Das Manuskript zum Beitrag

Manuskript
Beitrag: Die Propagandapapiere –
Wie Moskau Berichte über den
Ukrainekrieg steuert
Sendung vom 27. September 2016
von Arndt Ginzel
Anmoderation:
Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges, sagte schon der
Schriftsteller Rudyard Kipling zu Zeiten der britischen
Kolonialkriege. Und alt ist auch die Gewohnheit, jeweils die
Gegenseite der Lüge zu bezichtigen. Für die Öffentlichkeit kommt
es bei der Wahrheitsfindung deshalb auf Belege an. Frontal 21
hat zusammen mit der Wochenzeitung DIE ZEIT Tausende EMails geprüft und ausgewertet, die aus der Ostukraine stammen.
Sie belegen, wie prorussische Separatisten einen
Propagandafeldzug führen. Und sie enthalten Hinweise auf die
Strategen im Hintergrund. Arndt Ginzel über Propaganda-Grüße
aus Moskau.
Text:
Berlin, 7. August - Auftaktveranstaltung der sogenannten
Friedensfahrt Berlin-Moskau. Organisator Rainer Rothfuß sieht
sich in einem Informationskrieg, den meisten deutschen Medien
traut er nicht, beim Auslandssender des russischen
Staatsfernsehens RT ist er ein gern gesehener Gast. Er spricht
aus, was bei den Russlandfreunden hier gut ankommt.
O-Ton Rainer Rothfuß, Organisator „Friedensfahrt“:
Diese Friedensfahrtinitiative ist leider nötig, weil sich die
Medien darauf eingeschworen haben, Russland als Feindbild
uns darzustellen.
Viele Teilnehmer sind überzeugt: Der Westen und seine Medien
schüren Hass gegen Russland und Präsident Putin. Russland
aber steht für sie für Frieden - trotz Krim-Annexion und Krieg in
der Ukraine. Russische Staatsmedien senden solche Botschaften
gern. Bei der Friedensfahrt treten sie als Medienpartner auf.
Aufbruch am Brandenburger Tor. Viele Friedensfahrer halten die
Kritik an Russlands Präsidenten für ungerecht.
O-Ton Berthold Herrde, Teilnehmer „Friedensfahrt“:
Die ganze Ukraine-Politik - der Russe wird immer als böser
hingestellt, vor allen Dingen der Putin. Alles was passiert,
alles soll der Putin sein. Und das finde ich also anmaßend
von unseren deutschen Medien.
Viele im Konvoi sehen das so. Deshalb setzen sie lieber auf ihre
eigenen Berichterstatter - zum Beispiel „Nuovisio“. Die
Produktionsfirma aus Leipzig ist mit einem eigenen Auto am Start.
Ihren Film „Ukrainain Agony - Der verschwiegene Krieg“ haben im
Netz Hunderttausende geklickt. Schon der Titel unterstellt, hier
würde etwas Verschwiegenes aufgedeckt - etwa das Leiden der
Zivilbevölkerung.
O-Ton Mark Bartalmai, Filmemacher:
Weswegen ich da auch runtergegangen bin, um das mit
meinen eigenen Augen zu sehen, um zu sehen, was dort
passiert.
Der Autor Mark Bartalmai heißt eigentlich Mirko Möbius. Sein Film
suggeriert, die prorussischen Separatisten führten eine
Abwehrschlacht gegen faschistische Angreifer aus Kiew. Immer
wieder betont Bartalmai seine Unabhängigkeit - auch im Interview
mit Frontal 21.
O-Ton Mark Bartalmai, Filmemacher:
Eine Einflussnahme gab es nie auf mich, auch in der Zeit, als
ich da war, nicht, weil ich wirklich sehr, sehr unabhängig
operiert habe und eigentlich immer auf eigene Faust
unterwegs war.
Unabhängige journalistische Arbeit? Wir haben die
Separatistengebiete anders erlebt:
Oktober 2015. Ein Frontal 21-Team reist in die Ostukraine. Es
geht um Hinweise, wonach Kinder und Minderjährige für die
prorussischen Separatisten an der Front kämpfen. An einer
Kadettenschule in der Rebellenhochburg Lugansk erzählten uns
zwei Jungen von ihren traumatischen Erlebnissen an der Front.
O-Ton Kindersoldat:
Krieg ist Wahnsinn, das darf sich nicht wiederholen, das soll
um Gottes Willen keiner durchmachen, was ich erlebt habe.
Du hast ständig Angst, es ist ein Horror. Nicht eine Minute
kommst du zur Ruhe.
Traumatisierte Kindersoldaten statt Kriegshelden – das passt
nicht in die Propaganda der Separatisten. Nach den Dreharbeiten
wird das Frontal 21-Team vom Geheimdienst verhaftet. Es folgen
Verhöre, nur mit Glück kommen wir frei, können mit dem
Drehmaterial die Ostukraine verlassen.
Donezk, das Informationsministerium der Separatisten. Von hier
sind rund 10.000 E-Mails abgeflossen. Sie stammen aus dem EMail-Account der Ministerin Elena Nikitina. Mutmaßlich
proukrainische Aktivisten haben den elf Gigabyte großen Leak ins
Netz gestellt.
Frontal 21 und die Wochenzeitung „Die Zeit“ haben die Daten
über Monate ausgewertet. Die E-Mails liefern einen einzigartigen
Einblick in die Tiefen des Propaganda-Apparats der Separatisten
und seiner Unterstützer. Wie das System funktioniert, lässt sich
an Mark Bartalmai und seinem Film besonders gut zeigen. In den
Daten finden wir Hinweise - beispielsweise dieses Werbeplakat.
Organisator: das Informationsministerium. Dabei hatte Bartalmai
doch versichert, er sei unabhängig.
O-Ton Mark Bartalmai, Filmemacher:
Das ist das Plakat, ja, das ist das Plakat.
O-Ton Frontal 21:
Und das haben die gemacht?
O-Ton Mark Bartalmai, Filmemacher:
Das haben die gemacht. Das haben die von sich aus
gemacht. Sie haben also auch diese Eintrittskarten gedruckt.
Das war also nie eine Anfrage von uns in irgendeiner Form,
sondern wir haben gesagt: Wir haben diesen Film und wir
möchten diesen Film gerne zeigen. Und das
Informationsministerium hat daraus quasi eine Kampagne
gemacht, um auch zu bewerben, dass dieser Film in Donezk
gezeigt wird.
Welches Interesse haben die Separatisten an Bartalmais Film?
Was wollen sie erreichen? Bei der Auswertung der Daten stoßen
wir auf ein wichtiges Dokument aus dem August 2015. Es nennt
sich: „Strategie der internen Informationspolitik“. Das 41-seitige
Papier liest sich wie ein Handbuch für einen Propagandafeldzug.
Von der Kiewer Regierung soll demnach das Bild einer „Junta“
entwickelt werden.
Eine weitere Vorgabe lautet: „In der Ukraine ist es schlimmer“.
Auch soll offenbar die Kriegsmoral gestützt werden: „Wir
vergessen nicht, wir verzeihen nicht“.
Russland soll positiv dargestellt werden. Wichtigste Leitlinie:
„Unterstützung der Republiken durch Russland“.
Und das wird umgesetzt. Ein Beispiel: Jubelbilder anlässlich eines
Hilfskonvois aus Russland. Doch nichts ist hier zufällig, fast alles
inszeniert. Das belegen E-Mails zum 50. Hilfstransport:
„Guten Tag, Anweisung aus Moskau. Dringend!“
Angewiesen wird in den E-Mails jedes Detail:
„Entlang der Fahrroute“ … „Plakate mit der Aufschrift: Danke
Russland!“
„Ein offener Dankesbrief an Russland wird von einem
Rentner“ … „einem Fahrer überreicht.“
„Kinder, sowie (2-3) Lehrer und (2-3) Ärzte danken den
Fahrern.“
Propaganda statt unabhängiger Berichterstattung. Dmitrij hat eine
zeitlang für Rebellenmedien gearbeitet Es ist nicht sein echter
Name, er will unerkannt bleiben.
O-Ton Dmitrij:
Uns haben sie klare Anweisungen gemacht, in welche
Richtung wir argumentieren müssen. Als ich fragte, ob ich
unabhängig von den Vorgaben Material drehen darf, kam
immer die Antwort: Es ist nicht die Zeit für Journalismus.
Journalismus ist für den Frieden. Für den Krieg – es ist auch
ein Informationskrieg – brauchen wir Informationskrieger.
Wer von den Vorgaben abweicht, für den kann das Folgen haben.
Dmitrij wollte das nicht mehr mittragen.
O-Ton Dmitrij:
Wenn Du einen Fehler machst, sagen sie, das ist ein Fehler,
mach die Arbeit nochmal. Wenn Du wieder Fehler machst,
sagen sie, Du bist gefeuert.
Aus den Dokumenten wird klar: Wer zu kritisch berichtet, wird auf
Rot gesetzt - faktisch ein Arbeitsverbot. Betroffen auch
ausländische Journalisten. Zum Beispiel die
Nachrichtenagenturen Reuters und Associated Press. Ganz
rechts die Begründung:
„Reuters und AP sind grundsätzlich Feinde Russlands im
Informationskrieg“.
Der deutsche Filmemacher Mark Bartalmai will von
Arbeitsverboten nichts mitbekommen haben.
O-Ton Mark Bartalmai, Filmemacher:
Mir ist kein Beispiel bekannt, ich kenne niemanden und
kenne es jetzt auch nicht aus den Medien in irgendeiner
Form, wo eine Akkreditierung verweigert wurde.
Zu befürchten hat er tatsächlich nichts. Sein echter Name - Mirko
Möbius - ist grün markiert. Bemerkung dahinter: „GOOD
FRIEND“.
O-Ton Frontal 21:
Rot, das sind die Journalisten, die nicht mehr reinkommen.
Grün, da sehen Sie sich mit „Good Friend“.
O-Ton Mark Bartalmai, Filmemacher:
Interessant, ja. Es mag sein, also, ich habe es nicht erlebt.
Ich sehe diese Liste zum ersten Mal.
Die vorgegebenen Leitlinien werden ständig überprüft. In den EMails aus Informationsministerium entdecken wir
Projektauswertungen - auch zu den Hilfstransporten aus
Russland.
Auswertungen auch zur Vorgabe: „Entwicklung eines JuntaBildes“ - der ukrainischen Regierung. Da steht Bartalmais Film
ganz oben. Die Filmpräsentation für die Propaganda ein Erfolg:
angeblich fünf Millionen Zuschauer.
O-Ton Mark Bartalmai, Filmemacher:
Ja, okay, ich meine, machen wir uns nichts vor, wir sind in
einem Propagandakrieg dort drüben, natürlich, und auch
hier.
Ein Propagandakrieg - insbesondere geführt übers Internet, die
sozialen Medien. In den E-Mails aus Donezk finden wir
massenhaft Protokolle, in denen die Stimmung im Netz analysiert
wird.
Laut Strategiepapier sollen „Kommentargruppen für das Internet
gegründet“ werden. Ihr Auftrag: in den sozialen Medien und Blogs
kommentieren. Aufgrund der Intensität ihrer Arbeit entstehe der
„Eindruck“, dass „eine Mehrheit so denkt“.
Unterstützung kommt sogar aus Deutschland. Eine Gruppe, die
sich Voicedonbass nennt, bietet dem Informationsministerium
eine “journalistische Zusammenarbeit“ an. Tatsächlich finden sich
bei Voicedonbass zahlreiche Meldungen aus der Ostukraine. Wer
sie ernst nimmt, kann leicht auf Propaganda reinfallen. Auf der
Suche nach dem Voicedonbass-Betreiber Frank Gottschlich. In
einem Dorf in Rheinland-Pfalz finden wir ihn und sprechen ihn auf
seine E-Mail an:
O-Ton Frontal 21:
Was interessiert Sie sozusagen daran,
Propagandameldungen aus Donezk quasi hier zu
veröffentlichen?
O-Ton Frank Gottschlich, Betreiber „Voicedonbass“:
Ich interessiere mich für die Wahrheit, was Sie als
Propagandameldung veröffentlichen wollen oder tun, ja,
interessiert mich nicht, sondern mich interessiert nur die
Wahrheit. Und wir veröffentlichen nur die Wahrheit.
Propaganda machen Sie.
O-Ton Frontal 21:
Aber woher wissen Sie denn, was Wahrheit ist?
O-Ton Frank Gottschlich, Betreiber „Voicedonbass“:
Indem ich mich täglich, stündlich, fast minütlich mit der
Sache beschäftige.
Tatsächlich verbreiten Gottschlich und russische Mitstreiter
regelmäßig Meldungen aus der Ostukraine über Internetseiten.
Von da aus finden sie ihren Weg in die sozialen Netzwerke seriös aufgemacht wie Nachrichten. So kann die Propaganda
wirken. Gottschlich ist von seiner Wahrheit überzeugt: ARD und
ZDF würden die nur unterdrücken.
O-Ton Frank Gottschlich, Betreiber „Voicedonbass“:
Versteht Ihr das in Eurem Kopf. Das müsst Ihr rüberbringen.
Nicht so einen Firlefanz wie Kleber – euer ZDF-Mann. Ihr
werdet das nicht senden, weil Ihr Euch wieder in die Hose
scheißt – ich weiß.
Nach dem Interview verbreitet Gottschlich einen offen Brief - darin
einen Drohung, Arbeitsverbot für die Ostukraine: „Das
voicedonbass auch in den Ministerien von Donezk und
Lugansk gelesen wird, wissen sie ja am besten“.
Doch die freiwilligen Unterstützer sind offenbar nur kleine
Rädchen in einem großen Apparat. Auch das
Informationsministerium der Separatisten in Donezk agiert
offensichtlich nicht allein. Wer steht hinter dem
Propagandafeldzug?
In den elf Gigabyte großen Datensatz stoßen wir immer wieder
auf Spuren nach Moskau: Dienstreisen nach Moskau, Berichte für
Moskau. Steckt der Kreml dahinter?
In den Papieren: Hinweise auf eine Gruppe von Männern, die im
Verborgenen bleiben will. Doch am 21. Februar 2016 in einer
Tagesordnung an die Informationsministerin vier Klarnamen offensichtlich ein Missgeschick. Eine E-Mail später schreibt ein
gewisser Kashalot74: „Ich rate unsere Nachnamen zu löschen
und zu vergessen!“
Kashalot74 heißt eigentlich Alexander Paschin, stammt wie seine
Kollegen aus Russland. Es sind Berater der Separatisten. Einer
von ihnen hat auch das Strategiepapier verfasst.
Ein weiter Beraterdeckname Kasak Kaskak. Seine digitalen
Spuren führen zu Alexander Kasakow.
O-Ton Moderator NEWSFRONT:
Alexander Kasakow, Vize-Direktor des Zentrums für
politische Konjunktur.
Russische Medien präsentieren Kasakow oft als Politologen. Wir
suchen ihn und finden die Firma: das „Zentrum für politische
Konjunktur“ in Moskau - kurz ZPK. Das Beratungsunternehmen
residiert in der teuren „Moskwa City“.
Wir fragen uns durch, wollen wissen, ob die Beraterfirma wirklich
hier sitzt. An der Rezeption bestätigt man, die ZPK-Leute
firmierten in den oberen Etagen. Doch bis dahin kommen wir
nicht. Laut Website ist der ZPK-Chef ein enger politischer
Weggefährte von Wladimir Putin – und das ZPK erhält eigenen
Angaben zufolge Regierungsaufträge:
„Seit Anfang der 2000er arbeitet es mit den Administration
des Präsidenten“.
Die Administration des Präsidenten - abgekürzt: „AP“. In Moskau
ist die Administration des Präsidenten eine mächtige Institution.
Sie hat mehr Macht als das Berliner Bundeskanzleramt.
Im Daten-Leak stoßen wir immer wieder auf das verräterische
Kürzel „AP“. Spuren in Richtung Kreml. Die Recherche zeigt:
Führende Separatisten trafen sich regelmäßig mit einem Mann
namens Andrej Federowitsch. Hinter seinem Namen steht seine
Funktion: Berater aus der „AP“.
Federowitsch ist wahrscheinlich ein Mann des Kremls, der in der
Ostukraine den Willen Wladimir Putin umsetzt. Der hatte stets
erklären lassen, er könne den prorussischen Milizen keine
Befehle erteilen. Die Tausenden E-Mails aus Donezk
widersprechen dem.
15. August. Nach rund einer Woche erreichen die sogenannte
Friedensfahrer Moskau. Die staatliche Nachrichtenagentur TASS
lädt zur Pressekonferenz. Der Organisator der Friedenfahrt,
Rainer Rothfuß erklärt Kritik am russischen Präsidenten zur
westlichen Propaganda – wieder einmal.
O-Ton Rainer Rothfuß, Organisator „Friedensfahrt“:
Die Propagandamaschine in den westlichen Medien arbeitet
natürlich sehr konsequent am Feindbild Putin. Es ist
einfacher, ein Feindbild auf eine Person zu projizieren.
Eine Woche später, zurück in Berlin. Ankunft der Friedensfahrer
in der deutschen Hauptstadt - mit Polizeieskorte. Ihrer Wahrheit
sind sie sich sicher. Für sie gilt: Propaganda machen nur die
anderen.
Abmoderation:
Kommenden Dienstag um 21 Uhr legen wir nach. In der Frontal
21-Dokumentation „Putins geheimes Netzwerk - Wie Russland
den Westen spaltet“. Einen Tag vor der Sendung feiert
Deutschland die Einheit. Eine Einheit, die Russland damals
möglich machte. Etwas mehr als ein Vierteljahrhundert ist das
her.
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