POLITISCHER LAGEBERICHT Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes e.V. Eröffnung expopharm, München, 12. Oktober 2016 ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die diesjährige expopharm findet in einer Zeit statt, in der sich vieles konkretisiert, was in den Monaten zuvor noch im Unklaren war. Die Legislaturperiode neigt sich dem Ende zu, die Regierungskoalition steuert mit ihrer Arbeit auf die Zielgerade – und bringt im Zuge der Umsetzung des „Pharmadialogs“ ein letztes großes Arzneimittelgesetz auf den Weg. Hierbei zeichnet sich ab, dass zwei unserer immer wieder mit Nachdruck vorgetragenen Forderungen nun endlich gesetzlich verankert werden. Ich spreche von der Verbesserung der Rezepturvergütung, die in den Bereich des Festzuschlags einbezogen wird, sowie der Erhöhung der Dokumentationsgebühr bei Betäubungsmitteln und T-Rezepten. An dieser Stelle möchte ich unseren Gesprächspartnern aus der Politik und dem Bundesministerium für Gesundheit mit Minister Gröhe an der Spitze ausdrücklich dafür danken, dass sie Wort halten und die wirtschaftliche Belastung der Apotheken bei der Zubereitung von Rezepturen und der Abgabe von Betäubungsmitteln mindern. Wohlgemerkt: Wir stehen weiterhin zu unserer Gemeinwohlverpflichtung und erfüllen diese verantwortungsvollen Aufgaben gern, aber die Umsetzung muss wirtschaftlich zumindest erträglich sein. Hier ist eine Anpassung mehr als notwendig, bei den Betäubungsmitteln haben wir ganze 38 Jahre darauf gewartet! So erfreulich die Anpassung der Sonderentgelte auch ist, kann sie doch die dringend notwendige Anpassung des Fixhonorars in einem regelmäßigen Verfahren mit einer fairen Methodik nicht ersetzen! Nur ein verlässlicher Anpassungsmechanismus verleiht uns langfristige Planungssicherheit und lässt uns an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung teilhaben. Daher ist und bleibt dies unser festes Ziel. Und seien Sie versichert, wir werden hier nicht lockerlassen, bis wir eine für uns tragbare, angemessene Lösung erreicht haben. Wir setzen uns intensiv für die sukzessive Weiterentwicklung der bestehenden Arzneimittelpreisverordnung ein. Dies ist auch Ausdruck unserer festen Überzeugung, dass der deutsche Gesetzgeber die Arzneimittelpreisverordnung als Garant für eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung durch öffentliche, inhabergeführte Apotheken sieht. So bezeichnet die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum EuGH-Verfahren die Arzneimittelpreisverordnung als „integralen Bestandteil des nationalen Gesundheitswesens“ und das flächendeckende Netz an Präsenzapotheken als „zentrales Element der deutschen Gesundheitsversorgung“. Daher blicken wir mit Zuversicht, aber natürlich auch mit Spannung auf die bevorstehende Veröffentlichung des EuGH-Urteils. Es überrascht Sie sicherlich nicht, dass ich mich heute zum Thema Zytostatika äußere. Individuell hergestellte, auf die kurzfristigen Bedürfnisse der Patienten abgestimmte, parenterale Zytostasen sind heute Goldstandard in der Krebsbehandlung. Hoch spezialisierte Apotheken haben sich darauf eingestellt und versorgen diese schwerstkranken Patienten qualifiziert und kompetent in kürzester Zeit. 2 Diese flächendeckende Individualversorgung für Krebspatienten wird nun durch Ausschreibungen von Krankenkassen massiv in Frage gestellt. Damit wird in letzter Konsequenz auch die Versorgung von Palliativ- und Schmerzpatienten gefährdet. Deshalb sage ich nochmals in aller Deutlichkeit: Zytoausschreibungen auf Apothekenebene sind patienten- und versorgungsfeindlich und müssen daher verboten werden! Der DAV fordert mit Nachdruck, dass die freie Apothekenwahl wieder hergestellt wird und zytostasenherstellende Apotheken für ihre hoch qualifizierte Arbeit fair und leistungsgerecht bezahlt werden. Wir sehen aber auch die Schwächen im bisherigen Modell. Deshalb haben wir einen Vorschlag zur Anpassung der Hilfstaxe unterbreitet. Um das Problem der Verwürfe in den Griff zu bekommen, appelliere ich an die pharmazeutische Industrie: Schaffen Sie therapiegerechte Packungsgrößen und transparente Stabilitätsdaten! Vielleicht erfahren wir heute Nachmittag von Minister Gröhe Neues zu dieser Thematik. Dass sich Engagement und unermüdlicher Einsatz lohnen, zeigt die Einigung im Streit um NullRetaxationen bei Formfehlern mit dem GKV-Spitzenverband. An dieser Stelle möchte ich den unabhängigen Mitgliedern der Schiedsstelle meinen herzlichen Dank sagen. Vor allem aber gebührt mein Dank natürlich dem Team des DAV unter Leitung meines Stellvertreters Dr. Rainer Bienfait. Wie Sie wohl alle wissen, wird Dr. Bienfait ab Januar nicht mehr für die Arbeit im Geschäftsführenden Vorstand des DAV zur Verfügung stehen. Ich nutze diese Gelegenheit, ihm für seinen großen Einsatz und sein herausragendes Engagement bei den Vertrags- und Schiedsstellenverhandlungen der letzten Jahre ganz herzlich zu danken. Zurück zur Einigung: Besonders erfreulich ist hierbei, dass wir mit dem GKV-Spitzenverband zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen sind. Dieses Einvernehmen hat einen eigenen Wert und ist wichtig für eine dauerhafte Einigung. Es erfordert aber auch Kompromisse und Zugeständnisse von unserer Seite. Gewonnen haben wir jedoch ein großes Stück Rechtssicherheit: In den meisten Fällen darf bei Formfehlern nicht mehr auf null retaxiert werden. Darüber hinaus ist das einvernehmliche Ergebnis auch eine gute Ausgangsbasis, um mit dem GKV-Spitzenverband weitere Anpassungen im Rahmenvertrag vereinbaren zu können. Unser Ziel ist hier ganz klar, die Bedingungen bei der Abgabe von Arzneimitteln zu vereinfachen und somit apothekenfreundlicher zu gestalten. Problematisch wird für uns Apotheker die Abgabe von Arzneimitteln allerdings, sollten die aktuellen Lieferengpässe der pharmazeutischen Unternehmen bestehen bleiben oder sich gar noch verschärfen. Wer in seine Apothekensoftware schaut, der findet inzwischen eine erschreckend lange Liste nichtverfügbarer Arzneimittel. Längst betrifft es nicht nur substituierbare Standardpräparate. Auch Impfstoffe und Antibiotika sind zum Teil über Monate hinweg nicht mehr verlässlich beim Großhandel zu beziehen. Medikamente, die Leben retten können und deren Nichtverfügbarkeit dramatische Folgen haben kann. Für die Apotheken wird es immer schwieriger sicherzustellen, dass aus diesen Lieferengpässen keine Versorgungsengpässe oder gar 3 Notfallsituationen werden. Lieferengpässe sind eine enorme Belastung. Zuerst natürlich für die Patienten. Aber eben auch für die Apotheker. Daher fordern wir die Politik auf, dem Treiben nicht länger zuzusehen und endlich Maßnahmen zu ergreifen, die eine ausreichende Verfügbarkeit von Arzneimitteln sicherstellen. Ausschreibungen müssen so gestaltet sein, dass mindestens zwei pharmazeutische Anbieter den Zuschlag erhalten. Freier Warenverkehr und unterschiedlichste Preisbildungssysteme in Europa bringen weitere Lieferengpässe mit sich. DAV, Phagro und pharmazeutische Industrie werden versuchen, durch noch mehr Transparenz den einen oder anderen Lieferengpass verhindern zu können. Dass extremer Preisdruck und rigide Ausschreibungsmodalitäten zu mangelhafter Versorgungsqualität führen, macht auch der Bereich Hilfsmittel immer wieder deutlich. Nun hat der Gesetzgeber reagiert und ein neues Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz auf den Weg gebracht, das die Qualität der Versorgung verbessern soll. Wir begrüßen das mit dem Gesetz verfolgte Ziel ausdrücklich! Allerdings haben wir große Zweifel, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen. So lassen die neuen zusätzlichen Vergabekriterien wie Produktqualität, Beratung und Servicequalität des Leistungserbringers den Krankenkassen so viel Beurteilungsspielraum, dass in der Praxis letztendlich doch der niedrigste Preis den Ausschlag geben wird. Dies ist einfach nicht patientengerecht! Wer den gesetzlich versicherten Patienten Hilfsmittel in guter Qualität ohne Aufzahlungen garantieren will, muss strengere gesetzliche Vorgaben machen und die DumpingVersorgungspauschalen abschaffen. Dieses wichtige Thema darf nicht dem guten Willen der Krankenkassen überlassen werden! Desweiteren sieht der Gesetzesentwurf verstärkte Beratungs- und Dokumentationspflichten der Leistungserbringer vor. Beratungspflichten, die nur der Enthaftung der Krankenkassen dienen, lehnen wir ab. Zudem bringen die verschärften Dokumentationspflichten erheblichen bürokratischen Aufwand mit sich. Dies kann schlimmstenfalls dazu führen, dass Apotheken, die verhältnismäßig wenig Umsatz in diesem Markt generieren, aber für die Versorgung in der Fläche wichtig sind, ihre Aktivitäten im Hilfsmittelbereich in Frage stellen. Und schließlich droht die geplante fundamentale Änderung im Bereich des Präqualifizierungsverfahrens große Unruhe in ein bisher gut funktionierendes System zu bringen. Wie im Bereich Hilfsmittel ist auch beim Thema „Erstattungsbeträge“ die Umsetzbarkeit in der Apotheke für uns von entscheidender Bedeutung. Wir Apotheker haben als verlässliche Partner der Krankenkassen die Einführung der Erstattungsbeträge im Zuge des AMNOG mitgetragen. Wir haben auch die spätere Ergänzung akzeptiert, dass der niedrigere Erstattungsbetrag als neue Basis für den 3-Prozent-Zuschlag herangezogen wird. Wir gehen auch bei einer künftigen Regelung zur Geheimhaltung von Erstattungsbeträgen mit. Das aber nur unter einer Bedingung: Die neue Regelung muss für uns praktikabel sein und darf zu keinerlei Mehraufwand oder zusätzlichen bürokratischen Hürden in der Apotheke führen! Zum Zeitpunkt der Abgabe des Arzneimittels muss der Apotheke der für ihre Abrechnung mit der Krankenkasse relevante Preis bekannt sein. Alles Weitere kann dann zwischen Krankenkasse und pharmazeutischem Unternehmen geregelt werden. Wo wir gerade beim Stichwort bürokratischer Aufwand sind: Wir fordern seit Jahren die Abschaffung der Importquote für Arzneimittel! Sie ist ein veraltetes Marktsteuerungsinstrument, das in Zeiten der Rabattverträge nur noch minimale Einsparungen erzielt. Dabei verursacht die Erfüllung der Importquote erheblichen bürokratischen Aufwand in der Offizin und gefährdet noch 4 dazu die Arzneimittelsicherheit für die Patienten. Und die Zeit, die die Bürokratie der Quote kostet, könnten wir gut in die Betreuung unserer Patienten investieren. Überhaupt gibt es auf dem Gebiet der Patientenbetreuung rund um das Arzneimittel, aber auch darüber hinaus noch ein immenses Potenzial in den öffentlichen Apotheken. Dabei sind pharmazeutische Dienstleistungen, die unmittelbar an die Arzneimittelabgabe geknüpft sind, bundesweit durch den Rahmenvertrag zwischen dem DAV und dem GKV-Spitzenverband geregelt. Dienstleistungen, die unabhängig von der reinen Arzneimittelabgabe sind, beispielsweise im Bereich Prävention, müssen in ergänzenden Verträgen zwischen Landesapothekerverbänden und den Krankenkassen bzw. ihren Verbänden vereinbart werden. Leider wird die Rechtmäßigkeit solcher Verträge seitens der Aufsichtsbehörden der Krankenkassen vielfach bestritten. So fordert das Bayerische Gesundheitsministerium, dass pharmazeutische Dienstleistungen im Rahmen ergänzender Verträge einen direkten Bezug zur Arzneimittelabgabe haben müssen, und erklärt somit den Vertrag zwischen Bayerischem Apothekerverband und AOK zur Arzneimittelberatung von Schwangeren für ungültig. Die Schwangerenberatung sei zwar eine gute Sache, die Rechtsgrundlage jedoch unzureichend. Zum Bedauern von Krankenkasse und Apotheken wurde die Dienstleistung eingestellt. Daher appelliere ich an den Gesetzgeber: Wir brauchen dringend Rechtssicherheit für Dienstleistungsverträge mit Krankenkassen! Lassen Sie uns das pharmazeutische Know-how in den Apotheken noch stärker zum Wohl der Versicherten nutzen! Angesichts des demographischen Wandels wird es sich unsere Gesellschaft in Zukunft gar nicht leisten können, auf zusätzliche Dienstleistungen aus der Apotheke zu verzichten. Seit wenigen Tagen haben Patienten mit drei und mehr Arzneimitteln in der Dauertherapie das Recht auf einen Medikationsplan. Dass dieses Recht nur beim Hausarzt eingelöst werden kann, ist mehr als bedauerlich. Es ist eine krasse politische Fehlentscheidung. Das haben wir auch immer wieder zum Ausdruck gebracht. Nun hat die GKV den Vorteil von Medikationslisten erkannt und ist bereit, die Ärzteschaft für deren Erstellung zu honorieren. Daher bin ich der Hoffnung, dass zur Einführung der elektronischen Form des Medikationsplanes in einem Jahr auch wir Apotheker für unsere Mitarbeit bei der Erstellung und Aktualisierung dieses für unsere Patienten so wichtigen Instruments honoriert werden. Vorhin habe ich von den bürokratischen Hürden in Hilfsmittelmarkt gesprochen: Ein Instrument, das den Apotheken seit Anfang vergangenen Jahres das Navigieren im Hilfsmittelbereich erleichtert, ist das Online-Vertragsportal, kurz: OVP. Mithilfe des OVP kann der Apotheker auf einen Blick sehen, an welchen Dienstleistungs- oder Hilfsmittelverträgen sich seine Apotheke beteiligt, und welche Anforderungen für die Teilnahme an einem weiteren Vertrag erforderlich sind. Das Portal informiert auch aktuell über Änderungen und Anpassungen bereits bestehender Verträge. Vor einem Jahr, auf der expopharm in Düsseldorf, haben die ersten Softwareanbieter die Integration des OVP in ihre Warenwirtschaftssysteme vorgestellt. Mittlerweile ist das OVP ein etabliertes Portal mit zum Teil mehr als 120.000 Aufrufen (z.B. Vertrags-Checks) pro Woche. Nicht zuletzt dank des guten Zusammenspiels von DAV, Landesapothekerverbänden und AVOXA ist das OVP zu einer Erfolgsgeschichte geworden. Momentan laufen die Vorbereitungen für den weiteren Ausbau. Konkret soll in Zukunft der Vertragsbeitritt deutlich einfacher und anwenderfreundlicher werden. Daher lautet mein Appell an alle Apotheken im Hilfsmittelmarkt, die 5 das OVP noch nicht nutzen, jetzt teilzunehmen, und an alle Softwarehäuser, die das OVP noch nicht in ihre Warenwirtschaft integriert haben, diese Verknüpfung baldmöglichst anzubieten. Ich habe heute nur über eine Auswahl der von uns kontinuierlich bearbeiteten Themen gesprochen. Darüber hinaus gibt es noch weitaus mehr Themen, die unsere tagtägliche Arbeit bestimmen. So kümmern wir uns zum Beispiel um die Anpassung der Hilfstaxe, die Umsetzung des Entlassrezeptes, die Neuaufsetzung des Rahmenvertrags und vieles mehr. Zum Ende meiner heutigen Ausführungen möchte ich Sie noch gern auf die expopharm einstimmen: Wie Sie mittlerweile sicher wissen, haben wir mit der pharma-world eine Plattform speziell für den OTC-Bereich geschaffen, auf der sich Aussteller, Industrie und Apotheken intensiv austauschen können. Das besondere Format der pharma-world schafft eine Verknüpfung von Markt, Wissenschaft und Politik, aus der sicherlich auch in diesem Jahr viele neue Ideen und Erkenntnisse entstehen werden. Nutzen Sie das Angebot und besuchen Sie die pharma-world in der Halle B4! Die pharma-world ist sicherlich ein Highlight der größten und wichtigsten pharmazeutischen Fachmesse Europas. Die expopharm hätte jedoch nicht diesen Stellenwert ohne das Engagement der zahlreichen Aussteller, die hier Jahr für Jahr den Kontakt mit Kunden suchen und Neuheiten aber auch Bewährtes präsentieren. Dafür sage ich allen Beteiligten herzlichen Dank! Danken möchte ich auch Metin Ergül und seinem Team für die Vorbereitung und Durchführung der expopharm. Zum Schluss wünsche ich Ihnen allen gute Gespräche, interessante Erkenntnisse und natürlich auch erfolgreiche Messegeschäfte. Ich erkläre die expopharm 2016 hiermit für eröffnet. 6
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