SWR2 Tagesgespräch

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Boris Palmer (Grüne), Oberbürgermeister von Tübingen,
gab heute, 16.09.16, dem Südwestrundfunk ein Interview
zum Thema:
„Grundsteinlegung für Tiefbahnhof Stuttgart 21“.
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marie Gediehn.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
16.09.2016
Boris Palmer zu Grundsteinlegung S21: "kein Feierzwang"
Baden-Baden: Vor der heutigen Grundsteinlegung für den umstrittenen Tiefbahnhof Stuttgart 21
hat der Grünen-Politiker Boris Palmer seine Ablehnung bekräftigt. Im SWR-Tagesgespräch
sagte der Tübinger Oberbürgermeister, das Projekt koste mittlerweile mehr, als er selbst
behauptet habe. Und es stehe dafür ein ziemlich geringer Gegenwert, "im schlimmsten Fall
sogar eine Verschlechterung für den Bahnverkehr, das werden wir dann im Real-Verkehr
sehen".
Aber, so Palmer, "man macht in der Demokratie auch mal Dinge, die halt so beschlossen sind,
von der Mehrheit so entschieden wurden, aus welchen Gründen auch immer. Was richtig und
falsch ist, weiß man manchmal erst nachher". Einen Feierzwang gebe es nicht: Das man das
machen müsse, aber nicht aus Euphorie, sondern aus demokratischer Verpflichtung sei für
viele schwer nachvollziehbar.
Er selbst, so Palmer, habe auch eine Einladung bekommen und überlegt, „aber das kann man
nur falsch machen, geht man hin, heißt es, sind ja Heuchler, die waren dagegen, und jetzt
lassen sie sich auch noch auf die Feier für die Grundsteinlegung einladen. Geht man nicht hin
heißt es, die haben den Frieden mit dem Projekt nicht gemacht. Ich finde, in der Summe ist es
besser, diejenigen die Feier machen zu lassen, die auch immer für das Projekt gewesen sind.
Und dann nicht so zu tun, als würde man in Sektlaune dabeistehen".
Grundsätzlich hätten die Proteste gegen S 21 aber etwas verändert, sagte Palmer: „Wenn man
in Verwaltungen tätig ist, dann merkt man, dass frühzeitige Bürgerbeteiligung, das Einbeziehen
von Alternativen, die Diskussion mit der Bürgerschaft stark zugenommen hat, dass das an
Bedeutung gewonnen hat und das halte ich auch für den großen Erkenntnisfortschritt aus
diesen Fehlern der Vergangenheit, insbesondere die Verweigerung des Bürgerentscheids in
Stuttgart hat viel von der Wut produziert, die bis heute anhält. Das würde man heute nicht mehr
so machen."
Die von den S-21 Gegnern zuletzt wieder ins Spiel gebrachte Alternative, die Modernisierung
des Kopfbahnhofes, sei, so Palmer, inhaltlich schon realistisch, „politisch kann ich es mir nicht
vorstellen. Entscheidungen in der Politik sind irgendwann kaum noch revidierbar. Und
deswegen vermute ich, dass das Projekt zu Ende gebaut wird. Es sei denn, es käme zu wirklich
katastrophalen technischen Schwierigkeiten, die ich nun wirklich niemandem wünsche.“
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Gediehn: Gerade im Juli hatten noch mal mehrere tausend Menschen gegen S21 jetzt
demonstriert und auch wieder die Modernisierung des Kopfbahnhofs ins Spiel gebracht.
Ist das im Jahr 2016, am Tag der Grundsteinlegung, noch realistisch?
Palmer: Inhaltlich ist es schon realistisch, politisch kann ich es mir nicht vorstellen.
Entscheidungen in der Politik sind irgendwann kaum noch revidierbar. Und deswegen vermute
ich, dass das Projekt zu Ende gebaut wird. Es sei denn, es käme zu wirklich katastrophalen,
technischen Schwierigkeiten, die ich nun wirklich niemand wünsche.
Gediehn: Knapp 20 der 59 Tunnelkilometer beispielsweise in Stuttgart sind bereits
gegraben oder vorangetrieben, die Proteste auch eigentlich wieder leiser geworden. Was
können diese Bürger realistischerweise noch erreichen, diese Proteste?
Palmer: ich glaube, sie haben schon sehr viel erreicht. Sie haben den ersten Volksentscheidg
im Land erreicht. Sie haben eine große Debatte über Bürgerbeteiligung erreicht. Manchmal ist
es so, dass man das eigentliche Ziel, das inhaltliche Ziel dann doch nicht erreicht und ich
fürchte, hier ist so ein Fall. Ich nehme nicht an, dass es dazu kommt, dass dieser Bahnhof nicht
mehr gebaut wird. Aber möglicherweise ist es noch möglich, den Stadtteil in Stuttgart positiv zu
beeinflussen. Möglicherweise ist auch der Bahnverkehr, die S-Bahn, da ist ja noch viel zu tun,
durch Ergänzungsbauten noch zu verbessern. Für die Zukunft kann man sich schon noch was
vornehmen.
Gediehn: Sie haben schon vor Jahren gesagt, S21 bleibt ein Fehler, aber den müssen wir
jetzt machen. Ist das also noch aktuell in diesem September?
Palmer: Ich glaube ja. Ich halte es weiterhin für einen schweren Fehler, viel zu teuer. Das
Projekt kostet ja mittlerweile mehr als selbst ich behauptet habe, wurde halt erst nachher
zugegeben. Und es steht dafür ein ziemlich geringer Gegenwert, im schlimmsten Fall sogar
eine Verschlechterung für den Bahnverkehr. Das werden wir dann im Realbetrieb sehen. Und
deswegen meine ich, es ist ein Fehler. Aber man macht in der Demokratie auch mal Dinge, die
eben halt so beschlossen sind, von der Mehrheit so entschieden wurden, aus welchen Gründen
auch immer. Was richtig und falsch ist, weiß man manchmal erst nachher.
Gediehn: Sie haben die Kosten gerade angesprochen. S21 ist auch zwei Jahre in etwa im
Bauplanungsverzug. Was macht Ihnen mehr zu schaffen, der Zeitplan oder die Kosten?
Palmer: Der Zeitplan ist für die Stadt Stuttgart dramatisch. Für den Rest des Landes eher nicht.
Da sind die Kosten entscheidend und deswegen wird es auch so wichtig sein, dass diese
Mehrkosten von denen getragen werden, die immer behauptet haben, sie hätten die Kosten im
Griff. Es darf nicht so sein, dass das dann für die Kommunen in Baden-Württemberg oder für
das Land Baden-Württemberg dazu führt, dass andere Dinge gestrichen werden müssen.
Gediehn: Schauen wir mal aufs Land. Sie haben gerade selber angesprochen, in der
Demokratie macht man manchmal auch Dinge, die einem selber nicht so passen. Jetzt
kritisieren sowohl CDU-Politiker als aber auch der S21-Architekt die Absage Grüner
Landespolitiker, wie zum Beispiel von Ministerpräsident Kretschmann oder Stuttgarts
Oberbürgermeister Kuhn für diese Grundsteinlegung. Warum tun sich die Grünen immer
noch so schwer?
Palmer: Ich habe selber auch eine Einladung bekommen und mir das überlegt. Aber das kann
man nur falsch machen. Geht man hin heißt es, das sind ja Heuchler, die waren dagegen und
jetzt lassen sie sich auch noch auf die Feier für die Grundsteinlegung ein. Geht man nicht hin,
dann heißt es halt, die haben den Frieden mit dem Projekt nicht gemacht. Ich finde, in der
Summe ist es besser, diejenigen die Feier machen zu lassen, die auch immer für das Projekt
gewesen sind und dann nicht noch so zu tun, als würde man da in Sektlaune dabeistehen.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Gediehn: Das heißt aber Sie glauben auch, dass man dem Bürger genau diesen Spagat
nicht vermitteln kann? Das man sagt, wir sind inhaltlich dagegen, aber jetzt tragen wir
diese Mehrheitsentscheidung mit?
Palmer: Das muss man jeden Tag wieder sagen. Aber es ist schon so, wie Sie es auch
ausdrücken, Differenzierung ist in unserer Schlagwortdemokratie ganz schwierig und das was
Sie gerade beschreiben, dass man das jetzt machen muss, aber eben nicht mit Euphorie,
sondern aus demokratischer Verpflichtung, das ist für viele schwer nachvollziehbar.
Gediehn: Das heißt, Sie haben den Ministerpräsidenten Kretschmann zitiert mit dem sehr
anschaulichen Satz: Grüne fahren auch über Autobahnen, gegen die sie vorher
demonstriert haben. Im Umkehrschluss heißt das aber, Sie sind noch nicht so weit, auch
solche Autobahnen zu eröffnen – Schrägstrich – solche Grundsteine zu legen?
Palmer: das find ich auch konsequent. Also wenn es mal da ist, dass man es nicht boykottieren
kann, sondern benutzen muss, weil man sonst unnötig durch Ortschaften fährt, ist logisch. Aber
dass man auch an der Feier teilnehmen muss, dass es quasi ein Feierzwang gebe, das sehe
ich jetzt nicht.
Gediehn: S21 ist ja nicht das einzige, sagen wir mal vorsichtig, zähe Großbauprojekt der
Republik. Da haben wir noch den Berliner Flughafen zur Auswahl, die Elb-Philharmonie.
Haben Sie denn das Gefühl, wenn Sie auf die letzten Jahre schauen, dass sich etwas
verändert hat, beziehungsweise, dass die Verantwortlichen auch etwas verstanden
haben?
Palmer: Ja. Also wenn man in Verwaltungen tätig ist, dann merkt man, dass frühzeitige
Bürgerbeteiligung, das Einbeziehung von Alternativen in die Überlegungen und Diskussionen
mit der Bürgerschaft stark zugenommen haben. Das das an Bedeutung gewonnen hat und das
halte ich auch für den großen Erkenntnisfortschritt aus diesen Fehlern der Vergangenheit.
Insbesondere die Verweigerung des Bürgerentscheids in Stuttgart hat viel von der Wut
provoziert, die bis heute anhält. Das würde man heute nicht mehr so machen.
- Ende Wortlaut -
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