Anis de Flavigny« bei Tires

»Anis de Flavigny« bei Tires
Ganz unscheinbar liegt sie da auf dem Tresen. Bei Tires in
Wolfenbüttel. Eine ovale Blechschachtel: »Anis de Flavigny«
steht darauf.
Ein verspieltes Motiv, das eine Geschichte erzählt. Kein
Label, das eine clevere Marketingabteilung ausgeklügelt hat.
Eine echte Geschichte. Das kleine, eiförmige Bonbon ist ein
wirklicher Genussbotschafter Frankreichs. Ein Produkt mit
Tradition. Und mit Zukunft. Die Urkunden erwähnen diese
Leckerei bereits im Jahre 1591. Damals wurde sie nahe der
Stadt Semur hohen Gästen als Geschenk überreicht. Damit sind
die »Anis de Flagigny« Frankreichs ältestes kommerzielle
Süßigkeit überhaupt. Noch älter sind die Wurzeln der
Spezialität. Denn die Geschichte des Ortes Flavigny reicht bis
auf Julius Caesar zurück, von dem wir aus dem Lateinunterricht
wissen, dass er dort sein Lager aufschlug, bevor er 52 v. Chr.
Vertigetorix in Alesia, nur vier Kilometer entfernt, belagerte
und besiegte. Einer seiner Gefolgsleute blieb in der schönen
Landschaft zurück. Er hieß Flavius und lieh Flaigny also
seinen Namen.
Die alte Rezeptur
Anis spielte im Mittelalter bereits eine Rolle in der Region.
Heilkundige Mönche verarbeiteten sie als Dragee. Später
verfeinerte man die Rezeptur. Ummantelte den Anissamen mit
einer Zuckerhülle, die mit Rosen- oder Orangenblütenwasser
parfümiert wurde. Und darauf basiert die Rezeptur noch heute.
Früher war die Herstellung mit unglaublich viel Aufwand
verbunden. Das Samenkorn wurde zunächst im Zuckersirup
geschwenkt, bis es gänzlich davon umhüllt war. Dann musste die
erste Schicht getrocknet werden. Das ging so lange, bis das
Dragee fertig war. Sechs Monate dauerte die Prozedur. Im 19.
Jahrhundert wurde eine Drageemaschine entwickelt. Seitdem hat
sich nicht viel verändert. Die alten Kessel sind die gleichen
geblieben. Statt Dampfkraft sorgen nun nur viel leisere
Elektromotoren für die Energie. Für die Herstellung brauc ht
es heute 15 Tage.
Noch immer ein Familienbetrieb
Und zum guten Schluss: Trotz der Ausbreitung sogar bis in die
Lessingstadt, ist der Familienbetrieb auf dem Teppich
geblieben. Die Herstellung wird nicht weiter optimiert. Die
Arbeitsplätze, 25 Dorfbewohner stellen die süße Köstlichkeit
her, sollen nicht gefährdet werden. Was für eine schöne
Geschichte, die in Burgund ihren Anfang nimmt und bis nach
Wolfenbüttel unter den Krambuden beim Feinkosthändler Tires
auf seine deutschen Zuhörer und Genießer wartet.