Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Landleben
23. September 2016
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Gut fürs Selbstvertrauen
Erziehung / Helden sind für Kinder wichtige Identifikationsfiguren und können sich auf ihre Entwicklung positiv auswirken.
WALLISWIL Die Heldin meiner
Kindheit war eindeutig die rote
Zora. So mutig, unerschrocken
und frech hätte ich auch immer
sein wollen. Und natürlich auch
wie Winnetou, der edle Apachenhäuptling, der für Gerechtigkeit und Frieden kämpfte.
Bereits in der Antike gab es
Heldenfiguren wie beispielsweise Odysseus oder Achilles. Ob
später Wilhelm Tell, Winnetou,
Robin Hood, James Bond, Superman, Spiderman, Pippi Langstrumpf oder Harry Potter - jede
Epoche, jede Kultur und jedes
Alter hat seine eigenen Helden.
Waren es früher Geschichten,
die weitererzählt oder in Büchern aufgeschrieben wurden,
kamen später Fernsehserien und
Kinofilme dazu. Heute sind es
auch Computerspiele, die sich
mit Heldenfiguren beschäftigen,
und es gibt eine ganze Industrie
für Sammelfiguren.
Identifikationsfiguren
Kinder brauchen Helden. «Medienhelden sind wichtig für Kinder, um den angemessenen Umgang mit Emotionen zu erlernen»,
sagt der Erziehungsberater und
Buchautor Jan-Uwe Rogge. «Die
Idole der Kinder verkörpern Mut,
List, Stärke und Fantasie, dienen
als Spiegel für Wünsche und
Träume.»
Helden sind Identifikationsfiguren. Kinder finden in ihnen,
was ihr Alltag nicht oder kaum
zulässt. Die Helden können das,
was man sich selber nicht zutraut. Sie sind so, wie man sein
möchte. Pippi Langstrumpf
zum Beispiel: Sie ist selbstbewusst und hat übernatürliche
Kräfte. Sie setzt sich gegen alle
äusseren Widerstände durch.
Wickie («Wickie und die starken
Männer») zeigt, dass auch ein
Held sein kann, wer statt Mus-
keln und Mut seinen Verstand
einsetzt und logisch denken
kann. Figuren wie Harry Potter
geben der Fantasie einen grossen Raum. Helden aus Filmen
wie Superman oder Star Wars
wiederum sagen, was gut und
schlecht ist und bekämpfen das
Böse. Helden zeigen den Kindern, wie sie sich, unabhängig
von den Eltern, in der grossen
weiten Welt zurechtfinden
können.
Kinder wählen sich aus dem
grossen Heldenangebot, sei es in
Filmen, Märchen oder Geschichten diejenigen Heldeneigenschaften aus, die ihnen in ihrer
momentanen Lebenssituation
hilfreich sind.
Helden des Alltags
Eine Schulklasse im Mittelland,
zwischen 9 und 10 Jahre alt, zählt
auf die Frage nach ihren Helden
ebenfalls Figuren wie Supermann, Robin Hood oder Harry
Potter auf. Doch nicht wenige der
Kinder machen noch andere Beispiele: «Helden sind Menschen,
die anderen Menschen helfen»,
bringt es ein Mädchen auf den
Punkt. Man braucht also für Heldentaten nicht unbedingt Superkräfte. Kinder, die sich für ihre
Mitmenschen einsetzen sind
ebenfalls Helden, Helden des
Alltags eben.
Die meisten Helden und Heldinnen verkörpern besondere
Eigenschaften, die wir vielleicht
auch in uns tragen, oder die man
selber gerne hätte. Sie machen
sich auf den Weg, müssen sich
bewähren und entwickeln sich
zu einer Persönlichkeit. Sie werden in Geschichten oft vor besonders schwere Prüfungen gestellt, die sie bewältigen müssen.
Kindern geht es oft ebenso. Kindergarten, Schule – dies alles
sind Entwicklungsschritte in
emotionaler, sozialer und intellektueller Hinsicht, die neue
Erfahrungen bringen und bewältigt werden müssen.
Heldengeschichten zeigen den
Kindern, dass sie mit ihren Problemen, Zweifeln und Ängsten
nicht alleine sind. Und dass
Schwierigkeiten überwunden
werden können. Das gibt Selbstvertrauen.
Heldinnen in Märchen
Auch Märchen bieten Heldinnen
oder Helden, mit denen sich Kinder identifizieren können. Eine
Studie hat ergeben, dass Mädchen am liebsten Märchen haben,
bei denen sich die weiblichen
Figuren am Ende durchsetzen,
zum Beispiel Aschenputtel,
Dornröschen,
Schneewittchen
oder
Hänsel
und Gretel.
Jungen lieben
den gestiefelten Kater
und bewundern vor allem seine
List.
Neben den Prinzessinenträumen der Mädchen, die
sich in Märchen wie eben
Aschenputtel verwirklichen, gibt es aber
auch Märchen speziell für Mädchen, in denen
wirkliche
Heldinnen vorkommen, zum
Beispiel in den Grimmschen
Märchen «Die sieben Raben»
oder «Die sechs Schwäne».
Ängste gehören dazu
Sogar Helden haben manchmal
Angst. Doch Ängste gehören
zum Leben. «Man kann nicht vor
ihnen davonlaufen, man muss
sich ihnen stellen, aber nicht
übermütig, gedankenlos, überheblich», sagt Jan-Uwe Rogge.
Dazu brauchen Kinder Heldinnen und Helden, die ihnen
zeigen, wie man sich
Ängsten stellt, und
wie befreiend
es sein kann, wenn man sie besiegt hat.
«Bei allem Wissen, das Kinder
besitzen, sind sie nach wie vor
auf ihre fantastisch-magischen
Fähigkeiten bei der Erklärung
der Welt und der Verarbeitung
von Angst angewiesen», so Rogge. Das magisch-fantastische
Denken sei eine altersgemässe
Form von Intelligenz, mit der
Kinder schöpferisch tätig sind,
um ihre Umgebung, ihre Nahund Umwelten zu begreifen.
Ob Aschenputtel,
Superman, Harry
Potter oder die rote Zora – in
einer Hinsicht sind sich alle Kinder einig: Bösewichte müssen
bekämpft werden, und eine
Heldengeschichte ist erst wirklich spannend, wenn am Schluss
das Gute siegt.
Renate Bigler-Nägeli
Buchtipp: Kleine Helden – grosser
Mut, Angelika Bartram und Jan-Uwe
Rogge, Rowohlt Verlag; Kindheit –
Heldenzeit, Christian
Peitz, Timpete
Verlag
«Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg»
«Bauernleben» / Der Urner Landwirt Wisi Zgraggen verlor bei einem Unfall beide Arme. Im kürzlich erschienenen Buch geht es aber um viel mehr als das.
ERSTFELD «Das ist nicht meine
Welt», so Wisi Zgraggens Kommentar zu seiner Medienpräsenz. Er sei sehr skeptisch gewesen, als ihn Verlegerin Gabriela
Baumann-von Arx zum ersten
Mal für ein Buch angefragt habe.
Nach dem zweiten Treffen mit
der Autorin Barbara Lukesch
habe er dann zugesagt. «Der
Zeitpunkt war einfach reif.» Den
bewussten Schritt an die Öffentlichkeit macht Zgraggen seit dem
Unfall immer wieder, auch um
Gerüchten und Unwahrheiten
vorzubeugen. Geredet werde
sowieso, ein solches Schicksal
interessiere die Leute eben.
türlich mit den Augen», erklärt
der Urner trocken. Auch wenn
ihm die moderne Technik mit
den E-Books zu Gute komme, gedruckte Bücher stellten keine unüberwindbare Hürde dar. «Wo
ein Wille ist, ist auch ein Weg»,
diese Einstellung habe ihn schon
vor dem Unfall begleitet und
komme jetzt noch stärker zum
Tragen. Die Hartnäckigkeit und
sein positives Denken hätten ihm
auf jeden Fall einen Vorteil verschafft, betont Wisi Zgraggen.
Hohe Ziele erreicht und...
Bauer mit Herzblut
Bei Barbara Lukesch habe die
Chemie sofort gestimmt. Entscheidend war wohl auch ihre
Einstellung, die im Vorwort zu
lesen ist: «Ich wollte ein Buch
über einen Bauern schreiben
und keins über einen Behinderten.» Denn der Vollblutbauer
möchte nicht auf seine Behinderung reduziert werden, «Bauernleben» handle vielmehr von der
Landwirtschaft und Herzblut. So
ging die Autorin auch der Geschichte des Bielenhofs auf den
Grund oder erforschte die Schul-
Die Hebel, Schalter, Pedale und das Steuerrad des Traktors bedient Wisi mit den Füssen und dem
Stumpf.
(Bild René Staubli)
zeit von Wisi, der als Bauernbub
im Eisenbahnerdorf Erstfeld
einen schwierigen Stand hatte.
Die ganze Familie kommt zu
Wort und erzählt sehr offen darüber, wie der Unfall im Jahr 2002
ihr Leben auf den Kopf stellte.
Die Eltern erinnern sich an den
Tag, als Vater Alois, der leidenschaftliche Braunviehzüchter,
abends nach der Auktion im fast
leeren Stall von seinen Gefühlen
übermannt wurde.
Hartnäckiger Optimist
Barbara Lukesch zeigte sich
gegenüber der BauernZeitung
absolut begeister von der ganzen
Familie Zgraggen, vor allem aber
von ihrem Protagonisten: «Wisi
ist ein hammer Typ, ein Wahnsinnsbauer und dazu ein absolu-
ter Sonnenschein.» Bei rund 50
Begegnungen habe er ihr mit Engelsgeduld alles erklärt, was sie
über das Bauernleben wissen
wollte. Seine fehlenden Arme
habe sie schon bald nicht mehr
wahrgenommen, da das ganze
Umfeld so entspannt und selbstverständlich damit umgehe.
Das Buch habe er bereits
gelesen, sagt Zgraggen. «Wie? Na-
Dies wird auch im Buch immer
wieder eindrücklich vermittelt,
etwa bei folgender Szene: Zehn
Monate nach seinem Unfall habe
sich Wisi zum Ziel gemacht, den
3073 Meter hohen Bristen zu besteigen, dessen Gipfel nur über
einen schmalen Grat zu erreichen ist. Um das Risiko in Grenzen zu halten, hätten zuvor sein
Schwager Peter und dessen Vater Kari die Strecke rekognosziert
– mit den Händen in den Hosentaschen. Angeseilt, aber aus eigener Kraft, habe Wisi Zgraggen
danach den Auf-, wie auch den
Abstieg gemeistert und sei unbeschadet zurückgekehrt. Das Gefühl sei überwältigend gewesen.
Überwältigt war er auch bei
der Lektüre ab und zu, «dann
ging ich zwischendurch wieder
in den Stall, um die hochkommenden Gefühle zu sortieren».
Es sei anders, seine Geschichte aus der Feder von jemand anderem zu lesen, als sie immer
wieder selbst zu erzählen. Unabhängig davon sei es jedes Mal
wieder ein Verarbeiten und bringe ihn ein Stück weiter weg vom
Unfall.
...auf dem Boden geblieben
In Vorträgen schildert der Meisterlandwirt immer wieder seine
Lebensgeschichte und seine
schier unfassbar positive Grundhaltung, dieses «Gottvertrauen».
Und doch nimmt er nicht zu viele solcher Anfragen an, denn «ich
will authentisch bleiben». Wie er
reagieren würde, falls jemand
seine Geschichte verfilmen wollte? «Ich würde wohl erst einmal
lachen. So weit habe ich noch gar
nie überlegt.»
Andrea Gysin
Infos über die Familie Zgraggen
unter: www.dexterzucht.ch
Buch «Bauernleben»:
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