Halber Weg PICTURE ALLIANCE/AP IMAGES Vor 110 Jahren wurde Hannah Arendt geboren. Die Ökonomie hat sie ausgeblendet, den Kommunismus lehnte sie prinzipiell ab – trotzdem ist die Philosophin heute bei vielen Linken populär. Eine Kritik ihres politischen Denkens. Von Detlef Kannapin SEITEN 12/13 GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 14. OKTOBER 2016 · NR. 240 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Weggucken Zocken Erobern Schmauchen 2 3 6 10 Leipzig: Terrorverdächtiger Al-Bakr beging offenbar Suizid. Siehe Kommentar auf Seite 8 Die Rechnung der Deutschen Bank: Die Türkische Regierung bekräftigt vor Zeche für Spekulationsgeschäfte der Offensive auf Mossul ihre zahlt die Bevölkerung Ambitionen als Regionalmacht Rauch- und Lebenszeichen: Eine Zeitreise in eine Normalität. Von Wiglaf Droste Klares Jein zu CETA PA/CRISTIAN HERNÁNDEZ/DPA-BILDFUNK Staatschef Venezuelas darf Parlament umgehen Staatsräson vor Verfassung: Karlsruhe gibt Bundesregierung grünes Licht für Zustimmung zu Handelsabkommen der EU mit Kanada – unter Auflagen. Von Jana Frielinghaus schäftsführer Thilo Bode), »Teilerfolg« (Klaus Ernst, Die Linke) oder »Ohrfeige für die EU-Kommission« (Bund für Umwelt und Naturschutz, BUND). Über die Erfolgsaussichten der mit den Eilanträgen verbundenen Verfassungsbeschwerden sagt das Urteil noch nichts. Es sei nicht ausgeschlossen, dass CETA verfassungswidrige Bestimmungen enthalte, sagte Voßkuhle bei der Verkündung des Beschlusses. Darüber will das Gericht später verhandeln. Im Eilverfahren hatte es nur zu prüfen, ob in der Zwischenzeit nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen. In der Entscheidung vom Donnerstag stuften sie die Risiken eines Stopps von CETA als weit gravierender ein als die der Inkraftsetzung. Eine deutsche Blockade würde die Außenhandelsbeziehungen zwischen der EU und Kanada beeinträchtigen und die »internationale Verlässlichkeit Deutschlands und Europas insgesamt« aufs Spiel setzen, erklärte der Gerichtspräsident. Im Zweifel scheint man also in Karlsruhe dem Grundsatz zu folgen, dass die Staatsraison Vorrang vor der Einhaltung der Verfassungsgebote hat. Nach bisheriger Planung soll das Abkommen nach der Unterzeichnung und der Zustimmung des EU-Parlaments in Teilen vorläufig in Kraft treten, noch bevor die Parlamente der Mitgliedsstaaten abgestimmt haben. Karlsruhe hat das Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nun verpflichtet, nur für eine vorläufige Anwendung derjenigen Teile zu stimmen, für die zweifellos die EU zustän- dig ist. Alle anderen Bereiche müssten ausgenommen sein. Dies betrifft unter anderem d i e Einrichtung des geplanten I nve s t o renschutzgerichts und den Arbeitsschutz. Die Kläger hatten außerdem die vorgesehene Einrichtung eines sogenannten Gemischten CETA-Ausschusses als grundgesetzwidrig angesehen. Dieser soll ohne Konsultation weiterer Gremien, geschweige denn der Parlamente der Mitgliedsländer, Änderungen am Abkommen vornehmen dürfen. Im Gerichts entscheid heißt es dazu, bis zu einem endgültigen Urteil müsse die Bundesregierung sicherstellen, dass »eine hinreichende demokratische Rückbindung der im Gemischten CETA-Ausschuss gefassten Beschlüsse gewährleistet ist«. Bob Dylan erhält den Literaturnobelpreis Verneigung vor der Konzernlobby? Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle befand am Donnerstag, ein Stopp von CETA sei gefährlicher als die Inkraftsetzung Siehe Seite 8 EU-Innenminister planen Abschottung Deutscher Ressortchef de Maizière will Flüchtlinge nach Libyen abschieben D ie Innenminister der EU haben am Donnerstag über die weitere Abschottung Europas gegen Flüchtlinge beraten. Bei dem Treffen in Luxemburg ging es um den schrittweisen Aufbau der Anfang des Monats gestarteten neuen »EU-Behörde für Grenz- und Küstenschutz« (EBCG). Sie soll bis Anfang Dezember eine Reserve von mindestens 1.500 Uniformierten erhalten, die bei Bedarf binnen weniger Tage an die EU-Außengrenze verlegt werden können. Am Nachmittag diskutierten die Minister zu- dem über das Asylsystem der Europäischen Union. Bundesinnenminister Thomas de Maizière will im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge künftig in Nordafrika internieren. Das entsprechende Abkommen mit der Türkei habe aus seiner Sicht »Modellcharakter« und solle auf afrikanische Staaten übertragen werden. Die Flüchtlinge sollten »zurückgeführt werden an sichere Unterbringungsmöglichkeiten«, erklärte der CDU-Politiker und war damit auf einer Linie mit Österreich und Ungarn. Der Wiener Innenmi- nister Wolfgang Sobotka forderte Abkommen, damit die EU Flüchtlinge »sofort auch wieder nach Libyen, nach Algerien zurückschicken« könne. Die Budapester Regierung verlangte ebenfalls die Abschiebung von Flüchtlingen in das Bürgerkriegsland. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, kritisierte am Mittwoch per Pressemitteilung das Vorhaben der EU, Asylanträge schon abzuweisen, wenn die Schutzsuchenden einen »sicheren Drittstaat« passiert haben. »Damit entzieht sich die EU ihrer Verantwortung im Rahmen des internationalen Flüchtlingsschutzes. Als ›sicher‹ betrachtet sie schließlich selbst ein Verfolgerland wie die Türkei, das die Menschenrechte mit Füßen tritt«, so Jelpke. Die libysche Regierung hatte die Einrichtung von Flüchtlingslagern auf ihrem Staatsgebiet bereits abgelehnt. Der Außenminister des Übergangskabinetts, Taher Siala, kritisierte Anfang Oktober, die EU wolle ihre Verantwortung »auf unsre Schultern« abwälzen. (AFP/jW) ULI DECK/DPA-BILDFUNK O bwohl die Bestimmungen von CETA im Widerspruch zum deutschen Grundgesetz stehen, darf die Bundesregierung ihre Zustimmung zum Handelsabkommen der EU mit Kanada geben. Das Bundesverfassungsgericht wies am Donnerstag in Karlsruhe mehrere Eilanträge dagegen ab, formulierte allerdings Bedingungen für die Absegnung des Vertrags. Damit wird die Übereinkunft aller Voraussicht nach wie geplant am 27. Oktober auf dem EU-Kanada-Gipfel in Brüssel von Vertretern der EU-Kommission und der kanadischen Regierung unterzeichnet werden. Die Bundesregierung müsse aber unter anderem sicherstellen, dass Deutschland im Zweifel aus dem Abkommen wieder herauskommt, forderte der zweite Senat unter Leitung von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zeigte sich zufrieden: »Ich glaube, dass wir mit allen guten Argumenten das Verfassungsgericht überzeugen konnten«, sagte er am Donnerstag in Berlin. Derweil zweifelte Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht an, dass es dem Minister gelingen wird, die Auflagen zu erfüllen. Die Linksfraktion im Bundestag zählt zu den Klägern, die das Abkommen in Karlsruhe stoppen wollen. Zudem mobilisierten die Verbraucherorganisation Foodwatch sowie die Vereine Campact und Mehr Demokratie mehr als 125.000 Mitkläger. CETA-Gegner werteten den Karlsruher Beschluss wahlweise als »Riesenerfolg« (Foodwatch- Ge- Caracas. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro darf den Staatshaushalt am Parlament vorbei bestimmen. Der Oberste Gerichtshof (TSJ) des südamerikanischen Landes urteilte, der Präsident dürfe das Budget statt dessen als Dekret vom TSJ genehmigen lassen. Als Reaktion darauf rief der oppositionelle Vorsitzende des Finanzausschusses im Parlament, José Guerra, alle in- und ausländischen Banken auf, der Regierung kein Geld zur Verfügung zu stellen. Die Richter begründeten ihr Urteil in einer am Mittwoch (Ortszeit) auf der Homepage des Gerichts veröffentlichten Stellungnahme damit, dass die Mehrheit der Nationalversammlung frühere Beschlüsse des TSJ ignoriert. Daraufhin hatten die Richter alle Sitzungen des Parlaments für ungültig erklärt. (AFP/jW) Stockholm. Der diesjährige Literaturnobelpreis geht an den US-amerikanischen Sänger und Songwriter Bob Dylan (75). Wie die Schwedische Akademie am gestrigen Donnerstag in Stockholm mitteilte, wird der Musiker für seine »poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition« ausgezeichnet. Deren Sprecherin Sara Danius nannte ihn einen großartigen Dichter, der sich seit 45 Jahren immer neu erfinde. Der als Robert Zimmerman geborene Dylan gilt als einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts. Sein Werk umfasst 37 Studioalben und bewegt sich zwischen den Genres Folk, Blues, Rock und Country. Dylan war für seine Songtexte bereits mehrfach für den Preis vorgeschlagen worden. Seine Auszeichnung galt jedoch als unwahrscheinlich, da seine Texte zuvörderst als musikalische, nicht literarische Kunstwerke wahrgenommen werden. (dpa/AFP/jW) Siehe Seite 10 wird herausgegeben von 1.874 Genossinnen und Genossen (Stand 20.9.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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