eine kleine Broschüre. Dann war da das KundaliniSeminar drin. Da war ich 62. Das war meine erste Begegnung mit Yoga Vidya. Autorin: Sie hat ein nahezu lückenloses Gedächtnis für die kleinsten Details ihrer Vergangenheit, für die unendliche Vielfalt ihrer Interessen, die zum Teil bis heute ihre Tage ausfüllen. Ingrid erinnert sich an ihre ersten Yogaerfahrungen. O- Ton Ingrid: Ich war überfordert hoch drei, weil mein Körper überhaupt nicht vorbereitet war, und ich gestehe heute noch, dass ich nach diesen fünf Tagen lacht (…) Das war aber nicht schlimm. Meine Beine rappelten bloß durcheinander. Ich kam nicht mit. Und dann hatte ich wirklich nach diesen 5 Tagen schon gemerkt, dass mir da an Asanasa was meinen Körper schulen würde. Mich hatte das so fasziniert. Ich wollt einfach mehr wissen.“ Autorin: Als der Erdbeerbauer ihr den Flyer vom Kundalini-Yoga überreichte, stand Ingrid kurz vor Ihrem Rentenantritt. Es war eine Zeit in der sie sich das eine oder andere Mal damit auseinandergesetzt hatte, was sie mit ihrem neuen Lebensabschnitt anfangen 3 wollen würde. Aber eine Antwort hatte sie nicht gefunden auch wenn sie wusste, dass sie allein in ihrer Wohnung nicht alt wollen würde. Mit ihrem Mann war sie schon seit Jahren nicht mehr zusammen und die Kinder führten ihr eigenes Leben. Eine klare Entscheidung hatte sie damals noch nicht getroffen. Wie wollte sie alt werden? Mit wem wollte sie Zeit verbringen? Wo konnte sie Sinnvolles tun? Sie begab sich auf ihren Ausbildungsweg, ohne etwas über die Inhalte der Ausbildung und ihre Zukunft zu wissen: O-Ton Ingrid 4: Ich hatte das nicht begonnen, weil ich dachte, ich will Yogalehrerin sein, sondern da gab es eine Spalte dafür, was die Motivation sei, und da hatte ich hin geschrieben zur persönlichen Weiterentwicklung. Und was wollte ich in mir entwickeln? Die Disziplin. Und was ist mir nicht gelungen bis heute zum 78? Ich bin immer noch nicht diszipliniert, nur wenn das darum geht, dass ich Yoga unterrichte und so weiter und auch in meinem Arbeitsleben. Die Disziplin war immer da. Aber persönlich, da gehe ich mal morgens um sechs ins Bett, wenn ich gelesen habe, und lese, wenn es Sonntag ist, immer noch weiter bis so ein Buch von 1000 Seiten durch ist. Autorin: Und ohne dass ihr Körper trainiert war, blieb Ingrid beim Yoga und machte eine zweijährige Ausbildung. Es hatte sie schlichtweg gepackt. Ihre zwei Töchter fanden es tough, welcher neuen Herausforderung sich ihre Mutter stellte. Ingrid hat beinahe ein lückenloses Gedächtnis bezüglich der kleinsten Details ihrer Vergangenheit für die unendliche Vielfalt der Interessen in ihrer Vergangenheit. Sie lässt die Erinnerungen an sich vorbei ziehen, ihre Tochter Judith wurde 1965 geboren. Da war Ingrid 27½ Jahre alt. Ihre Tochter Edna erblickte knapp drei Jahre später das Licht der Welt. Heute sind die Töchter 48 und 50 Jahre alt und selbst Mütter, und Ingrid ist somit Oma. Ingrid Töchter unterstützten ihre Mutter, so gut es ging, bei ihrem Vorhaben und tolerierten die Entscheidung ihrer Mutter. Beide Töchter praktizieren keinen Yoga. Ingrid hatte sich mit Anfang 60 dafür entschieden, dass sie ihr altes Leben in der Form, wie sie es lebte, nicht bis zum Ende ihres Daseins führen wird. O-Ton Ingrid 3: „Yoga im Grunde genommen ist wohl schon mal an meine Ohren in den 70er Jahren gekommen. Da war ja schon einmal eine Hare-Krishna-Bewegung und sogar in Rotenburg waren schon mal die in Orange oder Gelb Gewandeten. Das hat mich ... Na ja gut, ich hatte zwei Kinder. Das ist nicht zu mir durchgedrungen. Und dann hatte ich aber eine Kollegin, aber auch Jahrgang 38. Die hat viele Jahre Yoga gemacht, aber auch so eine Art, die ich schon beschrieben habe. Die hat schon Yoga gemacht, aber wie gesagt, auch das ist nicht so an mich ran gegangen. Ich habe überhaupt keinen Sport gemacht, außer vielleicht als Schulkind in der 4 Nachkriegszeit. 53 bin ich ja schon schulentlassen, das war eine stürmische Zeit. Keine Materialien. Da waren wir 49 Kinder im Alter zwischen 14 und 19 Jahren. Nein Sport habe ich nie gemacht.“ Autorin: Ingrid war ihr ganzes Leben bereits immer aktiv. Sie traf sich viel mit Freundinnen und Verwandten. Sie machte gerne Radtouren, allein oder auch mit mehreren, backte Kuchen und reiste gerne. Häufig blickte sie aber auch einfach nur gerne in ihren mondbeschienen Garten, mit Buch in der Hand. Aktuell Im Ashram unterrichtet Ingrid die Hälfte des Jahres drei Mal pro Woche Rücken-Yoga. Die restliche Zeit lebt sie in ihrer alten Wohnung, zehn Kilometer von Bremen entfernt. Yoga ist eine philosophische Lehre aus Indien, deren Wurzeln im Hinduismus und Buddhismus liegen. Es gibt viele verschiedene Formen des Yoga, oftmals mit eigener Philosophie und Praxis. Einige Formen legen den Schwerpunkt auf geistige Konzentration, andere mehr auf körperliche Übungen. Ursprünglich ein rein spiritueller Weg, der vor allem die Suche nach Erleuchtung durch Meditation zum Ziel hatte, verfolgen Yogaübungen heute zumeist einen ganzheitlichen Ansatz, der Körper, Geist und Seele in Einklang bringen soll. Alleine in Deutschland praktizieren inzwischen ca. 3 Mio. Menschen Yoga, darunter etwa 80 Prozent Frauen. Es gibt verschiedene Yogarichtungen. Yoga Vidya orientiert sich an der Yogalehre von Yogaguru Swami Wischnu Devananda. Ingrid unterrichtet Rückenyoga für Gäste, die sich eine Woche, ein Wochenende oder bloß einen Tag im Ashram aufhalten. Das ist nämlich möglich: Atmo: Yogastunde Autorin: Wir betreten den nächsten Raum. Einen Yoga Raum. An der einen Wandseite reichen die Fenster von der Decke bis zum Boden. Der Raum ist aufgeräumt, modern, fast clean. Ingrid trägt eine weiße Hose und ein weißes Oberteil. Sie steht vor einer Gruppe von circa 20 Männern und Frauen, ebenfalls in bequemer Kleidung auf einer Matte. Ingrid gibt Kommandos. Die Teilnehmenden strecken ihre Arme in die Luft und beugen sich vorne über, bis ihre Hände die Zehen berühren. Dann strecken sie erst das linke Bein und danach das rechte Bein nach hintern aus. So dass sie sich in der Haltung von Liegestütze befinden. Dann wieder rechte Bein nach vorne, danach das linke. Bis sie mit gebeugtem Oberkörper mit den Händen wieder ihre Zehen berühren. Links von ihnen befindet sich ein Yogakissen und eine weiße Decke. 5 O-Ton Ingrid 5: Ich denke, dass Menschen, die hier herkommen, Menschen, die zum Yoga gehen, haben sicherlich ja auch schon vorher eine Vorstellung davon haben, und ich bemühe mich dann, diese Aspekt anzusprechen, zu vermitteln, weil ich denke, man überfordert niemanden, man sollte aber auch niemanden unterfordern. Hier kommen erwachsene Leute hin. Und warum sollten die weniger aufnahmefähig sein als ich es war, als ich eine Ecke über 60 war? Ich merke das auch. Wenn ich manchmal ins Gespräch komme mit Menschen, mit jüngeren als ich, mit viel, viel jüngeren als ich. Die mich ansprechen, die sich freuen, dass ich hinein begleitet wurde, die sich freuen, dass ich ihnen Zeit lasse zu spüren und so weiter. Da geht mir mitunter das Herz auf, dass ganz junge Menschen wohl schon erreicht haben mögen, wo ich immer noch hinstreben muss, was ich so noch gar nicht erreicht habe. Da kommen mir so kluge feine Sachen. Ich lebe hier, Tag für Tag. Atmo: Klangschale. Gong ertönt O- Ton Ingrid.: Das ist eine Klangschale. Es gibt viele verschiedene. Heute werden sie oft therapeutisch genutzt. Aber sie sind auch einfach so zur Einstimmung. Sie macht eine gute Schwingung zur Einstimmung. Und man kann dabei das Denken vergessen, wenn man hinhört. Ich liebe Klangschalen. Autorin: Alt werden, so wie es früher war, traditionell im Altenheim oder alleine im Haus oder der Wohnung stellt zunehmend keine Alternative mehr dar. Alt werden ist nichts für Feiglinge, so ein Sprichwort. Ingrid will vor allem eins: am Leben teilhaben, Chancen ergreifen und das Leben genießen. Sie führt ein aktives Leben. Zu Beginn ihrer Lehrzeit wohnte Ingrid nur an Tagen im Ashram, an denen sie unterrichtete. Doch das änderte sich im Jahr 2010 schlagartig. O-Ton Ingrid 6: „Ich bin Shanti Vasi geworden. Da heißt Friedenbewohnerin. Wie so oft in meinem Leben habe ich eine Sekundenentscheidung für mich gefällt. Und zwar durch ein Gespräch mit einer jungen Frau wurde ich darauf aufmerksam. Rita und ich sprechen, und dann sagte Rita und guckte mich so ganz nachdenklich an: ,Mensch Ingrid, das könnte sein, dass ich etwas für dich habe.‘ Und das war, wenn ich mich richtig erinnere, der 30. Dezember 2010. Und an dem nächsten Tag, am 31., wurde mir dieses Zimmer gezeigt, nicht gerade groß, muss ich sagen, mit Duschbad drin. Und ja, ein bisschen klein, aber ein anderes gab es ja nicht, und ich habe gesagt: ,Rita, das Zimmer nehme ich.‘ Und den nächsten Tag hat sie das alles 6 schriftlich gemacht, und soweit ich erinnere, war das dann fast zwei Stunden mit Klön, und dann hat sie das alles, wie es auch so ist, fingerfertig parat gehabt und diese Verträge mir alle vorgelesen, und ich habe mir das alles angehört, und dann hätte ich gleich unterschreiben wollen, und dann sagte Rita: ,Nein, das tust du nicht. Du fährst ja morgen nach Hause. Du nimmst das morgen mit nach Hause, und über so etwas schläft man eine Nacht.‘ ,Ach‘, sage ich da, ,Rita, über so etwas brauche ich nicht zu schlafen‘, und dann habe ich das natürlich getan, beide Verträge mitbekommen.“ Autorin: Ein gutes Dutzend Jahre war Ingrid zuvor ohne Zimmer im Ashram gewesen und pendelte zwischen ihrer Wohnung und dem Ashram. Ihr gefällt die Abwechslung und das Leben in quasi zwei Welten. Sie hatte bis zu dem Kauf der Wohnung im Ashram ein sehr erfülltes Leben, ausgefüllt, durch ihr Dasein als Krankenschwester, Mutter, Ehefrau, Oma und natürlich durch ihren Garten. Der Garten war lange Zeit Treffpunkt von Großeltern, Tanten, Kindern, Onkeln, Cousins und Cousinen und Kollegen. Ingrid ging auf die Rente zu und ihr war klar, dass sie als Seniorin bloß eine kleine Rente haben würde. Eine sehr kleine. Für sie stand fest, sie würde in den Ashram ziehen und natürlich hatte sie auch Bedenken, sobald sie daran dachte, was ihre Herkunftsfamilie zu ihren Plänen sagt. Bis zum Zeitpunkt des Umzugs hatte sie ein leidenschaftliches Hobby, das sie mit ihrem Umzug aufgab. O-Ton Ingrid 7: Ich habe den Garten genommen. Ich habe mir ein sehr schönes Gartenhäuschen besorgt. Ich habe dann 87 eines bekommen, im Mai hatte ich unterschrieben und im Herbst habe ich mir ein Häuschen darauf setzen lassen. Ich habe im Grunde von Mitte Mai bis Oktober im Garten gelebt, außer schlafen. Das ist wie mit dem Yoga. Das wurde mir neben meiner Berufstätigkeit als Krankenschwester eine echte Leidenschaft, behaupte ich mal. Garten, Garten, Garten. Mangold war immer eine Leidenschaft. Das hat sich dann später auch durch yogische Ernährung ergänzt. Ich habe den Garten 26 Jahre gehabt. Ich wollte keine Tiefkühlkost mehr so gerne essen. Es kamen manchmal Personen sogar aus der Stadt, zum Teil aus dem Diakoniekrankenhaus, Diakonissen, die mich ja kannten, am Zaun gestanden und sind reingekommen für ein Getränk. Der Garten war, und das glaube ich, darf ich mit Fug und Recht sagen, bewundernswert. Er war wie ein Bauerngarten mit Gemüseanteil mit Büschen, keine Obstbäume, aber rote Johannisbeeren, schwarze Stachelbeeren, grüne Stachelbeeren. Für meine Freunde, auch Familientreffen haben wir da gemacht. Wir waren manchmal 19, 18, 20 Leute im Garten. Die Töchter natürlich auch erwachsen, verheiratet, Enkelkinder. 7 Autorin: Sie verkaufte Ihr Haus und das Gartengrundstück an eine für sie vertrauensvolle Person. Ihre Töchter nahmen das mit einem lachenden und einem weinenden Auge wahr. Ingrid musste sich entscheiden und tat dies auch. Sie verlegte ihren Lebensmittelpunkt: Sinnsuche, Körpererfahrung, Grenzüberschreitung – Spiritualität. Menschen, die hier leben, suchen für ihren normalen Alltag eine Alternative: so gibt es in Bad Meinberg ca. 170 feste Mitarbeiter, sogenannte Sevekas. Sie kümmern sich um den Unterricht, um das Buffet, die Gäste, Seminare, den Garten und vieles mehr. Neben diesen Personen gibt es noch 200 Mithelfer, die wählen können, wie lange sie bleiben wollen. Sie werden nicht in die Gemeinschaft als feste Angestellte aufgenommen, sondern sie leben bloß sporadisch vor Ort. Das Haus hat eine Kapazität von ca. 700 Betten. Teilweise leben bis zu 1000 Menschen gemeinsam in dem Haus, z.B. an Weihnachten oder Silvester. Da ist das Haus immer voll. An Ostern gibt es Kongresse oder Events, z.B. über Yoga und Ayuveda und Personen aus der ganzen Welt reisen an. Für eine bestimmte Person des Hauses bedeutet das immer besonders viel Arbeit. O-Ton Leiterin: „Ich war bis vor bis Ende des vergangenen Jahres die Ashramleiterin, also die Chefin in Anführungszeichen, und hatte das Ende des Jahres abgegeben. Mein Name ist Swir gundananja Das ist ein spiritueller Name natürlich, (…) „Die Namen sind aus der Yogatradition, aus der indischen Tradition, das sind typischerweise Namen, die auch eine Bedeutung haben natürlich, die letztlich wie eine Art Ideal sind, auf die man sich hin entwickelt. Es gibt ja in verschiedenen Kulturen und Traditionen den Brauch, dass man bei bestimmten Schwellen seiner persönlichen Entwicklung oder bei Lebensstufen auch seinen Namen wechselt: Zum Beispiel in unserer Tradition hatten wir, wenn man heiratet zum Beispiel, oder in manchen Kulturen auch bei so ähnlichen Schritten, wie Konfirmation oder beim Erwachsenwerden und so, ist es auch bei dem spirituellen Weg, wenn man dort, weil man sich auf eine gewisse Weise noch einmal sehr stark fokussieren, dass man das noch mit einem Namen verstärkt und unterstreichen kann und jetzt mein Name z. B. bedeutet Nirgunja, da steckt vorne das Nir wie im Nirvana drin und Gunas sind so die Grundqualitäten oder Eigenschaften und Nirgunja heißt: diejenige, die alle relativen Eigenschaften transzendiert. Das ist natürlich ein Ziel, auf das es letztens hin geht. Und der Zusatz Ananda da hinten, der ist. Wami heißt ja auch so etwas wie, man könnte es auch mit dem Christlichen vergleichen, wie Mönche oder Nonnen. Konzept ist natürlich etwas anderes, aber vom Übergeordneten, und dort gibt es eben auch eine Tradition, man könnte sagen einen Orden, wo eben dieses Ananda an dem Namen drangehängt wird und heißt so viel wie die Freude oder die Wonne.“ 8 Atmo: Gong. Klangschale O-Ton Leiterin: Ich bin seit gut 17 Jahren hier bei Yoga Vidya und habe jetzt eine übergeordnete Funktion, dass ich für einen Teil auch der Bereiche hier im Haus zuständig bin, aber auch für Yoga Vidya übergreifende Bereiche, also die ganz Yoga Vidya betreffen und nicht nur das Haus hier in Bad Meinberg, und auch einige Sonderprojekte betreue. Yogastunden gebe ich in dem Sinne nicht mehr, aber früher habe ich gegeben, aber ich gebe schon einiges an Seminaren. Für mich ist alles stimmig. Natürlich gibt es auch Herausforderungen und natürlich in solchen Kontexten auch, ich bin hier für eine Datenbank verantwortlich, und das ist jetzt auch nicht das, was ich jetzt von Herzen unbedingt machen möchte, sondern wie überall gehören natürlich Dinge dazu, die müssen halt sein. Und es gibt andere Dinge, die macht man halt mehr von Herzen, und da gehört auch natürlich das Teilen des Wissens mit dazu. Also das Unterrichten und alles andere ist natürlich der Rahmen, der auch sein muss, damit so ein Ort wie hier überhaupt funktioniert. Autorin: Die Bewohner dieses Ashrams bezeichnen sich als spirituelle Gemeinschaften, in der Menschen gemeinsam Yoga praktizieren, arbeiten, spirituell wachsen. Yoga Vidya als Ganzes ist eine spirituelle Gemeinschaft. Yoga Vidya bezeichnet sich als eine der größten Yogabewegungen in Europa. Sie sind ein Vorbild für eine alternative, engagierte und spirituelle Lebensweise. Die Yogateilnehmenden und Yogalehrenden praktizieren gemeinsam Yoga und geben es an Andere weiter. Gemeinsam leben, praktizieren, arbeiten – für die eigene persönliche Entwicklung und eine bessere Welt. In einer spirituellen Gemeinschaft zu leben, heißt engagiertes Leben voller Herausforderungen, Reinigung von den negativen Ereignissen in der Vergangenheit: Was ist Spiritualität in dem Verständnis der Yoginis in Bad Meinberg? O-Ton Leiterin: „Ganz spontan steckt ja das Wort spirit Geist drin. Es heißt eine geistige Wirklichkeit, erst einmal davon auszugehen, ja die gibt es. Es gibt nicht nur die physische und diese geistige Wirklichkeit. Die kann man auch erfahren, und was gar nicht so schwierig ist, wenn man ein bisschen nachdenkt, und letztlich unsere Gedanken bestimmen, wie wir uns fühlen und wie wir unser Leben leben, und Gedanken sind ja auch nicht etwas, was man greifen kann. Von dem her ist Spiritualität nichts Abgehobenes, sondern geht noch mal weiter zu sagen: Jenseits dessen, was wir mit unseren physischen Sinnen wahrnehmen können, gibt es etwas, was noch darüber hinaus geht, und über diese ganzen Praktiken können wir dieses erfahren und lebendig werden lassen in uns selbst lebendig werden lassen, und das hilft dann auch letztlich auch im Alltag einen übergeordneten Standpunkt einzunehmen. Das 9 wir, wissen, o.k. jetzt ärgere ich mich gerade über etwas oder da ist eine schwierige Situation und natürlich muss ich mit der in angemessener Weise umgehen, aber letztlich weiß ich, das ist nicht die einzige Wirklichkeit. Darüber hinaus gibt es noch etwas, wo ich mich immer wieder auch ja, eine tiefe Ressource auch in mir, wo ich dann zugreifen kann. Vielleicht kann man so Spiritualität auch definieren. Autorin: Bis sie wusste, dass Yoga ihr Lebensweg sein würde, musste sie 40 Jahre alt werden. O-Ton Leiterin: „Das waren zwei Ansätze, wie ich zum Yoga gekommen bin. Das eine war so der Weg über den, glaube ich, viele Menschen auch heute zum Yoga kommen, nämlich Rückenschmerzen, Kopfschmerzen. Ich war eben immer in so einem administrativen Beruf, und dann bin ich immer über die Volkshochschulen: Probier es mal mit Yoga, und dann war es super nach der ersten und zweiten Unterrichtseinheit von der Volkshochschule Rückenschmerzen weg, Kopfschmerzen weg. Und wie man es dann halt so hat, wenn es einem dann wieder gutgeht, vernachlässigt man es dann wieder. Der andere Weg war ein komplett anderer, nämlich so lange ich denken kann, so eine Art Sinnsuche, wo ich gedacht habe: Ey ist das wirklich alles, was die Menschen so machen? Zu Essen, zu schlafen, sich zu amüsieren. Die Sache ist ja die, man findet in unserem normalen Umfeld oder normalen Erziehung oder Bildung auch, findet man nicht unbedingt Antworten auf diese Fragen, und so hat mich das mein ganzes Leben lang beschäftigt von eigentlich Kindheit an. Diese tiefe Suche, das kann nicht alles sein, bin ich irgendwann auf dieser Suche eben auch auf eine Yogalehrerausbildung gestoßen, und die habe ich auch bei Yoga Yidya gemacht.“ Atmo Ohm Shanti Shanti O-Ton Leiterin: „Und das war dann auch ein Wendepunkt in meinem Leben, weil ich dort plötzlich gemerkt habe – das war wie so ein Augenöffner und so ein Aha-Erlebnis: Oh, da gibt es Menschen, und die beschäftigen sich schon seit Jahrtausenden mit denselben Fragen, und nicht nur das, sondern sie haben auch Antworten gefunden und Antworten, die man nicht einfach so nur akzeptieren muss und nicht nur theoretische Antworten, sondern man kann es auch selbst praktizieren und man kann es selbst erleben, und das war für mich auch eine unglaubliche Erfahrung, die mein Leben dann auch vollkommen verändert hat.“ Atmo.: Klangschale 10 Autorin: Menschen hilft es, Regelwerke zu haben. Diese gibt es in der Spiritualität und Religion. Es gibt Menschen die unterwerfen sich Regeln, z.B. so und so oft am Tag zu beten und sich niederzuwerfen, eben an einen Gott zu glauben und bestimmte Gebote zu befolgen, weil das Orientierung gibt und Halt. Und wenn es dann eben über die Yogaspiritualität geht, dann ist das eine Form, Halt zu suchen. O-Ton Leiterin: „Letztlich führt das Yoga ja zu sich selbst, in sich selbst geerdet oder wiederzufinden und dort auch die Kraft rauszunehmen wieder in den Alltag zu gehen. Und dort machen Menschen sehr, sehr tiefe Erfahrungen auch, und auch das ist ein Weg, der nicht unbedingt für jeden geeignet ist, aber es gibt schon eine Reihe von Menschen, die tiefe Erfahrungen machen und die auch diese Art der Persönlichkeitsentwicklung und auch der Transformation des spirituellen Wegs schätzen. Kennt man ja auch vom Buddhismus.“ Autorin: Es muss einen Rahmen geben in dem etwas Bestimmtes, z.B. ein Asham entstehen kann. Es leben hier die Menschen mit unterschiedlichsten Erfahrungen und kulturellen Hintergründen, jeden Alters zusammen. Der Ashram nimmt Gäste, in Form von Einzelpersonen und Gruppen von einem bis mehrere Wochen bei sich auf. Damit der Betrieb funktioniert, kümmert sich ein Großteil der Bewohner um den Yogaunterricht, das Essen, Satsang und die Yogatherapie, Büro und Gartenarbeit. Egal, ob Gast oder Bewohner – der Tag bietet eine feste Struktur: Der Tag beginnt morgens um 5 mit einem Feuerritual. Um 6 Uhr gibt es in einem der vielen Seminarräume Atemübung, die sogenannten Pranajamas, die dauern eine Stunde. Um 7 Uhr beginnt der erste Satsang. Satsang ist eine Meditation, eine Art Gottesdienst. Dabei wird Kirtan gesungen, das heißt eine Person singt vor, die auch vorne das Harmonikum bedient, und die Gruppe im Saal singt nach. Kirtan ist eine traditionelle indische Form des gemeinsamen Chantens, bei der Mantras und Götternamen melodisch wiederholt werden. Durch das Chanten entladen sich Emotionen und Spannungen, Körper und Geist werden erfrischt und vitalisiert. Nach 8 Uhr geht es weiter. Der Tagesablauf für die Sevakas beginnt, also die dienenden Bewohner, die gehen entweder in ihre Büros oder machen andere Dienste. Ab 9:15 Uhr beginnen dann die Yogastunden, und da gibt es eine große Auswahl an Angeboten für Anfänger, Mittelstufe und für Fortgeschrittene. Der Unterricht endet um 10:45 Uhr- Danach gibt es Brunch. Die Schlange vorm Speisesaal ist schon sehr lang. Die Yogis und Yoginis haben nach dem bereits langen Vormittag Hunger. 11 Atmo: Küchenatmosphäre und Speisesaalatmosphäre Endlich können sich allen an dem vegetarischen oder veganen Büffet bedienen. Gegessen wird zwei Mal am Tag. Der Magen soll 16 Stunden ungefüllt sein. Ab 14 Uhr beginnen Vorträge. Um 16 Uhr geht die nächste 90-minütige Yogaeinheit los. Ab 18 Uhr ist das Abendbüffet eröffnet. Am Abend gibt es weitere Seminare und Veranstaltungen. Die feste Regel heißt, dass ab 22 Uhr Ruhe in allen Räumen eintreten sollte und ab 22:45 Uhr absolute Ruhe ist. Eine Frau marschiert schnurstracks den Flur entlang. Es ist Nadine Fernandez. Sie ist Bauchtanzlehrerin und sucht eine Unterrichtsalternative für das Alter. O-Ton Nadine: „Also ich bin angemeldet für die zweijährige berufsbegleitende Ausbildung. (…) Und dann haben wir mehrmals im Jahr ein Intensivwochenende in Bad Meinberg und ein Intensivwochenende bei in einem Studio. Wir treffen uns dabei einmal donnerstags von 9 bis 12.30 Uhr, und der Unterricht läuft so, dass wir 1½ Stunden Theorie haben meistens und dann noch 2 1/2 Stunden Praxis, Ich praktiziere regelmäßig, aber ich habe noch nicht so ein Praxis, dass sagen kann, ich mache jeden Tag Meditation, Atemtechnik und Asanas, was die Körperstellung bedeutet, und ich habe schon über einen sehr langen Zeitraum es hingekriegt, morgens Atemtechniken zu machen, und ich habe eine Hausstauballergie und morgens oft eine verstopfte Nase und versuche dadurch, die Nase freizukriegen, und das funktioniert auch ganz gut. Wir haben auch Theorie. Wir haben auch eine Yogalehrer-Handbuch, und in dem stehen die Inhalte, die wir in der ganzen Ausbildung vermittelt bekommen. Die Atmosphäre ist halt sehr freundlich, also es herrscht einfach eine sehr friedliche, freundliche Atmosphäre unter den Menschen. Was ja auch den Yogaspirit wiedergibt, und man kann es ja auch wie eine Friedensbewegung beschreiben. Und wenn man das dann als Sekte sehen will, ich glaube, das ist einfach eine Ansichtssache und auch eine Frage dessen, wie sich jeder dahinein begibt und es als Lebensform für sich so exerzieren möchte. Also sektenartig kann einem das schon anmuten: Ich finde es aber nicht bedrohlich oder gefährlich. Autorin: Nadine ist 40 Jahre, studierte Psychologie und besitzt eine Bauchtanzschule in Greven bei Münster, in der sie unterschiedliche tänzerische Angebote, wie Bauchtanz, Zumba und viele weitere anbietet. Für sie war es wichtig, eine Alternative zum Tanz zu finden, die sie unterrichten könnte, wenn sie 50 oder 60 ist. Sie sucht etwas, was sie anleiten könnte, ohne selbst mitmachen zu müssen. Seit ihrem 17. Lebensjahr tanzt sie Bauchtanz. Von ihrer Mutter wurde sie gefragt, ob sie mit ihr gemeinsam einen Kurs im Sportverein besuchen wolle. Bauchtanz fiel ihr sehr leicht und wurde zur Leidenschaft. Das Tanzen hat sie durch ihr Studium 12 hinweg begleitet. Nach ihrem Studium arbeitete sie in Teilzeit in einer Unternehmensberatung und gab nebenbei Bauchtanzkurse. Schnell merkte sie, dass sie ein Talent dafür besitzt, Menschen in ihrer Freizeit anzuleiten und damit Freude zu bereiten. So verabschiedete sie sich von der Unternehmensberatung, machte sich selbstständig und gibt nun Workshops, hat selbst Auftritte und Shows. Im Vergleich zu ihr befindet sich der Schwerpunkt von Ingrids Leben im Ashram. Aber bestimmten Vorlieben aus ihrem früheren Leben bleibt sie bis heute treu. Autorin: Auch im Ashram gibt es Probleme, Sorgen und Nöte zwischen den Menschen, weil sie eben alle Individualisten sind, so wie es sie auch außerhalb des Ashrams gibt. Während Ingrids Blick in die Ferne schweift, erinnert sie sich an eine wichtige Zeit in ihrem Leben. O-Ton Ingrid: „62 habe ich meinen Mann kennengelernt, einen Bundeswehrsoldaten, und der war dort auf Lehrgängen, so wie das damals noch vorkam. Aber sozusagen, die ersten sechs Wochen haben wir uns nur gesiezt, und dann ging es auf Weihnachten zu. Er fuhr nach Hause, ein Ostfriese. Er war ein Emdener …Dann ist das irgendwie weitergegangen, und dann wurden wir ein Liebespaar, und dann haben wir uns verlobt, und dann haben wir geheiratet, und zwar 17 Jahre. Und ich habe nie bereut bis heute, dass ich diesen Mann geheiratet habe. Und wenn man die Zeit zurückdrehen könnte, gehöre ich zu den Frauen, dann hätte ich ihn wieder geheiratet. Aber ich bin gegangen. Ja, ich bin gegangen. Ich habe ihn verlassen, und das habe ich auch nie bereut. Das war sehr schwer. Aber ich habe es nie bereut, und ich wäre nicht hier, wenn nicht letztlich irgendwelche Veränderungen im Leben positiv sind, und ich hoffe für meinen Mann, ja sicher, den Vater meiner Kinder.“ Autorin: Ingrid hat eine Alternative zum Altenheim oder Alleineleben im Alter gefunden. Und mit ihren 78 Jahren arbeitet sie drei Mal pro Woche als Yogalehrerin. Mithilfe einer funktionierenden und verantwortungsvollen Gemeinschaft erhält sie sich ihre Selbstständigkeit. Mit einer Mitbewohnerin versteht sich Ingrid besonders gut. Es ist Claudia Patzig. Sie ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und lebt seit Frühjahr 2016 im Ashram. O-Ton Claudia Patzig: „Ich habe ein Zimmer bezogen, in dem ich meine wenigen Habseligkeiten untergebracht habe und bin dann hier vor Ort und habe dann hier auch meinen Arbeitsplatz, was wir in unserem Jargon Sevaka, was ,wir dienen‘ bedeutet, nennen. Ich habe lange in Italien gelebt, da war ich selbstständig in der Modebranche: Ich war 13 dann nach Deutschland zurückgekommen und bin 16 Jahre glücklich verheiratet gewesen. Bis dann der Tag x kam. Es war immer schon mein Wunsch, in einem Seminarhaus tätig zu sein bzw. in einem Ashram zu leben. Ich habe keine sehr große Rente. Ich habe aber immer das Vertrauen gehabt, dass für mich gesorgt wird. Ich war immer in dem Vertrauen, es wird alles gut. Und dann hab ich mich hier in Bad Meinberg beworben, weil ich gesagt habe, das ist der Ort, wo ich leben möchte. Ich hatte wundervolle Menschen kennengelernt, wie auch Ingrid, deshalb freue ich mich auch besonders, hier zu sitzen, denn wir haben uns ausgetauscht. Ich war so dankbar für die Offenheit und Zuversicht, und da hat sie mir viel Vertrauen geschenkt, hier hinkommen zu können und auch alt werden zu dürfen. Denn wenn draußen altern nicht mehr respektiert wird, nicht mehr so, wie wir uns das eigentlich wünschen, so habe ich hier gesehen, wie kostbar Älterwerdende, nicht mehr jüngere Menschen sind, weil sie ist für mich jung. Sie ist für mich das lebende Beispiel. Sie ist für mich knapp 80. Ich muss das jetzt mal sagen. Sie ist nicht mehr 70. Sie ist fast 80. Ich sehe da einen jungen Menschen mit einem jungen Geist und einem sehr mobilen Körper, die so kraftvoll auch ist im Unterricht und die Gruppe richtig liebevoll zu retten weiß. Das hat mir so imponiert, dass ich gesagt habe, wo sie alt werden kann und immer noch so jung ist, das möchte ich auch.“ Autorin: Ingrid steigt die Röte ins Gesicht, während sie ihrer Yogaschwester beim Sprechen zuhört. Ingrid macht die Aufgabe im Ashram einfach Spaß und deshalb bleibt sie am Ball. Ingrid hatte ihr ganzes Leben lang gearbeitet und das als Krankenschwester. Und auch heute noch arbeitet sie. Im Ashram ist es ein Geben und Neben. Ihre Arbeit bringt sie ins Gleichgewicht und sie braucht schon lange keinen Regenerationsschlaf zur Erholung. Sie ist weiterhin für Neues offen in ihrem Leben. O- Ton Ingrid: „Es könnte sich verschieben, ab nächstem Jahr, dass ich doch den größten Teil im Ashram leben will, und ja, es ist auch mein Zuhause hier, und ja, ich bin auch der Typ. Ich bin kaum in meiner Wohnung, dann bin ich da Zuhause. Das habe ich schon immer an mir gehabt. Da, wo ich auch bin, da bin ich dann Zuhause. Ja, meine Lebenshaltung: Natürlich sollte ich ganz yogisch denken, dann ist das alles relativ. Ich war mein Leben lang immer politisch sehr interessiert, wusste gut Bescheid. Ich war ein ganz heftiges Temperament, und ich wusste immer schon, dass ich immer sehr gerne alt werden möchte, weil ich das brauchte. Ich identifiziere mich schon mit allem, was mich ausmacht. Dazu stehe ich auch und auch jetzt. Ich heiße Ingrid. Ich bin Ingrid. Manchmal hat man so ein inneres Wissen, dass ich das in diesem Leben nicht erreichen werde, weil mein Herz nicht rein ist. Weil ich noch so Ingrid bin, und ja, dann denke ich mal … auch das sollte vielleicht anders sein. Ich liebe die Erde. Ich liebe die Wahrheit. Ich kann das nicht ausdrücken. 14 Das ist entweder ein einziger Begriff, in dem alles enthalten ist – oder es sind Milliarden von Begriffen und dafür ist der eigene Kopf zu klein, so einfach ist das für mich.“ Autorin: Wer meint, dass das für Ingrid alles gewesen ist, der irrt sich gewaltig, sie hat noch eine weitere Überraschung parat, will sich noch einen weiteren Traum erfüllen. O-Ton Ingrid: „Und jetzt wird es knapp wegen meines Urlaubes, den ich geplant habe. Den Wagen voll geladen bis unters Dach, also Ich möchte die Sommermonate dieses Jahres auf Island verbringen. Drei Monate fast. Nicht ganz 83 Übernachtungen auf der Insel und 6 Tage, fast 7 Tage, für hin und zurück. Ich habe mein Zelt dabei. An fünf Vormittagen wird gekocht manchmal fünf Mal, manchmal sechs Mal die Woche, und dann gibt es auch mal eine Brotmahlzeit, je nachdem, was für einen Tag man hinter sich hat. Ich werde dort wandern und ich werde mein Zelt so oft wie möglich eine ganze Woche auf einem Platz haben und von dort auch Sternfahrten machen, und hinzukommt, dass ich, wenn ich auf die isländische Karte gucke, kann ich sagen, dass ich sie kenne, 1992 war ich schon mal dort, und dann kam meine Tochter Edna für acht Tage geflogen, und dieses Jahr wieder für acht Tage. Sie wird Tauchen zwischen den Kontinentalplatten zwischen den eurasischen und den nordamerikanischen.“ Autorin: Vom Flur leuchten Lichter in den Raum der mit prachtvollen Säulen geschmückt ist. Draußen ist der Abend voll im Gange. Gäste und Bewohner laufen die Flure entlang direkt zum Speisesaal. Ingrid bleibt sitzen. Sie wäre nicht Ingrid, wenn sie nicht bereits jetzt schon wüsste, was sie tun will und wo sie sein möchte, sollte sie doch einmal ein Pflegefall werden. Im Ashram würde sie dann nicht mehr sein, aber wo es sie dann hinzieht, wollte sie nicht erzählen. Gemeinsam mit ihrer Tochter hat sie dafür aber alles bereits geplant. 15
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