Amoklauf in München: Opferschutz missachtet

Berlin, 16.09.2016
PRESSEINFORMATION
Amoklauf in München: Opferschutz missachtet
Der Deutsche Presserat hat auf seinen Beschwerdeausschuss-Sitzungen am
13. und 15. September 2016 wegen schwerer Verstöße gegen den Pressekodex insgesamt
drei öffentliche Rügen ausgesprochen. Prominente Themen waren die Berichterstattungen über
den Amoklauf in München und die Terroranschläge von Würzburg, Istanbul und Nizza.
Amoklauf in München
Es lagen fünf Beschwerden über die Berichterstattung zum Amoklauf in München vor. Diese
richteten sich gegen Print- und Online-Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften und bezogen
sich auf die identifizierbare Darstellung des Täters und von Opfern.
BILD AM SONNTAG erhielt eine Rüge für die Berichterstattung „Wurden sie in den Tod
gelockt?“ Zu sehen war eine Bildergalerie mit Porträtfotos von Opfern. Eine weitere Rüge erhielt
BILD Online für den Beitrag „Das sind die Opfer des Amoklaufs“, der ebenfalls Opferbilder
enthielt. Der Ausschuss kritisierte, dass beide Veröffentlichungen Fotos zeigten, die ohne
Einwilligung der Hinterbliebenen veröffentlicht worden waren. Einige Opfer waren minderjährig.
Es handelt sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen Richtlinie 8.2. des Kodex, nach der
die Identität von Opfern besonders zu schützen ist. Die Hinterbliebenen der Verstorbenen
sollten nicht unvermittelt mit Fotos ihrer toten Angehörigen konfrontiert werden. „Nicht alles, was
in sozialen Netzwerken verfügbar ist, darf auch ohne Einschränkung veröffentlicht werden. Die
eigene Darstellung, z. B. in einem Facebook-Profil, bedeutet nicht zwingend eine
Medienöffentlichkeit“, sagte die Vorsitzende des Ausschusses 2, Katrin Saft.
Als zulässig hingegen bewertete der Ausschuss die Darstellung des Täters mit Name und Foto.
Die Tat in München hatte ein großes öffentliches Interesse ausgelöst und Fragen nach dem
Motiv und nach den Hintergründen der Tat aufgeworfen. Das öffentliche Interesse am Täter ist
höher zu bewerten als der Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des Kodex, die Darstellung
war presseethisch akzeptabel, urteilte der Beschwerdeausschuss.
Terroranschläge Würzburg, Nizza, Istanbul
Identifizierende Angaben zum Täter waren auch der Grund für drei Beschwerden gegen die
Online-Ausgaben von Zeitungen zur Berichterstattung über die Attacke in einem Regionalzug in
Würzburg. Die Darstellung mit Name und Foto hielt der Ausschuss aufgrund des großen
öffentlichen Interesses an der Tat und den damit verbundenen politischen Zusammenhängen
für zulässig.
Gegen die Berichterstattung über den Terroranschlag am Flughafen in Istanbul lagen ebenfalls
zwei Beschwerden vor. Diese richteten sich gegen die Online-Ausgaben einer Zeitschrift und
einer Zeitung. Presseethisch zulässig waren aus Sicht des Ausschusses Fotos, die die
dramatische Gesamtszenerie am Flughafen zeigten – zu sehen waren auch Leichen aus der
Distanz. Diese Bilder dokumentieren die schreckliche Realität dessen, was sich ereignet hat,
überschreiten jedoch nicht die Grenze zur Sensationsberichterstattung, urteilte der Ausschuss.
Missbilligt wurde jedoch die Online-Ausgabe einer Zeitung, weil sie zwei Aufnahmen zeigte, auf
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denen verletzte Kinder identifizierbar und in Nahaufnahme zu sehen waren. Diese Fotos
missachten den Opferschutz.
Berichterstattungen über die LKW-Attacke an der Promenade in Nizza beschäftigten den
Ausschuss ebenfalls. Diskutiert wurde die Beschwerde gegen ein Foto in einer Tageszeitung,
das Leichen auf dem Asphalt zeigte, fotografiert aus der Distanz. Die Grenze zur
Sensationsberichterstattung wird nicht überschritten, urteilte der Ausschuss. Das Foto
dokumentiert die schrecklichen Folgen der Attacke. Auch ein Augenzeugen-Video mit Szenen
des Unfallhergangs hielt der Ausschuss für noch akzeptabel. Es handelt sich zwar um
schockierende Eindrücke, Menschen werden jedoch nicht zum Objekt herabgewürdigt oder
Persönlichkeitsrechte verletzt, so der Ausschuss. Das Video erschien in der Online-Ausgabe
einer Tageszeitung.
Video zeigt Messerattacke – Darstellung unangemessen sensationell
Für die Veröffentlichung eines Videos einer Messer-Attacke in einem Dortmunder Kaufhaus
erteilte der Beschwerdeausschuss BILD Online eine öffentliche Rüge wegen eines Verstoßes
gegen die Ziffer 11 des Pressekodex. Der Beitrag unter der Überschrift „Brutale Messerattacke
auf Video aufgenommen“ zeigt den Handymitschnitt eines Passanten, auf dem das Opfer zu
sehen ist, wie es mit einem Messer im Rücken blutend auf dem Boden liegt. Diese Passage
wurde sogar mehrfach wiederholt. Im Hintergrund sind die Schreie einer Frau zu hören. Die
Berichterstattung hält der Beschwerdeausschuss für eine unangemessen sensationelle
Darstellung von Gewalt.
Neue Mitglieder
Der Presserat hat neue Mitglieder in seine Beschwerdeausschüsse gewählt. Neues Mitglied im
Beschwerdeausschuss 3 ist Inken Boyens (Verlegerin Dithmarscher Landeszeitung). Sie
vertritt den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Neues Mitglied im
Beschwerdeausschuss 1 ist Dr. Kirsten von Hutten, Justiziarin von Gruner + Jahr. Sie vertritt
den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger. Ebenfalls neu in Beschwerdeausschuss 1 ist
Adrian Schimpf, Leiter Personal und Recht der Mediengruppe Madsack. Er vertritt den BDZV.
Statistik
Die Ergebnisse: 3 öffentliche Rügen, 12 Missbilligungen und 32 Hinweise. 5 Beschwerden
wurden als begründet bewertet, auf eine Maßnahme wurde jedoch verzichtet, 61 Beschwerden
wurden als unbegründet erachtet.
Ansprechpartnerin für die Presse: Edda Eick, Tel. 030-367007-13 [email protected]
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