Roboterchirurgie in der Thoraxchirurgie

ÜBERSICHTSARTIKEL
809
Minimalinvasive Operationen
Roboterchirurgie in der
Thoraxchirurgie
Dr. med. Didier Schneiter, Prof. Dr. med. Walter Weder, Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr
a
Klinik für Thoraxchirurgie, UniversitätsSpital Zürich
In den 1980er Jahren erstmals für die Neurochirurgie entwickelt, haben chirurgische
Robotersysteme seither zunehmend an Bedeutung gewonnen. Neben ihrem Einsatz
in Herzchirurgie und Urologie finden sie insbesondere auch in der Thoraxchirurgie
(Thymektomien, Lungenresektionen) Verwendung.
Definition, Geschichte und Prinzipien
der Roboterchirurgie
Als Roboter in der Chirurgie werden umgangssprachlich
und nicht ganz korrekt Maschinen oder maschinelle
Vorrichtungen definiert, die computergestützt mensch­
lich gesteuerte Bewegungen in Bewegungen eines Inst­
ruments übertragen (Telemanipulator). Anstelle der
Hand des Chirurgen interagiert das robotische Instru­
ment mit dem menschlichen Gewebe. Eine Roboter­
operation in der Thoraxchirurgie im Speziellen ist
definiert als eine allgemeine minimalinvasive thorax­
chirurgische Operation (d.h. kleine Zugangsschnitte
ohne Aufdehnung der Interkostalräume), bei welcher
der Operateur das operative Feld ausschliesslich über
einen Monitor wahrnimmt und alle operativen Schritte
des Eingriffes an einer Konsole, welche die Bewegungs­
übertragung der Hand an das Endinstrument vor­
nimmt, durchführt.
Chirurgische Robotersysteme besitzen mechanische
Arme, an denen chirurgische Instrumente installiert
werden. Sie führen dreidimensionale, präzise, komplexe
Didier Schneiter
Bewegungen unter computergestützter Kontrolle aus,
Die Prinzipien der minimalinvasiven Chirurgie wurden
die mithilfe ausgeklügelter Software gesteuert ist. Die
durch die Verwendung des Roboters durch entschei­
Computer der Robotersysteme justieren und ver­
dende Vorteile erweitert: Der Chirurg verfügt damit
feinern die Bewegungen und Manipulationen dieser
über eine wesentlich höheren Freiheitsgrad bei der Be­
mechanischen Arme durch Tremorfiltration und An­
wegung der Instrumente, eine dreidimensionale Sicht,
passung des Bewegungsumfanges. Letztlich ist es jedoch
eine ergonomische Arbeitsposition, eine Vergrösserung
immer der Chirurg, der die Bewegungen ausführt und
des Bildausschnittes sowie ein Filtern des Tremors. Zur
kontrolliert.
Anwendung kommt dabei das «da Vinci® Surgical Sys­
Chirurgische Robotersystem wurden erstmals in den
tem» (Intuitive Surgical, Mountain View, CA, USA). Der
1980er Jahren für die neurochirurgische stereotaktische
Chirurg sitzt dabei an einer Konsole und nicht direkt
Anwendung entwickelt [1]. Neben dem Beginn der Ver­
am Patienten. Die drei bis vier Arme des Roboters ver­
wendung robotergestützter Systeme für den Klappen­
fügen über eine «remote center»­Technologie, bei der
und Koronargefässersatz in der Herzchirurgie sowie
ein fixierter Punkt im Raum definiert ist, um den sich
auch in der Allgemeinchirurgie hielt die Roboterchir­
die chirurgischen Arme bewegen, um den Gewebe­
urgie vor allem Anfang dieses Jahrhunderts breiten
druck bei den Zugängen aufgrund der Manipulationen
Einzug in der urologischen Chirurgie [2, 3].
zu minimieren. Die an den Roboterarmen installierten
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sogenannten EndoWrist®­Instrumente sind in der Lage,
Mit der Einführung und Etablierung von Robotersyste­
eine Vielzahl hochpräziser Bewegungen durchzuführen,
men, die in verwandten Disziplinen – insbesondere in
analog den Bewegungen einer menschlichen Hand,
der Urologie – eindeutig Vorteile gegenüber den kon­
allerdings mit wesentlich grösserem Bewegungsum­
ventionellen minimalinvasiven Techniken zeigten,
fang. Die Instrumente werden durch die Hand des Ope­
wurden auch in der thorakalen Chirurgie zunehmend
rateurs an der Konsole geführt. Sie registrieren die Be­
komplexere minimalinvasive Eingriffe durchgeführt.
wegungen des Chirurgen und übersetzen diese
Dies insbesondere an anatomischen Lokalisationen,
elektronisch in ruckfreie Mikrobewegungen, um die
die durch die konventionelle Thorakoskopie nicht oder
Roboterinstrumente zu führen. Allfälliger Handtre­
nur schwer zugänglich waren wie zum Beispiel medi­
mor wird durch einen 6­Herz­Bewegungsfilter unter­
astinale Tumoren. So wurde erstmals 2001 eine roboter­
drückt. Der Chirurg sieht das operative Feld über ein
gestützte Thymektomie bei einem Patienten mit einem
Binokular an der Konsole als dreidimensionales Bild.
2,5 cm messenden symptomatischen Thymom Masaoka
Das Bild wird mittels einer stereoskopischen Kamera
Stadium I durchgeführt. Der Eingriff dauerte zwei Stun­
generiert, die an einem der Roboterarme befestigt ist.
den und zehn Minuten [5]. Es folgten grössere Serien
Eine zweite identische Konsole dient der Ausbildung
von Thymektomien, bei denen die Hospitalisations­
und dem Training. Eine Übersicht über die jeweilige
dauer drei Tage oder weniger betrug [6]. Dies bedeutete
Anordnung im Operationssaal gibt Abbildung 1.
gegenüber der sonst meist über eine Sternotomie
durchgeführten Resektion eine deutliche Reduktion
der stationären Verweildauer der betroffenen Patienten.
Entwicklung der thorakalen Roboter­
chirurgie und ihr Stellenwert
Die Vorteile der roboterassistierten Operationen in Be­
Die Einführung videoassistierter thorakoskopischer
lem des vorderen Mediastinums hatten Augustin und
Eingriffe im Jahr 1992 setzte einen Meilenstein in der
Kollegen in der bis dahin grössten Serie von Thymus­
nicht kardialen Thoraxchirurgie [4]. Diese Methode
pathologien an 33 Patienten hervorgehoben [7]. Bis
zug auf die operative Behandlung von Tumoren vor al­
führt zu einem geringeren Gewebetrauma, einem ver­
zum Jahre 2008 wurden Erfahrungsberichte von fast
besserten kosmetischen Ergebnis sowie deutlich ver­
200 Patienten publiziert [8–12]. Hauptindikation der
kürzten Hospitalisationszeiten und damit verbunden
robotergesteuerten Operationen waren dabei Thy­
reduzierten medizinischen Kosten. Reine thorakosko­
mome mit assoziierter Myasthenia gravis. Während
pische Eingriffe waren damals allerdings einfacheren
die Mortalität 0% und die Morbidität zwischen 2% und
Indikationsstellungen vorbehalten.
10% betrugen, dauerte die Hospitalisationszeit im
Abbildung 1: (A) Für eine roboterassistierte Thymektomie typische Anordnung des Roboters in Bezug auf den Patienten sowie Operateur, Assistenten,
OP-Instrumentierende und Anästhesist. Lagerung des Patienten mit um 30° angehobenem Oberkörper. (B) Der typische Zugang für eine roboterassistierte
Thymektomie erfolgt für die Kamera im 5. Interkostalraum (ICR) (alternativ auch im 4. ICR). Unter Sicht werden zwei weitere Trokare für die Roboterarme
in der Medioklavikularlinie im 6. ICR und in der vorderen Axillarlinie im 3. ICR gesetzt.
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Median zwischen zwei und fünf Tage. Zwei Jahre später
gefolgert werden, dass die Pathologien des Media­
konnte bereits in 24 Publikationen über weltweit
stinums die aktuell beste Indikation und das grösste
276 Patienten berichtet werden, bei denen eine robo­
Potential für den Einsatz und eine verbreiterte Anwen­
tergestützte Operation im Bereich des Mediastinums
dung des «da Vinci®»­Systems darstellen.
durchgeführt wurde [13]. Hierbei führte die Thymekto­
Da es sich bei Pathologien des Mediastinums in erster
mie als Haupteingriff mit 69,7%. In vier Fällen musste
Linie um Tumoren des vorderen Mediastinums und
zu einem offen Verfahren konvertiert werden, in einem
hier wiederum hauptsächlich um thymusassoziierte
Fall musste aufgrund einer relevanten Blutung notfall­
Krankheitsbilder handelt, finden sich in den publizier­
mässig konvertiert werden. Die intraoperative und post­
ten Daten primär Resultate zur Myasthenia gravis und
operative Komplikationsrate betrug 1,6 respektive
den Thymomen. Daneben zeigt der roboterassistierte
20,2% und die 30­Tages­Mortalität 0,8%.
Zugang aber auch klare Vorteile bei der Entfernung von
Verglichen mit den herkömmlichen Methoden der
Läsionen in anderen Lokalisationen des Mediastinums.
Thymusentfernung, ob offen oder thorakoskopisch
So sind Resektionen von neurogenen Tumoren, die
durchgeführt, zeigen mittelfristige Verlaufsdaten, dass
vorwiegend im hinteren Mediastinum zu finden sind,
das robotergestützte Verfahren den erstgenannten
oder zystischen Veränderungen des mittleren Media­
überlegen ist. Prospektive, randomisierte Studien feh­
stinums aufgrund ihrer Lage mit unmittelbarer Nach­
len allerdings bis zum heutigen Zeitpunkt. Es liegen
barschaft zu Nerven und grossen Gefässen geradezu
lediglich wenige retrospektive, vergleichende Kohorten­
prädestiniert für die Roboterchirurgie.
Studien vor. In einer der grössten dieser Art haben
Fast zeitgleich zum Einsatz der robotergestützten
Rückert und Kollegen 2011 Daten von ausschliesslich
Thymektomien wurden auch in der onkologischen
wegen Myasthenia gravis behandelten Patienten ver­
Lungenchirurgie robotergestützte Operationen einge­
glichen, von denen 79 thorakoskopisch und 74 roboter­
setzt. Der erste Bericht stammt von Melfi und Kollegen
gestützt thymektomiert wurden. Es zeigte sich, dass
aus dem Jahr 2002 [16] mit Erfahrungen aus fünf Fäl­
die komplette Remissionsrate nach robotergestützter
len, bei denen allerdings in drei Fällen zum offenen
Entfernung besser war als nach thorakoskopischer
Verfahren konvertiert werden musste. Zahlreiche Fall­
Resektion (39,3 vs. 20,3%) [12]. Dieser Vorteil scheint da­
serien wurden hiernach publiziert mit Komplikations­
rauf zurückzuführen zu sein, dass mittels roboterge­
raten zwischen 10,5 und 43,5%, bei denen es sich aller­
stützter Technik eine bessere Radikalität erreicht wer­
dings um minderschwere Komplikationen handelte.
den kann.
Als häufigste Komplikationen wurden ein prolongier­
Bis 2013 wurden annähernd 3500 robotergestützte
tes Luftleck und die Arrhythmie genannt, allerdings
Thymektomien durchgeführt, registriert durch das
konnten diese nicht spezifisch roboterassoziiert werden.
Institut Intuitive Surgical, Sunnyvale, CA, USA [14].
Die Mortalitätsrate betrug 0–3% und ist damit ver­
Tabelle 1 zeigt die Charakteristika der grössten Serien
gleichbar mit der konventionellen, offenen Chirurgie.
weltweit [15]. Aus diesen Ergebnissen kann schluss­
In einer Multizenterstudie von Park und Kollegen [6]
Tabelle 1: Übersicht über die grössten Serien (mehr als 20 Fälle) von robotergestützten Thymektomien weltweit.
(aus Rueckert J, et al. Robotic-assisted thymectomy: surgical procedure and results. Thorac Cardiovasc Surg. 2015;63(3):194–200.
© Georg Thieme Verlag KG. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung).
Author
Country
Year
Study
intervall
Total MG
Thymoma
Approach
Ports
Complete
remission
rate (%)
Thymoma
recurrence
rate (%)
Rückert
Germany
2008
2003–2007
106
95
12
Left
3
42
0
Marulli
Italy
2013
2002–2010
100
100
8
Left
3
28.5
0
Freeman
USA
2011
6 years
75
75
excluded
Left
3
28
n.a.
Schneiter
Switzerland
2012
2004–2011
58
25
20
Left
3
n.a.
11.1
Melfi
Italy
2012
2001–2010
39
19
13
Left
3
n.a.
0
Augustin
Austria
2008
2001–2007
32
32
9
Right
3
n.a.
0
Cerfolio
USA
2011
2009–2010
30
30
n.a.
Right
3
n.a.
n.a.
Castle
USA
2008
2002–2008
26
18
1
Right
4–5
n.a.
n.a.
Goldstein
USA
2010
2003–2008
26
26
5
Right
4
n.a.
n.a.
Tomulesco
Romania
2009
2008–2009
22
22
excluded
Left
3
n.a.
n.a.
Keijzers
Netherlands
2014
2004–2012
138
125
37
Right
3
28.8
2.7
Jun
China
2014
2010–2012
55
n.a.
21
Left/right
4
n.a.
n.a.
Abkürzungen: MG = Myasthenia gravis, n.a. = nicht angegeben.
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mit 325 Patienten wurde von einer 5­Jahres­Überlebens­
nisse und die durchzuführenden komplexen Operati­
rate von 80% bei allen Patienten berichtet (Stadium IA:
onsschritte in der Nähe von zu schonenden Nerven
91%, Stadium IB: 88% und Stadium II: 49%), die damit
und Gefässen eine zentrale Rolle.
im gleichen Rahmen wie nach konventioneller offener
Nicht anders verhält es sich bei der Thymektomie.
Resektion liegt.
Einerseits soll die Entfernung radikal sein, um eine
Die robotergestützte Lungenresektion ist eine Erweite­
möglichst hohe Anzahl an Remissionen (Myasthenia
rung des Spektrums der minimalinvasiven Resektion
gravis) oder möglichst geringe Anzahl von Rezidiven
im Sinne einer «video­assisted thoracoscopic surgery»
(Thymome) zu erreichen. Andererseits stellt die Lage
(VATS) mit allen bekannten Vorteilen. Ob die roboter­
der Thymusdrüse hinter dem knöchernen Sternum
gestützte Resektion nun letztlich der VATS überlegen
und vor dem Perikard, ventral und dorsal des Nervus
ist, haben einzelne vergleichende Berichte in Bezug auf
phrenicus sowie um die Vena brachiocephalica links
minimalinvasive Lobektomien untersucht und einige
hohe Anforderungen an die Sorgfalt und Präzision bei
vorteilhafte Aspekte der roboterassistierten Eingriffe
der Resektion. Es ist daher nachvollziehbar, dass eine
herausgearbeitet [17, 18]. In einer der grössten Studien
gute, stabile Sicht und die Beweglichkeit der Endglieder
hierzu konnte gezeigt werden, dass die Morbidität und
der Instrumente eine wichtige Rolle bei der Indikations­
die Mortalität bei robotergestützten Eingriffen gegen­
stellung spielen. Bei der roboterassistierten Thymek­
über den offenen Eingriffen signifikant geringer waren,
tomie kann der Operateur in ergonomischer Haltung
allerdings ohne signifikante Unterschiede zur VATS [19].
sitzend die Instrumentenarme über eine Steuerungs­
Auch Veronesi und Kollegen kommen nach sorgfäl­
konsole bedienen. Neben der dreidimensionalen Sicht
tigem Abwägen der roboterassistierten Eingriffe ver­
mit absolut stabilem Bild können die Instrumentenend­
sus der VATS­Eingriffe zum Schluss, dass sich Vor­ und
gelenke in alle Richtungen bewegt (sieben Freiheits­
Nachteile die Waage halten und der letzte Beweis für
grade) und noch dazu tremorfiltriert und feinskaliert
ein klares Alleinstellungsmerkmal des ersteren bis
werden. Das heisst, dass neben dem Vergrösserungs­
heute fehlt [20]. Allerdings konnten Paul und Kollegen
effekt der Kamera die Bewegungen im Patienten mit
wiederum an einer grossen Zahl von Patienten mit ins­
einer Skalierung verfeinert und präzisiert werden
gesamt 2498 roboterassistierten versus 37 595 thora­
können. Es gelingt so, in ruhigem Arbeitsumfeld eine
koskopischen Lobektomien zeigen, dass die roboter­
Genauigkeit und Radikalität zu erreichen, die nur mit
assistierten Eingriffe mit einer höheren Rate an
einer Resektion über einen grossen Zugang in offener
intraoperativen Blutungen und anderen Verletzungen
Technik vergleichbar ist.
einhergingen [21].
Am anschaulichsten lassen sich die Vorteile des «da
Aufgrund der guten Sichtverhältnisse gepaart mit der
Vinci®»­Systems im Vergleich zur konventionellen,
Beweglichkeit der Instrumente begannen auch weitere
thorakoskopischen Thymektomie mit folgendem Bild
chirurgische Fachrichtungen mögliche Einsatzgebiete
erklären: Bei der roboterassistierten Resektion sitzt
zu evaluieren. So beabsichtigen heute Gruppen der ver­
der Operateur im übertragenen Sinne im Patienten
schiedensten chirurgischen Disziplinen, die Anwen­
und führt seine Augen und Instrumente ohne Ein­
dung des «da Vinci®»­Systems zu erweitern. Insbeson­
schränkungen analog zu einer offenen Intervention.
dere in der Ösophaguschirurgie ist mit einer Zunahme
Im Fall der konventionellen, thorakoskopischen Re­
der Indikationen zu rechnen [22].
sektion werden die Augen des Operateurs vom assi­
stierenden Chirurgen geführt und zudem sind seine
Bewegungen durch die rigiden Stabinstrumente deut­
Indikationen zur Thymektomie sowie zu
anatomischen Lungenresektionen
Vinci®»­System für alle Interventionen via minimal­
Thymektomie
legen und daher vorzuziehen.
lich eingeschränkt. Folgerichtig wäre somit das «da
invasive Zugänge der konventionellen Technik über­
Am Beispiel der Thymektomie lässt sich die Bedeutung
der roboterassistierten Anwendung am besten aufzei­
Lungenresektionen
gen. Immer wenn eine Resektion in einem umschriebe­
Bei aller Euphorie für die Robotertechnik sind jedoch
nen, engen Raum mit unmittelbarer Nachbarschaft zu
noch gewisse Hindernisse zu überwinden. Insbeson­
vulnerablen Strukturen durchgeführt werden soll,
dere bei Lungenoperationen (Lappenresektionen) mit
kommen die Vorteile des «da Vinci®»­Systems am
Parenchymresektionen und Verschlüssen von grösseren
klarsten zum Tragen. Auch bei der heutzutage mit Ab­
Gefässen stand bis anhin kein entsprechendes Stapler­
stand häufigsten roboterassistierten Operation, der
material zu Verfügung. Erst seit wenigen Monaten ist
Prostatektomie, spielen die engen räumlichen Verhält­
nun ein solches Klammergerät einsetzbar, erste Resul­
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tate sind bisher nur in unveröffentlichten Fallberichten
der Thymektomie werden in der Regel nur drei Robo­
kommuniziert und eine Wertung ist daher noch nicht
terarme benutzt (ein Kameraarm und zwei Instrumen­
möglich.
tenarme) (Abb. 1).
Zudem halten sich gerade bei der häufigsten anatomi­
– Lagerung: Der Patient liegt auf dem Rücken, wobei
schen Lungenresektion, der Lobektomie beim Lungen­
die linke Seite ca. 30° angehoben wird. Beide Arme
karzinom, Vor­ und Nachteile in etwa die Waage. Auch
sind am Körper, der linke Arm leicht nach dorsal
hier punktet das «da Vinci®»­System zwar mit unver­
flektiert.
gleichbar guter Sicht und Vorteilen bei der Präpara­
– Zugang: Der Zugang für den Kamerarm wird in der
tion. Für die konventionelle, thorakoskopische Resek­
vorderen Axillarline im 5. Interkostalraum (ICR),
tion sprechen dagegen neben der mittlerweile weltweit
alternativ auch im 4. ICR [15], gewählt. Unter Sicht
etablierten Vorgehensweise mit gutem onkologischem
werden dann die zwei Trokare für die Roboterarme
Outcome auch die speziell auf die Lungenchirurgie zu­
in der Medioklavikularlinie im 6. ICR und in der vor­
geschnittenen Instrumente (Stapler mit schmaleren
deren Axillarlinie im 3. ICR gewählt, so dass alle
Branchen und gebogener Spitze für ein einfacheres
Zugänge im Verlauf der Submammärfalte zu liegen
Umfahren der Gefässe und Bronchien) und die Mög­
kommen (Abb. 1, 2).
lichkeit der Anwendung von verschiedenen Koagulati­
– Präparation: Beginn mit der Präparation des ganzen
onsverfahren für kleinere Gefässe. Diese Verfahren,
präperikardialen Fettkörpers (nicht nur Thymus­
die bis anhin für das «da Vinci®»­System nicht zur Ver­
loge) ventral des Nervus phrenicus bis hin zur Um­
fügung stehen, sind sehr effektiv und kosteneffizient.
schlagsfalte der mediastinalen Pleura auf die Pleura
Auch wenn theoretisch betrachtet die eigentliche Prä­
parietalis retrosternal (Abb. 2 A). Sofern besonders
paration und Resektion für die roboterassistierte Tech­
viel Fettgewebe vorliegt, wird empfohlen, CO2 zu in­
nik sprechen, zeigt sich in der Praxis weder im kurz­
sufflieren. Dann erfolgt die Darstellung der Vena
noch im langfristigen Verlauf ein signifikanter Vorteil.
brachiocephalica links mit den in sie einmünden­
Ein weiterer Nachteil der roboterassistierten Technik
den Thymusvenen (meist zwei bis vier) (Abb. 2 B),
ist das fehlende haptische Feedback. Zwar wird dieses
die zwischen Clips durchtrennt werden. Ventrokra­
Manko höchstwahrscheinlich in naher Zukunft nicht
nial der Vena brachiocephalica wird das links Thy­
mehr entscheidend sein, da neben der immer präzise­
mushorn aus dem Jugulum nach kaudal mobilisiert,
ren Bildgebung auch Verfahren zur GPS­gesteuerten
danach erfolgt das gleiche Vorgehen mit dem rech­
Lokalisation ihren Einzug in die Chirurgie haben wer­
ten Thymushorn. Ablösen des gesamten Fettkör­
den, aber aktuell besteht in diesem Punkt noch ein
pers vom Perikard von links nach rechts (Abb. 2 C),
Defizit. Letztlich sind auch die Kosten durch den sehr
bis die Pleura der Gegenseite sichtbar wird, sowie an
hohen Anschaffungspreis und den Unterhalt ein wich­
die Herzbasis (Abb. 2 C, D). Je nach Befund erfolgt
tiger Faktor, weshalb sich das «da Vinci®»­System noch
zusätzlich die Resektion des Fettgewebes im aorto­
nicht flächendeckend ausgebreitet hat.
pulmonalen Fenster. Das Präparat wird im Berge­
beutel extrahiert, eine Thoraxdrainage eingebracht
und die Inzisionen verschlossen.
Operatives Vorgehen bei Thymektomie
und anatomischer Lungenresektion
Lobektomie
Im Folgenden sollen typische Vorgehensweisen der robo­
sich die Zugänge nur minimal. Für die Lobektomie
Je nach dem zu resezierenden Lappen unterscheiden
terassistierten Resektion am Beispiel der Thymektomie
werden in der Regel vier Roboterarme beim in Seiten­
und der Lobektomie detaillierter beschrieben werden.
lage positionierten Patienten benutzt (ein Kameraarm
Thymektomie
– Zugänge: der Kameraarm kommt in der Regel in der
und drei Instrumentenarme).
Obwohl die roboterassistierte Thymektomie von
hinteren Axillarlinie im 6., 7., zuweilen auch 8. ICR [23]
rechts wie auch von links möglich ist, hat sich bei den
zu liegen. Entsprechend der Anatomie werden die In­
Meinungsführern der Zugang von links durchgesetzt.
strumentenports unter Sicht eingebracht: der hinte­
Dieser Zugang hat den Vorteil, dass Lokalisationen für
rer Port im 7. ICR, hintere Skapularlinie, der mittlerer
ektopes Thymusgewebe wie das Fett im aortopulmo­
Port im 8. ICR, vordere Skapularlinie, und der ventrale
nalen Fenster mitentfernt werden können (dies ist von
Arm im 4–5. ICR in der vorderen Axillarlinie.
rechts nicht einsehbar), das grössere rechte Thymus­
– Präparation: die Präparation beginnt in der Regel
horn besser eingesehen und der linke Nervus phreni­
am Hilus mit Darstellung, Umfahren, Anschlingen
cus in seiner ganzen Länge verfolgt werden kann. Bei
und Durchtrennen mittels Stapler der zugehörigen
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Abbildung 2: (A) Situs bei Operationsbeginn: P = Perikard, NP = Nervus phrenicus, kurzgestrichelte Linie = obere Begrenzung
des Thymoms, langgestrichelte Linie = Inzision der mediastinalen Pleura zu Beginn der Präparation als Primärzugang.
(B) Präparation des perityhmischen Fettgewebes (F), sodass die Thymusdrüse (TD) mit ihrem linken oberen Thymushorn
(LOTH) sowie die Vena anonyma (VA) in Erscheinung treten. (C) Nach fortgeschrittener Präparation des Thymoms wird nun
die linke Pleura mediastinalis (PLM) erkennbar mit darunter sichtbarem unterem Thymomanteil. (D) Situs nach Entfernung
des Thymoms: Die rechtsseitige Pleura (PL re) wird sichtbar, die Aorta ascendens (AA), die Vena anonyma (VA) sowie
das Perikard (P) sind von Thymom und perithymischem Fettgewebe befreit; NP = Nervus phrenicus.
Lungenvene. In der Folge wird die zugehörige Pul­
dem Urteil einiger Anwender ab. Unabhängige verglei­
monalarterie dargestellt. Je nach anatomischen
chende Studien und seriös dokumentierte Verlaufs­
Verhältnissen wird vor Verschluss der Arterienseg­
beobachtungen sind Bedingungen vor der Ausweitung
mentäste (mittels Stapler) oder danach die Paren­
der Indikationen auf neue zusätzliche Anwendungsge­
chymbrücke entlang der Fissur mittels Stapler
biete. Daneben sind jedoch auch technischen Weiter­
durchtrennt. Als letzte Struktur am Hilus wird der
oder Neuentwicklungen nötig. Einer der grossen Nach­
Bronchus ebenfalls mittels eines Staplers durch­
teile der aktuellen Situation mit nur einem Anbieter
trennt. Hiernach entfernen des Resektates im Berge­
auf dem Markt ist, dass das Interesse der Entwickler
beutel über eine leichte Erweiterung der am weites­
nicht in erster Linie dem medizinischen Fortschritt,
ten ventral gelegenen Trokarinzision auf 3–4 cm.
sondern der Wirtschaftlichkeit dient. Glücklicherweise
Abschliessend wird die Lymphadenektomie durch­
werden in naher Zukunft mindestens zwei weitere Sys­
geführt. Einbringen einer Thoraxdrainage und Ver­
teme von bedeutenden Firmen angeboten, sodass hier
schluss der Inzisionen.
eine objektivere Beurteilung möglich werden wird.
Neben den bereits etablierten, oben beschriebenen
Schlussfolgerung und Perspektiven
Indikationen werden zunehmend auch komplexere
Eingriffe möglich sein. Dazu gehören in erster Linie die
Die Verbreitung einer neuen Technik hängt nicht
erweiterten Resektionen mit Brustwandresektion und
alleine von der zur Verfügung stehenden Technik oder
­rekonstruktion, aber auch Manschettenresektionen
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der Bronchien und der Gefässe. Das «da Vinci®»­System
digen Instrumente existieren bereits heute und sind
Prof. Dr. med. Wolfgang
vereinfacht das Nähen in minimalinvasiver Technik
zum Teil auch im Einsatz, nur die Zertifizierung für die
Jungraithmayr, PhD
und erlaubt so bis jetzt fast ausschliesslich in offener
medizinische Anwendung und die Verschmelzung in
Technik durchgeführte Teilresektionen der Luftwege
einem Anwendertool steht noch aus.
Korrespondenz:
UniversitatsSpital Zürich
Raemistr 100
CH­8091 Zürich
wolfgang.jungraithmayr[at]
usz.ch
oder Gefässe mit Reanastomosierung auch minimal­
invasiv.
Disclosure statement
Ein nächster grosser Schritt in absehbarer Zukunft
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
wird die Verschmelzung der immer höher auflösenden
Bildnachweis
Bildgebung mit den softwareunterstützten Arbeits­
konsolen der neueren Generationen von Telemani­
pulatoren sein. Eine Bild­in­Bild­Darstellung der anato­
Bild S. 809: © Oleksandr Kontsevoi | Dreamstime.com
Literatur
1
mischen Strukturen und eine genaue Lokalisation der
pathologischen Läsionen mit ihrer Abgrenzung zum
umliegenden Gewebe wird dem Operateur in Echtzeit
2
3
zu Verfügung stehen und ihn während der Präparation
4
unterstützen. Komplexe Eingriffe werden sich so be­
reits im Vorfeld besser planen und sogar simulieren
lassen. Dadurch wird eine neue Stufe von Sicherheit,
gepaart mit möglichst gewebeschonender Resektion
und entsprechender raschestmöglicher Erholung des
5
6
Patienten erreicht werden können. Auch die Aus­ und
7
Weiterbildung der Nachwuchschirurgen und Spezialis­
8
ten wird so in eine praxisnahe Form geführt werden
können (virtuelles Training). All die dafür notwen­
9
10
Das Wichtigste für die Praxis
11
• Die Roboterchirurgie hat auf dem Gebiet der Thoraxchirurgie vor allem
für die Thymektomie und Lobektomie innerhalb der letzten zehn Jahre
zunehmend an Bedeutung gewonnen.
• So besitzt die Roboterchirurgie gegenüber dem thorakoskopischen Zugang
(VATS) wesentliche Vorteile wie zum Beispiel die ausgezeichnete Exposition und Sicht anatomischer Strukturen und Pathologien sowie eine natürliche, intuitive Übertragung der Handbewegungen des Operateurs auf
die Instrumente des Telemanipulators mit erweiterten Freiheitsgraden.
• Viele Studien, insbesondere jene, die sich mit roboterassistierten Thym-
12
13
14
15
16
17
ektomien befassen, berichten über eine hohe Sicherheit und eine gute
Machbarkeit bei vergleichbarer Morbidität und Mortalität zur VATS.
• Auf der anderen Seite hat die Roboterchirurgie im Vergleich zur VATS hö-
18
here Kosten sowie häufig längere Operationszeiten, dies allerdings bei
kürzerer Hospitalisation der Patienten.
• Neue, verfeinerte Modelle und Anwendungen in der Roboterchirurgie
werden die Indikationen auf weitere Interventionen wie beispielsweise
Manschettenanastomosen ausweiten, wie sie bisher nur offenen Eingriffen vorbehalten waren.
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• Es fehlen jedoch bis heute randomisierte, kontrollierte Studien, um die
Vorteile der thorakalen Roboterchirurgie klar zu belegen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die hohen Anschaffungs- und Haltungskosten
des Roboters von wesentlicher Bedeutung.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
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2016;16(39):809 –815
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