6. Teil: Rechtsschutzversicherung

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6.
Teil: Rechtsschutzversicherung
1.
Abschnitt: Definition
2.
Abschnitt: Abgrenzung zum Abwehranspruch in der Haftpflichtversicherung
3.
Abschnitt: Aufsichtsrecht
4.
Abschnitt: Vertragsrecht
5.
Abschnitt: Arten von Rechtsschutzversicherungen
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Übersicht
Versicherungsfall
Versichertes
Bedroht
Versicherte
Eintritt
Vten Scha- Löst
Versicherte
Interesse
durch
Gefahr
bewirkt
den
Leistung
►
(Gegenstand) ►
aus
►
Gefährdetes
Gefährdendes Leistungsbegründende
Element
Element
Tatsache
Kapital- und
Rechtsstreit
Kosten:
Beratung
Anwaltskosten
Kostenübernahme
Beratungsbedarf
bei
Rechtsproblemen
Gerichtskosten
Expertisekosten
Prozessentschädigung
an Gegenpartei
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1. Abschnitt: Definition
Die
Rechtsschutzversicherung
verursachten
Kosten
deckt
oder
die
durch
erbringt
in
rechtliche
rechtlichen
Angelegenheiten
Angelegenheiten
Beratungsdienstleistungen.
Art. 161 ff. AVO.
2. Abschnitt: Abgrenzung zum Abwehranspruch in der
Haftpflichtversicherung
Art. 162 lit. a AVO schliesst Handlungen eines Versicherers zur Verteidigung oder
Vertretung der bei ihm gegen Haftpflichtansprüche versicherten Personen vom
Anwendungsbereich der Rechtsschutzversicherung aus.
Grund: Tendenziell Übereinstimmung der Interessen von Versichertem und
Versicherer bei der Haftpflichtversicherung.
3. Abschnitt: Aufsichtsrecht
I. Im Allgemeinen
Art. 32 VAG: Organisatorische Grundprinzipien.
Art. 161 ff. AVO.
Überwiegend autonomer Nachvollzug der Richtlinie 87/344/EWG vom 22. Juni 1987
(formell
neue
RL-AufsichtsR)
zur
Koordinierung
der
Rechts-
und
Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung.
Zweck: Vermeidung oder Beseitigung von Interessenkollisionen:
Versicherter: Ausgang des Rechtsstreites;
Versicherer: günstige Abwicklung des Versicherungsfalls.
Zahlreiche Vorschriften der AVO haben materiell vertragsrechtlichen Charakter (Art.
162, 163, 166, 167, 168, 169 und 170 AVO)► Platzierung in der Aufsichtsverordnung
ist daher nicht sachgerecht.
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II.
Organisation
A.
Im Allgemeinen
„Reiner“ Rechtsschutzversicherer (Einspartenversicherer) oder Kompositversicherer
(Versicherungsunternehmen, das unterschiedliche Zweige der Schadenversicherung
anbietet).
Art. 32 Abs. 1 VAG: Kompositversicherer muss entweder die Schadenbehandlung an
ein rechtlich und personell selbständiges Schadenregulierungsunternehmen übertragen
oder den Versicherten das Recht einräumen, einen Anwalt eigener Wahl zu benennen,
sobald Versicherungsleistungen zu erbringen sind.
B.
Schadenregulierungsunternehmen
1.
Organisatorische Unabhängigkeit
1.1 Juristische Person
Art. 164 AVO:
Versicherungsunternehmen, die ausschliesslich die Rechtsschutzversicherung
betreiben;
Aktiengesellschaften oder Genossenschaften, die ausschliesslich Dienste im
Zusammenhang mit der Schadenerledigung in der Rechtsschutzversicherung
leisten.
1.2 Unabhängigkeit
Art. 164 Abs. 3 AVO: Personen, die mit der Oberleitung, Aufsicht und Kontrolle sowie
mit der Geschäftsführung und der Vertretung des Schadenregelungsunternehmens
betraut sind, dürfen keine Tätigkeit für einen Kompositversicherer ausüben.
Art. 163 Abs. 4 AVO: Mit der Schadenbehandlung betraute Beschäftigte dürfen keine
vergleichbare Tätigkeit für ein Kompositversicherungsunternehmen ausüben.
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2.
Unzulässigkeit von Weisungen
Art. 165 Abs. 2 AVO.
Kompositversicherer
darf
dem
Schadenregelungsunternehmen
(im
Fall
von
Interessenkonflikten) keine Weisungen für die Behandlung der Versicherungsfälle
erteilen, (die zu Nachteilen für die versicherte Person führen können).
3.
Unzulässigkeit der Datenweitergabe
Art. 165 Abs. 3 AVO: Schadenregelungsunternehmen darf dem Versicherer im Fall
von Interessenkonflikten keine Angaben über die behandelten Versicherungsfälle
machen, wenn diese zu Nachteilen für die versicherte Person führen können (BGer
8C_27/2016 vom 5. April 2016).
Datenschutzrecht: untersagt Weitergabe persönlichkeitsrelevanter Daten (was bei
Rechtsschutzfällen zumindest teilweise zutrifft)► Rechtfertigungsgrund i.S.d.
Datenschutzgesetzes nicht begründbar.
C.
Die
meisten
Praxis
Versicherungsgruppen
verfügen
über
eigene
Rechtsschutzversicherungsunternehmen.
In Konzern integriert.
4. Abschnitt: Vertragsrecht
I.
Verfahrenshoheit
Verfahrenshoheit gemäss AVB bei Versicherer.
Zustimmungsbedürftigkeit
von
Grundsatzentscheiden
Rechtsmittel oder Vergleich.
Ausdruck der Schadenminderungsobliegenheit.
wie
Prozesseinleitung,
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II. Anwaltsbeizug
Versicherer hat das Recht, eigene Rechtsdienstleistungen zu erbringen (Art. 161 AVO).
Fälle der notwendigen Vertretung und der Interessenkollision.
A.
Notwendige Vertretung und Interessenkollision
1.
Notwendige Vertretung
Art. 167 Abs. 1 lit. a AVO: Recht zum Beizug eines Anwaltes, falls mit Blick auf ein
Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ein Rechtsvertreter eingesetzt werden muss.
Art. 69 ZPO.
2.
Interessenkollision
Art. 167 Abs. 1 lit. b AVO: Recht zum Beizug eines Rechtsanwaltes bei
Interessenkollisionen.
Beispiel
Rechtsschutzversicherungsunternehmen
gehört
demselben
Konzern
an,
wie
ein
Versicherungsunternehmen, gegenüber welchem eine Forderung geltend gemacht wird.
3.
Auswahlkompetenz
Art. 167 Abs. 2 AVO: Versicherer kann sich das Recht vorbehalten, die vom
Versicherten gewählte Vertretung abzulehnen (BGer 8C_27/2016 vom 5. April 2016).
Nach erfolgter Ablehnung muss einer von drei vorgeschlagenen Vertretern akzeptiert
werden.
B.
Weitere Fälle
Fälle, die weder von Art. 32 Abs. 1 lit. b VAG noch von Art. 167 AVO erfasst
werden► Auswahlbefugnis steht in maiore minus dem bereits über den Beizug als
solchen entscheidenden Versicherer zu.
Enthält der Versicherungsvertrag bezüglich der Auswahlkompetenz keine besondere
Regelung, sollte Art. 167 Abs. 2 AVO analog Anwendung finden.
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C.
Vertragsparteien
Versicherungsbedingungen behalten teilweise die Mandatierung durch den Versicherer
vor.
Unklar ist häufig, wer Vertragspartner des Anwalts wird.
Direkte Stellvertretung;
(echter) Vertrag zu Gunsten des Versicherten.
D.
Bevollmächtigung
Hat durch den Versicherten zu erfolgen.
E.
1.
Kostenübernahme
Im Allgemeinen
Art. 161 AVO: Versicherer ist verpflichtet, die Anwaltskosten zu übernehmen.
Die
Kostengutsprache
kann
inhaltlich
beschränkt
werden,
sofern
dies
im
Versicherungsvertrag vorgesehen ist.
Versicherer darf die Erteilung der Kostengutsprache nicht von der Zustimmung des
Anwaltes zur Honorarvereinbarung abhängig machen.
2.
Rechtsnatur
Praxis: Versicherer richten Kostengutsprachen direkt an die Anwälte.
Antrag auf privative Schuldübernahme i.S.v. Art. 176 Abs. 2 OR; kann gemäss Art.
176 Abs. 3 OR auch konkludent angenommen werden, beispielsweise durch
Tätigwerden des Anwaltes im Interesse des Versicherten.
Begründung eines selbständigen Rechtsverhältnisses zwischen Versicherer und
Anwalt.
Versicherer wird zum alleinigen Schuldner des Anwalts.
Verjährung der Forderung des Anwaltes: OR.
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3.
Höhe
Beschränkung der versicherten Honorare in den AVB (BGE 119 II 468, 70 f. = Pra
1994 Nr. 228).
Ansonsten – unter Vorbehalt der Moderation – keine Möglichkeit, Einwendungen zur
Höhe des Honorars erheben.
F.
Anwaltsgeheimnis
1.
Umfang
Versicherungsunternehmen hat i.d.R. keinen direkten Zugang zu den für die
Vertragsabwicklung erforderlichen Informationen.
Frage, in welchem Umfang und von wem die entsprechenden Auskünfte zu erteilen
sind (BGer 8C_27/2016 vom 5. April 2016).
Art. 39 VVG.
Beispiel
Nicht zu den Auskünften gemäss Art. 39 VVG zählen Informationen bezüglich Straf- oder
Familienrechtsverfahren, die mit dem konkreten Fall in keinem Zusammenhang stehen.
2.
Entbindung
Die meisten AVB sehen eine Pflicht des Versicherungsnehmers vor, den Anwalt
gegenüber dem Versicherer vom Berufsgeheimnis zu entbinden.
Art. 4 Abs. 1 DSG: Daten dürfen nur rechtmässig bearbeitet werden.
Versicherer darf vom Anwalt nur Auskunft verlangen, wenn dieser vom
Berufsgeheimnis entbunden ist (Art. 321 StGB).
Art. 168 AVO: Versicherter kann vertraglich verpflichtet werden, den Anwalt vom
Berufsgeheimnis zu entbinden (BGer 8C_27/2016 vom 5. April 2016).
Nicht möglich: Entbindung zulasten dritter Versicherter► Versicherter muss den
Anwalt gegenüber dem Versicherer direkt entbinden.
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3.
Art. 168 AVO
Entbindungspflicht gemäss Art. 168 AVO wird eingeschränkt für den Fall, dass ein
Interessenkonflikt besteht und die Weitergabe der Informationen vom Anwalt an den
Versicherer für den Versicherten mit Nachteilen verbunden sein kann.
Beispiel
Gegenpartei ist beim gleichen Rechtsschutzversicherer versichert.
III. Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten
Art. 169 AVO Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten
1
Für den Entscheid von Meinungsverschiedenheiten zwischen der versicherten Person und
dem Versicherungsunternehmen oder dem Schadenregelungs- unternehmen hinsichtlich
der Massnahmen zur Schadenerledigung sieht der Versicherungsvertrag ein Verfahren vor,
das vergleichbare Garantien für die Objektivität wie ein Schiedsgerichtsverfahren bietet.
2
Lehnt das Versicherungsunternehmen oder das Schadenregelungsunternehmen eine
Leistung für eine Massnahme wegen Aussichtslosigkeit ab, so sind die vorgeschlagene
Lösung unverzüglich schriftlich zu begründen und die versicherte Person auf die
Möglichkeit des Verfahrens nach Absatz 1 hinzuweisen.
3
Sieht der Versicherungsvertrag kein Verfahren nach Absatz 1 vor oder unterlässt es das
Versicherungsunternehmen oder das Schadenregelungsunternehmen, die versicherte
Person im Zeitpunkt der Ablehnung der Leistungspflicht darüber zu informieren, so gilt
das Rechtsschutzbedürfnis der versicherten Person im entsprechenden Fall als anerkannt.
4
Leitet die versicherte Person bei Ablehnung der Leistungspflicht auf eigene Kosten einen
Prozess ein und erlangt sie ein Urteil, das für sie günstiger ausfällt als die ihr vom
Versicherungsunternehmen
oder
dem
Schadenregelungsunternehmen
schriftlich
begründete Lösung oder als das Ergebnis des Verfahrens nach Absatz 1, so übernimmt das
Versicherungsunternehmen die dadurch entstandenen Kosten bis zum Höchstbetrag der
Versicherungssumme.
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IV. Wartefrist
Wartefrist: i.d.R. 3 Monate.
"Puffer", damit die Rechtsschutzversicherung nicht für einen bestimmten Fall
abgeschlossen und danach sofort wieder gekündigt wird.
5. Abschnitt: Arten von Rechtsschutzversicherungen
I.
Überblick
Privatrechtsschutzversicherung (z.T. getrennte Produkte für Mieter und Eigentümer;
Patientenrechsschutz).
Verkehrsrechtsschutzversicherung.
Betriebsrechtsschutzversicherung
(Sonderprodukte
für
einzelne
Berufe
wie
Gastgewerbe, Medizinalpersonen, Lehrer, Landwirte etc.).
II. Versicherte Leistungen (AVB)
Rechtsberatung (auch telefonisch).
Beratungsabonnement (für Unternehmen)► günstige Tarife.
Prozesschancenbeurteilung.
Bearbeitung von Rechtsfällen und Vertretung des Versicherungsnehmers.
Beizug eines freien Anwalts.
Kostenübernahme:
Gutachten und Expertisen;
Gerichtsgebühren und Verfahrenskosten;
Anwaltskosten;
Mediation;
Prozessentschädigung an Gegenpartei;
vorschussweise: Kaution in Straffällen zur Vermeidung von Untersuchungshaft.
Inkasso zugesprochener Entschädigungen.
►Versicherungssumme i.d.R. zwischen CHF 250‘000 – 300‘000 (Ausland Sublimite).