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Roberto Kusterle – Metamorphosen
Im Zentrum von Roberto Kusterles langjährigem Schaffen steht der menschliche Körper,
geprägt von den elementaren Triebkräften Eros und Thanatos, den Grundkoordinaten von
Werden und Vergehen, inszeniert in seiner Schönheit und Kreatürlichkeit, seiner Anmut und
Verletzlichkeit, seiner Fleischlichkeit und Vergänglichkeit. Kusterle zeigt diesen Körper stets
in Prozessen der Veränderung, des Wandels, der Metamorphose. Er sucht visuelle Parabeln
für die Transformationen, die der Körper im Laufe der Zeit durchläuft, Metaphern für die
Ängste und Hoffnungen, die diesen Wandel begleiten, und greift dabei auf archaische Riten,
antike Mythen, mittelalterliche Legenden und biblische Gleichnisse zurück. Seine Fotografien
sind Reflexionen über die conditio humana, die tief in der abendländischen Kulturgeschichte
verwurzelt sind und (s)ein Denken in Bildern dokumentieren.
Unser Denken und unsere Erkenntnisprozesse sind geprägt von einer metaphorischen
Struktur. Alles Denken beruht auf dem Herstellen von Analogien, meint der amerikanische
Physiker und Computerwissenschaftler Douglas R. Hofstadter. Letztlich können wir das
Neue, das wir wahrnehmen, nur auf das anwenden, was wir schon kennen. Dafür steht der
Begriff Analogie. Die zentrale These von Hofstadter ist, dass Analogien die Dreh- und
Angelpunkte all unseres Denkens sind. Das heißt, das wir auf alte Motive und Bildformeln
zurückgreifen, um neue Ideen und Erkenntnisse zu formulieren, auch wenn die Themen
zeitlos sein mögen.
In seinen neuesten Arbeiten hat sich Kusterle mit der Form, dem Leben und dem Symbol des
Maulbeerbaums auseinandergesetzt. Dieser Baum, der Jahr für Jahr bis auf die Astansätze
zurückgeschnitten wird, entwickelt dadurch einen enigmatischen Kopf aus Wucherungen
und Verknotungen, der anthropomorphe Züge aufweist. Kusterle inszeniert diese
Baumrümpfe wie menschliche Gesichter. Die Vertiefungen und Mulden, die Wucherungen
und Mutationen der Baumrümpfe werden zu Totenmasken, Schmerzensschreien und
Gesichtsdeformationen. Die Natur wird animiert, der Baum zum Sinnbild. Zugleich ist der
Maulbeerbaum in Italien Symbol für eine bäuerliche Gesellschaft, für ein Leben, das noch
geprägt war von einem natürlichen Kreislauf, von bestimmten Werten, Tugenden, Bräuchen
und Sitten.
Die Fotografien der mutilierten Maulbeerbäume setzt Kusterle in Dialog mit Aufnahmen von
Körpern, die mit Maulbeersaft gefärbt sind und fragmentarisch inszeniert wurden. Das
Wechselspiel von Assoziation und Irritation, von Affirmation und Aversion findet seine
Fortsetzung in den menschlichen Leibern. Kusterle hat mit seinen poetischen Baum-MenschAnalogien sein Spiel der Andeutungen und Allusionen, der Metaphern und Metamorphosen
um ein weiteres Kapitel erweitert und seine technische Raffinesse erneut beeindruckend in
Szene gesetzt.
Roman Grabner, 2016
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