PDF-Berlin-kompakt-12-2016

NR. 12 // 10. OKTOBER 2016
Zytostatika-Ausschreibungen vor dem Aus
Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz
25.07.2016
Referentenentwurf
23.08.2016
Fachanhörung BMG
12.10.2016
Kabinettsbeschluss
Mit einer Änderung am Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (AMVSG) will das Bundesgesundheitsministerium die Versorgung mit individuell hergestellten Zytostatika neu regeln. Danach ist geplant, die Möglichkeit der Krankenkassen, die Versorgung ihrer Versicherten mit
parenteralen Zubereitungen (Zytostatika) durch Verträge mit Apotheken sicherzustellen,
zu streichen. Auch bereits geschlossene Verträge sollen ihre exklusive Gültigkeit verlieren.
Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen sollen, so heißt es im Entwurf, die Möglichkeit erhalten, Rabattverträge mit pharmazeutischen Unternehmern zur
Versorgung ihrer Versicherten zu vereinbaren. Dies soll einheitlich und gemeinsam geschehen. Zudem soll die Hilfstaxe gestärkt werden. Ziel der Regelung sei die Klarstellung, so die
Begründung, dass die Apothekenwahlfreiheit der Versicherten gelte.
Die Zytostatika-Ausschreibungen haben sich als ein geeignetes Instrument erwiesen, um
eine hohe Versorgungsqualität im Bereich der parenteralen Zubereitungen zu gewährleisten. Denn die im Rahmen der Ausschreibungen vereinbarten Qualitätskriterien gehen
über die Regelversorgung hinaus.
Die Abschaffung der Zytostatika-Ausschreibungen mit dem Argument der Apothekenwahlfreiheit der Versicherten zu begründen, ist nicht sachgerecht. Die freie Apothekenwahl liegt im Bereich der Zytostatika nicht beim Patienten, sondern ausschließlich beim
behandelnden Arzt. Zudem – dies bestätigt auch ein Urteil des Bundessozialgerichts – ist
die freie Apothekenwahl im Bereich der Zytostatika ohnehin eingeschränkt, da nur ein
Prozent der Apotheken die speziellen Zubereitungen herstellen kann.
Die Möglichkeit zum Abschluss von Rabattverträgen mit pharmazeutischen Herstellern
wird nach Auffassung der BARMER GEK wenig Wirkung entfalten. Die Ausschreibung von
Wirkstoffen wird sich vorrangig auf das wettbewerbliche generische Arzneimittelsegment beziehen. Nur etwa 15 Prozent des Umsatzes von Zubereitungen werden allerdings
mit generischen Arzneimitteln erzielt. Damit können nur für diesen kleinen Ausschnitt
Ausschreibungen wie bei den Fertigarzneimitteln wirksam vorgenommen werden.
Kritisch ist zudem, dass die Substitution von Fertigarzneimitteln nicht einfach auf den
Zubereitungsmarkt übertragen werden kann. Voraussetzung für die Substitutionsverpflichtung ist u. a. die gleiche Wirkstärke, Packungsgröße und die gleiche Darreichungsform bei dem auszutauschenden Arzneimittel. Da es sich aber bei den Zytostatika um Zubereitungen von individuellen Rezepturen handelt, ist beispielsweise die Verpflichtung
der gleichen Packungsgröße nicht umsetzbar. Es besteht also noch ein ganz erheblicher
Anpassungsbedarf bei der derzeit geplanten Regelung.
Aktuelle Gesetzgebung zum PSG III
Änderungsanträge von CDU/CSU und SPD im Bundestag
Insgesamt 35 Änderungsanträge zum Pflegestärkungsgesetz III (PSG III) haben CDU/CSU
und SPD am 28.09.2016 in den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages eingebracht.
So sind Veränderungen bei den Rahmenempfehlungen zur Versorgung mit häuslicher
Krankenpflege geplant. Damit reagiert der Gesetzgeber auf Berichte über möglichen Betrug durch Pflegedienste in diesem Leistungssegment. Neu geregelt wird, dass Kassen mit
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Leistungserbringern Verträge über die Einzelheiten der zu erbringenden Leistungen in der
häuslichen Krankenpflege (HKP), die Preise und auch die Fortbildungspflicht der Leistungserbringer schließen müssen. Bei nicht nachgewiesener Fortbildung sind künftig Vergütungsabschläge möglich. Die Leistungserbringer werden außerdem zur Teilnahme an Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen verpflichtet.
Die Änderungen in den Vorgaben der Rahmenempfehlungen begrüßen wir. Pflegebedürftige und pflegende Angehörige müssen auf eine jederzeit qualitativ hochwertige Versorgung vertrauen können.
Die Ausweitung der Leistungen der HKP ist Gegenstand eines weiteren Änderungsantrages. Danach sind die gesetzlichen Krankenkassen künftig zu Leistungen der medizinischen
Behandlungspflege auch in stationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderung verpflichtet. Diese werden zur Zeit von den Trägern der Sozialhilfe übernommen. Voraussetzung für die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) soll sein,
dass eine ständige Überwachung und Versorgung der zu pflegenden Person in der stationären Einrichtung für Menschen mit Behinderung durch eine Pflegefachkraft gewährleistet
ist.
Mit den geplanten Änderungen wäre die GKV für den genannten Personenkreis zuständiger Leistungsträger im Sinne des § 43a SGB XI. Da keine Gegenfinanzierung für diese erneute Ausweitung der HKP-Leistungen vorgesehen ist, werden für die GKV hohe Mehrausgaben erwartet.
Stellungnahme des Bundesrates
Bereits in seiner Sitzung am 23.09.2016 hatte der Bundesrat mit umfangreichen Änderungswünschen zum Pflegestärkungsgesetz III Stellung genommen. Danach sollen die
weitreichenden Planungen der Bundesregierung zu Lasten der sozialen Pflegeversicherung
(SPV) noch weiter verschärft werden: Ein Beispiel dafür ist der Wunsch der Länder, in die
Rahmenvertragsverhandlungen zur Ausgestaltung der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI
einbezogen zu werden. Mit der von den Ländern außerdem vorgeschlagenen Verschärfung
des geplanten Initiativrechts zur Errichtung von Pflegestützpunkten (PSP) für Kommunen
könnte jeder örtlich zuständige Träger für Sozial- und Altenhilfe die Einrichtung eines PSP
verlangen.
Ein Initiativrecht der Kommunen zur Errichtung von Pflegestützpunkten wäre nicht sachgerecht und wird von der BARMER GEK abgelehnt. Doppelstrukturen in der Pflegeberatung sind zu vermeiden.
Die neu einzurichtenden Ausschüsse zur sektorübergreifenden Zusammenarbeit (sektorübergreifende Landespflegeausschüsse) sollen nach dem Willen der Bundes-regierung
einvernehmliche Empfehlungen zur Weiterentwicklung der pflegerischen Infrastruktur abgeben (Pflegestrukturplanungsempfehlungen). Diese Einvernehmlichkeit lehnen die Länder
in ihrer Stellungnahme nun ab, und favorisieren stattdessen ein einfaches Mehrheitsprinzips.
Die Sicherstellung der pflegerischen Infrastruktur ist eine Aufgabe der Bundesländer.
Pflegevertragsverhandlungen sind hingegen Aufgabe der Pflegekassen, diese müssen
weiterhin ohne die Empfehlungen von regionalen Gremien durchgeführt werden können.
Für Pflegeleistungen für Menschen mit Behinderungen in den stationären Einrichtungen
übernimmt die Pflegekasse maximal 266 Euro monatlich. Der Bundesrat fordert nun eine
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Neuausrichtung der Finanzierungssystematik der Pflegeleistungen für Menschen mit Behinderungen in stationären Einrichtungen. In diesen Einrichtungen steht die berufliche und
soziale Eingliederung, die schulische Ausbildung oder Erziehung behinderter Menschen im
Vordergrund, nicht die Pflege der Bewohner. Der Bundesrat fordert, Menschen mit Behinderung ohne Benachteiligung den uneingeschränkten Zugang zu den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung zu ermöglichen. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel in Milliardenhöhe sollen nach Ansicht der Länder durch eine weitere Erhöhung des Beitragssatzes
in der SPV erbracht werden.
Mit den geplanten Änderungen sollen Leistungen auf die Soziale Pflegeversicherung verlagert werden. Die der Pflegeversicherung daraus entstehenden zusätzlichen Kosten wären beitragssatzrelevant.
Kosten-Nutzen-Bewertung für Arzneimittel erforderlich
Nutzenorientierung
Dass sich der Preis für Produkte und Verfahren im Gesundheitswesen am Patientennutzen
orientieren soll, ist Konsens aller Beteiligten im Gesundheitswesen. Folgerichtig hat der
Gesetzgeber mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz ab 2011 die frühe (Zusatz-)
Nutzenbewertung und auch die Kosten-Nutzen-Bewertung für neue Arzneimittel eingeführt.
Die frühe Nutzenbewertung mit anschließender Preisverhandlung zwischen pharmazeutischem Hersteller und dem GKV-Spitzenverband (GKV-SV) hat sich mittlerweile etabliert,
der zweite Schritt, eine regelhafte Kosten-Nutzen-Bewertung nach Erfahrungen im Einsatz der neuen Arzneimittel jedoch nicht.
Die Kosten-Nutzen-Bewertung (KNB) steht im Gesetz
Die Kosten-Nutzen-Bewertung für Arzneimittel ist gesetzlich so stark eingeschränkt, dass
sie seit 2007 erst einmal durchgeführt wurde. Sie wird nur auf Antrag des Herstellers eines
Arzneimittels durchgeführt und nur dann, wenn die Preisverhandlungen gescheitert sind.
Zudem werden ausschließlich klinische Studiendaten verwendet, die der Hersteller vorlegen muss. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat für die Durchführung der KNB
ein umfangreiches Regelwerk erstellt, so dass einer regelhaften Durchführung eigentlich
formal nichts im Wege steht, bis auf die gesetzlichen Einschränkungen.
KNB wirksam machen
Die Kosten-Nutzen-Bewertung ist als zweite Stufe der Nutzenorientierung von Arzneimitteln geplant worden: Zunächst wird der frühe Zusatznutzen auf Basis von Studien untersucht und das Ergebnis fließt in die Preisverhandlungen zwischen Hersteller und GKV-SV.
Zum Zeitpunkt der frühen Nutzenbewertung liegen jedoch keine hinreichenden Informationen über den realen Einsatz des Arzneimittels vor, weil es schlicht zu neu auf dem Markt
ist.
In einem logischen zweiten Schritt werden nun die Daten der Regelversorgung genutzt, um
den Einsatz (Kosten) sowie die Wirkungen (Nutzen) in der realen Versorgung in Deutschland zu berücksichtigen.
KNB für neue orale Antikoagulanzien
Die sogenannten neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) umfassen ein neues Wirkprinzip
bei der Blutverflüssigung zur Vermeidung von Schlaganfällen. Mittlerweile wurden vier
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Wirkstoffe zugelassen, von denen aber nur zwei die frühe Nutzenbewertung durchlaufen
haben. Zwei weitere sind noch vor der Einführung der frühen Nutzenbewertung zugelassen worden und werden als Präparate des Bestandsmarktes nicht nachträglich bewertet.
Gegenüber der bisherigen Regeltherapie zur Blutverflüssigung versprechen diese Präparate eine leichtere und sicherere Anwendung, da sie oral eingenommen werden, während
die bewährte Therapie mit sogenannten Vitamin-K-Antagonisten (VKA) gespritzt und regelmäßig überwacht werden muss. Dadurch sollen Schlaganfälle besser vermieden und
Blutungsereignisse reduziert werden.
Die NOAK-Therapie kostet je Tagesdosis (DDD) derzeit 3,63 Euro, während die VKA-Therapie 0,18 Euro pro Tag kostet. Trotz des 19-fach höheren Preises ist die Therapie mit NOAK
auf dem Vormarsch, bereits 40 Prozent der Patientinnen und Patienten werden mit ihr behandelt. Der Anteil der Therapie zur Blutverflüssigung an den gesamten Arzneimittelausgaben hat sich in den letzten drei Jahren daher verdreizehnfacht.
Zum Download
Artikel Breddemann et. al.
in „Gesundheitswesen
aktuell 2016“
Ergebnisse der KNB für die NOAK-Therapie
Die Studien im Rahmen der frühen Nutzenbewertung ergaben einen Zusatznutzen bei der
Vermeidung von Schlaganfällen und Blutungsereignissen für die NOAK-Therapie. Bei der
Kosten-Nutzen-Bewertung wird nun untersucht, ob diese Studien auch in der Regelversorgung bestätigt werden können.
In die Untersuchung eingeschlossen wurden Patientinnen und Patienten, die in den Jahren
2012 bis 2015 eine Dauertherapie zur Blutverflüssigung mit dem gleichen Wirkstoff erhalten haben. Dies waren über 80.000 Versicherte und damit weit mehr, als in jeder klinischen
Studie. Für diese Population wurde nun untersucht, ob in der Gruppe der mit einem NOAK
Therapierten mehr oder weniger Schlaganfälle und Blutungen aufgetreten sind, als in der
Gruppe mit der herkömmlichen Therapie mit VKA.
Es wurde festgestellt, dass tatsächlich mehr Schlaganfälle und weniger Blutungen in der
Gruppe der NOAK-Patientinnen und -Patienten auftraten. Mit den durchschnittlichen Kosten bewertet bleibt ein geringes positives Kosten-Nutzen Verhältnis zu Gunsten der NOAK.
Der monetäre Zusatznutzen beträgt gegenüber der Standardtherapie 7 Cent je Tagesdosis.
Deshalb rechtfertigt der Zusatznutzen lediglich einen um 38 Prozent höheren Preis gegenüber der VKA-Therapie. Der heutige Preisabstand um den Faktor 19 (1.920 Prozent) ist daher deutlich unwirtschaftlich.
Die KNB kann mit den Daten der Regelversorgung, unabhängig vom Kooperationswillen
oder gar Antragswillen der Hersteller durchgeführt werden. Für große Arzneimittel-Innovationen der NOAK zeigt sie überraschend deutliche Ergebnisse, die in nutzenorientierten
Preisverhandlungen zu einer Einsparung von über 1 Mrd. Euro pro Jahr für die gesetzliche
Krankenversicherung führen würden. Dies nur durch eine Anpassung der Preise an den
Nutzen und ohne Auswirkung auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten.
(Dieser Text fasst die Ergebnisse eines Beitrags in „Gesundheitswesen aktuell 2016“ zusammen:
André Breddemann, Nikolaus Schmitt, Christine Blumenstein, Daniela Stahn: Effizienz der Arzneimittelpreise: Kosten-Nutzen-Bewertung der neuen oralen Antikoagulanzien, S. 232 – 257)
Zum Download
Tabelle Gesetzgebung
Termine laufender Gesetzgebungsverfahren
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