846 FALLBERICHTE Intravenöse Substitution in der Hausarztpraxis Schwere Hypomagnesiämie wegen Kurzdarmsyndrom Tangkamma K. Sangma a , dipl. Ärztin; Dr. med. Sarah Singer a ; Dr. med. Theresia B. Klima b ; Dr. med. et phil. nat. Damian N. Meli a a b Hausarztpraxis Huttwil GmbH, Huttwil Nephrologie, Universitätsspital, Basel Hintergrund Über eine Dauer von 5 Jahren erhielt die Patientin alle 10–14 Tage 9,04 mmol Magnesiumaspartat à 11,3 ml Hypomagnesiämie ist eine der häufigsten Elektrolytstörungen bei Kurzdarmsyndrom. Beim Kurzdarmsyndrom handelt es sich um eine Unfähigkeit, die Makro- und Mikronährstoff- sowie Flüssigkeitsbilanz mit einer konventionellen Diät nach einer ausgedehnten Darmresektion aufrechtzuerhalten [1]. Die Behandlung dieses Syndroms ist meistens sehr komplex wodurch ein überdurchschnittliches Mass an Disziplin von allen Beteiligten inklusive der Angehörigen benötigt wird. (1 Ampulle = 40 mmol = 50 ml, 0,8 mmol/ml) in 250 ml NaCl 0,9% i.v. über 30–45 Minuten. Unter dieser Therapie konnten die Magnesiumwerte stabil im subnormalen Bereich zwischen 0,5 und 0,6 mmol/l gehalten werden. Bei einer Verlängerung des Dosisintervalls fiel jedoch der Magnesiumspiegel wieder ab und die Patientin wurde symptomatisch mit Zunahme von Diarrhoe, Müdigkeit, Muskelschwäche und Muskelkrämpfen. Unter regelmässigen intravenösen Magnesiumsubstitutionen in der Hausarztpraxis konnten bisher weitere Fallbericht Hospitalisationen vermieden werden. Bei einer 85-jährigen Frau führte die koloskopische Abklärung einer in der Hausarztpraxis festgestellten Eisen- Diskussion mangelanämie zur Diagnose eines Kolonkarzinoms. Es Pathophysiologie mit Seit-zu-Seit-Ileodeszendostomie. Postoperativ kam Der menschliche Körper enthält circa 25 g Magnesium, es zu Komplikationen. Eine Dünndarmnekrose des wobei sich 60% im Knochen, 29% in den Muskeln, 10% in distalen Ileums zog eine Dünndarmteilresektion mit Weichteilen und 1% in der Extrazellulärflüssigkeit befin- Ileo- und Deszendostoma nach sich. Zwei Monate nach det [2]. Der Tagesbedarf an Magnesium beträgt 300– der ersten Operation kam es zur Ileostomainsuffizienz 400 mg (d.h. 5–6 mg/kg Körpergewicht/Tag). Hierbei mit nachfolgender Stomarevision und Stomaneu werden nur 30–40% der oral zugeführten Tagesmenge erfolgte darauf eine erweiterte Hemikolektomie rechts im Darm resorbiert. Der Hauptort der Magnesiumauf- schwerer Kalzium- und Magnesiummangel auf. Nach nahme ist der distale Abschnitt des Dünndarms (Duo- i.v.-Substitution der Elektrolyte traten keine weiteren denum 5%, Jejunum 10%, proximales Ileum 15%, distales Krampfanfälle mehr auf. Trotz weitergeführter oraler Ileum 10%). Im Dünndarm wird Magnesium sowohl Substitution (mit Magnesiumcitrat 1× 300 mg/Tag) passiv mit dem Wasserfluss als auch aktiv unter Ener- zeigte sich kurze Zeit nach dem Spitalaustritt erneut gieaufwand in die Mukosazellen aufgenommen. Der eine schwere Hypomagnesiämie, welche sich durch fol- TRPM6-Ionen-Kanal spielt hier eine wichtige Rolle. In gende Symptome zeigte: rezidivierendes Erbrechen von den Zellen geht Magnesium zu 90% Bindungen mit Pro- nicht verdauter Nahrung ca. eine Stunde nach dem Es- teinen und organischen Säureresten ein. Es dient hier- sen, Diarrhoe und Schwäche. Es wurde ein Magnesium- bei als Komplexpartner des Adenosintriphosphats (ATP). anlage. Als ein Krampfanfall auftrat, fiel erstmals ein wert von 0,17 mmol/l (normal 0,65–1,05 mmol/l) gemessen und daraufhin die Patientin rehospitalisiert. Während des Spitalaufenthalts wurde klar, dass das Magnesium nicht durch perorale Gabe im Normbe- reich gehalten werden konnte. Zudem führte die per- Eine Veränderung des intrazellulären Magnesiumbe- orale Gabe zu einer Verschlechterung der Diarrhoe. Es standes hat über diesen Weg unter anderem Auswir- wurde deshalb entschieden, das Magnesium längerfris- kung auf den Kaliumhaushalt. Ein Magnesiummangel tig intravenös in der Hausarztpraxis zu geben. ist somit häufig mit einem Kaliummangel und dessen SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM Tangkamma K. Sangma Magnesium dient als Komplexpartner des ATP, weshalb bei Magnesiummangel häufig auch ein Kaliummangel besteht. 2016;16(40):846 –848 847 Symptomen vergesellschaftet [2]. Die Plasmakonzen keit und postoperativen Anpassung des verbleibenden Als Regulationsorgan übernimmt die Niere eine wich- hen durch die verminderte Aufnahme von Wasser und tige Aufgabe. Bei Gesunden werden täglich 2 g Magne- Fett im Dünndarm und, bei Entfernung des Ileums, sium in den Glomeruli der Niere filtriert und 95% in durch die ungenügende Rückresorption der Gallen- den Tubuli rückresorbiert. Die Rückresorption erfolgt säure. Dadurch kommt überdurchschnittlich viel Gal- parazellulär passiv entlang dem elektrischen Gradienten lensäure ins Kolon, welche die Sekretion von Wasser (15% proximaler Tubulus, 60–70% dicker aufsteigender und Elektrolyten stimuliert und die Diarrhoe ver- Teil der Henle-Schleife, 5–10% distaler Tubulus). Nor- stärkt. Durch Entfernung der Ileozökalklappe wird die malerweise beträgt die Magensiumexkretion 5% der Transitzeit des Nahrungsbreis verkürzt, weshalb die filtrierten Menge, aber bei Mangelzuständen kann die Aufnahme der enthaltenen Nährstoffe verringert wird. Exkretion bis 0,5% reduziert werden. Bei Hypermagne- Ausserdem kann es durch Wegfallen dieser Barriere siämie kann die Exkretion bis zu 40–80% gesteigert zur Überwucherung des Dünndarms durch Dickdarm- werden [3]. bakterien kommen und dadurch zur Abnahme der Magnesium ist zuständig für die neuromuskuläre Er- Nährstoffaufnahme. Daher müssen die Hauptziele regungsübertragung und die Muskelkontraktion. Im einer Therapie die Verminderung der Diarrhoe und des klinischen Alltag führt ein starker Magnesiummangel damit einhergehenden Flüssigkeits- und Elektrolytver- durch gesteigerte neuromuskuläre Erregbarkeit zu lusts und die Verlängerung der Passagezeit durch Hyperreflexie und Krämpfen. Ein akuter Verlust von Hemmung der Darmmotilität sein. Dünndarmes. Die meist massiven Durchfälle entste- tration sollte zwischen 0,7 und 1,0 mmol/l liegen. mangel eine orale Magnesiumsubstitution jeder an Beim darmgesunden Menschen ist bei Magnesium- Starker Magnesiummangel führt durch gesteigerte neuromuskuläre Erregbarkeit zu Hyperreflexie und Krämpfen. deren Darreichungsform vorzuziehen. Die Magnesiumabsorption beginnt 1 Stunde nach oraler Einnahme derzeitig zur Verfügung stehenden Magnesiumprä gel führen. Die Ursache liegt im geringen Austausch parate enthalten entweder anorganische Anione (Chlo- zwischen extrazellulärem und gespeichertem Magne- rid, Oxid) oder Verbindungen organischer Natur wie sium in Zellen und Knochen. Citrat, Aspartat oder Orotat. In etlichen Studien konnte Die Nieren können die Ursache von Magnesiumver kein Unterschied bezüglich Bioverfügbarkeit festge- lusten sein. Hierbei liegt meist ein Defekt der tubu und ist nach 6 Stunden zu 80% abgeschlossen [2]. Die rhoe, kann zu einem extrazellulären Magnesiumman- grösseren Magnesiummengen, wie z.B. bei akuter Diar- stellt werden zwischen Magnesium-Lutschtabletten, -Trinkgranulat und -Kautabletten. Als therapeutisch mit Schleifen- und Thiaziddiuretika sowie anderen äquivalent müssen sowohl die Verbindungen mit Mag- Medikamenten, wie z.B Aminoglykosiden, Ciclosporin, nesiumkarbonat und Magnesiumoxid wie auch Cisplatin, Carboplatin, Tacrolimus, EGF-Rezeptor-Anta- Magnesiumcitrat/-laktat und Magnesiumhydroxid an- gonisten (wie z.B. Cetuximab), Theophyllin, Salbutamol, gesehen werden [5]. Daraus ist zu folgern, dass die Ma Amphotericin B, Pentamidin, Foscarnet, Pamidronat gnesiumaufnahme im Dünndarm durch unterschied- und Anascrin führen zu renalen Verlusten [4]. Ebenso liche Anionen als bioäquivalent einzustufen ist. Die führen Hyperkalzämie und Alkoholabusus zu Verlus- gleichzeitige Verabreichung von Vitamin D und ten. Vitamin-B-Komplex verbessert die Aufnahme von Ma- Neben den renalen ist der gastrointestinale Verlust ein gnesium. lären Magnesiumreabsorption vor. Auch die Therapie FALLBERICHTE häufiger Grund für den Magnesiummangel. Die gastrodurch unzureichende Resorption zu schwerem Magne- Ist durch eine vorbestehende Darmproblematik, wie siummangel kommen. Dies vor allem durch Diarrhoe, zum Beispiel durch ein Kurzdarmsyndrom , eine intes- Malabsorption, familiäre intestinale Resorptionsstö- tinale Aufnahme von Magnesium nicht suffizient rung sowie Langzeitbehandlung mit Protonenpum- möglich, muss die Substitution intravenös oder subku- pen-Inhibitoren und durch das Kurzdarmsyndrom. tan erfolgen. Während es für die Behandlung in der Das Kurzdarmsyndrom entstand bei unserer Patientin Notfallmedizin klare Richtlinien bezüglich der Menge durch die operative Entfernung des distalen Ileums. und der Infusionsdauer gibt, sind die Daten für die Das Ausmass der Beschwerden ist abhängig von der intravenöse Substitution bei chronischem Magnesi- Lage und Länge des verbleibenden Dünndarmes, des ummangel nicht einheitlich, weshalb wir bei unserer Vorhandenseins der Ileozökalklappe als Rückfluss- Patientin einige Zeit für die Dosisfindung aufwenden schutz und Bakterienbarriere und der Funktionsfähig- mussten. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(40):846 –848 Spezielle Probleme intestinale Sekretion ist zwar gering, es kann jedoch 848 FALLBERICHTE Magnesium als vierthäufigstes Kation im menschli- Hausarztpraxis eine sichere und suffiziente intrave- Dr. med. et phil. nat. chen Körper hat multiple Aufgaben. Ein Mangel dieser nöse Magnesiumsubstitution möglich ist. Damian Meli Korrespondenz: Eine andere Möglichkeit wäre eine wöchentliche sub- ben. Bei einem Kurzdarmsyndrom muss ein spezielles kutane Applikation von Magnesium durch die Spitex d.meli[at]praxishuttwil.ch Augenmerk auf die Aufnahme von Vitaminen, Spuren- oder durch den Hausarzt zuhause. Dem Patienten wür- elementen und Elektrolyte gelegt werden. Häufig ist den die regelmässigen Besuche beim Hausarzt durch eine orale Substitution durch die geringe Aufnahmefä- die subkutane Applikation erspart. Jedoch müsste die higkeit des verbliebenen Darmanteils nicht möglich Überwachung angepasst und trotzdem regelmässig und die intravenöse Substitution die einzige Möglich- das Labor durchgeführt werden. wichtigen Substanz kann vielerlei Auswirkungen ha- CH-4950 Huttwil Schultheissenstrasse 10 keit Mangelzustände zu korrigieren. Unser Fallbeispiel zeigt, dass unter guter Überwachung auch in einer Das Wichtigste für die Praxis Disclosure statement Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Literatur 1 Die Behandlung einer Hypomagnesiämie bei Kurzdarmsyndrom ist schwierig. matik zu wenig wirksam sein, andererseits kann eine vorbestehende 3 Durchfallproblematik verschlechtert werden. 2 • Die perorale Substitution kann einerseits durch die Resorptionsproble- 4 5 arztpraxis kann sicher und effizient sein. • Eine intravenöse Gabe von Magnesium ca. alle 2 Wochen in der Haus- • Alternativ wäre eine wöchentliche subkutane Magnesiumapplikation SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM möglich. 2016;16(40):846 –848 O’Keefe SJ, Buchman AL, Fishbein TM, Jeejeebhoy KN, Jeppesen PB, Shaffer J. Short bowel syndrome and intestinal failure: consensus definitions and overview. Clin Gastroenterol Hepatol. 2006;4:6–10. 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