Geschäftsprozesse wie im echten Leben

 Geschäftsprozesse wie im echten Leben Warum Prozessmodelle im Alltag „nicht gelebt“ werden Zusammenfassung: Wer die Kommunikation in Organisationen mit Prozessen strukturieren will, erlebt oft Über-­‐
raschungen: Da werden Lösungen aufgeweicht, Prozesse nicht eingehalten, Beiträge nicht geliefert und der Prozessmanager muss zusehen, wie „Leute damit durchkommen“. Dabei sollte doch der Prozess endlich für Klarheit sorgen. Warum sperren sich Organisationen entgegen allen Beteuerungen des Managements gegen klare Prozesse? Weil Organisationen und Projekte ein Eigenleben haben, das wir selbst mit den besten Management-­‐Methoden nicht steuern können. Aber wir können verstehen, „wie Organisationen ticken“ und die Regelmäßigkeiten dieses Eigenlebens in Projekten berücksichtigen. Dieser Beitrag hilft Ihnen, Organisationen als lebende Systeme zu verstehen und Ihr Projektmanagement darauf einzustellen. Über den Autor: Dr. Rainer Feldbrügge arbeitet als freier Organisationsberater in Nürnberg. In seiner Praxis verbindet er die Methoden des Business Process Management mit den Erkenntnissen der systemischen Organisationsentwicklung. So hilft er Unternehmen, Prozesse zu definieren, die im „echten Leben“ Bestand haben. Rainer Feldbrügge lehrt Prozessmanagement und moderne Organisationsformen an der Technischen Hochschule in Deggendorf. Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] Übersicht: 1. 2. Organisationen als lebende Systeme ................................................................................................................... 2 1.1. Lebende Systeme ........................................................................................................................................ 2 1.2. Soziale Systeme ........................................................................................................................................... 3 1.3. Veränderung in sozialen Systemen ............................................................................................................. 4 1.4. Bedeutung für das Projektmanagement ..................................................................................................... 4 Prozesse als Kommunikationsmuster in Unternehmen ....................................................................................... 5 2.1. Organisationen und ihre Prozesse ............................................................................................................... 5 2.2. Prozessmanagement – Standardisierung von Prozessen ............................................................................ 6 2.3. Das Konzept der losen und festen Koppelung ............................................................................................. 7 2.4. Wie lernen Organisationen? ........................................................................................................................ 9 2.5. Praxis Projektmanagement ....................................................................................................................... 11 1. Organisationen als lebende Systeme 1.1.
Lebende Systeme Sie wollten alles richtig machen. Die Macher des Projektes hatten es ja nur gut gemeint. Und trotzdem ging irgendwie vieles schief. Hinterher kann man die Fehler schlau analysieren – aber warum wiederholen sich ähnliche Fehler in fast allen Projekten? Und offenbar schützt auch professionelle Projektplanung nicht vor dem Scheitern... Netzplantechnik, Prozessanalysen und Projektstrukturplan, Instrumente zur Planung von Projekten, unterstützen uns, viele Einflussfaktoren unserer Projekte im Blick zu behalten. Aber Projekte und ihre Stakeholder sind keine festen Größen – sie alle haben ihr Eigenleben. Und dieses Eigenleben kann die beste Planungstechnik nicht vorhersagen. Lassen wir uns von scheinbar exakten Methoden des Projektmanagements nicht in die Irre führen. Organisationen sind lebende Systeme, keine Maschinen. Damit Organisationen für Projektmanager keine völlig unberechenbaren Größen bleiben, wollen wir diesem Eigenleben auf die Spur kommen. Was ist ein „lebendes System“? Um Organisationen als lebende Systeme zu verstehen, greifen wir in einem kurzen Exkurs auf Erkenntnisse der Biologie zurück. In der Biologie ist die Abgrenzung zwischen System und Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] Umwelt ein Definitionskriterium für „Leben“: Jedes Lebewesen – vom Einzeller bis zum Mensch – grenzt sich selbst klar von seiner Umwelt ab. Unsere Haut gehört zu uns, die Hose schon nicht mehr. Es gibt eine klare Unterscheidung zwischen „innen“ und „außen“. Das zweite Definitionskriterium ist der Austausch zwischen dem System und seiner Umwelt. Die Biologen nennen das Stoffwechsel. Endet der Austausch mit der Umwelt, sterben Lebewesen und gehen nach und nach in ihrer Umwelt auf. Deshalb haben Lebewesen im Laufe der Evolution Strategien entwickelt, um sich an veränderte Umgebungen anzupassen und um die Austauschbeziehung „Stoffwechsel“ aufrechtzuerhalten. Wer in der Lage ist, nach einer Störung die Austauschbeziehung mit der Umwelt wiederherzustellen, überlebt. Lebewesen verfügen also über eine (begrenzte) Selbstheilungskraft. Denn wenn wir uns den Kopf anstoßen und eine schmerzhafte Beule davontragen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich das Hämatom zurückbildet. Alles andere wäre erklärungsbedürftig. Wenn Ihr PC nach einem Sturz vom Tisch kaputt ist, hilft Warten allein selten... Selbststeuerung Dieser Vergleich zwischen Ihrem Kopf und Ihrem PC macht das dritte Definitionskriterium des Lebens deutlich: Die Fähigkeit, nach einer Störung den Gleichgewichtszustand wiederherzustellen. Lebende Systeme haben sie, mechanische Systeme (wie ein Computer) haben sie nicht. Biologen nennen das die Autopoiesis. Diese Fähigkeit bringt aber auch eine gewisse Unberechenbarkeit mit sich. Niemand kann sicher sagen, wie lange eine Beule am Kopf anhält. Und ob ein System „nachher“ noch genau so ist wie „vorher“, ist auch nicht vorherzusagen. Lebende Systeme steuern sich selbst. 1.2.
Soziale Systeme Damit ist der Ausflug in die Biologie auch schon beendet. Das systemtheoretische Organisationsverständnis greift auf diese Definitionskriterien zurück und versteht soziale Systeme als lebende Systeme. Sobald zwei oder mehr Menschen in Kommunikation treten, bilden sie ein soziales System. Sie tauschen sich aus und dieses System entwickelt sin Eigenleben mit denselben Kriterien wie biologische Systeme. Soziale Systeme und Menschen Gerade haben wir gelernt, dass zwei Menschen, die miteinander kommunizieren, ein soziales System bilden. Das brauchen wir noch ein bisschen genauer: Nicht die Menschen bilden das System, sondern ihre Kommunikationen. Begegnen sich zum Beispiel zwei Menschen an einer Tür, dann kommunizieren sie (vielleicht nur durch nette Blicke) darüber, wer zuerst durch die Tür gehen soll. Diese Kommunikation ist das soziale System. Treffen sie sich danach nie wieder, war es ein flüchtiges System, das nur für einen Moment Bestand hatte und danach niemanden interessiert. Aber vielleicht treffen sie sich am nächsten Tag wieder und wiederholen die Kommunikation. Das System wird stabiler. Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] Menschen in Systemen sind austauschbar Wenn Sie jeden Morgen in der Firma die gleichen Kollegen begrüßen, sehen Sie, dass das soziale System „Firma“ eine beachtliche Stabilität erreicht. Und am Beispiel „Firma“ wird deutlich, warum wir zwischen den Menschen und ihrer Kommunikation unterscheiden: Die Menschen sind für ein soziales System notwendig – aber prinzipiell austauschbar. Das System „Firma“ funktioniert in der Regel weiter, wenn einzelne Mitarbeiter gehen und andere hinzukommen. Der Austausch einer Person in einem Kommunikationssystem ist dennoch meist eine spürbare Störung für das System. Fast alle Systeme können diese Störung aus der Umwelt aber gut verkraften – die täglichen Kommunikationsroutinen laufen weiter und eine neue Person fügt sich schnell ein. Als ehemaliger Gebietsleiter eines Filialunternehmens habe ich diese Erfahrung häufig gemacht: Nach dem Wechsel einer Filialleitung hatte ich gehofft, dass eingeschliffene „Unarten“ in der Filiale der Vergangenheit angehören würden, denn schließlich lernt „der Neue“ ja im Filialleiterkurs, wie es richtig gehen soll. Bei späteren Besuchen beobachtete ich, dass sich alte Sitten hartnäckig hielten, auch wenn Personen wechselten. Systeme sind also in der Regel ziemlich stabil gegenüber handelnden Personen. 1.3.
Veränderung in sozialen Systemen Denken Sie noch einmal an das oben verwendete Bild der Beule am Kopf: Wenn die Verletzung (Störung) nicht zu schwer war, wird der Kopf nach dem Abheilen der Beule wieder so aussehen wie vor der Störung. Das ist die Funktion der Autopoiesis. Wenn der alte Zustand nicht wiederherstellbar ist, dann wird es einen Zustand geben, der dem alten möglichst nahe kommt. Genau so funktionieren auch soziale Systeme. Mir scheint, als sei die „Beule“ in Organisationen häufig eine Veränderung der Software: Sie stört die geübten Abläufe in der Organisation, führt zu Schmerzen und Reibungen – und immer wieder gelingt es der Organisation, die alten Routinen mehr oder weniger unverändert wiederherzustellen. Sehr zum Verdruss der Projektmanager, die geglaubt haben, mit der Software die Abläufe im Unternehmen zu verbessern. Wenn Sie also erleben, dass es Ihnen trotz professioneller Projektplanung nicht gelungen ist, mit Ihrem Organisationsprojekt die geübten Prozesse der Organisation zu verändern, dann wissen Sie jetzt: Das ist ganz normal. Organisationen haben eine „eingebaute“ Tendenz zur Beharrlichkeit. Und da Organisationen außerdem nur begrenzt steuerbar sind, hat diese Veränderungsträgheit ebenso wenig mit bösem Willen von Führungskräften zu tun wie mit Dummheit der Mitarbeiter. Und auch nicht mit der scheinbaren Unfähigkeit der so genannten „Change Manager“. 1.4.
Bedeutung für das Projektmanagement Was bedeutet diese Erkenntnis für Projektmanager? Insbesondere für Leiter von Organisationsprojekten ist das Wissen um die Autopoiesis in Organisationen möglicherweise frustrierend. Dennoch gibt es genügend Beispiele für erfolgreiche Veränderungen in Unternehmen. Wie kann man diese Erfahrung für sich nutzen? Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] Das Wissen um die Lernfähigkeit von Organisationen Ebenso wie sich Menschen anpassen können, lernen auch Organisationen. Lernen bedeutet, dass ein System eine gestörte Austauschbeziehung mit der Umwelt wahrnimmt und sich so anpasst, dass wieder eine funktionierende Austauschbeziehung hergestellt ist. Die Voraussetzung ist also das Wahrnehmen einer Störung. Wie kann eine Organisation „wahrnehmen“? Da sie keine Augen und Ohren hat, nimmt eine Organisation nur das wahr, was in die Kommunikation kommt – sie besteht ja nur aus Kommunikation. Die Kunst ist also, einen Lernbedarf in die Kommunikation zu bringen. Dazu weiter unten mehr. Der Segen der Stabilität Aus Sicht von Change Managern ist die Beharrungskraft von Organisationen ein Problem – aus Sicht der Organisation hingegen sehr häufig überlebensnotwendig. Prozesse in Organisationen wären nicht veränderbar, wenn nicht die übrigen Prozesse stabil wären. Wer also fragt, was stabil bleiben muss, damit Veränderung möglich wird, macht sich die Beharrungskraft zum Verbündeten. Veränderung ist nicht Selbstzweck, sondern dient der Anpassung an veränderte Bedingungen. Die erste Frage in Veränderungsprojekten lautet also: Was darf sich auf keinen Fall ändern, wenn sich die äußeren Bedingungen ändern? Eine Frage der Haltung Ein wesentlicher Schlüssel zur Veränderung ist die Haltung des Projektmanagements. Wenn wir Veränderung als Lernen begreifen, verstehen wir die Organisation als Subjekt des Handelns: Nicht wir (unser Projekt) verändert die Organisation, sondern die Organisation lernt mit unserem Projekt. Projektmanagement beginnt leider häufig mit dem Anspruch, eine betriebswirtschaftlich abgesicherte Wahrheit zur Geltung zu bringen. Die Organisation, ihre Mitarbeiter und Führungskräfte müssen von ihrem Glück überzeugt – und vielleicht auch ein bisschen zu ihrem Glück gezwungen werden. Dabei hat das Unternehmen häufig schon eine beachtliche Zeit überlebt – und ist dank der geübten Prozesse bis hierher gekommen. Wer einer Organisation (auch der eigenen) mit Demut gegenüber dieser Leistung begegnet, hat Chancen auf Lernprozesse. Wer Veränderung von außen stemmen will, verhebt sich daran. 2. Prozesse als Kommunikationsmuster in Unternehmen 2.1.
Organisationen und ihre Prozesse Wenn wir uns einer Organisation als sozialem System nähern, beschreiben wir es mit vier Leitfragen: -­‐
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Was unterscheidet das System von der Umwelt? Welche Kommunikation macht das System aus? Welche regelmäßigen Muster der Kommunikation kennt das System? Welche Strukturen, Regeln und Werkzeuge schaffen diese Kommunikationsmuster? Zur Unterscheidung der Organisation von seiner Umwelt sollte man vorab fragen: Wer gehört dazu und wer nicht? Dann fällt uns auf, dass in einem System „Unternehmen“ zahlreiche Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] Untersysteme zu beobachten sind – häufig Teams oder Abteilungen, die sich sehr deutlich voneinander abgrenzen. In Organisationsprojekten stellt sich permanent die Frage nach der Kommunikation: Welche Kommunikation gehört zum System, welche gehört nicht dazu? Vergleichen wir eine Buchhaltung mit einer Entwicklungsabteilung, dann sehen wir in beiden Systemen vollkommen unterschiedliche Arten der Kommunikation, aber auch solche, die beide gemeinsam aus der Zugehörigkeit zum gleichen Unternehmen beziehen. In der Entwicklungsabteilung haben wir es viel mit Zeichnungen und Berechnungen zu tun, in der Buchhaltung mit Rechnungen, Freigaben und Buchungen. In beiden Abteilungen dürfte die Kommunikation über den Kantinenplan gemeinsam sein. Aber wie schafft ein Unternehmen eine gemeinsame Identität für alle Mitarbeiter? Über gemeinsame Themen für die Kommunikation. Prägung durch Muster Die Kommunikation in Organisationen ist zudem durch Muster geprägt. Kommunikationsmuster sind mehr oder weniger fest stehende Abläufe. Werden Rechnungen von der Buchführung auf Plausibilität geprüft und dann gezahlt? Oder gibt es eine Freigabe der Rechnung, bei der Papier durchs Haus wandert und abgezeichnet wird? Oder werden Rechnungen nur akzeptiert, wenn über eine Bestellanforderung eine Bestellung im ERP-­‐System ausgelöst wurde? In den meisten Organisationsprojekten geht es um die Prozesse als Kommunikationsmuster. Schließlich entscheidet sich an diesen wiederkehrenden Abläufen, ob das Unternehmen seine Leistungen effektiv und effizient erbringt und die Kunden glücklich werden. Prozesse werden analysiert, modelliert, simuliert und optimiert – der Begriff „Prozessmanagement“ legt nahe, man könne Prozesse von außen steuern. Hierin liegt ein Grundirrtum der Betriebswirtschaft. Die Muster der Kommunikation werden von Kommunikationsstrukturen geprägt. Solche Strukturen sind die Regeln und Instrumente, die zu festen Kommunikationsmustern führen. Eine klare Hierarchie zum Beispiel regelt, wer was entscheidet und wann eine Entscheidung gilt. Verfahrensanweisungen regeln, wie beispielsweise Rechnungen im Unternehmen zu behandeln sind. Softwaresysteme dienen dazu, die festgelegten Abläufe zu automatisieren und für eine Einhaltung von festen Regeln zu sorgen: Wenn das System keine Rechnung ohne Bestellanforderung (BANF) akzeptiert, wird auch keine Rechnung ohne BANF erfasst. Hierarchien, Regeln und Softwaresysteme sind hervorragende Instrumente, um Prozesse zu unterstützen. Sie erleichtern die Arbeit und schaffen Klarheit im Alltag. Aber es ist eine Illusion zu glauben, nur durch Aufstellen von Regeln oder Einführen einer Software diese Prozesse als Kommunikationsmuster zu verändern. Diese Illusion ist nach meiner Erfahrung die Hauptursache für gescheiterte IT-­‐Projekte. 2.2.
Prozessmanagement – Standardisierung von Prozessen Die meisten IT-­‐ und Organisationsprojekte zielen auf die Veränderung von Geschäftsprozessen ab. Wir sollten also verstehen, wie Prozesse in Systemen funktionieren. Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] Prozesse sind wie oben beschrieben wiederkehrende Kommunikationsmuster: Zur Erledigung bestimmter Aufgaben ist immer wieder ein ähnlicher oder identischer Ablauf zu beobachten. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben: -­‐
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Es existiert eine Anweisung für den feststehenden Ablauf. Es gibt eine Software, die diesen Ablauf so vorsieht und unterstützt. Es hat sich so entwickelt – „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Meiner Erfahrung nach ist die dritte Form der Musterbildung die stabilste: Sie funktioniert ohne weitere Aufmerksamkeit und meistens sind sich die Beteiligten des Prozesses dessen gar nicht bewusst. Wenn ein Sonderfall auftritt, reagieren die Mitarbeiter intuitiv und passen ihren Ablauf an. Anhand der aufgetretenen Ausnahmen entwickelt sich der Prozess organisch weiter: die Organisation lernt. Es ist ausgesprochen schwierig, einen solchen subtil vereinbarten Prozess gezielt zu verändern. Anweisungen sind häufig der Versuch, einen solchen „gewachsenen“ Prozess durch eine neue Vorgabe zu ersetzen. Die Erfolgsaussicht hängt von der Übung des Unternehmens ab, Prozesse per Anweisung umzusetzen. In vielen Unternehmen ist es bereits lange geübte Praxis, Prozesse zu dokumentieren und Veränderungen für Prozesse über die Dokumentation bekannt zu machen. Dort, wo diese Praxis noch nicht geübt ist, sind die Aussichten, einen gewachsenen Prozess per Anweisung zu verändern, gering. Viel häufiger beobachte ich dagegen die Situation, dass es klare Anweisungen für Prozesse gibt, die Praxis aber ihre eigenen „gewachsenen“ Wege geht. „Wir haben schon ein gutes Prozessmodell, aber die Prozesse werden nicht gelebt,“ höre ich in Projekten immer wieder. 2.3.
Das Konzept der losen und festen Koppelung Um diesen Konflikt zwischen gewachsenen und vereinbarten Prozessen zu verstehen, hilft das Konzept der Koppelung. Von einer festen Koppelung der Aktionen sprechen wir, wenn in einem System die möglichen Aktionen fest geregelt sind. Es gibt eine begrenzte Zahl möglicher Aktionen und dabei ist festgelegt, in welcher Form und Reihenfolge sie zu erledigen sind. Von einer festen Koppelung der Akteure sprechen wir, wenn die Zusammensetzung der handelnden Personen sehr stabil ist, zwischen den Akteuren also wenig Fluktuation herrscht. Ein Beispiel: Für den alltäglichen Kundenkontakt haben viele Unternehmen Service-­‐Zentren eingerichtet, wo Mitarbeiter am Telefon, per Mail oder über soziale Medien die wichtigsten Transaktionen abfangen. Anspruchsvollere Aufgaben geben die Mitarbeiter des Servicezentrums an andere Experten weiter. Die Koppelung der Aktionen ist also sehr fest – es sind nur vorgegebene Aktionen möglich und diese werden genau nach Anweisung erledigt. Im Gegensatz dazu ist die Koppelung der Akteure lose: Die Aufgaben sind mit einer gewissen Einarbeitung schnell von neuen Personen zu erledigen – und tatsächlich erleben Unternehmen in Servicezentren eine hohe Fluktuation. Häufig vergeben sie diese Aufgabe komplett an externe Dienstleister. Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] Ein gegenteiliges Beispiel Ein paar Studienfreunde haben nach dem Examen gemeinsam eine Marketingagentur gegründet. Hier machen sie alles, was mit Werbung, Kundendialog und Vertrieb zusammenhängt. Niemand kann sagen, welcher Auftrag folgt und welche Herausforderung er mitbringt. Das Team lebt davon, dass eigentlich jeder alles kann und sich keiner für irgendwas zu schade ist. Wir sehen hier eine sehr lose Koppelung von Aktionen – und diese Konstellation funktioniert nur, wenn sich die Partner blind aufeinander verlassen können. Die beiden Beispiele zeigen Pole eines Kontinuums von loser und fester Koppelung: Im einen Fall sind Aktionen sehr fest gekoppelt, dafür die Akteure lose gekoppelt, im anderen Fall ist es umgekehrt. Alle Organisationen bewegen sich in ihren Kommunikationsmustern zwischen diesen Polen. Der Zusammenhang ist als Regel zu beobachten: Die Koppelung von Akteuren und Aktionen ist komplementär. Der Zusammenhang ist für das Management von Geschäftsprozessen wichtig. Wenn ein Unternehmen mit hoher Fluktuation umgehen muss oder Aufgaben an externe Dienstleister vergeben will („Outsourcing“), dann muss es die Aktivitäten straffer regeln. Während ein eingespieltes Team mit vagen Anweisungen und wechselnden Vorgaben umgehen kann, funktioniert dieses Führungsprinzip nicht mit wechselnden Teammitgliedern. In dieser Form gehört der Zusammenhang zwischen loser und fester Koppelung schon zum Gemeingut des Prozessmanagements. Schließlich geht es bei Prozessen in der Regel um mehr Standardisierung, Dokumentation und Regulierung von Geschäftstätigkeiten. Das ist auch der Grund dafür, dass Standardisierung von Prozessen bei Mitarbeitern selten auf Gegenliebe stößt: Sie verlieren damit an Wissensvorsprung und werden austauschbar. Die Angst vor Zerschlagung des Teams oder dem Outsourcen der Aufgaben schwingt gleich mit. Fluktuation überwinden, mehr Stabilität In umgekehrter Denkrichtung ist der Zusammenhang aber noch wenig im Bewusstsein von Prozessmanagern: Wenn ich Fluktuation überwinden, also zu stabileren Zusammensetzungen von Personen kommen will, dann muss ich die Koppelung der Aktionen vermindern – das Gegenteil von Standardisierung. Hier beißt sich natürlich die Katze in den Schwanz: Auf der einen Seite brauchen wir höhere Standardisierung, um mit einer hohen Fluktuation umzugehen, auf der anderen Seite mehr Handlungsspielräume, Abwechslung und „Job Enrichment“, um die Fluktuation zu minimieren. Prozessmanager müssen mit diesem Paradoxon umgehen. Wieder anders sieht es aus, wenn das Ziel eine verbesserte Einhaltung von Regeln ist, um Qualitätsstandards zu erfüllen. Wer einmal versucht hat, in langjährig bestehenden Teams Qualitätsmanagement mit dokumentierten Prozessen einzuführen, wird erlebt haben, wie sehr die Beteiligten das Projekt als Fremdkörper empfinden. Da kommt ein Projektteam und malt irgendwelche Diagramme, die den Alltag repräsentieren sollen. Das Projekt läuft durch die Organisation, irgendwann werden die Prozessmodelle freigegeben – und das war’s dann. Abgesegnet und abgelegt. Der Alltag entwickelt sich weiter, neue Anforderungen treten auf, Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] der tatsächliche Prozess verändert sich „organisch“ – aber die abgelegten Prozessmodelle bleiben die Alten. Interessiert ja keinen. Man könnte meinen, solange es läuft, sei das halb so schlimm. Und tatsächlich ist es häufig so – das Qualitätsmanagement war am Ende eine unnütze Anstrengung, die viel Staub aufgewirbelt und noch mehr Papier produziert hat. Dann könnte man schlimmstenfalls den Aufwand bedauern. Meistens ist aber die Erwartung höher: Die Qualitätsoffensive soll eingeschliffene Nachlässigkeiten beseitigen, zu höherer Aufmerksamkeit im Alltag führen und verhindern, dass sich eine „passt schon“-­‐ Haltung nach und nach wieder einnistet. Dann geht es darum, die Koppelung von Aktionen nachhaltig zu festigen. Wer den Zusammenhang der Koppelung im Auge behält, weiß jetzt: Das muss einhergehen mit einer Lockerung der Koppelung der Akteure. Fluggesellschaften machen es vor: Damit sich im Cockpit keine Nachlässigkeiten beim Ablauf einschleichen, gibt es kaum feste Teams zwischen Pilot und Copilot. Die Personen wechseln regelmäßig und selten arbeitet man mehr als ein paar Tage mit derselben Person zusammen. Wem also an der Einhaltung von festen Regeln gelegen ist, sorgt für regelmäßigen Wechsel zwischen den Personen. Das muss nicht zu „Hire and Fire“ führen – Job Rotation innerhalb des Unternehmens hilft deutlich besser (und steigert das Wissenspotenzial des Unternehmens). 2.4.
Wie lernen Organisationen? Lernen heißt, die eigenen Verhaltensmuster zu ändern, um den notwendigen Austausch mit der Umwelt aufrechtzuerhalten. Es ist das gleiche Prinzip bei biologischen Arten, bei individuellen Personen und bei Organisationen: Funktioniert der notwendige Austausch (Stoffwechsel) mit der Umgebung nicht mehr, muss sich das System entwickeln. Die Entwicklung ist erfolgreich, wenn die Austauschbeziehung (wieder) hinreichend funktioniert. Hinreichend bedeutet übrigens: Es reicht für die Weiterexistenz des Systems aus. Biologische Systeme reagieren erst auf bereits eingetretene Änderungen, Individuen und Organisationen können herannahende Änderungen der Umwelt vorhersehen und sich proaktiv darauf einstellen. Für Unternehmen bedeutet das: Marktvorteile schaffen. In diesem evolutionären Lernverständnis sind einige Aspekte hervorzuheben: -­‐
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Lernen ist immer eine Veränderung von Verhaltensmustern Lernen erfolgt immer als Anpassung an veränderte Umwelten Systeme müssen Anpassungsbedarf wahrnehmen, um zu lernen Beim Lernen gibt es keine „Best Practices“ Lernen als Veränderung von Verhaltensmustern: Wenn Organisationen lernen, dann verändern sie Kommunikationsmuster. Für Unternehmen bedeutet das in der Regel veränderte Prozesse. Dieser Vorgang erfordert zwei Anstrengungen: Es geht nicht nur darum, einen neuen (besseren) Prozess zu etablieren und einzuüben. Viel schwieriger ist häufig, einen bereits eingeübten Prozess zu unterbrechen und zukünftig nicht mehr auszuführen. Lernen ist also notwendigerweise mit Vergessen gekoppelt. Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] Lernen als Anpassung an veränderte Bedingungen Der evolutionäre Zweck des Lernens ist die Anpassung an Umweltbedingungen. Wenn für Kunden neue Bedürfnisse wichtig werden, wenn Wettbewerber Kostenvorteile realisieren, wenn neue Zahlungswege verfügbar sind, müssen sich Unternehmen anpassen. Dazu müssen sie ihre Abläufe neu definieren, brauchen neue Software, müssen Produktionsprozesse verändern – kurz: Sie müssen lernen. Das leuchtet ein, aber ist auch der Umkehrschluss gleichermaßen präsent? Wenn es keinen Anpassungsbedarf gibt, lernen Systeme nicht. Erfolg ist die wirksamste Lernbehinderung. Wie wird der Anpassungsbedarf spürbar? Bei biologischen Systemen ist die Sache einfach – der Anpassungsbedarf wirkt unmittelbar und existenziell. Individuen oder soziale Systeme aber haben prinzipiell die Möglichkeit, Anpassungsbedarf frühzeitig wahrzunehmen und sich proaktiv anzupassen, bevor ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Hier stellt sich die Frage nach Wahrnehmung, Bewertung und Reaktion. Wahrnehmung von Anpassungsbedarf Organisationen können überhaupt nichts wahrnehmen – sie haben keine Augen oder Ohren. Die haben nur die Menschen, die in den Organisationen kommunizieren. Da Organisationen aus Kommunikation bestehen, nehmen sie also nur wahr, was in der Kommunikation ist. Es genügt nicht, dass alle sehen, wohin der Hase läuft – sie müssen es auch in die (offizielle) Kommunikation der Organisation bringen. Selbst wenn alle Mitarbeiter wahrnehmen, dass immer häufiger Kunden im sozialen Netz Unzufriedenheit äußern, dass die Produkte des Wettbewerbs reifer sind, dass das Unternehmen bei Ausschreibungen immer öfter „zweiter Sieger“ wird, dann hat das Unternehmen das noch nicht wahrgenommen. Auch nicht, wenn in der Kantine über nichts anderes mehr gesprochen wird. Solange in den entscheidenden Kommunikationskanälen (zum Beispiel in Management-­‐Meetings) niemand den Mund auftut, nimmt das Unternehmen nichts wahr. Für das Management ist es eine schwierige Aufgabe, die Wahrnehmung des Unternehmens richtig zu schärfen. Einerseits braucht es die Augen und Ohren der Mitarbeiter – also sind Kommunikationsstrukturen notwendig, um wichtige Beobachtungen einzubringen, andererseits kann ein Unternehmen nicht alle Wahrnehmungen gleichermaßen verarbeiten und wäre gelähmt, wenn jede persönliche Beobachtung gleich auf Management-­‐Ebene diskutiert würde. Organisationen brauchen also gleichermaßen Wahrnehmungskanäle und Wahrnehmungsfilter. Diese Kanäle und Filter steuern in der Regel, wer wann welche Wahrnehmung in die Unternehmenskommunikation bringen darf oder kann. Was auf diesen Kanälen nicht kommuniziert wird, ist für das Unternehmen nicht relevant. Will ein Projekt Veränderungen in der Organisation anstoßen, muss also der Anpassungsbedarf, das „Warum?“ in die Kommunikation kommen, damit die Leute bereit sind zu lernen. Projektmanager müssen zum einen den Veränderungsbedarf plausibel machen, zum anderen diese Beobachtung wirksam in die Kommunikation des Unternehmens bringen. Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] Mythos „Best Practice“ Zunächst ein Wort darüber, wie es NICHT geht: Organisationen verändern sich nicht, weil es irgendwo so genannte „Best Practices“ gibt. In der Kommunikation von Projekten und Veränderungen ist also der Rückgriff auf angeblich etablierte Praktiken (oft unterlegt mit geheimnisvollen angelsächsischen Kürzeln) vollkommen nutzlos. Denn solange in der Organisation nicht der dringende Bedarf zur Veränderung gemeinsam wahrgenommen wird, gibt es keinen Grund, die eigene Praxis an fremden Kriterien („benchmarks“) auszurichten. In der evolutionären Logik der Organisationsentwicklung kann es „Best Practice“ auch gar nicht geben. Denn jede „Best Practice“ zeigt nur, dass ein Unternehmen unter seinen Bedingungen mit dieser Praxis bis hierher überlebt hat. Mehr nicht. Niemand kann sagen, ob es mit anderen Prozessen besser gefahren wäre. Und niemand kann sagen, ob ein anderes Unternehmen unter den eigenen Bedingungen mit gleichen Prozessen überlebt hätte. In der Evolution wie im Markt zeigt das Überleben von Systemen nur, dass sie in der Lage waren, bis hierher zu überleben. Für den Zweck des Überlebens (und das ist der Zweck aller Systeme) ist das hinreichend. In der Evolution geht es nicht um „Survival of the Fittest“, sondern nur um „Survival of the Fit“. Lernen ist in dieser Logik nicht „Trial and Error“ sondern „Hunt and Stick“ – es gibt kein „richtig oder falsch“, sondern nur „passend oder nicht passend“. 2.5.
Praxis Projektmanagement Welche Bedeutung haben diese Erkenntnisse über Veränderungen in Organisationen für Projektmanager in Organisationsprojekten? Die wichtigste Auswirkung vorab: Als so genannter „Change Manager“ können Sie Veränderung nicht herbeiführen. Veränderung ist der Lernprozess einer Organisation – sie unterbricht dabei geübte Muster und etabliert neue. Dabei können Sie helfen. Mehr nicht. Projektziel und Anpassungsbedarf Aber auch nicht weniger. Eine wichtige Hilfe ist es, Anpassungsbedarf in die Kommunikation der Organisation zu bringen. Nur dann ist er wahrgenommen und nur dann kann die Organisation sich entwickeln. Was können Sie tun, um diesen Anpassungsbedarf zum Thema zu machen? Sie haben im Projektmanagement gelernt, eine Stakeholder-­‐Analyse zu machen: Da fragen Sie nach den Interessen an und um Ihr Projekt: Wer profitiert von dem Projekt, wer zahlt dafür, wer nutzt es, wer behindert das Projekt und so weiter. Diese Technik ist sehr wichtig, aber der Blickwinkel ist zu weiten: Fragen Sie nicht nach den Stakeholdern des Projektes, sondern nach denen des Unternehmens. Welche Marktbeziehung pflegt das Unternehmen mit Kunden, Lieferanten, Kapitalgebern, Mitarbeitern, Wettbewerbern, Behörden? Welche Veränderungen im Markt, Verbraucherverhalten, Technik, Wettbewerb, Demografie und Politik bedrohen diese Austauschbeziehung und welche Auswirkung hat das auf das Überleben des Unternehmens? Identifizieren Sie bestehende oder drohende Störungen im Verhältnis zum Markt – oder mögliche Chancen, dem Wettbewerb in dieser Beziehung zuvor zu kommen. Ein Projekt hat dann Aussicht auf Erfolg in der Organisation, wenn es sich als Antwort auf eine solche Chance oder Bedrohung begründen lässt. Sonst nicht. Wem also vom Management ein Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] neues Projekt auf den Tisch gelegt wird, der frage zuerst nach dem Bezug zu den Überlebensbedingungen des Unternehmens – und gebe nicht eher Ruhe, bis ihm dieser Zusammenhang klar wird. Für ein Projekt ist es besser, wenn es früh zu den Akten gelegt wird, als dass es in den Untiefen der Organisation jämmerlich verendet. Vorausschauende Projektmanager übernehmen keine Projekte, die keinen echten Lernbedarf des Unternehmens adressieren. Anpassungsbedarf kommunizieren Wenn Sie verstanden haben, auf welche Störung Ihr Unternehmen eine Antwort braucht, dann wollen Sie diese Herausforderung in die Unternehmenskommunikation bringen. Bevor Sie also Ihren Projektplan auf Power-­‐Point-­‐Folien pressen und damit von Sitzung zu Sitzung gehen, vergewissern Sie sich erst, bei welchen Leuten Ihr Thema überhaupt ein Thema ist. Oder wollen Sie am Ende der Präsentation von Kollegen hören, dass Ihr Projekt „ungeheuer spannend“ ist? (Diese Formulierung entpuppt sich meistens als Hinweis darauf, dass einem ein Thema gar nichts sagt.) Bedenken Sie außerdem die erstaunliche Pufferkompetenz von Organisationen. Wenn Menschen wahrnehmen, wie jede Woche „eine neue Sau durchs Dorf getrieben“ wird, lernen sie, Projektpräsentationen als eben diesen Treiberlärm zu erkennen und den Projektleiter als die getriebene Sau zu bemitleiden. Mitleid für Kollegen, die allein gelassen ein „ungeheuer spannendes“ Thema bearbeiten müssen, ist eine schlechte Basis für nachhaltige Unterstützung. Für Mitarbeiter ist es eine Form der Rauschminimierung, wenn sie bei Projektpräsentationen „auf Durchzug stellen“, wo sie keinen unmittelbaren Bezug zu ihrer Arbeit erkennen. Ohne dieses „Wegducken“ würden sie kaum dazu kommen, in Ruhe ihre Arbeit zu erledigen. Diese Pufferkompetenz wird zur Überlebenstaktik, wenn die Schlagzahl der Veränderungsprojekte zunimmt. Wer als Projektmanager Gehör bekommen will, kann daran verzweifeln. Welche Instrumente können helfen, die Organisation auf die Veränderungen aus dem eigenen Projekt einzustimmen? Aus oben beschriebenen Gründen ist eine Präsentation Ihres Projektplans keine gute Idee. Zuhören ist eine bessere Alternative. Versammeln Sie die betroffenen Kolleginnen und Kollegen (Ihre Stakeholder) zu einem Treffen und sammeln Sie gemeinsam das Wissen über die Umwelt und Ihren Prozess. Schildern Sie kurz, um welches Thema (welchen Prozess, welche Applikation, welche Kunden etc.) es geht und sammeln Sie dann auf Moderationswänden die wesentlichen Erwartungen der relevanten Personen an Ihr Unternehmen (in Bezug auf dieses Thema). Vielleicht wollen Sie vorher bereits die in Frage kommenden Umwelten auf die Moderationswände bringen und sammeln in der Moderation nur die Erwartungen. Wichtig ist, dass die Abhängigkeit Ihres Unternehmens von den erfüllten Erwartungen anderer (meist der Kunden) in den Vordergrund rückt. Im nächsten Schritt diskutieren Sie mit Ihren Projektstakeholdern, was die Beziehungen zu den Umwelten (Kunden) so stören könnte, dass deren Erwartungen enttäuscht wären. Welche Auswirkung hätte das für das Unternehmen? Was müsste passieren, damit die Kunden unzufrieden sind? Alternativ hilft auch die Frage: Was passiert, wenn wir so weitermachen wie wir es jetzt tun? (Was passiert, wenn nichts passiert?). Wenn Sie aus diesen Diskussionen die Rückmeldung mitnehmen, dass eigentlich alles in Butter ist und Veränderungen gar nicht Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] notwendig – dann seien Sie dankbar für diese Rückmeldung und starten Sie noch einmal von vorn: Ihre Organisation hat keinen Anpassungsbedarf wahrgenommen, also gibt es auch keinen. Veränderung wird scheitern. Vielleicht haben Sie nicht die relevanten Umwelten identifiziert, vielleicht haben Sie deren Erwartungen nicht erkannt – vielleicht haben aber auch Ihre Kollegen einfach recht. Stur weitermachen ist hier jedenfalls die falsche Lösung. In der Regel ist aber der Anpassungsbedarf bereits mehr oder weniger bewusst – häufig nur noch nicht ausgesprochen. Mit Ihrer Moderation gelingt es Ihnen, diesen Bedarf in die Kommunikation zu bringen. Das was in verschiedenen Arbeitsgruppen herausgearbeitet wurde, können Sie auch Projektauftraggebern oder Geschäftsführern zurückspiegeln. Sie unterstreichen damit, dass der Veränderungsbedarf in der Organisation angekommen ist. Weitere nützliche Frageszenarien für Veränderungsmoderationen: Was muss passieren, damit nichts passiert? Fragen Sie nach den Bedingungen, Faktoren und Kräften, die eine Veränderung tendenziell behindern. Diese Beharrungskräfte stehen für wichtige Werte im Unternehmen (Werte sind das was ich bewahren will). Identifizieren Sie diese Werte und die Menschen, die sie im Unternehmen vertreten. Suchen Sie das Gespräch mit diesen Personen. Was muss in jedem Fall bleiben wie es ist? Die Frage nach Veränderung ruft immer die Angst vor dem Verlust von Werten auf den Plan. Indem Sie diese Werte in der Moderation sammeln, machen Sie sich bewusst, was in der Organisation alles als Wert empfunden wird. Wenn Sie mit Ihrem Projekt gerade eine Reihe dieser Werte zur Tür hinauskehren wollen, sollten Sie wissen, welchen Stellenwert diese Dinge im Unternehmen haben. Die Frage nach der Bewahrung von Werten dient auch zur Verschiebung der Wahrnehmung in der Organisation. Wenn Sie deutlich machen, wie viele Dinge, Abläufe, Zuständigkeiten, Besitzstände und Werte unverändert bleiben, wirken Sie der Wahrnehmung entgegen, dass „alles anders wird“ – nur weil Sie eine Software zur Kundendatenverwaltung einführen wollen. Fragen Sie auch direkt nach den Verlierern Ihrer Veränderungen. Wer profitiert davon, dass alles so bleibt wie es ist? Wahrscheinlich sind es die selben Personen, die Sie über die Frage nach den Beharrungskräften identifiziert haben. Jede Veränderung bringt Verlierer mit sich. Überlegen Sie, wo der verborgene Nutzen für diesen Kreis sein kann und welchen „Kuhhandel“ Sie einfädeln können. Viele gute Lösungen basieren auf faulen Kompromissen. Alle diese Frageszenarien für Moderationen im Kreis der Betroffenen adressieren noch nicht die von Ihnen betriebene Lösung. Es geht nur darum, Veränderung gegenüber dem Status quo plausibel zu machen. Erst danach macht eine Diskussion über Lösungen Sinn. Die beste Chance auf eine Umsetzung von Veränderung in Organisationen erreichen wir, wenn die betroffenen Teams in das Design einer Lösung eingebunden sind. Das ist nicht immer möglich – häufig werden Projektmanager ausdrücklich beauftragt, eine bestimmte vorgegebene Lösung umzusetzen. Sie trauen sich dann oft nicht, den Lösungsweg noch einmal zur Diskussion zu stellen – aus Angst um die Akzeptanz ihrer „vorgefertigten“ Lösung. Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
Frankenstraße 150 b | 90461 Nürnberg | T. +49.911.23985120 | [email protected] Auch die fertige „von oben“ vorgegebene Lösung entbindet uns nicht von der Aufgabe, wie oben beschrieben zunächst den Anpassungsbedarf in der Organisation zu entwickeln. Vor dem Hintergrund dieses Anpassungsbedarfs können Sie Ihr Projekt als Lösungsauftrag vorstellen. Je nachdem, wie offen die Lösung noch für weitere Ausgestaltung ist, binden Sie die beteiligten Teams in das Design ein. Dr. Rainer Feldbrügge Organisationsberatung
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