Der Regierungsrat des Kantons Thurgau Staatskanzlei, Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld Eidgenössisches Departement des Innern (EDI) Herr Alain Berset Bundesrat 3003 Bern Frauenfeld, 04. Oktober 2016 Änderung des Bundesgesetzes über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften (Sprachengesetz, SpG) Vernehmlassung Sehr geehrter Herr Bundesrat Wir danken Ihnen für die Möglichkeit, zur Änderung von § 15 des Bundesgesetzes über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften (Sprachengesetz, SpG; SR 441.1) Stellung nehmen zu können. Der Regierungsrat des Kantons Thurgau lehnt alle drei Vorschläge zur Änderung des Sprachengesetzes und den Eingriff des Bundes in die Schulhoheit der Kantone mit nachfolgender Begründung entschieden ab. Der Zusammenhalt der Schweiz, die Durchlässigkeit des Bildungswesens sowie die Pflege der Landessprachen im Allgemeinen und der harmonisierte Sprachenunterricht im Besonderen sind von zentraler Bedeutung. Dazu leisten die Schulen einen wesentlichen Beitrag. Die Erfüllung des Bildungsauftrages hat jedoch auch auf die kantonalen und regionalen Strukturen und Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, weshalb in der föderalen Ordnung die Schulhoheit der Kantone unbedingt gewahrt bleiben muss. Der Kanton Thurgau ist sich seiner Verantwortung bezüglich des Französischunterrichts bewusst. Im Thurgau war nie die Rede davon, auf den Unterricht in Französisch zu verzichten. In Frage gestellt wird lediglich der Zeitpunkt des Beginns. Nach wie vor gilt, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler die obligatorische Schulzeit mit den im Lehrplan beschriebenen grundlegenden Französischkenntnissen abschliessen. In diesem Sinne erachten wir die Beibehaltung der aktuellen Fassung von Art. 15 des Sprachengesetzes als einzig gangbaren Weg. Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld T +41 58 345 53 10, F +41 58 345 53 54 www.tg.ch 2/3 Im Fokus der in Vernehmlassung gegebenen Vorschläge steht die Harmonisierung der Dauer und Ziele der Bildungsstufen, wie diese in Art. 62 Abs. 4 der Bundesverfassung (BV; SR 101) geregelt ist. Sie dient der Durchlässigkeit des Bildungsraumes Schweiz (vgl. Art 61a Abs. 1 BV). Der Regierungsrat folgt dabei der Auffassung, dass Art. 62 Abs. 4 BV angesichts der starken regionalen Prägungen, der unterschiedlichen gewachsenen Strukturen und der Viersprachigkeit der Schweiz auch einer weiteren Auslegung zugänglich sein muss und keine weitreichende curriculare Gleichschaltung verlangt. Namentlich muss auch eine Auslegung möglich sein, die für das Fach Französisch die vorgegebene Zielerreichung am Ende der Volksschule als wesentlich beurteilt und dafür das Primarschulfranzösisch als nicht unbedingt zwingend erachtet. Wir unterstützen das Schreiben der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) an das EDI vom 23. Juni 2016 in dieser Sache vollumfänglich. Eine bundesrechtliche Regelung zu Dauer und Zielen von Bildungsstufen des Schulwesens kann nur auf der Grundlage von Art. 62 Abs. 4 BV erfolgen (und nicht etwa gestützt auf Art. 70 BV oder auf das Sprachengesetz). Ob eine Inanspruchnahme der subsidiären Bundeskompetenz angezeigt und gerechtfertigt ist, beurteilt sich demnach einzig nach der Frage, ob die auf dem Koordinationsweg zustande gekommene Lösung der geforderten Harmonisierung der Dauer und Ziele der Bildungsstufen gerecht wird. Das wiederum setzt eine umfassende und sorgfältige Beurteilung der insgesamt und im Einzelnen erreichten Harmonisierung und eine Abwägung der betroffenen Interessen voraus. Wir sind der dezidierten Ansicht, dass der kritische Punkt, der nach einem Eingriff des Bundes verlangt, in keiner Weise erreicht ist. Die EDK hat im Juli 2015 eine insgesamt positive Bilanz zur Harmonisierung der obligatorischen Schule gezogen. Die Vernehmlassung zu einer bundesrechtlichen Regelung zum Französischunterricht in der Volksschule erachten wir nicht nur als nicht zielführend, sondern auch als verfrüht. In diversen Kantonen stehen wichtige Entscheidungen unterschiedlicher Instanzen mit Auswirkungen zur konkreten Ausgestaltung des Fremdsprachenlernens an, namentlich im Zusammenhang mit den sprachregionalen Lehrplänen. Vor diesem Hintergrund ist es kontraproduktiv, bundesgesetzgeberisch einzugreifen und die Fremdsprachenfrage in den nationalen Fokus zu stellen. Entsprechend beurteilen wir die vorgeschlagenen Änderungen des Sprachengesetzes als unverhältnismässig und politisch nicht opportun. Wenn der Bund die nationale Kohäsion aufgrund der Fremdsprachenfrage gefährdet sieht, empfehlen wir konstruktivere Mittel, dieser Gefahr entgegenzuwirken. Wir sind namentlich der Ansicht, dass im Bereich des Schülerinnen- und Schüleraustausches zwischen den Sprachregionen viel Potential nicht nur für den Fremdsprachenerwerb, sondern auch für den individuellen Bezug zu anderen Landesteilen und damit für den nationalen Zusammenhalt liegt. Hier könnte der Bund noch stärker unterstützend wirken. 3/3 Zusammenfassend besteht aus unserer Sicht kein Anlass für eine Änderung des Sprachengesetzes. Die drei vom Bundesrat vorgeschlagenen Varianten bedeuten alle einen unnötigen Bruch mit der föderalistischen Tradition im Volksschulwesen und sind deshalb nicht weiterzuverfolgen. Die föderalistische Organisation des Volksschulwesens ist Garant für eine Schule, die sich möglichst nah an den Bedürfnissen der Kinder, Eltern und Arbeitswelt orientiert, und trägt zu einem effizienten Einsatz der Ressourcen im Bildungsbereich bei. Die Kantone haben in den letzten Jahren im Bereich der Strukturund Zielharmonisierung der öffentlichen Schule zudem grosse Leistungen und damit den Tatbeweis erbracht, dass die Ausgestaltung des in der Bundesverfassung verlangten „Koordinationswegs“ gemäss Art. 62 Abs. 4 BV weiterhin Sache der Kantone bleiben muss. Mit diesen Ausführungen erübrigt sich eine Stellungnahme zu den einzelnen vorgeschlagenen Varianten. Wir bedanken uns für die Berücksichtigung unserer Ausführungen. Mit freundlichen Grüssen Die Präsidentin des Regierungsrates Der Staatsschreiber
© Copyright 2025 ExpyDoc