Manuskript Beitrag: Bausparkassen kündigen Altverträge – Wie Kunden vergrault werden Sendung vom 27. September 2016 von Ingo Dell und Jörg Göbel Anmoderation: Der Bausparvertrag gilt als grundsolide. Eine sichere Sache, auf die rund 30 Millionen Deutsche setzen. Doch jetzt zeigen sich Risse im Geschäftsmodell. Denn die Bausparkassen sind wegen der Niedrigzinspolitik der EZB angeblich in Not. Sie kündigen Hunderttausende hochverzinste Altverträge, werfen also unliebsame Kunden raus. Zugleich locken sie Neukunden mit vermeintlichem Billigbaugeld. Ingo Dell und Jörg Göbel über eine Branche, die plötzlich unsolide wirkt. Text: Fast ausgetrickst von der Bausparkasse – so fühlt sich Alexander Greschik aus Winnenden bei Stuttgart. Sein Bausparvertrag läuft seit acht Jahren, gut verzinst mit 3,6 Prozent bei der Debeka Bausparkasse. Von der bekommt er im April überraschend Post. O-Ton Alexander Greschik, Bauspar-Kunde: Ich hab von meiner Bausparkasse ein Angebot bekommen mit fünf Prozent – das nennt sich Zinsturbo. Hört sich zunächst mal sehr verlockend an. Das beinhaltet aber auch entsprechend die Auflösung meines Bausparvertrages. Der Energieberater wird misstrauisch, rechnet selbst noch einmal nach, ob sich der versprochene Zinsturbo mit fünf Prozent über zwei Jahre überhaupt lohnt. Das Ergebnis: Nein. Langfristig rentiert sich sein alter Vertrag, der noch zehn Jahre läuft. O-Ton Alexander Greschik, Bauspar-Kunde: Ich empfinde das als eine Frechheit für jemanden, der alles seit Jahren, Jahrzehnten bei der Debeka hat, also auch alle weiteren Versicherungen. Da fühl ich mich schon ein bisschen über den Tisch gezogen. Auf Nachfrage schreibt uns die Debeka, ihr Turbozins sei kein Lockangebot. Es handele sich, Zitat: „…ausschließlich um eine Einladung an unsere Kunden, bei Interesse einen Debeka-Berater vor Ort zu kontaktieren…“ Auf diese Einladung hat Alexander Greschik gern verzichtet. O-Ton Niels Nauhauser, Verbraucherzentrale BadenWürttemberg: Der Debeka-Zinsturbo ist nur eine neue Masche. Wir haben seit vielen Jahren in der Beratung immer wieder Beschwerden von Verbrauchern, die verunsichert worden sind durch ihre Bausparkasse. Die Bausparkassen stehen gerade vor der Situation, dass sie Altverträge haben, bei denen sie ihren Kunden hohe Zinsen versprochen haben: zwei, drei, vier teilweise sogar fünf Prozent. Eigentlich muss man zu diesen Verträgen stehen. Die Bausparkassen versuchen aber, diese Verträge loszuwerden. Normalerweise spart ein Kunde einen Bausparvertrag über Jahre an. Darauf gibt es Guthabenzinsen. Doch die wollen viele Bausparkassen nicht mehr so ohne Weiteres zahlen. Der Verband der Privaten Bausparkassen behauptet, Zitat: „Die Bausparkassen müssen der Nullzinspolitik der EZB entgegensteuern, um kritische Situationen in der Zukunft zu vermeiden…“ O-Ton Niels Nauhauser, Verbraucherzentrale BadenWürttemberg: Einzelne Bausparkassen verzeichnen im Moment Rekordabschlüsse, also, die machen ein Riesengeschäft. Das heißt, dass es der Branche hier schlechtgeht, das kann man den ganzen Bilanzpressekonferenzen jedenfalls nicht entnehmen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Und deshalb ist die Argumentation, man könne gar nicht anders wegen dem Niedrigzinsniveau, auch wirklich an den Haaren herbeigezogen. Auch Hans Schiek aus der Nähe von Frankfurt ist nicht gut auf seine Bausparkasse zu sprechen. 1999 hatte er einen Bausparvertrag abgeschlossen, obwohl der pensionierte Richter sein Haus längst finanziert hatte. Doch der Vertreter machte ein verlockendes Angebot. O-Ton Hans Schiek, Bauspar-Kunde: Der sagt zu mir: Gut, Sie brauchen keinen Bausparvertrag, aber wir haben jetzt eine tolle Kapitalanlage für Sie. Zu den zwei Prozent Guthabenzinsen kriegen Sie zum Schluss, wenn Sie das mindestens sieben Jahre stehen lassen, einen Bonus von drei Prozent. Summa summarum fünf Prozent war damals attraktiv und risikofrei – so hieß es ja auch in dem Prospekt. Den BHW-Prospekt von damals hat der Pensionär heute noch. Vom „Volltreffer beim BauSparen“ ist die Rede und von einem „Rendite-Renner“. Außerdem heißt es: O-Ton Hans Schiek, Bauspar-Kunde: „Und wenn sie kein Baugeld nehmen, haben Sie bestens gespart. Mit bis zu 5% Guthabenzinsen und hoher Renditechance.“ Besser ging´s nicht. Und das habe ich gemacht. Dieser Altvertrag bringt Schiek hohe Zinsen. Er ging immer davon aus: Das gilt solange, bis er die komplette Bausparsumme angespart hat. Erst dann könne die Bausparkasse den Vertrag beenden. Das passt der BHW offenbar nicht. Sie versucht ihren teuren Kunden loszuwerden – mit immer neuen Angeboten. Doch Hans Schiek lässt sich nicht beirren. O-Ton Hans Schiek, Bauspar-Kunde: 2015 kam dann zu meiner Überraschung eine Kündigung. Der Trick bestand darin, dass die Bausparkasse selbst eine Einzahlung vornimmt, und zwar in der Form Bonus, des vorgezogenen Bonus. Mit der Bonuszahlung verkürzt die BHW die Vertragslaufzeit, spart enorm Zinsen. Schiek dagegen verliert aus seiner Sicht zu Unrecht mehrere Tausend Euro. Der pensionierte Richter will das nicht hinnehmen, klagt gegen die BHW. Wir fragen bei der Bausparkasse nach. Die will wegen des laufenden Verfahrens nicht konkret antworten. Fälle wie die von Schiek beschäftigen viele deutsche Gerichte. O-Ton Achim Tiffe, Rechtsanwalt: Ich gehe davon aus, dass die Kündigung der Bausparverträge nicht gerechtfertigt ist, solange die Bausparsumme nicht erreicht wurde. Es gibt zurzeit unterschiedliche Rechtsprechungen. Der Bundesgerichtshof wird dort wahrscheinlich entscheiden. Bis dahin ist es noch offen. Streit um den Bausparvertrag hat auch das Ehepaar Terzi aus der Nähe von Hamburg. Bei ihnen geht es nicht um die Kündigung eines lukrativen Altvertrages, sondern um eine mögliche Falschberatung. 2010 haben sie ein Haus gekauft. Rund 200.000 Euro haben sie damals gebraucht. Die Finanzierung sollte kein Glücksspiel sein, sondern solide. Sie vertrauten einem Berater der Hamburger Sparkasse. Schließlich war Ertekin Terzi schon sein Leben lang dort Kunde. O-Ton Ertekin Terzi, Haspa-Kunde: In der Realität ist uns aufgefallen, dass das sehr, sehr komplizierte Vertragswerk der Sparkassen nicht so leicht zu durchschauen ist, mit den Bausparverträgen und den Kreditverträgen in Kombination. Sie wenden sich an ihren Rechtsanwalt. Der stellt fest: Seine Mandanten haben einen sogenannten Kombikredit abgeschlossen. Das bedeutet: Sie bekommen sofort einen Kredit, schließen aber gleichzeitig einen Bausparvertrag ab - in ihrem Fall sogar mehrere. O-Ton Achim Tiffe, Rechtsanwalt: Das Produkt hat erhebliche Nachteile, weil es ist ja ganz klar: Die Leute wollen einen Kredit, um eine Immobilie zu finanzieren und den abbezahlen. Die wollen gar kein Sparprodukt, aber sie kommen raus aus der Beratung mit einem Sparprodukt. Also, man verkauft ihnen eigentlich genau das Gegenteil und erklärt ihnen, dass das gut ist. Das ist eigentlich Blödsinn. Terzis zahlen zwar Zinsen für den Kredit, tilgen aber nicht. Stattdessen müssen sie in zwei Bausparverträge einzahlen, die nach 16 Jahren den Kredit ablösen sollen. Sie sind inzwischen davon überzeugt: Diese komplizierte Rechnung wird nicht aufgehen. O-Ton Ertekin Terzi, Haspa-Kunde: Wir kriegen ja immer die Abrechnung von den Bausparverträgen und da haben irgendwann gesehen, dass da gar nicht so viel Geld angespart wird, um das später abzulösen. Wir sind dann mal zum Anwalt gegangen, der uns dann gesagt hat, dass das eine sehr unvorteilhafte Finanzierung ist, mit einem - also für uns - ungefähr 20.000 Euro Schaden. Terzis fühlen sich falsch beraten, klagen gegen die Hamburger Sparkasse. Wir fragen bei dem Finanzinstitut nach. Das will sich wegen des laufenden Verfahrens nicht detailliert äußern, schreibt aber grundsätzlich, Zitat: „In unserer umfassenden Beratung klären wir unsere Kunden über die jeweiligen Chancen und Risiken auf…“ O-Ton Achim Tiffe, Rechtsanwalt: Die Bausparkassen haben in den letzten Jahren das Geschäft mit Kombinationsfinanzierung - entweder direkt oder über die Sparkassen und Banken - extrem ausgeweitet. Und diese Produkte haben erhebliche Nachteile und Risiken für Verbraucher, weil sie auf der einen Seite einen Immobilienkredit abschließen und dann aber auf der anderen Seite in den Bausparvertrag sparen, statt einfach nur den Immobilienkredit zurückzuzahlen. Das heißt, sie haben zwei Produkte, Mehrkosten und eben auch erhebliche Risiken und darüber werden sie in der Regel nicht aufgeklärt. Immer wieder Ärger um Bausparverträge. Das hat inzwischen auch den Bundestag beschäftigt. Der fordert eine Gesetzesänderung, hat eine Petition an das Justizministerium überwiesen. In der internen Begründung des Ausschusses, die Frontal 21 exklusiv vorliegt, heißt es: „Aus Sicht des Petitionsausschusses liegt … eine unklare Rechtslage vor, die der Gesetzgeber aufgrund der großen praktischen Bedeutung verbindlich regeln sollte.“ Dreiste Kündigungen und zweifelhafte Beratung - wer nicht genau hinschaut, für den können Bausparverträge schnell zum Glücksspiel werden. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. 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