zur harten Landung

MENSCHEN
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Als Frau mit dem «Vagabunden-Gen»
konnte Greta Gantenbein mit
der Swissair die Welt entdecken.
VOM HÖHENFLUG
zur harten Landung
Ihr halbes Leben hat sie als Swissair-Hostess über den Wolken Passagiere
bedient, darunter Prinzessinnen und Politiker. GRETA GANTENBEIN
erinnert sich an die goldenen Zeiten der nationalen Fluggesellschaft.
Und an die finsteren: Das Grounding vor 15 Jahren.
Text Angela Lembo Fotos Filipa Peixeiro
A
ls sie vom Untergang der Swissair Airline. Vor einem Jahr begann sie, die Auto zufällig in der Frauenzeitschrift
erfuhr, sass Greta Gantenbein im ­Erinnerungen aufzuschreiben. Ihre Bio- «Annabelle» auf ein Inserat gestossen war.
Auto und hörte Radio. Die Worte grafie wurde zu einem Zeitzeugnis für ein Die Swissair suchte Hostessen. Mindesdes Nachrichtensprechers trafen sie ins Leben mit und ohne Swissair und er- tens 1,60 Meter, «schlank» und «belastMark. Sie zitterte. Spürte, wie Hitze in ihr scheint jetzt als Buch mit dem Titel bar» musste das «Fräulein» sein.
aufstieg, wie die Tränen kamen. «Meine ­«Zweite von links».
Greta Gantenbein erfüllte alle Kriterien.
Swissair soll am Boden sein?»,
In der Ausbildung lernte sie
rief sie. «Das ist absurd!»
nicht nur, was bei einer NotlanEs war absurd und doch
dung zu tun ist, wie man Feuer
wirklich. Am 2. Oktober 2001
löscht, in einem Flugzeug Babys
trat ein, was niemand für mögauf die Welt hilft und in der
lich gehalten hatte. Die RetWüste überlebt. Sie erfuhr auch,
tungsversuche für die Schweizer
wie man vor Monarchen knickst
Fluggesellschaft Swissair waren
und wie man sich schminkt und
gescheitert. Die Menschen in der
frisiert. Und dass unter die UniSchweiz hielten den Atem an.
form ein BH sowie ein Korsett
Sie waren fassungslos, wie Greta
gehören. 1970, ein Jahr vor der
Gantenbein. Als Flugbegleiterin
Einführung des Frauenstimmwar sie Teil der «Swissair-­
rechts, enthielt der AnstellungsFamilie» gewesen. Jetzt, 15 Jahre
vertrag für die Damen noch
nach dem Grounding, sitzt sie
besondere Klauseln. So war es
an ihrem Esstisch und erinnert
bei Heirat oder Erreichen des
sich: «Es fühlte sich an, als sei
36. Altersjahres vorbei mit dem
jemand gestorben.»
Dienst bei der Swissair.
Service erster Klasse: Air-Hostess Greta Gantenbein,
Mehr als 30 Jahre hatte Greta 1974 auf einem DC-8-Flug nach Südafrika.
Das kümmerte die Frau mit
Gantenbein, 68, über den Woldem «Vagabunden-Gen» nicht.
ken Passagiere bedient, darunter Könige
Als Zweite von links hatte Greta Gan- Sie hatte nur eines im Kopf, wollte die
und Politiker. Überall auf der Welt war sie tenbein vor 46 Jahren zwischen weiteren Welt entdecken. Und das tat sie. Zuerst auf
stolz aus den Maschinen mit dem Schwei- frisch diplomierten Air-Hostessen fürs der DC-9 in europäischen Städten wie
zer Kreuz am Heck gestiegen. Greta Gan- Foto posiert. Eine abenteuerlustige Frau, Frankfurt, Paris, London. Später, nach der
tenbein hat die goldenen Zeiten miterlebt die nach der Lehre als Zahnarztgehilfin Umschulung auf die DC-8, in internatiound den jähen Untergang der legendären und einer Englandreise im klapprigen nalen Metropolen wie New York, Bang- ➳
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Schweizer Familie 39/2016
Zeitzeugin der stolzen
Swissair-Zeiten:
Greta Gantenbein, 68,
in ihrer Wohnung
im Aargauischen.
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«Ich erlebte Stars und Staatschefs
von ihrer urmenschlichen Seite:
Zerknittert und zerzaust.»
Aus dem
Fotoalbum:
Mit den
Jahren
wechselten
auch die
Kostüme der
Hostessen.
Jumbo im
Anflug auf
Hongkong:
Foto in Greta
Gantenbeins
Wohnung.
kok, Bombay. Bei ihren Stopps im fernen
Ausland ging sie auf Safari und trank
Cocktails am Strand mit den Crewmitgliedern, die ihr zur Familie geworden
waren. «Ein herrliches Leben war das.»
Zwischen Bauernhof und Jetset
Es endete vorerst 1977. Greta Gantenbein
hatte Hals über Kopf geheiratet. Sie zog
ins Toggenburg, bekam zwei Kinder, Car-
la und Basil, heute 38 und 36. Doch so
schnell, wie die Liebe begonnen hatte, so
schnell war sie vorbei. Sieben Jahre nach
der Hochzeit kam die Scheidung. Greta
Gantenbein stand alleine da mit einem
Haus, zwei kleinen Kindern, Schwein
Frieda, zwei Ziegen, zwei Milchschafen,
Hund Zibi und ein paar Hühnern.
Das Leben als alleinerziehende Mutter
mit Haus und Hof war eine Herausfor­
Greta Gantenbein
SwissairSouvenir:
Greta Gantenbein hat einen
Trolley der
einstigen
Airline in
ihrer Küche.
derung. Zwar liebte Greta Gantenbein
das Zusammensein mit den Kindern und
die neuen Freundschaften mit hilfsbereiten Nachbarn. «Aber die Welt im Toggenburg war für mich zu eng», sagt sie. Da
kam der Brief von ihrer ehemaligen
Arbeitgeberin zur rechten Zeit. Die Bedingungen für Frauen waren inzwischen
gelockert worden, und wegen der Ein­
führung der Business-Class-Hostessen
suchte die Swissair nun auch TeilzeitMitarbeiterinnen.
So kam es, dass Greta Gantenbein fortan ein Leben führte zwischen Jetset und
Bauernhof. Sie bediente Berühmtheiten
wie den König von Jordanien, den Mu­
siker Frank Zappa oder die HollywoodIkonen Liz Taylor, Richard Burton und
Greta Garbo. Nach einem Nachtflug sah
sie die Schönen und Reichen von ihrer
«urmenschlichen Seite: zusammengefaltet
in die Sitze verkrochen, zerknittert, zerzaust und erschlagen». Am nächsten Tag
war sie zurück im Toggenburg und freute
sich mit ihrer Nachbarin Lily, als sie von
den Ereignissen in ihrem Stall berichtete:
«Gisela hat gekalbt!»
Die Jahre zogen ins Land und mit
­ihnen die Veränderungen des Lebens: ein ➳
SWISSAIR-GESCHICHTE: DIE WICHTIGSTEN EREIGNISSE
26.3.1931
Die Swissair – Schweizerische
Luftverkehr AG wird
durch die Fusion der
Fluggesellschaften
Ad Astra Aero
und Balair gegründet. Sie
startet mit einer
Flotte von
13 Flugzeugen.
Zehn Piloten
sind angestellt.
Nelly Diener
dess
Erste Stewar
1.5.1934
Die Swissair setzt als
erste europäische
Fluggesellschaft Stewardessen ein.
Nelly Diener wird weltbekannt,
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Schweizer Familie 39/2016
kommt aber nach nur 79 Flügen
beim Absturz der Condor CH-170
am 27. Juli 1934 nahe Wurm­lingen
ums Leben. Als Grund für den
Absturz gilt der Abbruch eines
Flügels.
1947
Die öffentliche Hand beteiligt sich mit 30,6 Prozent an der Swissair, die
nun als nationale Fluggesellschaft bezeichnet wird.
Sie baut ihr Streckennetz
aus und bietet jetzt auch
Langstreckenflüge an. Am
2. Mai 1947 fliegt die
Swissair mit einer DC-4Maschine erstmals in die
USA. Es folgen Linien nach
Südamerika und Fernost.
17.11.1948
Der Linienverkehr wird von
Dübendorf auf den neuen Flughafen in Kloten verlegt.
Ab 1960
2001
Als eine der ersten Fluggesellschaften stellt die Swissair auf
Düsenjets um. Der wirtschaftliche
Erfolg stellt sich ein.
Anfang 2001 gibt die Swissair
einen Rekordverlust von
2,9 Milliarden aus dem Jahr 2000
bekannt. Hoffnungsträger Mario
Corti übernimmt die Führung
und scheint mit seinem Sanierungsprojekt auf gutem Weg.
Doch die Terrorakte am
11. September 2001 machen das
Geschäft für die gesamte
Aviatikbranche schwierig.
21.2.1970
An Bord des Swissair-Flugs 330 von
Zürich nach Tel Aviv explodiert neun
Minuten nach dem Start eine Bombe.
Beim Absturz in Würenlingen kommen alle 38 Passagiere und die
9 Besatzungsmitglieder ums Leben.
1971
DC-4
lug
Erster USA-F
Am 28. Januar 1971 startet die erste
Boeing 747 B. Die Swissair wird zum
Stolz der Schweizer Nation.
1981
Zum 50-Jahr-Jubiläum erhält die
Swissair ein neues Logo. Der
Namenszug mit Pfeil wird durch
ein Schweizer Kreuz in Rhomboid-Form ersetzt.
Ab 1992
Durch das Nein zum EWR-Beitritt
droht der Swissair die Isolierung
im europäischen Luftraum. In den
späten 90er-Jahren setzt der neue
Airline-Chef Philippe Bruggisser
deshalb auf die Hunter-Strategie:
Die Swissair beteiligt sich an ver-
Boeing 747 Bn
io
Stolz der Nat
schiedenen, meist angeschlagenen
Fluglinien, was ihr schliesslich
nur Verluste einbringt. Das
Allianzprojekt wird beerdigt.
2.9.1998
2.10.2001
Beim Absturz einer SwissairMaschine bei Halifax kommen
229 Menschen ums Leben.
Die Swissair-Gruppe ist schwer
angeschlagen.
Mario Cortis Versuch, den Swissair-Konzern mit Hilfe von Bund
und Banken zu retten, scheitert.
Am Nachmittag des 2. Oktober
2001 kommt es zum Grounding.
Fotos: ETH-Bibliothek Zürich/Swissair (DC-4 Fotomontage), Tamedia AG/Reto Oeschger
Grounding
2.10.2001
Der Flugbetrieb wird mangels
finanzieller Mittel eingestellt.
Die Swissair ist am Ende.
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MENSCHEN
LESERANGEBOT
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«Schweizer Familie» erhalten
Sie das Buch zum Preis von
29.90 statt 39.90 Franken.
«Mit der
Swissair habe
ich alles
erlebt, was
mir wichtig
war»: Greta
Gantenbein.
«Zweite von links.
Mein Leben mit und
ohne Swissair», von
Greta Gantenbein,
256 Sei­ten, gebunden
mit farbigem Bildteil,
Wörterseh Verlag.
«Zweite von links» ist ein Mutmachbuch.
Denn die ehemalige Air-Hostess Greta
Gantenbein erzählt nicht nur vom
Aufstieg und Niedergang «unserer»
Swissair, von Höhenflügen und Notlandungen, einer Amour fou mit einem Kapitän und Auf­enthalten in Luxushotels,
sie erzählt auch ihre eigene Geschichte.
Die einer Frau, für die das Wort
«aufgeben» schlicht nicht existiert.
BITTE SENDEN SIE DEN TALON AN:
Wörterseh Verlag, «Schweizer Familie»Aktion, Im Langstuck 14, 8044 Gockhausen.
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Datum/Unterschrift
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Schweizer Familie 39/2016
neuer Mann, ein neues Heim, der Auszug
der Kinder, das Ende einer weiteren Beziehung. Die Swissair aber blieb. Greta
Gantenbein war dabei, als das knappe
Kleid der Uniform, bei dem «jeder unsere
Unterhosen sah, wenn wir etwas in die
Höhe hoben», praktischen Hosen wich. Sie
erlebte, wie einige Passagiere auf den Langstreckenflügen nervös und fahrig wurden,
weil das Rauchen neuerdings verboten
war. Und sie beobachtete voller Skepsis,
wie die Swissair-Leitung in den späten
90er-Jahren bei anderen Fluggesellschaften auf Einkaufstour ging. «Als sie bei der
belgischen Schrottairline Sabena einstieg,
fühlte es sich an, als würde einem im Zürcher Nobelrestaurant Kronenhalle ein
Hotdog auf den Teller geknallt», sagt sie.
2001 kam das Grounding. Später die
Überführung in die neue Gesellschaft
Swiss. Greta Gantenbein blieb weitere
fünf Jahre. «Aber nichts war mehr wie
zuvor», sagt sie. «Das Heimatgefühl war
verloren gegangen.» Mit jedem neuen
Chef kamen andere Weisungen. Die
brachten die Crew zuweilen an den Rand
der Verzweiflung. «Es ist unangenehm,
wenn man dem Passagier plötzlich sagen
muss: ‹Sorry, heute musst du das Gipfeli
selber bezahlen.›»
Nie mehr fliegen
Als 2006, mit 58 Jahren, die ordentliche
Pensionierung für Flugbegleiterinnen anstand, war Greta Gantenbein froh. Und
doch fühlte sie sich nackt, als sie ihre Uniform abgab und die Handtasche, die nach
ihrem Parfüm roch. Danach verliess sie
den Flughafen zum letzten Mal.
Seit jenem Tag hat die Frau mit dem
«Vagabunden-Gen» kein Flugzeug mehr
betreten. «Warum auch? Mit der Swissair habe ich alles erlebt, was mir wichtig
●
war.»