Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 18. September 2016 Große Koalition verliert Mehrheit Nicht-Regierungsparteien als Gewinner Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin fällt die SPD nach klaren Verlusten mit 21,6% auf ihr schlechtestes Berlin-Ergebnis – niemals zuvor war der Stimmenanteil einer stärksten Partei bei Landtagswahlen geringer. Mit 17,6% fällt auch die CDU auf ein historisches Tief, gleichzeitig ihr zweitschlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl seit über einem halben Jahrhundert. Zusammen sind beide Parteien schwach wie nie und nach Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt nun auch im Land Berlin nicht mehr mehrheitsfähig. Auch die Grünen verlieren, dennoch bedeuten 15,2% ihr zweitbestes Berlin-Ergebnis. Die Linke legt zu auf 15,6%. Neben der AfD mit 14,2% schafft es die FDP nach ihrem Fiasko 2011 jetzt mit 6,7% ins Abgeordnetenhaus. Die Piraten sind nach heftigen Einbußen mit 1,7% dort nicht mehr vertreten, die Wahlbeteiligung erreicht nach einem Rekordplus 66,9% (+6,7). Ein erster Grund, weshalb die SPD hierbei stärkste Kraft bleibt, ist ihr Spitzenkandidat Michael Müller: Nach knapp zwei Jahren im Amt schafft er mit 1,2 auf der +5/-5-Skala zwar nicht die Beliebtheitswerte von Vorgänger Klaus Wowereit (2011: 1,6), besitzt aber die klar höchste Reputation aller Spitzenkandidaten. CDU-Herausforderer Frank Henkel bleibt mit -0,1 (2011: 0,3) wie alle CDU-Spitzenkandidaten seit Eberhard Diepgen extrem schwach und wird im direkten Duell deklassiert: Als Regierenden Bürgermeister wollen 54% der Befragten Michael Müller und lediglich 22% Frank Henkel. Bewertung der Parteien in Berlin (Mittelwerte auf einer Skala von +5 bis -5) 1,3 0,0 Wahlergebnis Berlin 2016 0,5 0,0 Anteile der Zweitstimmen in Prozent -0,6 Ergebnis in Prozent Gewinne und Verluste 21,6 17,6 15,2 15,6 3,9 14,2 14,2 6,7 SPD LINKE PIRATEN FDP AfD GRÜNE LINKE Sonstige Quelle: Statistisches Landesamt Berlin Insgesamt reflektiert das Ergebnis die inzwischen typischen Berliner Verhältnisse, wo sich bei einem traditionell schwach bewerteten Senat und vielen Problemen den Wählern in einer heterogenen Parteienlandschaft diverse Alternativen bieten. Wen hätten Sie lieber als Regierenden Bürgermeister in Berlin? SPD/GRÜNE/LINKE 54 22 Henkel AfD Bewertung von Koalitionsmodellen in Berlin schlecht Müller FDP Weitere Faktoren für den SPD-Vorsprung sind ihr lokales Parteiansehen, Kompetenzen gerade in sozialen Bereichen und eine indisponierte Berlin-CDU, die neben großen personellen und qualitativen Defiziten ein Imageproblem hat: Beim Ansehen liegt sie nicht nur klar bis deutlich hinter Grünen und SPD, sondern wird jetzt auch von der Linken eingeholt, die ähnlich wie die – ansonsten nur bedingt überzeugenden – Grünen von Koalitionswünschen für den nächsten Senat profitiert. -0,9 -7,2 GRÜNE CDU Forschungsgruppe Wahlen: Umfrage vor der Wahl in Berlin 09/16 1,7 -5,7 CDU SPD 7,4 4,9 -2,4 -6,7 -3,1 12 12 keinen von beiden weiß nicht Forschungsgruppe Wahlen: Umfrage vor der Wahl in Berlin 09/16 41 gut weiß nicht 13 SPD/CDU 47 SPD/CDU/GRÜNE 47 SPD/CDU/FDP 55 SPD/GRÜNE/FDP 54 Forschungsgruppe Wahlen: Umfrage vor der Wahl in Berlin 09/16 1 egal 44 16 34 19 32 14 21 28 21 So fänden 44% aller Befragten einen rot-rot-grünen Senat gut, aber nur 34% eine rot-schwarze Neuauflage (schlecht: 41% bzw. 47%), wofür bei aller generellen Senatskritik eher die CDU verantwortlich ist: Deren Regierungsarbeit wird nur mit -0,2 bewertet, wogegen die SPD 0,5 erreicht und sachpolitisch bei Jobs, Wirtschaft und Bildung als führend gilt. Zudem setzen in einer Stadt, in der für 86% „die Unterschiede zwischen Arm und Reich immer größer werden“ und es für 85% „kaum noch bezahlbare Wohnungen“ gibt, die meisten Bürger bei sozialer Gerechtigkeit und Wohnungsmarkt auf SPD-Politik. Häufig genannt wird hier allerdings auch die Linke. Wahlentscheidung in den Altersgruppen SPD Flüchtlinge/Asyl Wohnungen/Mieten Schule/Bildung Soz. Gerechtigkeit CDU 19 GRÜNE 19 28 25 30 LINKE 12 9 8 12 Sonst. 13 19 19 11 AfD 7 14 26 21,6 18-29 Jahre 20 14 30-44 Jahre 19 16 45-59 Jahre 20 LINKE 17,6 FDP 15,2 19 21 17 21 15,6 6,7 17 5 15 16 26 AfD 8 14,2 8 6 15 9,1 17 12 7 16 Sonstige 11 17 8 16 7 5 Forschungsgruppe Wahlen: Befragung am Wahltag in Berlin, 18.09.2016 Besonders stark ist die AfD mit 21% bei den 45- bis 59-jährigen Männern, bei allen ab 60-Jährigen – bislang bei Landtagswahlen hier relativ schwach – erreicht sie jetzt ein leicht überdurchschnittliches Ergebnis. SPD und CDU liegen mit 26% bzw. 21% in der Generation 60plus weiter über ihrem Schnitt, speziell die CDU bricht hier mit minus elf Prozentpunkten regelrecht ein. Bei allen unter 60-Jährigen liegt die CDU hinter den Grünen und nur knapp vor der Linken, wobei die Linke vor allem bei unter 30Jährigen auf 17% (+10) zulegen kann. Die Grünen kommen hier auf 19% und bei den 30- bis 44Jährigen auf 21%. keine/w.n. 21 30 15 GRÜNE Wahlergebnis ab 60 Jahre Welche Partei löst die Probleme in Berlin am besten? SPD CDU 19 18 Forschungsgruppe Wahlen: Umfrage vor der Wahl in Berlin 09/16 Beim Top-Thema Flüchtlinge fühlen sich jeweils 19% bei SPD bzw. CDU am besten aufgehoben, jeweils 12% bei Grünen bzw. Linke und 13% bei der AfD. Zwar hat das Flüchtlingsthema für AfD-Wähler höchste Bedeutung: Konträr zur optimistischen Grundstimmung in Berlin – sowie häufig flankiert von ökonomischen Abstiegsängsten und dem Gefühl persönlicher Benachteiligung – meinen nur 5% (alle Befragte: 58%), die Stadt könne die vielen Flüchtlinge verkraften. Wahlentscheidung in den Berufsgruppen SPD Wahlergebnis GRÜNE 21,6 17,6 Arbeiter 22 16 Angestellte 23 Beamte 22 Selbstständige Dennoch wird die AfD jetzt nur von 44% wegen ihrer „politischen Forderungen“ gewählt, aber von 53% als „Denkzettel“. Adressat hierfür ist bei einer ansonsten klar lokalpolitisch geprägten Wahl vor allem der Bund, die Kommunikationsplattform liefert die „Alternative“: Deren Wähler bewerten Bundesregierung (-2,1; alle Befragte: 0,3) und Kanzlerin (-3,1; alle Befragte: 0,9) extrem negativ und sehen in der AfD die „einzige Partei, die die Probleme beim Namen nennt“ (93%; alle Befragte: 25%). CDU 15 LINKE 15,2 6 18 6,7 4 16 Sonstige 14,2 25 16 16 22 AfD 15,6 15 27 16 FDP 6 9 17 7 11 9,1 11 12 16 12 9 4 7 Forschungsgruppe Wahlen: Befragung am Wahltag in Berlin, 18.09.2016 In den Berufsgruppen wird die AfD mit 25% unter Arbeitern stärkste Partei, die SPD hat hier heftige Einbußen (22%; -11). Größere Verluste haben die Grünen (16%; -5) genau wie die CDU (27%; -12) unter Beamten, hier bleibt die SPD gegen den Gesamttrend stabil (22%; +1); die FDP ist bei Selbstständigen vergleichsweise stark (11%; +8). (Mannheim, 19.9.2016) Herausgeber: Forschungsgruppe Wahlen e.V. 68011 Mannheim, Postfach 10 11 21, Tel.: 0621/1233-0, FAX: 0621/1233-199 Internet: www.forschungsgruppe.de E-Mail: [email protected] Die Zahlen basieren auf einer telefonischen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen unter 1.656 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten im Land Berlin in der Woche vor der Wahl sowie auf einer Befragung unter 20.377 Wählern am Wahltag. Weitere Grafiken und Berichte zur Wahl des Abgeordnetenhauses im Web auf www.heute.de. Nächstes bundesweites Politbarometer am 23.09.2016. Rundungsbedingte Summenabweichungen sind möglich. Dieser Newsletter kann unter für eine jährliche Schutzgebühr in Höhe von € 15,- [email protected] bestellt werden. 2
© Copyright 2024 ExpyDoc