603 Heterosis Komplementation von Genexpressionsmustern in Maishybriden CAROLINE MARCON, JUTTA A. BALDAUF, FRANK HOCHHOLDINGER INRES – INSTITUT FÜR NUTZPFLANZENWISSENSCHAFTEN UND RESSOURCENSCHUTZ, CROP FUNCTIONAL GENOMICS, UNIVERSITÄT BONN Heterosis describes the superior performance of F1-hybrids compared to their genetically distinct parents, a phenomenon which is extensively exploited in maize breeding. To better understand the molecular basis of heterosis in maize, we analyzed how the genetic diversity of parental inbred lines affects the root transcriptome of their F1-progeny. We discovered complementation of activity in evolutionary younger genes and as a consequence more active genes in hybrids than in parental inbred lines. DOI: 10.1007/s12268-016-0737-5 © Springer-Verlag 2016 A B BIOspektrum | 06.16 | 22. Jahrgang ¯ Abb. 1: Heterosis wird zu verschiedenen Phasen der Pflanzenentwicklung in verschiedenen Merkmalen wie z. B. Kolbengröße (A) oder Primärwurzellänge (B) manifestiert. Heterosis bezeichnet das Phänomen, dass die Leistung der F1-Nachkommen über dem Durchschnitt der elterlichen Werte eines Merkmals liegt (Zeichnungen: Jutta A. Baldauf). ó Maishybride sind im Vergleich zum Durchschnitt ihrer genetisch unterschiedlichen und reinerbigen Eltern (Inzuchtlinien) deutlich leistungsfähiger, was sich z. B. in der Kolbengröße zeigt (Abb. 1A). Dieses als Heterosis bezeichnete Phänomen wurde bereits im Jahr 1908 von George H. Shull [1] und Edward M. East [2] beschrieben und dient als Grundlage der modernen Maiszüchtung. Der Heterosiseffekt ist von überragender wirtschaftlicher Bedeutung, was sich darin zeigt, dass heute ausschließlich Maishybridsorten angebaut werden. Diese sind im Vergleich zu offen bestäubten Sorten ertragreicher und toleranter gegenüber nachteiligen Umweltbedingungen. Die Erfolge der Hybridzüchtung haben in den letzten 50 Jahren maßgeblich zur Verfünffachung der weltweiten Maisproduktion auf heute etwa eine Milliarde Tonnen Körnermais pro Jahr beigetragen [3]. In jungen Maishybriden zeigt die Primärwurzel bereits vier Tage nach Keimung einen deutlichen Wachstumsvorsprung gegenüber den Elternlinien (Abb. 1B). Die einfach strukturierte Primärwurzel eignet sich daher besonders gut als Modell zur Erforschung des Heterosiseffekts in der frühen Entwicklung. In Maishybriden sind mehr Gene aktiv als in ihren Elternlinien Trotz ihrer überragenden wirtschaftlichen Bedeutung ist über die genetischen und molekularen Mechanismen, die zur Überlegenheit der Hybriden führen, wenig bekannt. Verschiedene Hypothesen postulieren, dass genetische Interaktionen für die Ausprägung von Heterosis verantwortlich sind. Nach der Dominanzhypothese komplementieren vorteilhafte Allele des einen Elters in Hybriden die Funktion des nachteiligen Allels des zweiten Elters und führen so zu einer Leistungsüberlegenheit der Hybriden (Abb. 2A, [4]). Phänotypische Merkmalsunterschiede verschiedener Genotypen, wie im Fall der Heterosis beobachtet, sind die Folge von Unterschieden in der Genexpression [5]. Eine spezielle Form der Komplementation auf Ebe- 604 W I S S EN S CHAFT · S PECIA L : G ENO MI CS A Inzuchtlinie 1 a a b b C C Inzuchtlinie 2 x nachteiliges Allel reziproker F1-Hybrid F1-Hybrid A A a A A a B B b B B b c c C c c C vorteilhaftes Allel B + + + B73 B73xMo17 Mo17xB73 33.460 34.225 34.226 B73 B73xMo17 SPE_Mo17 (766 Gene) - Expression Expression SPE_B73 (358 Gene) Mo17 - + + + B73 B73xMo17 Mo17xB73 Mo17 Anzahl exprimierter Gene C Mo17xB73 33.874 ¯ Abb. 2: Komplementation in Maishybriden. A, Auf Ebene des Genoms werden nachteilige Allele aus den beiden homozygoten Inzuchtlinien in Hybride durch vorteilhafte Allele komplementiert, was exemplarisch an drei Genen (A bis C) dargestellt ist. Reziproke Hybriden enthalten dabei das identische Kerngenom, auch wenn die jeweils vor- und nachteiligen Allele von unterschiedlichen Eltern stammen. B, Im Transkriptom von Maiswurzeln zeigten mehrere Hundert Gene single parent expression (SPE). Diese Gene werden nur in einem Elter, aber in beiden Hybriden exprimiert. Dieses Muster ist ein extremes Beispiel für Komplementation auf Genexpressionsebene. C, Als Folge der SPE-Muster (B) sind in den reziproken Hybriden B73× Mo17 (34.225 aktive Gene) und Mo17× B73 (34.226) mehr Gene aktiv als in den Eltern B73 (33.460) und Mo17 (33.874). Mo17 ne der Genexpression liegt vor, wenn einzelne Gene jeweils nur in einem der beiden Eltern exprimiert werden, diese Gene aber in den durch die Kreuzung der Eltern entstandenen Hybriden aktiv sind. Solche Muster konnten wir im Transkriptom, also der Gesamtheit aller exprimierten Gene, von Primärwurzeln zweier genetisch unterschiedlicher Maisinzuchtlinien (B73 und Mo17) und deren reziproken Hybriden (B73×Mo17 und Mo17×B73) mittels RNA-Sequenzierung (RNA-Seq) für Hunderte von Genen nachweisen (Abb. 2B, [6]). Dieses Phänomen haben wir als single parent expression (SPE) bezeichnet. Eine Folge dieser Komplementation auf Genexpressionsebene ist, dass in Maishybriden Hunderte Gene mehr aktiv sind als in ihren Elternlinien (Abb. 2C). SPEGene könnten durch die Komplementation ihrer Expression zur überlegenen Leistungsfähigkeit der Hybriden beitragen. Zwar leisten die zusätzlich aktiven Gene im Einzelnen vermutlich nur einen geringen Beitrag zum Heterosiseffekt, könnten aber in ihrer Summe eine wichtige Rolle bei dessen Ausprägung spielen. Komplementation von Genexpression wird vor allem in evolutionär jungen Genen beobachtet Mais und Mohrenhirse (Sorghum bicolor L.) sind evolutionär nahe Verwandte innerhalb der Familie der Gräser (Abb. 3A). Ein Vergleich der Genome von Mohrenhirse und Mais zeigte, dass sich das Maisgenom nach Auftrennung dieser beiden Arten vor etwa zwölf bis fünf Millionen Jahren dupliziert hat [7] (Abb. 3A). Dadurch lagen direkt nach dieser Genomduplikation alle Maisgene im Vergleich zu den homologen Genen in Mohrenhirse in doppelter Ausführung vor [8]. Diese homologen Gene zwischen Mohrenhirse und Mais werden als syntänisch bezeichnet. Im Laufe der Evolution von Mais ist in vielen Fällen eine oder es sind auch beide Genkopien wieder verloren gegangen. In diesem Zeitraum sind andererseits durch die Duplikation einzelner Gene zusätzlich neue Maisgene ent- standen [9]. Für die so entstandenen neuen Gene, finden sich keine Homologe im Genom der Mohrenhirse. Diese Gene werden daher als nicht-syntänisch bezeichnet. Das heutige Maisgenom besteht jeweils zu etwa 50 Prozent aus syntänischen und nicht-syntänischen Genen. Um den evolutionären Ursprung von Genen zu studieren, die speziellen Expressionsmustern in Hybriden zuzuordnen sind, haben wir neben den SPE-Mustern auch Tausende differenziell und Hunderte nicht-additiv exprimierte Gene in Primärwurzeln von B73×Mo17 und Mo17×B73 untersucht [10, 11]. Als differenziell exprimierte Gene werden solche Gene bezeichnet, deren Expressionswert sich in Hybriden signifikant von mindestens einer der beiden Elternlinien unterscheidet. Nichtadditiv exprimierte Gene weisen dagegen einen Expressionswert auf, der signifikant von dem gemittelten Expressionswert beider Eltern abweicht [5]. Um einen Einblick in den evolutionären Ursprung der Gene dieser Expressionsklassen zu gewinnen, wurde BIOspektrum | 06.16 | 22. Jahrgang 605 A B Sorghum bicolor L. Mais Zea mays L. Verhältnis syntänischer vs nicht-syntänischer Gene [%] 100 Mohrenhirse 80 60 40 20 0 Gras-Vorfahre Genomduplikation alle aktiven Gene SPE-Gene nicht-syntänisch nicht-additiv exprimierte Gene differentiell exprimierte Gene syntänisch ˚ Abb. 3: Evolutionärer Ursprung der Gene verschiedener Expressionsklassen. A, Vor zwölf bis fünf Millionen Jahren fand die letzte Duplikation des Maisgenoms statt. Aus dieser Duplikation hervorgegangene Gene sind mit Genen der nahe verwandten Mohrenhirse syntänisch. Danach entstanden durch Duplikationen einzelner Gene weitere Maisgene. Diese sind nicht-syntänisch zu Genen der Hirse. B, In verschiedenen Expressionsklassen von Maiswurzeln (Details siehe Text) sind jüngere, nicht-syntänische Gene (rot) im Vergleich zu ihrem Anteil an allen aktiven Genen deutlich überrepräsentiert [9, 10]. zunächst für alle in der Primärwurzel exprimierten Gene bestimmt, ob sie syntänischen oder nicht-syntänischen Ursprungs sind. Bei diesem Vergleich zeigte sich, dass ein Drittel aller aktiven Gene nicht-syntänisch sind [10, 11]. Innerhalb der Klassen der differenziellen, nicht-additiven und SPE-Gene ist der Anteil der nicht-syntänischen Gene signifikant höher und macht etwa zwei Drittel dieser Gene aus (Abb. 3B). Die signifikante Überrepräsentation nichtsyntänischer Gene in den untersuchten Expressionsklassen und die Beobachtung, dass die Hybriden B73×Mo17 und Mo17×B73 mehr Gene als ihre Eltern exprimieren, könnten auf eine Rolle dieser Gene bei der frühen Ausprägung von Heterosis in Keimlingswurzeln hinweisen, die in weiteren Studien genauer untersucht werden soll. ó [7] Swigonová Z, Lai JS, Ma JX et al. (2004) Close split of sorghum and maize genome progenitors. Genome Res 14:1916–1923 [8] Schnable JC, Springer NM, Freeling M (2011) Differentiation of the maize subgenomes by genome dominance and both ancient and ongoing gene loss. Proc Natl Acad Sci USA 108:4069–4074 [9] Woodhouse MR, Schnable JC, Pedersen BS et al. (2010) Following tetraploidy in maize, a short deletion mechanism removed genes preferentially from one of the two homologs. PLoS Biol 8:e1000409 [10] Paschold A, Larson NB, Marcon C et al. (2014) Nonsyntenic genes drive highly dynamic complementation of gene expression in maize hybrids. Plant Cell 26:3939–3948 [11] Baldauf J, Marcon C, Paschold A et al. (2016) Nonsyntenic genes drive tissue-specific dynamics of differential, nonadditive and allelic expression patterns in maize hybrids. Plant Physiol 171:1144–1155 [6] Paschold A, Jia Y, Marcon C et al. (2012) Complementation contributes to transcriptome complexity in maize (Zea mays L.) hybrids relative to their inbred parents. Genome Res 22:2445–2454 Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Frank Hochholdinger INRES – Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz Crop Functional Genomics Universität Bonn Friedrich-Ebert-Allee 144 D-53113 Bonn Tel.: 0228-73-60334 Fax: 0228-73-60333 [email protected] www.cfg.uni-bonn.de AUTOREN Caroline Marcon 2001–2007 Biologiestudium (Diplom) an der Universität Tübingen, dort 2012 Promotion. Seit 2012 wissenschaftliche Assistentin an der Universität Bonn. Jutta A. Baldauf 2008–2011 Bachelorstudium in Agrarbiologie an der Universität Hohenheim, dort 2011–2014 Masterstudium in Crop Sciences. Seit 2014 Promotionsstudium an der Universität Bonn. Literatur [1] Shull GH (1908) The composition of a field of maize. Rep Am Breed Assoc 5:51–59 [2] East EM (1908) Inbreeding in corn. Conn Agr Exp Sta Rpt 1907:419–428 [3] Food and Agriculture Organization of the United Nations, Statistic Division, http://faostat3.fao.org [4] Jones DF (1917) Dominance of linked factors as a means of accounting for heterosis. Genetics 2:466–479 [5] Hochholdinger F, Hoecker N (2007) Towards the molecular basis of heterosis. Trends Plant Sci 12:427–432 BIOspektrum | 06.16 | 22. Jahrgang Frank Hochholdinger 1989–1995 Biologiestudium (Diplom) an der Universität Freiburg, dort 1999 Promotion. 1999–2001 Postdoktorand an der Iowa State University, USA. 2001–2010 Leiter einer unabhängigen Forschungsgruppe am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP) der Universität Tübingen. Seit 2010 W3-Professur für funktionelle Genomik der Nutzpflanzen (Crop Functional Genomics) an der Universität Bonn.
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