Mit einer WIR-Werkstatt gemeinsam das Schulklima verbessern Nach den Sommerferien 2016 findet ein großes, höchst ungewöhnliches Projekt an der Ludwig-ThomaRealschüle in München statt, die WIR-Werkstatt. Drei Tage lang soll geplant, gebastelt und gebaut, ausgedacht und ausprobiert, verschönert und verbessert werden, was sich jetzt im Schulalltag als störend erweist. Mit diesem Weg einer partizipativen Verbesserung des Schulklimas gehen die Ludwig-ThomaRealschule in enger Kooperation mit dem Büro der Kinderbeauftragten der Landeshauptstadt München gemeinsam einen besonderen Weg. Dies erfordert Mut, viel Phantasie, ungewöhnliche Formen der Zusammenarbeit – und großes Engagement von allen Seiten! „Jüngere sind pausenlos frech!“ Donnerstag in einer der 9. Klassen. Vorbereitungsphase I der WIR-Werkstatt in der Ludwig-ThomaRealschule. Die Schülerinnen erarbeiten, was sich an ihrer Schule verbessern soll. Ihre Themen reichen von besserem Mensa-Essen, mehr Chillmöglichkeiten in und um die Schule, einer besseren Ausbildung für die Schulsanitäter bis hin zu mehr musikalischen und sportlichen Angeboten. In einem sind sich die Heranwachsenden schnell einig: „Jüngere sind pausenlos frech!“ - und dies ist ihrer Meinung nach mit verantwortlich für das Schulklima. Befragt, wie sie zu dieser Einschätzung kommen, erzählen sie, wie sie als Tutorinnen für die Sechsklässler spannende Angebote machen und die „Jüngeren“ gerne unterstützen wollten. Doch sie scheiterten - nach eigenem Bekunden - an den fehlenden Manieren und dem Betragen ihrer Schützlinge, fühlten sich überfordert. Das möchten sie in der WIR-Werkstatt nun verbessern, und ihren Beitrag dazu leisten, das Klima an ihrer Schule zu verbessern. Ihre Idee: ein Benimm-Workshop für die Jüngeren. Dabei wollen sie von Profis wie Lehrkräften, älteren Schüler*innen und Polizisten (!) unterstützt werden. Die Jüngeren sollen gutes Benehmen lernen, damit man mit ihnen überhaupt etwas unternehmen kann. Und die Neuntklässler wollen lernen, wie man in schwierigen Situationen gut reagieren und nötigenfalls intervenieren kann. - So weit. So gut. Wenig später der Vorbereitungsworkshop der Sechstklässler. Auch sie sammeln ihre Themen für die WIRWerkstatt. Eine Gruppe schlägt vor: Wir wollen mehr Tutorenangebote! Große Zustimmung der ganzen Klasse. Also machen sich vier Jungen an die Ausarbeitung ihrer Idee. Heraus kam jedoch keine Planung für einen Workshop, sondern das wohl überraschendste Ergebnis der Vorbereitungen für die WIR-Werkstatt: eine Entschuldigung der Sechstklässler bei den Neunklässlern. Verbunden mit dem dringenden Appell, ihnen doch bitte noch eine zweite Chance zu geben. „Wir brauchen Eure Unterstützung!“ steht auf ihrem Plakat. Und so, wie die Schüler*innen ihr Anliegen vortrugen, sind sowohl Entschuldigung als auch Bitte sehr ernst gemeint. Nun müssen nur noch die Tutorinnen aus der 9. Klasse davon erfahren ... Solche und ähnliche mutmachende Geschichten passierten mehrfach im Rahmen der intensiven Vorbereitungen zur WIR-Werkstatt. Warum eine WIR-Werkstatt und was ist das überhaupt? Die Idee zur WIR-Werkstatt entstand in der Zusammenarbeit mit Schulleitung und Schulforum der LudwigThoma-Realschule. Auslöser waren die sogenannte Schulklima-Befragung der Stadt München und eine Initiative von Eltern und Schüler*innen, die sich an das Büro der Kinderbeauftragten gewandt hatten. Der Bedarf nach Veränderungen war offensichtlich. Gemeinsam - das heißt demokratisch, partzipativ und wertschätzend – wird seit Beginn des Schuljahres 2015/2016 nach Ideen und Lösungsvorschlägen für Störungen im Schulklima gesucht – um diese dann mit Beginn des neuen Schuljahres gemeinsam zu realisieren oder auf den Weg zu bringen. Ein großes Vorhaben, an dem rund 700 Menschen mitwirken werden: Schüler*innen genauso wie Eltern und Lehrkräfte, die Schulleitung, aber auch alle anderen Erwachsenen, die an der Schule arbeiten. WIR-Werkstatt - vom Plan zur konkreten Umsetzung Gleich nach den Sommerferien soll in rund 45 Workshops drei Tage lang konkret an der Verbesserung des Schulklimas gearbeitet werden. Von Mittwoch bis Freitag, 14.-16. September 2016, widmen sich SchülerInnen, Lehrkäfte und Eltern all den Themen, die vorher erarbeitet wurden. Unterstützt werden sie von externen Partnern, aber auch Lehrkräfte, Eltern, Schulpsychologinnen und Schüler*innen können Workshops anbieten. Die aktuellen Themen in der Ludwig-Thoma-Realschule wurden in kleinen Vorbereitungsrunden erarbeitet, Klasse für Klasse. Die Lehrkräfte hatten eigene Vorbereitungsgruppen, ihre Perspektive auf Verbesserungspotentiale ist besonders wichtig. Kinder, Jugendliche, Lehrkräfte und Schulleitung begegnen sich in der WIR-Werkstatt in den thematischen Workshops. Gemeinsam und auf Augenhöhe arbeitet jede/r an dem Thema, das ihm oder ihr am wichtigsten ist. So sollen konkret zum Beispiel die Container verschönert, der Schulhof anregungsreicher gestaltet, die Mensa als gemütlicher Aufenthaltsort mit mit Auswahlmöglichkeiten aufgewertet werden. Oder das Verhältnis von Schüler*innen untereinander bzw. das Verhältnis zwischen Schüler*innen und Lehrkräften im gemeinsamen Dialog verbessert werden. Auch die Schulregeln sollen überprüft und vielleicht ein neuer Schulkodex erarbeitet werden oder die Ausbildung der Schulsanitäter bedrafsgerechter werden. Immer gemeinsam, zumeist altersübergreifend. Da, wo es Sinn macht, können auch Lehrkräfte unter sich bleiben. Oder nur Schüler*innen an „ihren“ Themen arbeiten. So wünschen sich beispielsweise Lehrkräfte einen Workshop zum Thema „Inklusion – was bedeutet dies im pädagogischen Alltag der Lehrkräfte in der LTR“. Während Schüler*innen zum Beispiel gerne in Eigeninitiative ihr Schüler- Café verbessern wollen. Und für die neuen Fünftklässler soll es ein eigenes Programm während der WIR-Werkstatt geben, damit ihr Start in der neuen Schule leichter fällt und sie gut ankommen können. Darin werden selbstverständlich auch die künftigen Tutor*innen aus der 9. Klasse von Anfang an mit eingebunden ... Erste Erkenntnisse - der Blick von außen Nach Abschluss der ersten Vorbereitungsphase tun sich einige übergeordnete Themen auf, die auch politisch bedeutsam sind: Den ganzen Tag in der Schule: Dafür braucht es (auch) kind- und jugendgerechtere Rahmenbedingungen! Dazu gehören zum Beispiel: – Kinder- und jugendgerechte Zeitplanungen, die nicht nur für abwechslungsreiches Lernen gut sind, sondern auch Zeiten zum Spielen, Bewegen, Entspannen, Essen und andere Formen des sozialen Miteinanders ermöglichen. – Die Schulumgebung einschließlich der Pausenhöfe muss so gestaltet sein, dass sie für alle einen angenehmen und anregungsreichen Ausgleich zum Lernen durch aktive Pausen bieten. – Ähnliches gilt für das Schulgebäude und die Klassenräume insgesamt. – Sauberkeit und ästhetische Qualität tragen wesentlich zum Wohlfühlen und somit auch zu einem besseren Schulklima bei. – Essen und Trinken werden häufig eher aus der Erwachsenen-Perspektive konzipiert. Auch wenn die dahinter stehenden pädagogischen und ernährungswissenschaftlichen Konzepte stimmig und gesundheitsfördernd sind, so ist dennoch wichtig, die Schüler*innen-Perspektive ebenfalls zu berücksichtigen, was auch bedeutet, manchmal auf besondere Wünsche und Vorlieben einzugehen. – Wer den ganzen Tag an der Schule ist, hat kaum noch freie Zeit. Deshalb wünschen sich viele Schüler*innen mehr Freizeitangebote in der Schule, die ihnen Spaß machen und die außersculisches Lernen ermöglichen - wie zum Beispiel Möglichkeiten, ein Instrument zu erlernen, ungewöhnliche Sportarten auszuprobieren oder einfach nur mal zu chillen, Musik zu hören und mit Schulfreunden zu entspannen. – Durch die Ganztagsschule entwickeln sich aber auch neue Herausforderungen für Politik und Stadtverwaltung. Erwähnt sei beispielsweise, wie sehr sich die Schüler*innen wünschen, sich mit Freundinnen und Freunden auf Spiel- und Freizeitflächen treffen können. In der dunklen Jahreszeit braucht es deshalb aus ihrer Sicht beleuchtete Orte im Freien. Schüler*innen wie Lehrkräfte sind sich einig: Regeln sind wichtig! Aber: Sie müssen für Kinder sinnvoll und nachvollziehbar sein! Weniger ist – so die Sicht der Schüler*innen oft mehr. Dies gilt auch für disziplinarische Konsequenzen bei Fehlverhalten. Gerechtigkeit und gegenseitiger Respekt sind große Themen – sowohl für die Schüler*innen als auch für die Lehrkräfte der LTR ! Der Umgangston insgesamt ist durchaus noch verbesserbar. Und noch eine wichtige, wenn auch keine neue Erkenntnis: Lehrkräfte brauchen gute Rahmenbedingungen und manchmal auch ein besseres Miteinander für gutes Arbeiten! Wenn ihnen die Arbeit Freude macht, geht es auch den Schüler*innen gut. Und die Eltern? Wie können sie besser ins Boot geholt werden? Damit der Erziehungsauftrag in der Familie mit dem pädagogischen Wirken der Schule gut abgestimmt werden kann. Aktuelle Planungen Jetzt gilt es, bis zum Ende der Sommerferien 45 und mehr Workshops der WIR-Werkstatt konkret zu planen und zu organisieren. Dieser Prozess wird gestaltet von der Lenkungsgruppe der WIR-Werkstatt, die sich aus Schulleitung, Lehrkräften, Psychologischem Dienst, Eltern und dem Büro der Kinderbeauftragten zusammen setzt. Keine einfache Aufgabe, aber eine, die sich sicher lohnen wird! Angebote für Hilfe und tatkräftige Unterstützung – egal von welcher Seite – werden gerne noch angenommen! Die ursprüngliche Planung, in der Lenkungsgruppe auch mit Schüler*innen zusammen zu arbeiten, hat sich leider nicht bewährt. Die Heranwachsenden sollen jetzt über eine Begleitgruppe engagierter Schüler*innen verstärkt wieder mit ins Boot geholt werden. Rückenwind durch WIR-Werkstatt: erste Ergebnisse und Erfolge Kriterien, wann die WIR-Werkstatt als Erfolg zu werten ist, legte die Lenkungsgruppe gemeinsam fest. Doch schon vor der eigentlichen WIR-Werkstatt gibt es einzelne Erfolge und positive Entwicklungen. Bewegung im Schulklima ist spürbar: So werden einzelne Themen schon vor der WIR-Werkstatt aufgegriffen und im Unterricht behandelt, wie beispielsweise ein „Benimm- und Höflichkeits-Kurs“. An anderen Stellen tragen jahrelange Bemühungen des Elternbeirats und der Schulleitung endlich Früchte: So wurden beispielsweise der Bewegungs-Parcour und ein direkter Weg zu den Containern bis Ende der Sommerferien von den Verantwortlichen in Aussicht gestellt. „Verweigerer“ wollen ab sofort aktiv in Schülergruppe mitmachen Manchmal sind es auch die ganz kleinen Bewegungen, die Mut machen. Zurück zur Vorbereitungsphase mit den Schüler*innen: Große Startschwierigkeiten in einer 6. Klasse. Als ihre kleine Zukunftswerkstatt starten sollte, waren acht der Schüler partout nicht zu Ruhe und Mitarbeit zu bewegen. Mehrere Versuche liefen ins Leere, Action ebenso wie Entspannungsübungen. Der Rest der Klasse? Gespannt und aufmerksam, neugierig, auf das, was da kommen sollte. Also wurden alle Schüler*innen vor die Wahl gestellt: in die Pause gehen oder an den Vorbereitungen zur WIR-Werkstatt teilnehmen? Für die acht quirligen Schüler war sofort klar: Pause! Die Mehrheit der Schüler*innen jedoch blieb und arbeitet engagiert und phantasievoll mit. Doch was tun, mit den Schüler*innen, die sich der Mitarbeit verweigerten? Ihre Meinungen und Anliegen ignorieren? Darauf hoffen, dass sie irgendwie irgendwann schon noch zu gewinnen sein werden? Sie gar vom weiteren Beteiligungsprozess ausschließen? Partizipation heißt nicht: „Kinder an die Macht!“ „Partizipation“, so Richard Schröder in seinem Definitionsversuch, „heißt, Entscheidungen, die das eigene Leben und das Leben der Gemeinschaft betreffen, zu teilen, und gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden.“ (Vergl.: Richard Schröder (1995): Kinder reden mit! Beteiligung an Politik, Stadtplanung und Stadtgestaltung, Weinheim/Basel, S. 14) Dieser Definition und den Qualitätsstandards für Partizipation fühlt sich das Büro der Kinderbeauftragten verpflichtet. Also nach den Ursachen und einer möglichen einer Lösung suchen: Die Schüler wurden ein zweites Mal um ihre Mitarbeit gebeten. Dieses Mal in kleiner Runde. Nach anfänglichem Motzen und Meckern war klar, dass ihre Meinung tatsächlich gefragt ist und dass sie ernst genommen wird. Von diesem Moment an, war es, als würde eine Art „Schalter“ umgelegt: Die Schüler entwarfen nun eigene Plakate und Knetinstallationen zu „ihren“ Themen. Es herrschte emsige Unruhe, die Ideen sprudelten. Intensiv, ernsthaft und mit viel Spaß waren sie bei der Sache, aber durchaus auch sehr kritisch. Es ging um Gerechtigkeit, um den Sinn und Unsinn von Regeln und Strafen, um ihren eigenen Part in Konflikten, und wie sich dieses verbessern ließe … Anrührend, was einer der Schüler in der abschließenden Feedbackrunde sagte: „Ich dachte, bei der WIRWerkstatt wird wieder nur auf uns herumgehackt. Und wir wieder angemotzt. Aber wenn uns jemand echt mal zuhört und wenn sich echt was ändern wird, dann mache ich mit!“. - Sogar für die Vorbereitungsgruppe engagierter Schüler*innen meldeten sich drei der Jungen an. Mehr Ansporn und gleichzeitig Verpflichtung, die WIR-Werkstatt vom 14. bis 16. September 2016 gemeinsam erfolgeich (=folgenreich) zu gestalten, kann es nicht geben! Weitere Informationen und Möglichkeiten, sich zu engagieren: Kinderbeauftragte der Landeshauptstadt München Telefon: 089/233-20199 [email protected] www.muenchen.de/kinderbeauftragte
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