zweite Bericht

Matheunterricht im tercer Año
(um die Kongruenz von Dreiecken zu erklären, nahm ich ein
gerade an der Mauer sitzenden Käfer als Beispiel)
Ich fühle mich wohl.
(Ich muss ja nicht zwangsweise mit einem Zitat beginnen.;)
Anfangs sah ich die Erfahrungsberichte als, von der weltweite Initiative gegebenen Aufgabe,
aber dank vieler Reaktionen und auch aufgrund der eigenen Reflektion macht mir das
Schreiben Spaß!
Es gibt auch sehr viel zu berichten, beginnen möchte ich mit de Schule.
Nach den ersten 2 Wochen habe ich meine Aufgabe verstanden: ich erfülle nicht das deutsche
Lehrerbild, das kann ich gar nicht. Aber das ist auch gar nicht gefordert!
Endlich kannte ich (fast) alle deutschen Vorstellungen von einer Schule über Bord werfen.
In Deutschland muss kein Kind neben der Schule derart arbeiten wie hier.
Im Gegensatz zu meiner Schule wird hier in öffentlichen Schulen Bildung durch pures
Auswendiglernen vermittelt (noch mehr als bei uns;).
Aber vor allem ist die Sinnfrage anders definiert.
Von meinen Schülern werden nicht alle studieren, falls sie studieren werden sie vermutlich
jedes Wochenende (um in der Woche arbeiten zu können) auf eine kleine Hochschule gehen
mit niedrigem Niveau.
Nein, ich will meine Schüler motivieren und ihr Selbstbewusstsein stärken. Die wenigen
Brocken Deutsch oder Englisch werden den Wenigsten helfen, aber sie haben damit eine
besondere Fähigkeit.
Und selbstbewusste Menschen können sich selber helfen, weil sie es sich zutrauen!
So beschränke ich mein Physikunterricht auf Experimente und allgemeine Phänomene,
warum z.B. ein Regenbogen entsteht o.ä. Diese wiederhole ich dann zum Teil jede Stunde,
bis wirklich alle Schüler ein gewisses Wissensniveau besitzen.
Parallel die Leitungsstärkeren zu fordern ist dann die Balanceprobe.
Und sicher bleibt noch viel Luft nach oben meine Methoden zu verbessern.
Doch ich möchte nicht nur in Weltverbessererromantik schreiben, es gab auch Probleme
innerhalb des letzten Monats in der Schule.
Als ein Schüler ein Experiment störte und Steine warf, musste ich ihn auffordern zu gehen.
Das wäre aber anscheinend zu einfach gewesen, er rief seinen Eltern an. Ich hatte ihn an der
Schulter gefasst, er allerdings behauptete ich hätte ihn geschlagen. Und nach etwa 10
Minuten stürmte ein recht vermögender Barbesitzer, der Vater des Jungen, die Schule.
Glücklicherweise unterstützten mich die Lehrerinnen, mit meinem noch etwas
unzureichenden Spanisch hätte ich keine Diskussion führen können. Nach sehr vielen
Diskussionsrunden wurde für die Eltern klar, dass ich ihren Sohn nicht geschlagen hätte.
Auch andere Respektsprobleme musste ich durchkämpfen. Dabei macht es sich schon
bemerkbar, dass ich von uns Freiwilligen den meisten Unterricht mit den Ältesten habe.
Inzwischen hat sich allerdings, bis auf kleine Ausnahmen, ein gutes Verhältnis zu meinen
Klassen aufgebaut. Der positive Nebeneffekt ist, dass sich mein Verhältnis zu den Profesoras
guias, den eigentlichen Klassenlehrerinnen verbessert hat. Diese haben mir geholfen, und
waren sehr überrascht, dass ich mich bei ihnen per Handschlag bedankt habe.
Solche Momente dienen geradezu unbemerkt der Völkerverständigung.
Kleine Gesten, wie z.B. den Bauarbeitern die unser Straße bauen Kokosnüsse anzubieten sind
mehr wert als stundenlange Vorträge über die Freundschaft verschiedener Menschen.
Doch zurück zu der Montañita, meiner Montessorischule. Ich arbeite dort 14 Wochenstunden,
allerdings nimmt die Vorbereitungszeit noch wesentlich mehr Zeit in Anspruch. Da mir einige
Fragen gestellt worden, möchte ich noch einmal ein paar Worte über die Schule verlieren.
Die Montañita ist eine private Gesamtschule mit der Besonderheit dass ab dem Vorschulalter
Englisch gelehrt wird (durch uns Freiwillige). Das Schulgeld wird bei Kindern aus sehr armen
Verhältnissen gestrichen, diese Möglichkeit wird allerdings kaum war genommen –
vermutlich widerspricht dies dem Stolz vieler Nicaraguaner.
Die Schulstunden sind trotz aller Motivation aber auch sehr anstrengend, da ist es gut dass ich
einen Tag pro Woche auf der Esperanzita arbeite. Diese Ökofinca ist viel mehr als „nur“ ein
ökologischer Bauernhof, gleichzeitig werden dort Bauern weitergebildet und zu einer
Kooperative zusammengefasst.
Gegründet wurde die Esperanzita 1984 vor. (Das Vorgängerprojekt startete allerdings schon
1982.) Ökologischer Landbau ist kein Luxusproblem der westlichen Hemisphäre, sondern
gerade hier in Nicaragua notwendig um die Grundversorgung zu gewährleisten.
Um die grundlegenden Nahrungsmittel zu sichern, ist eine biologisch-langfristige
Bewirtschaftung allerdings unumgänglich.
Der Regenwaldboden ist von Natur aus sehr nährstoffarm, der stoffliche Reichtum liegt in den
Bäumen, deren verrottendes Material eine im europäischen Vergleich sehr dünne
Humosschicht ermöglicht. Bei einer extensiven Bewirtschaftung, mittels Monokultur, verarmt
der Boden. So hat ein Campensino (Bauer) 1960 40Zetner pro Manzana (entspricht 0.75
Hektar) erwirtschaftet. Reis, Mais und Bohnen waren dabei die erste Wahl, mit ein wenig
Hühnchen setzt sich so eine nicaraguanische Mahlzeit zusammen. 1990 waren es bei vielen
Campensinos nur noch 8 Zetner pro Manzana, heute ernten Bauern oft nur dass, was sie als
Saatgut auf das Feld brachten. Über die lange Zeit wurde der Boden ausgelaugt, da
organisches Material fehlte, der Boden erodierte und wurde durch den tropischen Starkregen
weggespült. Auch wird sehr viel fruchtbarer Boden durch die Viehwirtschaft unbrauchbar
gemacht, der Boden verdichtet sich unter den schweren Kühen. Erschwerend kommt hinzu,
dass der Regen abnimmt. Genau in diesem Moment, wo ich gerade diese Zeilen schreibe hat
es fast seit einer Woche nicht geregnet– und das mitten in der Regenzeit.
Die Gesichter vieler Campensinos verdunkeln sich.
Der fehlende Regen resultiert vor allem aus der rigorosen Waldzerstörung, schreitet die
Rodung mit gleichem Tempo voran, gibt es in 15 Jahren in Nicaragua keine Bäume mehr.
Aus diesem Grunde verschwinden auch die Flüsse Nicaraguas und verwandeln sich in
weißliche, unansehnliche, kontaminierter Rinnsale. Wenn Nicaragüense von Milchflüssen
reden, darf man sich nicht im Paradies wähnen wo Milch und Honig fließen. Auch die Flüsse,
bzw. Bäche Nueva Guineas sind meistens weißlich aufgrund der Verschmutzung.
Um Monokultur zu vermeiden werden in der Esperanzita sehr viele verschiedene Früchte
nach einem ausgeklügelten Muster angebaut, keine Pflanze nimmt der Anderen Licht, und es
ist für stetigen Dünger (Pflanzenabfall) gesorgt. Gemischt werden Pflanzen unterschiedliche
Erntezeit und Größe. Diese Art von Permakultur besitzt das perfekte Vorbild: den Wald.
Ich helfe jeden Freitag bei der Kakaoernte oder dem Zerlegen von Bäumen die zu viel Licht
nehmen. Gerade bei dieser Arbeit staune ich über die Vielseitigkeit der Machete. Ein echter
Nicaragüenser schneidet sich damit seine Orange, „mäht“ den „Rasen“ oder hackt ein Baum
um… sicher treffe ich irgendwann einen der sich damit rasiert!;)
Auch bei der Impfung von den Esperanzitaschafen gegen Parasiten habe ich geholfen, in der
Hoffnung nun seltener sehen zu müssen wie die Bauern 3cm lange (und die waren noch gar
nicht ausgewachsen!)Würmer aus dem Fleisch der Schafe drücken.
Die Schafe sind Teil des zirkulierenden Kredites für die Bauern der Kooperative. Jeder Bauer
bekommt u.a. 5 Schafe und gibt 7 zurück. Auch Pflanzen werden so verteilt.
Ich fühle mich im Regenwald echt wohl, und dieser mag mich auch, so nimmt er mir
jedenfalls jedes Mal einen halben Liter Blut ab. ;)
bei der Kakaoernte
„limpiar“ (säubern)
Wenn ich allgemein über den vergangenen Monat nachdenke, fällt mir auf wie schnell dieser
vergangen ist, und wie viel ich gelernt habe. Ich muss als Beispiel keine abstrakten Begriffe
wie Frustrationstoleranz oder Selbstbewusstsein wählen, mein Mitzivi „Pedro“ (Peter) brachte
mir Pois spielen, also Feuerjonglage bei! Auch habe ich es endlich geschafft mein Zimmer zu
verschönern.
In diesem Moment musste ich meinen Ruf
ein Tollpatsch zu sein einfach vergessen;)
Immerhin 2m2 sind nun nicht mehr grau
Es geht mir hier also wunderbar, auch wenn ich hin und wieder für ein Nutellabrötchen
morden könnte… Ich habe mich an das Leben in Nueva Guinea, dass aus zwei Vorgängen
besteht: trocknen und nass werden, gewöhnt.
Auch gesundheitlich geht es mir gut, ich habe mein Vorhaben, den Nicafreiwilligen der mit
14 verschiedenen Parasiten nach Deutschland zurückkehrte, zu toppen, aufgegeben und die
erste Antiparasitenpille genommen. Auch Knoblauch und Chili, die natürlichen Parasitenkiller
gehören fest zum Speiseplan.
Auch die andere Gefahr, Straßenverkehr hat sich relativiert seit dem meine Fahrradkette
gespannt ist. Jedes Mal wenn die Kette herunterfiel war ich ungebremst unterwegs, da mein
Fahrrad nur über eine Rücktrittsbremse verfügt. Mit der Zeit war es mir aber doch zu
aufregend die Calle Central (Hauptstraße) ohne Bremse herunterzurollen…;)
Ich lebe nun nach einem Monat in einer Gastfamilie nun wieder in einer WG mit Simon und
Pedro, und ich freue mich auf die nächste Zeit (schließlich folgen auch bald Schulausflug und
Ferien!)
Es geht mir also sehr gut, und es sieht nicht so aus als würde sich da in der nächsten Zeit
etwas ändern.;)
In diesem optimistischen Sinne:
Mit freundlichen Grüßen, Adios
Oder wie immer: tschö
Marius
meine kleinen Schützlinge
PS: Es wäre sehr nett wenn Sie/Ihr diesen
Erfahrungsbericht mit ein paar Worten weiterleiten
könnten. Vielleicht findet sich ja noch ein Spender.
Zur Erinnerung:
Ich leiste ein Freiwilliges Soziales Jahr als Freiwilliger der
weltweiten initiative für soziales engagement e.V.
mein Freiwilligenjahr wird über Spenden finanziert, spenden ist möglich an:
Wise e.V.
Konto: 861 1300
BLZ: 550 20 500 (Bank für Sozialwirtschaft)
Betreff: „Spende wise e.V. + 70018“
Bitte sonst nichts in den Betreff schreiben!
Die Nummer ist wichtig, sie gibt mein Freiwilligenjahr an.
Die Spenden sind auch steuerlich abschreibbar, dazu bräuchte ich ihre Adresse.
Vielen Dank
KONTAKT:
Weltweite Initiative für Soziales Engagement e.V.
Odenwaldschule Ober-Hambach
64646 Heppenheim
Adresse: Frente al cementerio, zona #6, Nueva Guinea, RAAS, Nicaragua
Für Post: Marius Hasenheit, Montañita eeJac, Nueva Guinea, Nicaragua
E-Mail: [email protected]
Skype: mariushasenheit