- Deutsche Mittelstands Nachrichten

Ausgabe 39
07. Oktober 2016
Deutsche
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Auto
Krise am deutschen Automarkt hält an
Viele der Neuzulassungen gehen auf die Händler und Autobauer selbst zurück
D
ie Automobilindustrie befindet sich
im Umbruch. Neue Antriebe, neue
Konkurrenten und zahlreiche, erschwingliche Gebrauchtwagen machen den deutschen Automarkt zu einem schwierigen
Pflaster. Immerhin 19 Prozent der Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen sind über
20 Jahre alt. Das Durchschnittsalter liegt
derzeit bei etwa 10,4 Jahren. Rabattaktionen und Tageszulassungen helfen den
Unternehmen, positive Wachstumsraten
vorzuzeigen – jedoch zu einem hohen
Preis.
Wie die aktuellen Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes zeigen, sind beispielsweise die Neuzulassungen im
September um 9,4 Prozent gegenüber
dem Vorjahresmonat gestiegen: auf
298.000. Bei den deutschen Marken
konnten vor allem Mini (+35,3 Prozent),
Mercedes (+26 Prozent), Ford (+18,5) und
Smart (+16,8 Prozent) punkten. Bei den
Eigenzulassungsquoten nach Marken.
internationalen Unternehmen erreichten Tesla und Alfa Romeo jeweils Wachs-
Grafik: CAR
tumszahlen von mehr als 130 Prozent.
Allerdings sind die Neuzulassungen
Analyse
Exporteure erwarten weniger Wachstum
Die deutschen Exporteure rechnen
wegen der lahmenden Weltkonjunktur
nur noch mit einem schwachen Wachstum. Ihr Auslandsgeschäft lege in diesem Jahr um maximal zwei Prozent auf
1.220 Milliarden Euro zu. Für 2017 wird
mit einem Plus von höchstens 2,5 Prozent gerechnet, erklärte der Außenhandelsverband BGA. Ursprünglich hatte
er in diesem Jahr ein Plus von bis zu 4,5
Prozent angepeilt, doch signalisierte
BGA-Präsident Anton Börner bereits im
August im Reuters-Interview eine Halbierung dieser Prognose. „An allen Ecken
und Enden der Welt kriselt es, nicht zuletzt vor den Toren Europas“, begründete
Börner in Berlin nun die zunehmende
Skepsis.
„Trotzdem wird der deutsche Außenhandel einen neuen Rekord bei den
Ausfuhren verzeichnen“, betonte der
Verbandschef. Der Auslandsumsatz summiere sich in diesem Jahr auf 1,22 Billionen Euro, 2017 auf 1,25 Billionen Euro.
Trotz der Bestmarken überwiegen bei
dem Branchenverband aber die Molltöne. „Das schwierige weltwirtschaftliche
Umfeld wird sich auch in den kommenden Monaten fortsetzen“, sagte Börner.
„So stehen alleine in Europa zahlreiche
Wahlen und wichtige Entscheidungen
mit völlig ungewissem Ausgang an, etwa
in Italien, den Niederlanden, Frankreich
und in Deutschland.“ Auch bleibe abzuwarten, wie die Weichen beim geplanten EU-Austritt Großbritanniens gestellt
würden.
Während beispielsweise exportierte
chemische Erzeugnisse und Maschinen
im ersten Halbjahr Rückgänge verzeichneten, konnten lediglich Kraftwagen und
Kraftwagenteile ein Wachstum von 2,2
Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum aufzeigen.
Die Importe steigen der Prognose zufolge in diesem Jahr trotz der guten Binnenkonjunktur nur um 0,5 Prozent auf
953 Milliarden Euro. Grund dafür seien
vor allem die gesunkenen Rohstoffpreise.
2017 soll es dann ein Plus von 1,5 Prozent
auf 967 Milliarden Euro geben.
„Wenn wir die Weltmärkte sichern
wollen, brauchen wir insbesondere Europa, unseren wichtigsten Kernmarkt. Europa zu verlieren, verkraften wir nicht!“
Europa habe es mit politischen Phänomenen zu tun, die man national nicht
lösen könne. „Ich nenne nur den Terrorismus, der nicht aufhören sondern zunehmen wird, das Thema Immigration und
die Aggression aus der islamischen Welt
und Russland. Alle diese Themen lassen
sich nur supranational lösen“, so Börner.
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nicht ohne Einschränkung zu werten.
Nur 34,4 Prozent der neu zugelassenen
Autos waren von privaten Nutzern. „Insgesamt wurden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 1.733.839 Neuwagen
in den Verkehr gebracht – ein Zuwachs
von +7,1 Prozent“, so das Kraftfahrtbundesamt. „Die Anzahl der privaten Zulassungen lag mit einem Anteil von 34,8
Prozent um +6,4 Prozent höher als im
Vergleichszeitraum.“ Die Mehrheit der
neu zugelassenen Autos entfällt daher
auf Unternehmen und die Autoindustrie, also die Hersteller und Händler
selbst. Als Tageszulassungen und jungen Vorführwagen können die Händler
die Autos günstiger an private Käufer
verkaufen.
In den ersten neun Monaten waren
diese Neuzulassungen der Händler und
Hersteller leicht von 29,4 im Vorjahreszeitraum auf 29,0 Prozent gesunken.
Das ist jedoch insgesamt weiterhin ein
sehr hohes Niveau. „Die Käufer finden
also noch jede Menge an Tageszulassungen und jungen Gebrauchtwagen bei
den Händlern, die mit Abschlägen von
25 Prozent und mehr auf die Listenpreise angeboten werden“, heißt es in der ak-
tuellen Rabattstudie des CAR-Instituts
der Universität Duisburg-Essen, die den
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vorliegt. Bei Audi betrug die Eigenzulassungsquote 22,3 Prozent, bei BMW
22,7 Prozent, bei Mercedes 24,2 und bei
VW 24,5 Prozent. „Auch bezogen auf das
Gesamtjahr 2016 hat Opel mit knapp 44
Prozent den größten Anteil unter den
untersuchten 16 Marken gehabt.“
Tageszulassungen sind aber nicht
die einzigen Umstände, die zeigen, wie
umkämpft der deutsche Automarkt
mittlerweile ist. Noch immer setzen
die Händler und Hersteller auf Rabatte.
„Der deutsche Automarkt wird künstlich gepusht“, so Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des CAR-Center Automotive Research der Uni Duisburg-Essen
in einem Gespräch mit den Deutschen
Mittelstands Nachrichten zu Beginn des
Jahres. „Der deutsche Automarkt ist der
am stärksten rabattierte Automarkt der
Welt“. Die neue Rabatt-Studie zeigt, dass
die Händler beim Neuwagenkauf bei
den „30 meistverkauften Neuwagen bei
Geschäftsanbahnung über Internet-Vermittler in den ersten neun Monaten des
Jahres 2016 in Durchschnitt 18,5 Prozent
07. Oktober 2016
Nachlass“ auf den Listenpreis gewährt
haben. Bei einem Durchschnittspreis
für Neuwagen von 25.000 Euro entspricht diese einem Rabatt von 4.625
Euro.
Darüber hinaus gab es in den vergangenen neun Monaten 388 Sonderaktionen wie Rabatte bei Leasing- und
Finanzierungsangeboten sowie Sondermodelle. „Der CAR-Rabatt-Index weist
für die ersten neun Monate des Jahres
2016 einen Wert von 125 aus und für den
September 2016 den noch leicht geringeren Wert von 123.“
Beispiele für Händlerrabatte bei
Internet-Vermittlern gibt es zahlreiche:
„Im August wurden im Durchschnitt 24,5 Prozent Nachlass auf die
Basis-Version des Ibizas geboten (…).
Die höchsten Rabatte wurden für die
Modelle Mitsubishi Space Star mit 30,7
Prozent, den Seat Ibiza mit 28,4 Prozent, den Hyundai I30 mit 28,1 Prozent
und den Hyundai I10 mit 27,6 Prozent
geboten. Die niedrigsten Rabatte gewährten die Händler bei den Modellen
Kia Sportage und Smart Fortwo mit
jeweils 11,0 Prozent und Audi A4 mit
12,9 Prozent.“
Mittelstand
DMN-Reihe: Ausruhen ist keine Option
Gute Umsätze und eine Vielzahl von Vertriebswegen schützen nicht vor Krisen
W
enn Produktions- und Arbeitsprozesse seit Jahren gut laufen und ein
Unternehmen insgesamt einen zufriedenstellenden Gewinn abwirft, stellen die
wenigsten Fragen. Wie wichtig es jedoch
sein kann, sich selbst auf dem Prüfstein zu
stellen, zeigt ein Familienunternehmen,
das Rühr- und Knetgeräte herstellt. Die
harten Verhandlungen mit einem Großkunden haben hier zu einer umfangreichen Umstrukturierung geführt. Das Unternehmen, dass stellvertretend Chemle
genannt werden soll, hatte jahrelang für
seine Rühr- und Knetgeräte auf drei verschiedene Vertriebs- und Verkaufswege
gesetzt.
Neben dem Endproduktegeschäft
mit kleinen Vertriebs- und Serviceniederlassungen (20 Prozent des Umsatzes),
gab es unter anderem auch das OEM-
Geschäft, bei dem Unternehmen die
Geräte unter ihrem eigenen Namen vermarkteten, meist aber zu großen Teilen
auf Produkte von Chemle zurückgriffen.
Der dritte Unternehmenszweig bestand
in der Belieferung eines amerikanischen
Großkunden. Das Geschäft machte immerhin 50 Prozent des Umsatzes aus.
Hierbei ging es um spezielle Geräte für
Rühraufgaben.
Als es einen Wechsel des CEOs beim
US-Großkunden gab, änderten sich plötzlich die Voraussetzungen für Chemle. Der
CEO wollte einen Preisnachlass von 30
Prozent, was den gesamten Gewinn von
Chemle in dieser Sparte bedeutete. Nach
harten Verhandlungen einigte man sich
auf 25 Prozent. Das bedeutete jedoch für
das deutsche Unternehmen eine Umstrukturierung. Denn der große Wegfall
von Gewinnen durch den Preisnachlass
musste aufgefangen werden.
Auf der Suche nach Einsparpotenzialen zeigt sich, dass das Endproduktegeschäft zwar gern von der Unternehmensführung vorgezeigt wurde, letztlich
aber einen jährlichen Verlust von durchschnittlich 2,5 Millionen Euro erwirtschaftete. Hier entschied sich die ChemleSpitze nach der ersten wirklich getrennt
aufgelisteten Gewinn- und Verlustrechnung in diesem Bereich, das Endproduktegeschäft aufzugeben.
Es folgten weitere Umbaumaßnahmen die zu einer wirklichen Trennung der
Produktions- und der Serviceleistungen
der Bereiche OEM und Großkunde führten. Lediglich die Entwicklung blieb für
beide unter einem Dach. Diese Umstrukturierung und die gesteigerte Effizienz
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in der Produktion für den Großkunden
haben dazu geführt, dass die Kosten für
die Produkte für den Großkunden sanken
und dadurch der Gewinn trotz der Preissenkung von 25 Prozent wieder stimmte.
Ein jährliches Ebit von 8 Prozent wurde
nach dem vierjährigen Umbau erreicht.
Der deutsche Mittelstand ist das
Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Vor
allem viele Unternehmen, die außerhalb
des Rampenlichts großer Konzerne agieren, prägen die Wirtschaft Deutschlands.
07. Oktober 2016
Sie sind Impulsgeber, Wertebewahrer und
Exportmeister. Zusammen mit Econ-Verlag werfen die Deutschen Mittelstands
Nachrichten in ihrer Reihe „Das bewegt
den Mittelstand“ einen genauen Blick in
die Welt der leisen Sieger.
Innovation
Schwedisches Elektroauto startet mit Crowdfunding durch
Der recyclebare Zweisitzer soll im kommenden Jahr erstmals als Prototyp zu sehen sein
Statt auf altbekannte Formen zu setzen, haben sich die Entwickler ein neues, ungewöhnliches Design
einfallen lassen.
Foto: Uniti
W
as an der Lund University als Open
Innovation Projekt begann, ist mittlerweile ein Start-up geworden. Uniti heißt
das Unternehmen, das Schwedens erstes
Elektroauto auf die Straße bringen will, und
über das die Deutschen Mittelstands Nachrichten bereits im März berichtet haben. 90
Kilometer pro Stunde soll das Auto fahren.
Es ist mit einer 9kWH Lionen-Batterie, einer
Backup-Batterie und einem 15 kW AC-Motor
ausgestattet. Mit 400 Kilogramm ist es im
Vergleich zu vielen herkömmlichen Autos
ein echtes Leichtgewicht. Zwei Sitze bietet
das Innere, diese sind hintereinander angeordnet. Gas- oder Bremspedale gibt es nicht.
Alles wird über ein Lenkrad geregelt. Das Material ist recycelbar, es besteht aus Hanf und
Flachsfaserbioverbundstoffen. Mit einer
Reichweite von 150 Kilometern liegt es in einem ähnlichen Bereich wie der i3 von BMW.
Um die weitere Entwicklung des Elektroautos zu gewährleisten hat Uniti am 5.
Oktober eine Crowdfunding-Kampagne
auf der Plattform FundedByMe gestartet.
500.000 Euro will das Start-up einsammeln – für 5,1 Prozent der Firmenanteile.
Das Interesse ist groß: Bereits einen Tag
nach dem Start der Kampagne konnten 84
Prozent des Wunschkapitals erreicht werden. Noch weitere 44 Tage läuft die Kampagne.
Im ersten Quartal 2017 will Uniti den
ersten richtigen Prototypen von seinem
Elektroauto vorstellen. 2019/2020 sollen
die Autos vom Band laufen. Schon jetzt gibt
es 140 (nicht bindende) Vorbestellungen.
Ziel ist es, zukünftig nicht über Autohändler in den Markt zu gehen, sondern direkt
an den Kunden zu verkaufen: via Internet
oder in Elektronikläden. Vor allem in Europa und in Ostasien sollen zuerst die Märkte
erschlossen werden.
„Uniti will in einer Branche Veränderungen bewirken, die sich mit radikaler Veränderung etwas schwer tut“, sagte Gründer
und CEO Lewis Horne. „Die Mentalität, den
Status Quo verändern zu wollen, haben wir
auch bei FundedByMe. Deshalb wollen wir
jedem die Chance geben, auch bei Uniti Anteilseigner zu werden.“
Innovation
Tesla-Chef will Kolonie auf dem Mars gründen
Das US-Technologie-Unternehmen SpaceX plant, Menschen auf den Mars zu bringen
D
er Tesla-Gründer und Milliardär Elon
Musk hat detaillierte Pläne zur Besiedlung des Mars vorgestellt. Mit seinem
Raumfahrtunternehmen SpaceX wolle
er die Kolonisierung des Roten Planeten
anstreben, sagte Musk auf dem Interna-
tionalen Astronauten-Kongress im mexikanischen Guadalajara. Die Erde werde
möglicherweise irgendwann nicht mehr
bewohnbar sein, bis dahin solle es Alternativen geben. „Die Menschheit sollte eine
multi-planetare Spezies werden.“
Die ambitionierten Pläne des 45-Jährigen sehen große Raumschiffe vor, die
mindestens 100 Menschen und große
Mengen Material transportieren können.
Zudem sollten die Raumschiffe wiederverwendbar sein und im Orbit beladen
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Die Explosion ihrer Falcon 9 Rakete war ein Rückschlag, doch die Projekte von SpaceX sind weiter
Programm.
Foto: SpaceX
und betankt werden können, erklärte
Musk. Damit ließen sich die Kosten von
derzeit rund 10 Milliarden US-Dollar
(knapp 9 Milliarden Euro) pro Passagier
auf rund 140.000 Dollar drücken, ist er
überzeugt. Der Mars biete sich zur Kolonisierung an, weil es dort Sonnenlicht
und eine Atmosphäre gebe. Die Tageslänge sei vergleichbar mit der auf der Erde
und es sei möglich, Pflanzen zu züchten.
Zunächst will SpaceX ein unbemanntes Raumschiff zum Mars schicken.
Schon ab 2025 könnten nach den Plänen
Musks die ersten Menschen zum Roten
Planeten reisen. „Das wird ein großartiges Abenteuer“, sagte er. „Das Leben ist
mehr als nur jeden Tag Probleme zu lösen. Man sollte jeden Tag aufwachen und
inspiriert sein, Neues zu wagen.“ In absehbarer Zukunft könnten rund eine Million Menschen auf dem Mars leben. Zur
Einordnung: Die US-Raumfahrtagentur
NASA sieht eine bemannte Mars-Mission
frühestens in den 2030er Jahren.
Für die Reise zu unserem Nachbarplaneten entwickelt SpaceX das Triebwerk „Raptor“, das vor einigen Tagen erstmals in Betrieb genommen wurde. Es soll
drei Meganewton Schub bringen – mehr
als dreimal so viel wie das Triebwerk der
aktuellen SpaceX-Rakete „Falcon 9“. „Raptor“ werde mit flüssigem Methan betrieben, das auch auf dem Mars gewonnen
werden könne, hieß es.
SpaceX hatte zuletzt eine Reihe von
Rückschlägen hinnehmen müssen. An-
07. Oktober 2016
fang September war eine Rakete des
Unternehmens beim Start auf dem USWeltraumbahnhof Cape Canaveral in
Florida explodiert, ein Facebook-Satellit
an Bord wurde zerstört. Im vergangenen Jahr hatte SpaceX eine Rakete verloren, die Nachschub zur Internationalen
Raumstation (ISS) bringen sollte.
Die Zweifel an Musks Vision sind
groß. „Kurzum, eine ganze Menge Dinge
müssen erst noch erfunden werden, bevor es die Menschheit zum Mars schafft
– ganz zu schweigen davon, dort eine Kolonie zu gründen“, schreibt Bloomberg.
Ein großes Problem sei, dass sich die Finanzierungsbedingungen für die Raumfahrt seit den 196oer und 1970er Jahren
verschlechtert haben.
Doch selbst wenn eine SpaceXRakete zum Mars fliegt und Personen den extrem hohen Preis für einen
Fahrschein zahlen, so können sie dort
wahrscheinlich nicht laufen. Das größte Problem sind nicht einmal die zehn
Milliarden Dollar für ein Einwegticket,
über das Musk halb im Spaß redete. Was
gebraucht wird, sind Menschen die den
widrigen Bedingungen im Weltall trotzen können“, schreibt Bloomberg. „Nach
einem Flug zum Mars können Sie dort
nicht laufen“, wird eine Astrophysikerin
zitiert. Die Muskeln hätten sich in der
Schwerelosigkeit des Weltraumes bis
dahin stark zurückgebildet. Zu den zahlreichen Widrigkeiten gesellen sich noch
die extrem starke Sonneneinstrahlung
auf dem Mars und die Tatsache, dass
Astronauten jeden Monat etwa 1 Prozent der Mineralien in ihren Knochen
verlieren.
Wirtschaft
Deutsche Exporte schwächen EU-Krisenmanagement
Die Verbindlichkeiten südeuropäischer Staaten sind im August weiter angestiegen
I
m August haben sich die Verbindlichkeiten südeuropäischer Länder
gegenüber dem gesamten Eurosystem
verstärkt, wie aus den aktuellen TargetSalden der Europäischen Zentralbank
hervorgeht. Die Target-Salden bilden Kapitalströme und Forderungen sowie Verbindlichkeiten zwischen den einzelnen
Zentralbanken der Eurozone ab.
Der Target 2-Saldo Italiens fiel im August auf -326 Milliarden Euro, im Juli war
er noch -292 Milliarden Euro. Der spanische Saldo belief sich auf -313 Milliarden
Euro – ebenfalls ein deutlicher Anstieg
gegenüber Juli, als noch -293 Milliarden
Euro verzeichnet worden waren.
Der mit Abstand größte Gläubiger
ist Deutschland, dessen Saldo zwischen
Juli und August von 660 Milliarden
Euro auf 667 Milliarden Euro gestiegen
ist. Auch die Niederlande, Finnland und
Luxemburg verzeichnen einen positiven
Saldo.
Die negativen Salden der südeuropäischen Länder kommen zustande,
indem beispielsweise Spanien Produkte
aus Deutschland einführt, im Gegenzug
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aber Waren in geringerem Wert nach
Deutschland ausführt. In diesem Fall
kommt es zu einem Forderungsüberhang deutscher Banken gegenüber spanischen Banken, welche sich in der Target-Statistik der EZB niederschlägt.
Der spanische Finanz-Thinktank
AFI weist jedoch darauf hin, dass die
negativen Salden Spaniens und anderer
südeuropäischer Länder vor allem auf
die langfristigen Refinanzierungsoperationen im Eurosystem (TLTROs) sowie
auf Käufe von Staatsanleihen durch die
jeweiligen Zentralbanken zurückzuführen sind. Diese beiden Faktoren hätten
zu den hohen Verbindlichkeiten der
Zentralbanken gegenüber der EZB maßgeblich beigetragen, haben mit dem Verhalten privater Investoren jedoch nichts
zu tun und können deswegen auch nicht
als Anzeichen einer Kapitalflucht gedeutet werden.
Bei den langfristigen TLTROs können
Geschäftsbanken bei der EZB Kredite bis
zu vier Jahren Laufzeit zum jeweiligen
aktuellen Leitzins der Eurozone – derzeit null Prozent – aufnehmen. Dafür
muss sich ihre Kreditvergabe an die Re-
07. Oktober 2016
Der deutsche Exportüberschuss schlägt sich in positiven Targetsalden nieder.
Foto: Flickr/Metrpolico.org/CC by sa 2.0
alwirtschaft in einem bestimmten Zeitraum besser entwickeln als in der Vergangenheit. Es reicht aus, wenn sich der
Rückgang der Kreditvergabe einer Bank
verringert. Auch der Ankauf von Staats-
anleihen durch die Zentralbanken der jeweiligen Länder führt dazu, dass sich die
Verpflichtungen gegenüber dem Eurosystem erhöhen, was die Target 2-Salden
in den negativen Bereich drückt.
Finanzen
Banken-Krise in Europa
Die grundlegende Orientierung von Geld- und Bankenpolitik führt in eine verhängnisvolle Abwärtsspirale
D
iese Woche ist im annus horribilis der
beiden deutschen Großinstitute eine
neue Wendung eingetreten. Die Probleme
der deutschen Großbanken werden jetzt
nicht mehr betreten negiert, sondern offen und öffentlich diskutiert. Neben den
üblichen Beschwichtigungsformeln (‚Die
Banken sind aufsichtsrechtlich genügend
kapitalisiert’) werden jetzt auch Lösungsansätze diskutiert. Nur wird ein fatal falsch
konzipiertes Raster als Ausgangspunkt genommen.
Die Probleme der Banken in Europa
sind bekannt und durch die Kombination von Austeritäts- und EZB-Politik der
Negativzinsen akzentuiert worden. Überdimensionierte, aber kapitalschwache
Großinstitute, dazu aufgrund der Konjunkturlage und Zinssituation ertragsarm, mit vielen Legacy-Positionen und
faulen Krediten belastet, unter anderem
einer Lawine von Schwellenländer-Anlagen, und ohne strategische Perspektive.
Der Sektor hat geringe Visibilität und von
daher keine besonders guten Chancen auf
genügend frisches Eigenkapital im Markt.
Die Überraschungen gehen hauptsächlich in die negative Richtung. Die
Liquiditätsschwemme der EZB hat diese
Institute gleichzeitig künstlich über Wasser gehalten und in einer gewissen Weise
verhindert, dass sie rechtzeitig drastische
Restrukturierungsprogramme einleiten
mussten. ‚Pretend and extend’ war in
der Eurokrise überall und ist vielenorts
noch die vorherrschende Attitüde. Einige
Großbanken, darunter diese Woche die
Commerzbank oder die niederländische
ING, haben seit letztem Herbst drastische
Restrukturierungsprogramme und eine
komplette Neuausrichtung des Geschäfts
angekündigt. Ob sie zum Erfolg führen
können, bleibt angesichts des makroökonomischen Umfelds und der eingeschlagenen Orientierungen in der Politik fraglich.
Die Banken selber zahlen nun den
Preis dafür, dass ihre Ökonomen in
der Eurokrise leichtfertig intellektuell
schmalbrüstige Analysen und Handlungsempfehlungen geliefert haben:
Harte Austerität in Europa, die zu immer
tieferen Zinssätzen außerhalb jeglicher
historischer Erfahrung geführt hat. Dann
Jubel über Draghis Bazooka, der die Aktienkurse zunächst etwas befeuerte. Ihre
Institute sind von dieser Gemengelage schwer getroffen und spüren, neben
den vielen namenlosen, eingegangenen
Kleinbetrieben und entlassenen Arbeitnehmern, als erste unter den Großunternehmen den eisigen Gegenwind deflationärer Krisenlösungskonzepte. Auch das
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verunglückte Basel III Regelwerk begrenzt
ihre Handlungsmöglichkeiten und verstärkt den Trend zurückhaltender Kreditvergabe oder, je nach Diktion, die eigentliche Kreditklemme.
Die Aktienkurse des Bankensektors in
Europa bieten seit zwei Jahren ein desaströses Bild, und zwar praktisch querbeet.
Es erstaunt daher nicht, dass viele Anleger und ‚stakeholder’ hellhörig werden
und sich Fragen stellen. Die beruhigenden Worte der Verantwortlichen waren
zunächst sicher angemessen. Allein, nach
Wochen und Monaten verlieren Beruhigungspillen zusehends an Wirkung. Dann
müssen überzeugende Fakten her. Ein
Institut von der Größenordnung und Bedeutung der Deutschen Bank darf nicht
die geringsten Zweifel offen lassen.
Die Deutsche Bank ist keine Landsparkasse oder Regionalbank. Sie ist, nicht
gemessen an der Marktkapitalisierung,
sondern an ihren Engagements, eine der
größten Banken der Welt. Ihre Kunden
sind nicht nur Einleger oder Kreditnehmer, sondern die ganz großen Gegenparteien im Derivategeschäft: Andere Großbanken, Hedge-Funds, Asset-Manager,
Großunternehmen. Das sind Marktteilnehmer ganz anderen Kalibers, Informationsstandes und Interessenlage.
Für die Hedge-Fund Industrie ist
2016 eines der schwierigsten Jahre überhaupt. Die Performance ist lausig, und
nicht nur dieses Jahr, sondern auch über
mehrere Jahre gemessen. Die Rücknahmen der Anleger haben enorm zugenommen. Ähnliches gilt auch für konventionelle Asset-Manager. Viele traditionelle
Long-only Fonds sind von Rücknahmen
bedroht. Dass einige Hedge Funds aus
dem prime brokerage Geschäft der Deutschen Bank die Konten räumen und die
Positionen bei der Deutschen Bank ablösen, kann angesichts der Kommunikation
aus Deutschland nicht erstaunen und ist
ein Warnzeichen.
Das Wichtigste für Hedge Funds und
Asset-Manager ist in dieser Situation die
Liquidität. Teile dieser Anleger, vor allem
viele kleinere, sind zwei Mal in den letzten
10 Jahren übel erwischt und ausgelöscht
worden. Erstmals in der Finanzkrise von
2008, und wieder beim Bankrott der
MF Global in 2011. Monatelang hatten
sie keinen Zugriff auf die Liquidität und
konnten keine offenen Positionen bewirtschaften. Für solche Anlegergruppen ist
es überlebenswichtig, sofort beim ersten
Anzeichen von Problemen das Weite zu
suchen. Es sind keineswegs böse Spekulanten, sondern Investoren mit einem Geschäftsmodell, das essentiell auf Liquidität und Stabilität sowie Berechenbarkeit
der Gegenpartei-Beziehung beruht.
Liquidität und jederzeitige störungslose Verfügbarkeit sind bei mittleren und
großen Nicht-Finanziellen Unternehmen
ebenso zentral. Sie benutzen typischerweise mehrere global tätige Großbanken
als Gegenpartei für ihre internationale
Geschäftstätigkeit, häufig jedoch zwei bis
Bundeskanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsident Juncker im September bei einem Treffen mit
europäischen Industriellen.
Foto: EU-Kommission
drei Gegenparteien mit Priorität. Jeder
verantwortungsvolle CFO oder Treasury
Manager eines Unternehmens wird blitzartig die Konten räumen, wenn er nur Anflüge von Zweifeln bekommt, dass diese
Konten einmal eingefroren oder gar teilweise konfisziert werden könnten. Dabei
ist seine Incentivierung absolut asymmetrisch. Da ein solches Unternehmen zahlreiche Konten hat, kann er praktisch ohne
Transaktionskosten das Geld umparken.
Räumt er die Konten, und nichts passiert,
wird er schlimmstenfalls als übervorsichtig gelten. Räumt er sie nicht, selbst mit
dem Einverständnis des CEO, ist er seinen
Job los und seine Karriere ruiniert, wenn
etwas passiert. Fehler im operationellen
Risikomanagement werden ihm den Lebenslauf verhageln.
Von daher ist die Haltung des Zuwartens, des Aussitzens (bis nach den Wahlen
2017?), welche Bundesregierung, Finanzministerium und EZB kennzeichnen, unangemessen. Ist das Vertrauen, aus was
für Gründen auch immer, einmal verlo-
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ren, dann ist es weg – und dann kann es aller beruhigenden Worte und Liquiditätspolster zum Trotz rasend schnell gehen.
Dabei geht es nicht nur um die Deutsche
Bank oder andere einzelne Institute. Nein,
die gesamte Geld-, Finanz- und Bankenpolitik ist schief und droht, den Sektor so
zu schädigen, dass die zukünftige gesamtwirtschaftliche Entwicklung abgewürgt
wird.
Was ist keineswegs nur bei den deutschen, sondern bei vielen europäischen
Großbanken los?
Sie sind unterkapitalisiert, weil Basel
II eine enorme Kreditexpansion sowie
Expansion des Derivategeschäfts erlaubt
hatte. Das ist eine Legacy, ein historisches
Erbe einer relativ kurzen Periode zwischen 2004 und 2008-10. Die verschiedenen Blasen dieser Jahre und vor allem
die Austeritätspolitik seit 2011 haben darüber hinaus zu faulen Krediten geführt,
welche die Banken nicht von der Bilanz
bringen können, ohne praktisch bankrott
zu gehen.
Sie sind aus verschiedenen Gründen
ertragsarm: Praktisch weltweit gibt es im
Kerngeschäft jeder Großbank, dem Zinsdifferenzgeschäft, zu wenig zu verdienen.
Der Grund ist zum einen die Null- bzw. im
Euro sogar die Negativzinspolitik der Notenbanken. Auf der Passivseite der Bankbilanz lassen sich Negativzinsen schwer
vermitteln, vor allem nicht gegenüber
Privatanlegern. Die Nullzinsschranke
macht die Passivseite starr gegen Zinssenkungen. Auf der Aktivseite führt die Zinssenkung zu sinkenden Erträgen auf dem
Bestand: Bei variablen, mit einem vereinbarten Spread zu den Geldmarktsätzen
gepreisten Krediten, auch vielen langfristigen, führt dies unmittelbar zum Kollaps
der Zinsmarge. Bei Ausleihungen zu fixen
Zinssätzen erfolgt der Rückgang der Zinsmarge verlangsamt, aber nicht völlig verschieden. Ein Grund dafür ist auch, dass
die Bankbranche gewaltige Überkapazitäten hat. Neukunden mit guter Bonität
können sich die Bank und die Konditionen aussuchen, während wirklich Kreditbedürftige keinen Zugang haben.
Die Banken können existierende
Operationen und Geschäftsfelder nicht
zu vernünftigen Preisen veräußern, weil
die Preise dafür kollabiert sind. Weil es
eben überall schlecht läuft, müssen sie
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sehr große Abschreiber vornehmen,
welche die Kapitaldecke reduzieren. Sie
können dadurch die Kapitaldecke in der
Bankbilanz nicht aufmöbeln.
In dieser Situation haben drei zentrale Initiativen der Führung der Eurozone
verheerende Effekte, die sich kombinieren. Zum ersten die Direktive zur Abwicklung unterkapitalisierter Banken, zum
zweiten die Negativzinspolitik der EZB,
zum dritten die Staatsanleihenkäufe der
EZB. Die Kombination dieser drei Kernelemente der Geld- und Bankenpolitik ist ein
giftiger Cocktail.
Wozu führt die Direktive zur Abwicklung der Banken? Startpunkt ist, dass die
Banken gravierend unterkapitalisiert
sind, nicht nur die beiden deutschen
Großbanken, sondern ebenso sehr diejenigen in Italien, in Spanien, in Portugal,
Griechenland, Irland, selbst in Frankreich
oder, angesichts der Schwellenländerund Brexit-Situation, selbst im Vereinigten Königreich. Es ist ein Systemproblem,
nicht ein individuelles Bankenproblem.
Deshalb die schwache Neukreditvergabe
überall.
Die Kapitalanforderungen werden in
den nächsten Jahren weiter steigen, nur
schon unter dem, was im Zeitplan unter
Basel III bis 2020 vorgesehen und beschlossen worden ist, geschweige denn,
was Basel IV fordert, aber noch nicht entschieden ist. Die auf Januar 2016 in Kraft
getretene Abwicklungs-Direktive ist explizit deshalb geschaffen worden, damit
die Staaten Banken nicht mehr unterstützen bzw. finanzieren können. Zuerst
sollen die Aktionäre bzw. Gläubiger der
Banken zum Handkuss kommen.
Das bedeutet, dass der Staat keine
aktive, präventive Kapitalerhöhung mehr
vornehmen kann. Genau das, was in den
USA oder in Deutschland 2008/09 erfolgreich praktiziert worden ist, wird verunmöglicht. Eine rasche, quantitativ genügende Rekapitalisierung, eine sofortige
Befreiung von Altlasten, und die Fähigkeit
zur Neukreditvergabe sind damals sofort
und blitzartig wiederhergestellt worden.
Bleibt nachzutragen, dass die dramatische Bankenrettung den amerikanischen
Steuerzahler am Ende praktisch nichts
gekostet hat.
Die Negativzinspolitik reduziert aus
den genannten Gründen die Zinsmarge
auf dem Bestand der Geschäftsbanken.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, bildet das Zinsdifferenz-Geschäft das Rückgrat im Bankgeschäft. Die Kombination
von Negativzinspolitik und aggressiven
Anleihenkäufen reduziert aber auch die
Einnahmen aus dem indifferenten Geschäft, vor allem dem Vermögensverwaltungsgeschäft. Im Private Banking sind
die gemischten Portfolios traditionell
wichtige Produkte. Sie setzen sich aus einem meist überwiegenden Obligationensowie aus einem Aktienteil zusammen.
Werfen die Obligationen nichts mehr ab,
so ziehen sich die Kunden angesichts der
Kosten aus diesen gemischten Portfoliostrukturen zurück. Sie halten, je nach
Risikoprofil, Cash sowie allenfalls noch
Aktienbestände. Auch strukturierte Produkte, ein anderes klassisches Private
Banking Instrument, sind für die Kunden
unattraktiv. Strukturierte Produkte basieren auf einer Kombination von Zinsinstrument und Volatilität. Bei Nullzinsen
und geringer Volatilität im Markt sind sie
nicht vernünftig zu konzipieren und vermittelbar. Weil die Notenbanken jegliche
Marktkorrektur und Marktdisziplin im
Aktienmarkt verhindern, ist auch die Volatilität komprimiert. Mit der gegenwärtigen Zinspolitik können die Banken somit
schlicht nicht genügend Einnahmen generieren.
Die durch die Anleihenkäufe ausgelöste Verflachung der Zinskurve reduziert
die Zinsmarge auf dem Neugeschäft der
Geschäftsbanken. Die Banken empfangen
auf der Passivseite am kurzen Ende und
leihen langfristig aus. In den Kernländern der Eurozone sind die Ausleihungen
meist fix, erfolgen also zu einem festen
Zinssatz. Eine radikale Verflachung der
Zinskurve reduziert somit die Zinsmarge
im Neugeschäft und macht dieses aus
Sicht der Banken unattraktiv. Genau dies
ist das Ergebnis der Anleihenkäufe durch
die EZB, welche bedeutende Teile des Bestandes an Staatsanleihen aufkauft und
absorbiert. Weil viele institutionelle Anleger unter Anlagedruck sind, müssen auch
sie selbst bei praktisch nichts rentierenden Renditen zukaufen. Eine fatale Situation, welche auf lange Sicht für eine flache
Zinskurve sorgen dürfte.
Die EZB reduziert somit das operative
Geschäft und komprimiert das operative
07. Oktober 2016
Ergebnis der Geschäftsbanken. Sie zwingt
sie zur Erhöhung der Gebühren, d.h. zu
Kostensteigerungen für die Kunden, sowie zu drastischem Kosten- und Personalabbau, zu enormen Restrukturierungen
und veränderten Geschäftsmodellen.
Eine Devestition in bestimmten bisherigen Kern-Bereichen und Investitionen in
neue Bereiche bedeuten für die Banken
vorab Kosten. Sie zwingen die betroffenen Banken zu Abschreibungen und
reduzieren das für neue Kredite zur Verfügung stehende freie Kapital für eine
ganze Weile.
Aus dem operativen Geschäft wird es
angesichts dieser makroökonomischen
Konstellation keine genügenden Erträge geben, um die Kapitaldecke kräftig
aufzustocken – auf Jahre hinaus. Darum
haben Deutsche Bank und jetzt Commerzbank die Dividende ausfallen lassen.
Unter diesen Umständen ist es unmöglich oder extrem punitiv, auf dem Markt
neues Kapital zu beschaffen. Wer wird
schon in Black-boxes ohne Visibilität, in
erdrückende Altlasten, und in ungewisse
Geschäftsmodelle mit miserablem Ertrag
auf Jahre hinaus investieren?
Viele Nicht-Fachleute werden sagen,
dass ihnen das völlig egal oder sogar recht
sei. Die Banker sind arrogante, überbezahlte Abzocker ohne positive Beiträge
zur Volkswirtschaft. Höchste Zeit, mit
diesem System aufzuräumen. Daran mag
einiges wahr, aber weit überzeichnet sein,
doch der makroökonomische Kern ist
grundfalsch.
Im Effekt kommt diese Kombination
der drei Elemente nämlich restriktiver,
nicht expansiver Geldpolitik nahe. Was
den Banken übrig bleibt, ist der Abbau des
Geschäftsvolumens, das heißt der Kredite. Das ist kein Problem, wenn dies eine
einzelne Bank oder einige wenige Banken
machen müssen. Es ist ein riesiges Problem, wenn alle Banken gleichzeitig zur Axt
greifen, weil sie allesamt mehr oder weniger von der gleichen Konstellation betroffen sind. Die Geldpolitik funktioniert in
Europa primär und fast exklusiv über die
Kreditvergabe durch das Bankensystem,
anders als in den USA oder selbst im Vereinigten Königreich. In den Vereinigten
Staaten kommt der Intermediation über
die Finanzmärkte eine dominante Rolle
zu. Wenn viele oder im Endeffekt alle Ban7
Deutsche
MittelstandsNachrichten
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Ausgabe |39/16
ken gleichzeitig ihre Liquidität verstärken
müssen, um für Panikattacken gewappnet zu sein, drastisch Kosten sparen, ihre
Geschäftsmodelle ändern, ausstehende
Kreditvolumina abbauen, bei der Neukreditvergabe auf der Bremse stehen, nur
noch kurzfristige Kredite vergeben können, kommt dies der Wirkung restriktiver
Geldpolitik ziemlich nahe.
Geldpolitisch ist, so ketzerisch dies
auf den ersten Blick erscheinen mag, beinahe alles falsch, was die EZB seit mehr
als einem Jahr macht: Als Aufseherin
naiv. Es hat die EZB in der Eurokrise von
2011/12 der Möglichkeit beraubt, beruhigend am Markt einzuwirken, als die Renditen der Staatsanleihen von Peripherieländern in einer Panik explodierten. Dass
jetzt, unter Aushebelung des gesamten
Vertragswerkes, das Gegenteil gemacht
wird, ist ebenso unangebracht. Die EZB
kauft praktisch alles an Staatsanleihen
zusammen, was es zu kaufen gibt. Doch
das hat seinen Preis: Sie unterläuft so die
erhoffte geldpolitische Wirkung der niedrigen Zinsen – und damit die Kernaufgabe der EZB – und
schafft überdies
noch erhebliche
Risiken für eine
spätere Bankenkrise. Schließlich
darf nicht unterschätzt werden,
dass die EZB genau das Gegenteil von dem
macht, was bei
der Einführung
des Euro dem
Publikum hoch
und heilig verFoto: Flickr/Ars Electronica/CC by nc nd 2.0
sprochen worden
ist: Keine moneüber den Bankensektor vernebelt sie den täre Staatsfinanzierung, nie. Bleibt noch
eklatanten Kapitalmangel der Geschäfts- nachzutragen, dass das ganze QE (Quantibanken, statt ihn als extreme Bremse für tative Easing) auf wissenschaftlich dürren
die Geldpolitik hervorzuheben. In der Beinen und fragwürdigen Begründungen
klassischen Geldpolitik setzt die EZB die basiert.
Banken enorm unter Druck, indem sie
Was man so geschaffen hat, droht
ihnen das Zinsdifferenz- wie auch das zu einem System von Zombiebanken zu
Vermögensverwaltungsgeschäft
durch werden. Diese sind noch gut für den Zahdie Negativzinsen vermiest. Mit den An- lungsverkehr, schon nicht mehr sicher,
leihenkäufen verflacht sie die Zinskurve weil teilweise konfiskationsbedroht, für
und macht die langfristige Neukredit- die Wertaufbewahrung und unbrauchbar
vergabe unattraktiv. Sie kompensiert für die Kreditvergabe und Kreditallokatidies lediglich durch Anreize für kurz- bis on. Die angeschlagenen Banken nutzen
mittelfristige (4 Jahre) Kreditvergabe wie die niedrigen oder Null-Zinsen, um nicht
durch die dieses Jahr geschaffene TLTRO bediente Kredite oder andere gefährdete
II Fazilität.
Aktiven umzuschulden, zu verlängern,
Was die EZB in Wirklichkeit verfolgt, Zeit zu gewinnen. Sie haben aber daist astreine monetäre Staatsfinanzierung. durch reduzierte Kapazität, neue Kredite
Das absolute Verbot der Staatsanleihen- zu vergeben. Wenn sie Kredit vergeben,
käufe in den Verträgen war falsch und dann hauptsächlich kurzfristigen KreImpressum Geschäftsführer: Christoph Hermann, Karmo
Redaktion: Anika Schwalbe, Nicolas Dvorak. Sales Director:
Kurfürstendamm 206, D-10719 Berlin. HR B 105467 B. Telefon:
com. Erscheinungsweise wöchentliches Summary: 52 Mal pro
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dit und allenfalls, was das Autoleasing
anbetrifft, mittelfristigen Kredit. Langfristigen Kredit gibt es kaum (Peripherieländer) oder zu wenig (Kernländer).
Dadurch wird gerade die Investitionstätigkeit, insbesondere auch bei neuen
Firmen, in Wachstumsbranchen oder
auch für den Wohnungsbau gebremst
oder sogar verhindert. Was für Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit wirklich wichtig ist, nämlich
die Finanzierung langfristiger Investitionen, wird aktiv unterbunden.
Wie die wirkliche Situation der
Deutschen Bank aussieht, kann man
kaum beurteilen und sollte auch nicht
kommentiert werden. Sich in Spekulationen auszulassen, ist verantwortungslos.
Aber eines ist klar. Die schwierige
Situation sehr vieler Banken in der Eurozone ist nicht das zufällige Ergebnis
individuell falschen Handelns dieser Institute, so gravierend die Versäumnisse
in der Vergangenheit auch gewesen sein
mögen. Sie ist das Ergebnis einerseits einer regulatorisch ermöglichten grandiosen Bilanz- und Außerbilanzexpansion
des Bankensystems in der jüngeren Vergangenheit, der größten der Geschichte.
Und daran anschließend einer verheerenden deflationären Wirtschaftspolitik
seither. Und zwar in der Kombination
von Finanz-, Geld- und Banken-, Struktur- und Arbeitsmarktpolitik. Ohne
grundlegenden Ausbruch aus diesem
Korsett von Banken- und Geldpolitik ist
es nur eine Frage der Zeit, bis irgendwo
die Stricke reißen. Die Erfahrung eines
wirklichen Bail-ins beim breiten Publikum wird Europa so traumatisch treffen, dass die Anleger ihr Geld von den
europäischen Banken abziehen werden,
was auch immer ihnen dann wieder
hoch und heilig versprochen wird. Der
Euro ist dann spätestens Geschichte.
Auch in den USA und damit im
Dollar als wichtigster Währung drohen
Negativzinsen. Das ist die zentrale Botschaft von Jackson Hole. Banken leben
dann nur noch vom fee-Geschäft.
Kaas-Lutsberg. Herausgeber: Dr. Michael Maier (V.i.S.d. §§ 55 II RStV).
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