SÜDWESTRUNDFUNK Anstalt des öffentlichen Rechts Radio Fernsehen Internet PRESSE Information Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an. Boris Palmer (Grüne), Oberbürgermeister von Tübingen, gab heute, 16.09.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema: „Grundsteinlegung für Tiefbahnhof Stuttgart 21“. Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marie Gediehn. Mit freundlichen Grüßen Zentrale Information Chefredaktion Hörfunk Zentrale Information SWR Tagesgespräch Postadresse 76522 Baden-Baden Hausadresse Hans-Bredow-Straße 76530 Baden-Baden Telefon Telefax 07221/929-23981 07221/929-22050 Internet www.swr2.de Datum: 16.09.2016 Boris Palmer zu Grundsteinlegung S21: "kein Feierzwang" Baden-Baden: Vor der heutigen Grundsteinlegung für den umstrittenen Tiefbahnhof Stuttgart 21 hat der Grünen-Politiker Boris Palmer seine Ablehnung bekräftigt. Im SWR-Tagesgespräch sagte der Tübinger Oberbürgermeister, das Projekt koste mittlerweile mehr, als er selbst behauptet habe. Und es stehe dafür ein ziemlich geringer Gegenwert, "im schlimmsten Fall sogar eine Verschlechterung für den Bahnverkehr, das werden wir dann im Real-Verkehr sehen". Aber, so Palmer, "man macht in der Demokratie auch mal Dinge, die halt so beschlossen sind, von der Mehrheit so entschieden wurden, aus welchen Gründen auch immer. Was richtig und falsch ist, weiß man manchmal erst nachher". Einen Feierzwang gebe es nicht: Das man das machen müsse, aber nicht aus Euphorie, sondern aus demokratischer Verpflichtung sei für viele schwer nachvollziehbar. Er selbst, so Palmer, habe auch eine Einladung bekommen und überlegt, „aber das kann man nur falsch machen, geht man hin, heißt es, sind ja Heuchler, die waren dagegen, und jetzt lassen sie sich auch noch auf die Feier für die Grundsteinlegung einladen. Geht man nicht hin heißt es, die haben den Frieden mit dem Projekt nicht gemacht. Ich finde, in der Summe ist es besser, diejenigen die Feier machen zu lassen, die auch immer für das Projekt gewesen sind. Und dann nicht so zu tun, als würde man in Sektlaune dabeistehen". Grundsätzlich hätten die Proteste gegen S 21 aber etwas verändert, sagte Palmer: „Wenn man in Verwaltungen tätig ist, dann merkt man, dass frühzeitige Bürgerbeteiligung, das Einbeziehen von Alternativen, die Diskussion mit der Bürgerschaft stark zugenommen hat, dass das an Bedeutung gewonnen hat und das halte ich auch für den großen Erkenntnisfortschritt aus diesen Fehlern der Vergangenheit, insbesondere die Verweigerung des Bürgerentscheids in Stuttgart hat viel von der Wut produziert, die bis heute anhält. Das würde man heute nicht mehr so machen." Die von den S-21 Gegnern zuletzt wieder ins Spiel gebrachte Alternative, die Modernisierung des Kopfbahnhofes, sei, so Palmer, inhaltlich schon realistisch, „politisch kann ich es mir nicht vorstellen. Entscheidungen in der Politik sind irgendwann kaum noch revidierbar. Und deswegen vermute ich, dass das Projekt zu Ende gebaut wird. Es sei denn, es käme zu wirklich katastrophalen technischen Schwierigkeiten, die ich nun wirklich niemandem wünsche.“ Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Wortlaut des Live-Gesprächs: Gediehn: Gerade im Juli hatten noch mal mehrere tausend Menschen gegen S21 jetzt demonstriert und auch wieder die Modernisierung des Kopfbahnhofs ins Spiel gebracht. Ist das im Jahr 2016, am Tag der Grundsteinlegung, noch realistisch? Palmer: Inhaltlich ist es schon realistisch, politisch kann ich es mir nicht vorstellen. Entscheidungen in der Politik sind irgendwann kaum noch revidierbar. Und deswegen vermute ich, dass das Projekt zu Ende gebaut wird. Es sei denn, es käme zu wirklich katastrophalen, technischen Schwierigkeiten, die ich nun wirklich niemand wünsche. Gediehn: Knapp 20 der 59 Tunnelkilometer beispielsweise in Stuttgart sind bereits gegraben oder vorangetrieben, die Proteste auch eigentlich wieder leiser geworden. Was können diese Bürger realistischerweise noch erreichen, diese Proteste? Palmer: ich glaube, sie haben schon sehr viel erreicht. Sie haben den ersten Volksentscheidg im Land erreicht. Sie haben eine große Debatte über Bürgerbeteiligung erreicht. Manchmal ist es so, dass man das eigentliche Ziel, das inhaltliche Ziel dann doch nicht erreicht und ich fürchte, hier ist so ein Fall. Ich nehme nicht an, dass es dazu kommt, dass dieser Bahnhof nicht mehr gebaut wird. Aber möglicherweise ist es noch möglich, den Stadtteil in Stuttgart positiv zu beeinflussen. Möglicherweise ist auch der Bahnverkehr, die S-Bahn, da ist ja noch viel zu tun, durch Ergänzungsbauten noch zu verbessern. Für die Zukunft kann man sich schon noch was vornehmen. Gediehn: Sie haben schon vor Jahren gesagt, S21 bleibt ein Fehler, aber den müssen wir jetzt machen. Ist das also noch aktuell in diesem September? Palmer: Ich glaube ja. Ich halte es weiterhin für einen schweren Fehler, viel zu teuer. Das Projekt kostet ja mittlerweile mehr als selbst ich behauptet habe, wurde halt erst nachher zugegeben. Und es steht dafür ein ziemlich geringer Gegenwert, im schlimmsten Fall sogar eine Verschlechterung für den Bahnverkehr. Das werden wir dann im Realbetrieb sehen. Und deswegen meine ich, es ist ein Fehler. Aber man macht in der Demokratie auch mal Dinge, die eben halt so beschlossen sind, von der Mehrheit so entschieden wurden, aus welchen Gründen auch immer. Was richtig und falsch ist, weiß man manchmal erst nachher. Gediehn: Sie haben die Kosten gerade angesprochen. S21 ist auch zwei Jahre in etwa im Bauplanungsverzug. Was macht Ihnen mehr zu schaffen, der Zeitplan oder die Kosten? Palmer: Der Zeitplan ist für die Stadt Stuttgart dramatisch. Für den Rest des Landes eher nicht. Da sind die Kosten entscheidend und deswegen wird es auch so wichtig sein, dass diese Mehrkosten von denen getragen werden, die immer behauptet haben, sie hätten die Kosten im Griff. Es darf nicht so sein, dass das dann für die Kommunen in Baden-Württemberg oder für das Land Baden-Württemberg dazu führt, dass andere Dinge gestrichen werden müssen. Gediehn: Schauen wir mal aufs Land. Sie haben gerade selber angesprochen, in der Demokratie macht man manchmal auch Dinge, die einem selber nicht so passen. Jetzt kritisieren sowohl CDU-Politiker als aber auch der S21-Architekt die Absage Grüner Landespolitiker, wie zum Beispiel von Ministerpräsident Kretschmann oder Stuttgarts Oberbürgermeister Kuhn für diese Grundsteinlegung. Warum tun sich die Grünen immer noch so schwer? Palmer: Ich habe selber auch eine Einladung bekommen und mir das überlegt. Aber das kann man nur falsch machen. Geht man hin heißt es, das sind ja Heuchler, die waren dagegen und jetzt lassen sie sich auch noch auf die Feier für die Grundsteinlegung ein. Geht man nicht hin, dann heißt es halt, die haben den Frieden mit dem Projekt nicht gemacht. Ich finde, in der Summe ist es besser, diejenigen die Feier machen zu lassen, die auch immer für das Projekt gewesen sind und dann nicht noch so zu tun, als würde man da in Sektlaune dabeistehen. Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Gediehn: Das heißt aber Sie glauben auch, dass man dem Bürger genau diesen Spagat nicht vermitteln kann? Das man sagt, wir sind inhaltlich dagegen, aber jetzt tragen wir diese Mehrheitsentscheidung mit? Palmer: Das muss man jeden Tag wieder sagen. Aber es ist schon so, wie Sie es auch ausdrücken, Differenzierung ist in unserer Schlagwortdemokratie ganz schwierig und das was Sie gerade beschreiben, dass man das jetzt machen muss, aber eben nicht mit Euphorie, sondern aus demokratischer Verpflichtung, das ist für viele schwer nachvollziehbar. Gediehn: Das heißt, Sie haben den Ministerpräsidenten Kretschmann zitiert mit dem sehr anschaulichen Satz: Grüne fahren auch über Autobahnen, gegen die sie vorher demonstriert haben. Im Umkehrschluss heißt das aber, Sie sind noch nicht so weit, auch solche Autobahnen zu eröffnen – Schrägstrich – solche Grundsteine zu legen? Palmer: das find ich auch konsequent. Also wenn es mal da ist, dass man es nicht boykottieren kann, sondern benutzen muss, weil man sonst unnötig durch Ortschaften fährt, ist logisch. Aber dass man auch an der Feier teilnehmen muss, dass es quasi ein Feierzwang gebe, das sehe ich jetzt nicht. Gediehn: S21 ist ja nicht das einzige, sagen wir mal vorsichtig, zähe Großbauprojekt der Republik. Da haben wir noch den Berliner Flughafen zur Auswahl, die Elb-Philharmonie. Haben Sie denn das Gefühl, wenn Sie auf die letzten Jahre schauen, dass sich etwas verändert hat, beziehungsweise, dass die Verantwortlichen auch etwas verstanden haben? Palmer: Ja. Also wenn man in Verwaltungen tätig ist, dann merkt man, dass frühzeitige Bürgerbeteiligung, das Einbeziehung von Alternativen in die Überlegungen und Diskussionen mit der Bürgerschaft stark zugenommen haben. Das das an Bedeutung gewonnen hat und das halte ich auch für den großen Erkenntnisfortschritt aus diesen Fehlern der Vergangenheit. Insbesondere die Verweigerung des Bürgerentscheids in Stuttgart hat viel von der Wut provoziert, die bis heute anhält. Das würde man heute nicht mehr so machen. - Ende Wortlaut - Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
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