Oliver Stones Film „Snowden“ in den deutschen Kinos - K

Oliver Stones Film „Snowden“ in den
deutschen Kinos
Snowden”, R: Oliver Stone, D: Oliver Stone und Kieran Fitzgerald
In dieser Woche ist der Film Snowden des amerikanischen Regieveteranen
Oliver Stone in die deutschen Kinos gekommen. Stone, für zahlreiche
politische Filme seit den 1980er Jahren bekannt, setzt sich in seinem
Film mit der Entwicklung des Whistleblowers und ehemaligen Agenten der
National Security Agency (NSA) Edward Snowden auseinander. Er verfolgt
seine Entwicklung von der Einberufung in die Reserve der US-Armee als
Kandidat für die Spezialeinheiten im Jahr 2004, als er sich noch als
„Patriot“ verstand und vorbehaltlos den Krieg im Irak unterstützte,
bis zu seiner Entscheidung im Jahr 2013, die illegalen Machenschaften
der NSA bei der universalen Überwachung aufzudecken.
.
.
Snowden ist ein ernsthafter und ehrlicher Film. Nach dem Filmstart in
den USA in der vergangenen Woche ist er in dieser Woche nicht nur in
Deutschland, sondern auch in fast 20 weiteren Ländern angelaufen. Dass
Millionen von Zuschauern sich einen Film ansehen, der ein im Großen
und
Ganzen
sympathisches
Porträt
Snowdens
zeichnet,
ist
bedeutungsvoll. Immerhin handelt es sich um einen jungen Mann, der von
der US-Regierung und den Medien als „Verräter“ verleumdet wird. Hier
zeigt sich die ungeheure und wachsende Spaltung zwischen der
offiziellen öffentlichen Meinung und den Gefühlen und Auffassungen
breiter Schichten der Bevölkerung. Vor allem unter jungen Menschen ist
Snowden hoch angesehen.
Die Filmhandlung setzt mit dem Treffen im Juni 2013 in Hongkong ein,
an dem Snowden (Joseph Gordon-Levitt), der sich inzwischen versteckt
hält, die Dokumentarfilmerin Laura Poitras (Melissa Leo) sowie der
radikalen Journalist Glenn Greenwald (Zachary Quinto) teilnehmen. Kurz
darauf schließt sich ihnen Ewen MacAskill (Tom Wilkinson) vom Guardian
an,
der
–
nach
einigem
Zögern
–
plant,
Teile
von
Snowdens
gespeicherten geheimen Dokumenten der NSA zu veröffentlichen. Poitras
nimmt ein Video auf, das später in den Dokumentarfilm Citizenfour
(2014) einfließt.
Die Atmosphäre im Hongkonger Luxushotel Mira ist äußerst angespannt.
Snowden hat die Tür mit Kissen abgedichtet, die Mobiltelefone werden
in der Mikrowelle platziert, um zu verhindern, dass NSA oder CIA den
Ort
des
Treffens
herausfinden
können.
Snowden
beginnt,
den
Journalisten und die Regisseurin über den gewaltigen Umfang der
Ausspähungspraktiken der NSA zu unterrichten. Laura Poitras berichtet
später in ihrem Film, wie Snowden ihr in einer seiner ersten E-Mails
geschrieben hatte: „ … jede Grenze, die du überquerst, jeder Einkauf
von dir, jede Nummer, die du wählst, jeder Mobilfunkmast, an dem du
vorbeikommst, jeder Freund von dir, jede Seite, die du besuchst und
jeder Begriff, den du in der Suchmaschine eintippst, befindet sich in
der Hand eines Systems, dessen Reichweite unbegrenzt ist, aber für das
keine Schutzbestimmungen gelten.“
Nach der Szene in Hongkong blendet Oliver Stone zurück zu der Zeit,
als Snowden in der Armeereserve in Fort Benning, Georgia diente. Er
steht noch unter dem Einfluss der Propaganda des „Kriegs gegen den
Terror“ der Bush-Regierung. Eine Verwundung führt zu seiner Entlassung
aus dem Militär und er landet bei der CIA. Dort wird er vom Ausbilder
und späteren Mentor Corbin O’Brian (Rhys Ifans) vorbereitet. O‘Brian
schärft den Rekruten in ihrer ersten Unterrichtsstunde ein, es sei
„ihre Schuld, wenn es zu einem weiteren 9/11 kommt“.
.
.
Der Film richtet sein Hauptaugenmerk darauf, wie Snowden, und zugleich
der Zuschauer, schließlich den wirklichen Hintergrund der diversen
Spionageagenturen der Regierung und ihrer Programme erkennt. So
belehrt ihn O’Brian über die Lage im Nahen Osten. Der CIA-Mann äußert
abfällig, dass der Irak in zwanzig Jahren „ein Höllenloch sein wird,
um das sich keiner mehr kümmert“. Der entscheidende Konflikt, so
versichert er, spiele sich mit China, Russland und dem Iran ab.
Im Verlauf etlicher Einsätze in Genf, Tokio und Hawaii, wo er entweder
für die CIA, die NSA oder als unabhängiger Vertragspartner tätig ist,
wird Snowden immer klarer, in welchem gigantischen Ausmaß der
Geheimdienstapparat Verfassungsrechte verletzt.
In Genf zeigt ihm ein zynischer Kollege, Gabriel Sol (Ben Schnetzer),
wozu das Geheimprogramm der NSA XKeyscore in der Lage ist. Es ist im
Wesentlichen eine ungeheuer mächtige Suchmaschine, die jegliche
private Schutzmaßnahme außer Kraft setzen kann. Auf die Frage nach dem
FISA Gerichtshof [United States Foreign Intelligence Surveillance
Court], der theoretisch Anträge der Regierung für Durchsuchungsbefehle
gegen ausländische Spione beaufsichtigen soll, bezeichnete Gabriel das
Gericht abfällig als einen „Mammut-Stempel“ zum Absegnen.
Eine der erschreckendsten Szenen spielt in Hawaii im riesigen
Untergrundkomplex der NSA, der als „der Tunnel“ bekannt ist. Dessen
Spezialität ist die Ausspähung Chinas. Eine ganze Armee von Technikern
und Operateuren arbeitet rund um die Uhr mit höchst ausgefeilter
Ausrüstung
daran,
Konkurrenten
Amerikas
auszuspähen.
wirtschaftliche
Dies
ist
das
und
wirkliche
militärische
Gesicht
des
internationalen Terrorismus: Der militärisch-geheimdienstliche Apparat
der USA, der sich für einen Weltkrieg rüstet. Wie O’Brian an einer
Stelle sagt, ist das „moderne Schlachtfeld“ überall. Daraufhin wirft
Snowden ein: „Sie haben mir nicht gesagt, dass wir die ganze Welt mit
Rasterfahndung überziehen.“
In Hawaii, wo Snowden mit seiner Freundin Lindsay Mills (Shailene
Woodley) lebt, beginnt er Pläne zu schmieden, wie er die Geheimnisse
der NSA vor der ganzen Welt enthüllen könnte.
Es ist Oliver Stone hoch anzurechnen, dass er den Film Snowden gedreht
hat. Er hat sich damit weit vorgewagt. Der Regisseur teilte der
Zeitschrift Varietymit: „Wir sind mit einem guten Drehbuch, mit guter
Besetzung und einem vernünftigen Budget bei jedem Studio aufgekreuzt,
wurden aber abgewiesen. Die Studioleiter sagten: ‚Ja, wir finden das
gut. Wir werden darüber reden. Kein Problem.‘ Dann ging es in die
oberen Etagen. Und auch nach Tagen gab es keine Antwort.“
.
.
In einem Interview mit Deadline Hollywood sagte Oliver Stone, es sei
in diesen Tagen schwierig, einen Film zu drehen, der sich „kritisch“
mit Amerika auseinandersetze. Stattdessen, fuhr er fort, „haben wir
Bin Laden-Filme [wie Zero Dark Thirty]. So sieht die Lage aus – alles
geht ums Militär, alles um die CIA. Sehen Sie sich Homeland an oder
24. Sehen Sie all diesen Tom Clancy Kram … Ich sage Ihnen, es war sehr
schwer, diesen Film zu machen.“
Stone soll nach Russland gereist sein und sich neunmal mit Snowden
getroffen haben. Gordon-Levitt (dessen Großvater, der Filmregisseur
Michael Gordon, in den 50er Jahren auf der Schwarzen Liste stand) war
ebenfalls in Moskau und sprach mehrere Stunden lang mit Snowden. Im
Film stellte er Snowden sehr überzeugend dar und brachte einige seiner
prinzipiellen Charaktereigenschaften und seiner tiefen Überzeugungen
zum Ausdruck. Ifans spielt seine Rolle als CIA-Ausbilder besonders
finster, und Woodley, Schnetzer, Timothy Olyphant (als CIA-Agent) und
Scott Eastwood (als NSA-Leuteschinder der mittleren Ebene) sind
ebenfalls sehr gut.
Eine Stärke des Films ist es, dass er eine vorgebliche „Objektivität“
vermeidet und die Geschichte aus der Perspektive von Snowden erzählt.
Er geht von der völlig richtigen Annahme aus, dass seine Ansichten –
und sein zunehmender Horror – von Millionen Amerikanern und anderen
Menschen auf der ganzen Welt geteilt werden.
Snowden ist weiterhin der geballten und möglicherweise mörderischen
Feindschaft des amerikanischen Staats und seiner ausführenden Organe
ausgesetzt. Der Film verleiht ihm so etwas wie eine Stimme. Daher muss
man es als Auszeichnung verstehen, wenn Zeitungen wie die National
Review
(„Hausgemachte
Volksverhetzung“)
und
Slate
(„DieAufdeckungsmythen von Snowden“) den Film bösartig und dumm
angreifen. Wie das WSWS vor kurzem schrieb, unterzeichnete jedes
Mitglied des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses am 15.
September einen Brief an Präsident Barack Obama, in dem sie ihn
drängten, Snowden nicht zu begnadigen. Sie behaupten, dass er „der
nationalen Sicherheit ungeheuren Schaden zugefügt“ habe. Hillary
Clinton führt das gleiche Argument an.
Was Obama angeht, so macht der Film klar, dass die Wahl von 2008
keinerlei Einfluss auf den Ausspähungsmoloch NSA hatte. In einer Szene
macht Snowden die Bemerkung: „Ich dachte, die Dinge würden sich mit
[Obama] bessern.“ Luke Harding zitiert in Edward Snowden: Geschichte
einer Weltaffäre (eines der beiden Bücher, auf die sich der Film
stützt) Snowdens Kommentar, Obama habe „kurz nach seiner Amtsübernahme
die
Tür
zu
Untersuchungen
über
systematische
Gesetzesverstöße
zugeschlagen, diverse illegale Programme vertieft und erweitert und
sich
geweigert,
sein
politisches
Kapital
einzusetzen,
um
die
Verletzungen der Menschenrechte zu beenden, wie wir sie in Guantanamo
sehen, wo immer noch Männer ohne Anklage festgehalten werden“.
Dem Filmemacher Stone ist es hoch anzurechnen, dass er Deadline
Hollywood gegenüber erklärte: „Was immer auch behauptet wird – Obama
hat eine Menge Zivilisten und viele unschuldige Menschen getötet. Und
ihn halten sie für vernünftig. Er hat mehr Drohnen abgeschickt als
Bush. Er ist zum Hauptmörder geworden.“ Und der Filmemacher fuhr fort:
„Ich bin besorgt darüber, [dass] …. es keine Antikriegs-Partei gibt.
Es gibt keine Stimme gegen den Krieg. Demokraten und Republikaner sind
für den Krieg.“
Stone hat sich auch sehr bemüht, um mit visuellen und anderen Mitteln
den Charakter und die allumfassende Reichweite der schändlichen NSAProgramme verständlich zu machen.
Allerdings überrascht es nicht, dass der Film Snowden auch Schwächen
hat. Eine Frage – und diese ist nicht unbedeutend – versucht er nie
ernsthaft zu beantworten: Warum tun sie dies? Warum sind die NSA, die
CIA und die ganze US-Regierung (sowie weitere Geheimdienste überall
auf der Welt) in Programme zur totalen Überwachung involviert? Warum
wollen sie über die Meinungen und Gewohnheiten jedes Mannes, jeder
Frau und jedes Kindes auf der Erde Bescheid wissen?
.
.
Die angedeutete Vermutung, dass diese fast grenzenlose Überwachung nur
eine übereifrige Reaktion auf die Ereignisse vom 11. September 2001
sei (siehe die oben zitierte Bemerkung von O’Brian), ist unglaubhaft
und kaum einer ernsthaften Erwägung wert. Erstens begann die
weitgehende Überwachung schon Jahrzehnte vorher. In Wirklichkeit
verschafften die Anschläge vom 11. September nur eine Gelegenheit,
schon lang vorbereitete Pläne umzusetzen (was auch von gewissen
technologischen Entwicklungen abhängig war).
Die Universalität der Überwachung zeigt dagegen etwas Systembedingtes:
die
grundsätzliche
Angst
jeder
herrschenden
Elite
vor
ihrer
Bevölkerung in Zeiten tiefer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher
Krisen.
Es gibt noch weitere damit zusammenhängende Schwächen des Films. Die
Snowden-Mills Romanze ist einfach übertrieben. Ihr wird zu viel
Gewicht verliehen. Zweifellos versuchte Stone sowohl sein Subjekt in
den Augen des Publikums menschlich darzustellen und zu zeigen, was
Snowden zu opfern bereit war, als er den Kampf gegen die Welt der
Geheimdienste aufnahm. In einer Bemerkung über diese Entscheidung des
künftigen Whistleblowers sagt der Regisseur: „Erinnern Sie sich, in
diesem Moment gab er auch sie auf. Angenommen, Sie lieben diese Frau,
und sie bedeutet zehn Jahre Ihres Lebens … Sie könnten Kinder haben.
Dann trifft er diese Entscheidung und kann sie ihr nicht einmal
mitteilen.“ Aber was der Regisseur auch immer beabsichtigt hat, die
Beziehung gerät zu oft den fesselnderen und aussagekräftigeren Themen
in die Quere.
Dennoch haben Stone, sein Co-Drehbuchautor Kieran Fitzgerald und die
Darsteller entscheidende Elemente der Geschichte Snowdens mit Sorgfalt
und Engagement auf die Leinwand gebracht. In diesem Filmdrama sind
einige der großen Fragen von heute enthalten, vor allem die Gefahr von
Diktatur und Krieg.
Was Snowden selbst angeht, so meinte Stone recht zutreffend zu einem
Reporter: „Für einen Neunundzwanzigjährigen ist das, was er getan hat,
wirklich bemerkenswert. Ich hätte das niemals tun können. Ich denke,
auch Sie hätten das in dem Alter nicht zustande gebracht.“
.
.
.