Komplementation von Genexpressionsmustern in Mais hybriden

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Heterosis
Komplementation von Genexpressionsmustern in Maishybriden
CAROLINE MARCON, JUTTA A. BALDAUF, FRANK HOCHHOLDINGER
INRES – INSTITUT FÜR NUTZPFLANZENWISSENSCHAFTEN UND RESSOURCENSCHUTZ,
CROP FUNCTIONAL GENOMICS, UNIVERSITÄT BONN
Heterosis describes the superior performance of F1-hybrids compared to
their genetically distinct parents, a phenomenon which is extensively
exploited in maize breeding. To better understand the molecular basis of
heterosis in maize, we analyzed how the genetic diversity of parental
inbred lines affects the root transcriptome of their F1-progeny. We discovered complementation of activity in evolutionary younger genes and as a
consequence more active genes in hybrids than in parental inbred lines.
DOI: 10.1007/s12268-016-0737-5
© Springer-Verlag 2016
A
B
BIOspektrum | 06.16 | 22. Jahrgang
¯ Abb. 1: Heterosis
wird zu verschiedenen Phasen der
Pflanzenentwicklung
in verschiedenen
Merkmalen wie z. B.
Kolbengröße (A) oder
Primärwurzellänge
(B) manifestiert.
Heterosis bezeichnet
das Phänomen, dass
die Leistung der
F1-Nachkommen über
dem Durchschnitt der
elterlichen Werte
eines Merkmals liegt
(Zeichnungen:
Jutta A. Baldauf).
ó Maishybride sind im Vergleich zum
Durchschnitt ihrer genetisch unterschiedlichen und reinerbigen Eltern (Inzuchtlinien)
deutlich leistungsfähiger, was sich z. B. in
der Kolbengröße zeigt (Abb. 1A). Dieses als
Heterosis bezeichnete Phänomen wurde
bereits im Jahr 1908 von George H. Shull [1]
und Edward M. East [2] beschrieben und
dient als Grundlage der modernen Maiszüchtung. Der Heterosiseffekt ist von überragender wirtschaftlicher Bedeutung, was
sich darin zeigt, dass heute ausschließlich
Maishybridsorten angebaut werden. Diese
sind im Vergleich zu offen bestäubten Sorten ertragreicher und toleranter gegenüber
nachteiligen Umweltbedingungen. Die Erfolge der Hybridzüchtung haben in den letzten
50 Jahren maßgeblich zur Verfünffachung
der weltweiten Maisproduktion auf heute
etwa eine Milliarde Tonnen Körnermais pro
Jahr beigetragen [3].
In jungen Maishybriden zeigt die Primärwurzel bereits vier Tage nach Keimung einen
deutlichen Wachstumsvorsprung gegenüber
den Elternlinien (Abb. 1B). Die einfach strukturierte Primärwurzel eignet sich daher
besonders gut als Modell zur Erforschung des
Heterosiseffekts in der frühen Entwicklung.
In Maishybriden sind mehr Gene aktiv
als in ihren Elternlinien
Trotz ihrer überragenden wirtschaftlichen
Bedeutung ist über die genetischen und molekularen Mechanismen, die zur Überlegenheit der Hybriden führen, wenig bekannt.
Verschiedene Hypothesen postulieren, dass
genetische Interaktionen für die Ausprägung
von Heterosis verantwortlich sind. Nach der
Dominanzhypothese komplementieren vorteilhafte Allele des einen Elters in Hybriden
die Funktion des nachteiligen Allels des zweiten Elters und führen so zu einer Leistungsüberlegenheit der Hybriden (Abb. 2A, [4]).
Phänotypische Merkmalsunterschiede verschiedener Genotypen, wie im Fall der
Heterosis beobachtet, sind die Folge von
Unterschieden in der Genexpression [5]. Eine
spezielle Form der Komplementation auf Ebe-
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W I S S EN S CHAFT · S PECIA L : G ENO MI CS
A
Inzuchtlinie 1
a
a
b
b
C
C
Inzuchtlinie 2
x
nachteiliges Allel
reziproker
F1-Hybrid
F1-Hybrid
A
A
a
A
A
a
B
B
b
B
B
b
c
c
C
c
c
C
vorteilhaftes Allel
B
+
+
+
B73
B73xMo17
Mo17xB73
33.460
34.225
34.226
B73
B73xMo17
SPE_Mo17 (766 Gene)
-
Expression
Expression
SPE_B73 (358 Gene)
Mo17
-
+
+
+
B73
B73xMo17
Mo17xB73
Mo17
Anzahl exprimierter Gene
C
Mo17xB73
33.874
¯ Abb. 2: Komplementation in
Maishybriden. A, Auf Ebene
des Genoms werden nachteilige Allele aus den beiden homozygoten Inzuchtlinien in Hybride durch vorteilhafte Allele
komplementiert, was exemplarisch an drei Genen (A bis C)
dargestellt ist. Reziproke Hybriden enthalten dabei das identische Kerngenom, auch wenn
die jeweils vor- und nachteiligen Allele von unterschiedlichen Eltern stammen. B, Im
Transkriptom von Maiswurzeln
zeigten mehrere Hundert Gene
single parent expression (SPE).
Diese Gene werden nur in
einem Elter, aber in beiden
Hybriden exprimiert. Dieses
Muster ist ein extremes Beispiel für Komplementation auf
Genexpressionsebene. C, Als
Folge der SPE-Muster (B) sind
in den reziproken Hybriden
B73× Mo17 (34.225 aktive
Gene) und Mo17× B73 (34.226)
mehr Gene aktiv als in den
Eltern B73 (33.460) und Mo17
(33.874).
Mo17
ne der Genexpression liegt vor, wenn einzelne Gene jeweils nur in einem der beiden
Eltern exprimiert werden, diese Gene aber
in den durch die Kreuzung der Eltern entstandenen Hybriden aktiv sind. Solche Muster konnten wir im Transkriptom, also der
Gesamtheit aller exprimierten Gene, von Primärwurzeln zweier genetisch unterschiedlicher Maisinzuchtlinien (B73 und Mo17) und
deren reziproken Hybriden (B73×Mo17 und
Mo17×B73) mittels RNA-Sequenzierung
(RNA-Seq) für Hunderte von Genen nachweisen (Abb. 2B, [6]). Dieses Phänomen
haben wir als single parent expression (SPE)
bezeichnet. Eine Folge dieser Komplementation auf Genexpressionsebene ist, dass in
Maishybriden Hunderte Gene mehr aktiv
sind als in ihren Elternlinien (Abb. 2C). SPEGene könnten durch die Komplementation
ihrer Expression zur überlegenen Leistungsfähigkeit der Hybriden beitragen. Zwar
leisten die zusätzlich aktiven Gene im Einzelnen vermutlich nur einen geringen Beitrag zum Heterosiseffekt, könnten aber in
ihrer Summe eine wichtige Rolle bei dessen
Ausprägung spielen.
Komplementation von Genexpression
wird vor allem in evolutionär jungen
Genen beobachtet
Mais und Mohrenhirse (Sorghum bicolor L.)
sind evolutionär nahe Verwandte innerhalb
der Familie der Gräser (Abb. 3A). Ein Vergleich der Genome von Mohrenhirse und Mais
zeigte, dass sich das Maisgenom nach Auftrennung dieser beiden Arten vor etwa zwölf
bis fünf Millionen Jahren dupliziert hat [7]
(Abb. 3A). Dadurch lagen direkt nach dieser
Genomduplikation alle Maisgene im Vergleich
zu den homologen Genen in Mohrenhirse in
doppelter Ausführung vor [8]. Diese homologen Gene zwischen Mohrenhirse und Mais
werden als syntänisch bezeichnet. Im Laufe
der Evolution von Mais ist in vielen Fällen
eine oder es sind auch beide Genkopien wieder verloren gegangen. In diesem Zeitraum
sind andererseits durch die Duplikation einzelner Gene zusätzlich neue Maisgene ent-
standen [9]. Für die so entstandenen neuen
Gene, finden sich keine Homologe im Genom
der Mohrenhirse. Diese Gene werden daher
als nicht-syntänisch bezeichnet. Das heutige
Maisgenom besteht jeweils zu etwa 50 Prozent aus syntänischen und nicht-syntänischen Genen.
Um den evolutionären Ursprung von Genen
zu studieren, die speziellen Expressionsmustern in Hybriden zuzuordnen sind, haben
wir neben den SPE-Mustern auch Tausende
differenziell und Hunderte nicht-additiv exprimierte Gene in Primärwurzeln von B73×Mo17
und Mo17×B73 untersucht [10, 11]. Als differenziell exprimierte Gene werden solche Gene
bezeichnet, deren Expressionswert sich in
Hybriden signifikant von mindestens einer
der beiden Elternlinien unterscheidet. Nichtadditiv exprimierte Gene weisen dagegen
einen Expressionswert auf, der signifikant
von dem gemittelten Expressionswert beider
Eltern abweicht [5]. Um einen Einblick in den
evolutionären Ursprung der Gene dieser
Expressionsklassen zu gewinnen, wurde
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A
B
Sorghum bicolor L.
Mais
Zea mays L.
Verhältnis syntänischer vs
nicht-syntänischer Gene [%]
100
Mohrenhirse
80
60
40
20
0
Gras-Vorfahre
Genomduplikation
alle aktiven
Gene
SPE-Gene
nicht-syntänisch
nicht-additiv
exprimierte
Gene
differentiell
exprimierte
Gene
syntänisch
˚ Abb. 3: Evolutionärer Ursprung der Gene verschiedener Expressionsklassen. A, Vor zwölf bis
fünf Millionen Jahren fand die letzte Duplikation des Maisgenoms statt. Aus dieser Duplikation
hervorgegangene Gene sind mit Genen der nahe verwandten Mohrenhirse syntänisch. Danach
entstanden durch Duplikationen einzelner Gene weitere Maisgene. Diese sind nicht-syntänisch zu
Genen der Hirse. B, In verschiedenen Expressionsklassen von Maiswurzeln (Details siehe Text)
sind jüngere, nicht-syntänische Gene (rot) im Vergleich zu ihrem Anteil an allen aktiven Genen
deutlich überrepräsentiert [9, 10].
zunächst für alle in der Primärwurzel exprimierten Gene bestimmt, ob sie syntänischen
oder nicht-syntänischen Ursprungs sind. Bei
diesem Vergleich zeigte sich, dass ein Drittel
aller aktiven Gene nicht-syntänisch sind [10,
11]. Innerhalb der Klassen der differenziellen, nicht-additiven und SPE-Gene ist der
Anteil der nicht-syntänischen Gene signifikant höher und macht etwa zwei Drittel dieser Gene aus (Abb. 3B).
Die signifikante Überrepräsentation nichtsyntänischer Gene in den untersuchten
Expressionsklassen und die Beobachtung,
dass die Hybriden B73×Mo17 und Mo17×B73
mehr Gene als ihre Eltern exprimieren, könnten auf eine Rolle dieser Gene bei der frühen
Ausprägung von Heterosis in Keimlingswurzeln hinweisen, die in weiteren Studien
genauer untersucht werden soll.
ó
[7] Swigonová Z, Lai JS, Ma JX et al. (2004) Close split of
sorghum and maize genome progenitors. Genome Res
14:1916–1923
[8] Schnable JC, Springer NM, Freeling M (2011)
Differentiation of the maize subgenomes by genome dominance and both ancient and ongoing gene loss.
Proc Natl Acad Sci USA 108:4069–4074
[9] Woodhouse MR, Schnable JC, Pedersen BS et al. (2010)
Following tetraploidy in maize, a short deletion mechanism
removed genes preferentially from one of the two homologs.
PLoS Biol 8:e1000409
[10] Paschold A, Larson NB, Marcon C et al. (2014)
Nonsyntenic genes drive highly dynamic complementation of
gene expression in maize hybrids. Plant Cell 26:3939–3948
[11] Baldauf J, Marcon C, Paschold A et al. (2016)
Nonsyntenic genes drive tissue-specific dynamics of differential, nonadditive and allelic expression patterns in maize
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[6] Paschold A, Jia Y, Marcon C et al. (2012) Complementation
contributes to transcriptome complexity in maize (Zea mays
L.) hybrids relative to their inbred parents. Genome Res
22:2445–2454
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Frank Hochholdinger
INRES – Institut für Nutzpflanzenwissenschaften
und Ressourcenschutz
Crop Functional Genomics
Universität Bonn
Friedrich-Ebert-Allee 144
D-53113 Bonn
Tel.: 0228-73-60334
Fax: 0228-73-60333
[email protected]
www.cfg.uni-bonn.de
AUTOREN
Caroline Marcon
2001–2007 Biologiestudium (Diplom) an der Universität Tübingen, dort 2012 Promotion. Seit 2012 wissenschaftliche Assistentin an der Universität Bonn.
Jutta A. Baldauf
2008–2011 Bachelorstudium in Agrarbiologie an der Universität Hohenheim, dort
2011–2014 Masterstudium in Crop Sciences. Seit 2014 Promotionsstudium an der
Universität Bonn.
Literatur
[1] Shull GH (1908) The composition of a field of maize.
Rep Am Breed Assoc 5:51–59
[2] East EM (1908) Inbreeding in corn. Conn Agr Exp Sta Rpt
1907:419–428
[3] Food and Agriculture Organization of the United Nations,
Statistic Division, http://faostat3.fao.org
[4] Jones DF (1917) Dominance of linked factors as a means of
accounting for heterosis. Genetics 2:466–479
[5] Hochholdinger F, Hoecker N (2007) Towards the molecular basis of heterosis. Trends Plant Sci 12:427–432
BIOspektrum | 06.16 | 22. Jahrgang
Frank Hochholdinger
1989–1995 Biologiestudium (Diplom) an der Universität Freiburg, dort 1999 Promotion. 1999–2001 Postdoktorand an der Iowa State University, USA. 2001–2010 Leiter
einer unabhängigen Forschungsgruppe am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen
(ZMBP) der Universität Tübingen. Seit 2010 W3-Professur für funktionelle Genomik der
Nutzpflanzen (Crop Functional Genomics) an der Universität Bonn.