Schönen Abend! Recht im Einsatz – Sanitäter-Fortbildung RK St. Valentin, 8.9.2016 1 Entwicklungen der präklinischen Notfallmedizin Ärzte ab 1970 präklinisch tätig => Notarzt Sanitäter: anerkannter und moderner Beruf ab 2002 System: • load & go • stay & play • treat & run 2 Berufsrecht SANITÄTER Sanitätergesetz (SanG) NOTARZT Ärztegesetz (vor allem § 40) Kompetenzen: Notarztlehrgang baut auf „ius Rettungs- und Notfallsanitäter practicandi“ auf 3 Notfallkompetenzen • NKA Fortbildung • NKV • NKI Fortbildungspflichten! 3 (differenziertes) Einsatzgebiet Rettungssanitäter: => Krankentransport, Rettungsdienst (aber keine planmäßige Versorgung von Notfallpatienten) -----------------------------------------------------------------------------------------------------------------Notfallsanitäter: Unterstützung des (Not)Arztes; Betreuung/Versorgung/Transport von Notfallpatienten bis zur ärztlichen Übernahme (Präklinik, Klinik) => Rettungsdienst (Notfallpatienten), NA-System -----------------------------------------------------------------------------------------------------------------Notarzt: Versorgung von Notfallpatienten mithilfe von Sanitätern Beziehung bei gegebener Indikation zur notärztlichen Intervention vor Ort! => organisierter Notarztdienst Rolle des Notarztes 2016 • Wissens- und somit Qualifikationsanstieg • Lückenbüßer aufgrund Defizite im extramuralen Bereich • Hohe Einsatzfrequenz bei niedriger Indikationsrate • Doch Studienlage eindeutig => präklinischer Notarzt verbessert Überlebenschancen gewisser Notfallpatienten deutlich! Notarzt auch künftig ? JA Wo macht Notarzt präklinisch Sinn? • komplexe Traumata/Polytrauma (ev. notwendige notfallchirurgische Maßnahmen vor Ort, zB Thoraxdrainage, Gefäßklemme, Notamputation); • komplexe Atemwegsprobleme (drohende Intubation, chirurgischer Atemweg); • Reanimation; • Schwerer Schockzustand mit Bewusstlosigkeit; • Entscheidungen am Lebensende; • palliativmedizinische Entscheidungen; • Backup für das Rettungssystem (zB jede relevante Transportverzögerung oder Triageentscheidungen: Einklemmung, MANV, Verkehrslage, …) bzw. Nachforderung durch nichtärztliches Rettungspersonal Quelle: Hellwagner (ÖGERN, 2015) Fragen der Zusammenarbeit 8 Berufsrecht Teamarbeit Vertrauensgrundsatz Warn- und Eingriffspflichten Auch bei Zusammenarbeit mit • niedergelassenen Ärzten, • mobilen Pflegediensten vor Ort, • Hebammen, • anderen Einsatzorganisationen (wie zB Polizei, Feuerwehr) … 9 Einsatzablauf 1. Dienstbeginn (Fahrzeugcheck, Diensttauglichkeit, Arbeitszeiten …) 2. Alarmierung (Leitstelle ?) 3. Ausfahrt (Blaulicht?) 4. Ankunft am Einsatzort und Beginn Anamnese/Behandlung 5. Transportentscheidung 6. Übergabe im KH 7. Einsatzbereitschaft wiederherstellen 10 Präklinisches Verhältnis zum Patienten Arbeitsbedingungen: • Patient dem Behandlungsteam meist unbekannt • Zeitfaktor • hektische Angehörige • oftmals kein eingespieltes Team 11 Patientenrechte • Information (Aufklärung) – Anforderungen im Notfall? • Versorgung / Behandlung / Transport nur nach Einwilligung (informierte Zustimmung) • Recht auf sachgemäße Behandlung • Recht auf würdevollen Umgang (auch auf ein würdevolles Sterben) • Einsichtsrecht in Dokumentation • Geheimnisschutz • Recht auf kostenlose Aufklärung von Schadensfällen (Patientenanwaltschaft) • Tipp für Gesundheitseinrichtungen: Transparentes Zwischenfallsmanagement! Selbstbestimmung in der Medizin Grundsatz der Patientenautonomie (Aufklärung – Einwilligung) Grenzen: Fehlen von Entscheidungsfähigkeit (bei akut medizinischem Problem) Eigen- und/oder Fremdgefährdung iVm psych. Krankheit 13 Fähigkeit zur autonomen Entscheidung? • Einsichts- und Urteilsfähigkeit – Vermutung, dass diese ab Vollendung des 14. Lebensjahr vorliegt – keine Altershöchstgrenzen – aktuelle Fähigkeiten relevant (Achtung bei Alkohol, Suchtmittel, Müdigkeit, Bewusstsseintsveränderungen etc.) • Ermittlung durch Patientenkontakt und Beschäftigung mit konkreten Fragen: Krankheitseinsicht? , Verletzung bewusst?, Ernst der Lage wird erkannt?, Werden med. Informationen verstanden?, Abwägung von Behandlungsrisken möglich? Mitwirkung bei der Behandlung ? … 14 Revers / Belassung Revers • angeratene Versorgung / Behandlung ist (fraglich) indiziert, Patient lehnt jedoch ab! • Dokumentation, Patientenunterschrift! • Einsichts- und urteilsfähiger Patient hat auch Recht zur Unvernunft! Belassung • Versorgung / Behandlung ist nicht indiziert. Patientenwunsch rechtlich betrachtet nicht maßgeblich! • Begründete und nachvollziehbare Dokumentation. Patientenunterschrift rechtlich nicht erforderlich, aber ratsam! 15 Schützenswerte Patienten Besonderheiten bei Minderjährigen: • Entscheidungsfähigkeit wird mit Vollendung 14. Lj. vermutet! Darunter: Einwilligung durch Obsorgeberechtigte! • Bei schweren / nachhaltigen med. Entscheidungen hat zw. 14 und 18 Jahren parallel zum Mj. auch der Obsorgeberechtigte einzuwilligen. • Notfall: Die Einwilligung ist nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass der mit der Einholung der Einwilligung verbundene Aufschub das Leben des Kindes gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre. 16 Schützenswerte Patienten Besonderheiten bei kogn./psych. beeinträchtigen Erwachsenen: • Bei Einsichts- und Urteilsfähigkeit entscheidet Person stets selbst; dies auch dann, wenn ein Sachwalter bestellt wurde. • Bei schweren / nachhaltigen med. Entscheidungen hat der Sachwalter zu entscheiden, wobei er entweder eine zweite ärztliche Meinung einzuholen oder sonst das Pflegschaftsgericht die Zustimmung zu erteilen hat. • Notfall: Die Einwilligung ist nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass der mit der Einholung der Einwilligung/Zustimmung verbundene Aufschub das Leben des Betroffenen gefährden würde oder mit der Gefahr einer 17 schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre. Unterbringungsrecht Präventiver Freiheitsentzug zur Abwehr erheblicher Lebens- und Gesundheitsgefahren, nicht zur Erzwingung therapeutischfürsorglicher Ziele System: • Grundrecht auf persönliche Freiheit • Verfassungsgesetzliche Absicherung • Grundsatz: Freiheit geht Sicherheit vor! Sicherheit Freiheit 18 Unterbringungsrecht Gesetzestext § 3 UbG: In einer psychiatrischen Abteilung darf nur untergebracht werden, wer 1. 2. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer psychiatrischen Abteilung, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann. Rechtsbegriffe, die der Auslegung durch die Gerichte unterliegen! „psychische Krankheit“ nicht gleichzusetzen mit ICD-10 oder DSM-5 19 Präklinischer Transport: auch zwangsweise möglich, daher Polizeizuständigkeit! Transfer + Eskalation 20 Unterbringungsrecht Prozedere: • Ersteintreffendes Team schätzt psych. Status und Gefahr ein • Verdacht auf Unterbringungsvoraussetzungen => POLIZEI • Polizei zieht Amtsarzt bei oder stützt sich auf Gefahr-im-Verzug • Achtung: Notarzt ist kein Amtsarzt! Aufgabe Rettungs- und Notarztdienst: • Med. Komponente (Warn- und Eingriffspflichten) • Sicherer Transport mit Polizeibegleitung • Zwangssedierung? Transfer + Eskalation 21 Übergabe in Psychiatrie • Wechsel Verantwortungsbereich • Untersuchung durch Facharzt • Schutz/Vertretung durch Patientenanwalt • Gerichtskontrolle --------------------Aber Sonderfall: Primäres Problem internistisch / unfallchirurgisch (=> Nicht Psychiatrie anfahren, sondern interne Notaufnahme / Schockraum = kein Prozedere nach UbG) 22 Situationen aus der Praxis • Revers eines Patienten im postikalen Dämmerzustand • Alkoholisierter Patient mit Schädel-Hirn-Trauma und offener, stark blutender Kopfwunde nach Raufhandel verweigert die medizinische Versorgung am Einsatzort • … Und was sagt das Recht dazu? Bei unvernünftiger Behandlungsverweigerung und aktuell psychischer / kognitiver Beeinträchtigung • Vorrang der Autonomie (Absicherung durch Patientenrechte etc.) • Aber: Je mehr die Autonomie eingeschränkt ist, desto stärker tritt die Fürsorge in den Vordergrund! • Fürsorge-/Schutzmaßnahme bei Autonomieeinschränkung und drohender Lebens-/Gesundheitsgefahr geboten (Garantenpflicht; strafrechtlich wird eine Orientierung am Grundsatz „in dubio pro vita“ geschützt!) Zusammenarbeit Polizei • Verkehrsunfälle • Wohnungsöffnungen • Unterbringungen • Gewaltszenen am Einsatzort Grundsatz: Vertrauensgrundsatz bezüglich Kompetenzausübung => jedoch Warn- und Eingriffspflichten bei med. Komponente => Deeskalation bei Gewalt: Polizeiaufgabe! 25 Gewalteinsätze • Sanitäter und Notärzte üben grundsätzlich keine Gewalt aus • Ausnahme: Notwehr – Nothilfe Grenzen: • Abwehr von Angriffen • angemessene Mittel • gelindere Maßnahmen haben Vorrang • Verhältnismäßigkeit • Aktuelles vom VwGH: Ablehnung Waffenpass für Notärzte 26 Kurative Behandlung nicht indiziert… => Maßnahmen im Rahmen von „palliative care“ aber indiziert! • Therapiezieländerung (von kurativ auf palliativ!) • Symptombehandlung steht im Vordergrund (Schmerzen, Atemnot, Krampfgeschehen, Angst etc.) Rechtliche Klarheit in Österreich: Verboten: Sterbehilfe, Töten auf Verlangen, Mitwirkung am Suizid (Sterbeprozess wird durch Arztverhalten gestartet!) Erlaubt: Nichteinleitung/Abbruch med. Behandlungen bei fehlender med. Indikation (Sterben zulassen, Sterbevorgang nicht hinauszögern); Therapie im Rahmen „palliative care“ (leitlinienkonform!) Sonderfall: palliative Sedierung! Therapien am Lebensende Fallbeispiel aus Salzburg Notfall-/Krisenblätter, DNR/AND-Vermerke aus medizinrechtlicher Sicht? Therapiebegrenzungen liegen in der ärztlichen Verantwortung und sollten im Rahmen einer vorausschauenden Planung am Lebensende verschriftlicht vorliegen („DNR“ / „AND“-Vermerke z.B. der ÖGARI Arge Ethik). Nach entsprechender ärztlicher Anordnung ist dies auch vom Pflegepersonal zu berücksichtigen (§ 15 GuKG). Lebensende ist jedoch ein „dynamischer Prozess“, sodass Pflegepersonen bei nicht vorhersehbaren / nicht beherrschbaren Symptomen einen (Not)Arzt beizuziehen haben. Wird der Rettungs- und Notarztdienst beigezogen, dann gilt: – Vorausverfügung (Notfall-/Krisenblatt) ist in die Entscheidung von Sanitätern miteinzubeziehen, wobei bis zur ärztlichen Übernahme des Patienten Lebensrettungsmaßnahmen einzuleiten sind. – Für Notärzte gilt: Die Patientensituation ist eigenverantwortlich einzuschätzen. Die Empfehlung zum Vorgehen in Notsituationen stellt eine wesentliche Orientierungshilfe in der weiteren Entscheidungsfindung dar. Dies gilt umso mehr, je aktueller dieses Blatt ist. – Im lebensbedrohlichen Notfall hat bei einem Informationsmangel der primäre Beginn der Lebensrettung Vorrang! => Dieses Dilemma ist auch durch noch so gute Gesetze nicht besser in den Griff zu bekommen! Berufspflichten Für Sanitäter • Sorgfaltspflicht • Dokumentationspflicht • Verschwiegenheitspflicht • Auskunftspflicht • Hilfeleistungspflicht • Fortbildungspflicht 31 Haftungsfragen Haftungsfragen 1. Ein Fehler ist passiert – wie verhalte ich mich? – – – – – Schadensbegrenzung Patienten-/Angehörigenkontakt herstellen keine Schuldeingeständnisse Dokumentation Transparenz gegenüber Organisation 2. Fehlerkultur in der Organisation? 3. Fürsorgepflichten des Arbeitgebers Fallbeispiel - Notarztfehlverhalten Präklinische Intubation bei einem Traumapatienten. Kapnograf zeigt kein Signal an (in Ausatemluft war kein CO2 nachweisbar). Tubuskontrolle mittels Auskultation. Trotz „Verfall des Patienten“ keine Tubuskontrolle. Ausfall Herzaktivität. Unter CPR => KH-Transport. Im KH: CPR eingestellt, Todesfeststellung! Fallbeispiel Fallbeispiel Gutachten: Obduktion: Ersticken infolge Fehlintubation. Gutachter erläutert korrektes Vorgehen: • Präklinische Fehlintubation ist per se nicht sorgfaltswidrig. • Nichterkennen der Tubusfehllage stellt aber Fehler dar! • Bei Pat.-Verschlechterung unmittelbar nach Maßnahmeneinleitung und fehlendem CO2-Wert ist sicherheitshalber der Tubus zu entfernen und eine alternative Atemwegssicherung durchzuführen. • Verletzungen beim Pat. waren eindeutig überlebbar! • Tod des Patienten durch Fehlintubation verursacht! => Sorgfaltsverstoß! Zivilrechtlicher Schadenersatz • Haftungsvoraussetzungen – – – – Schaden Rechtswidriges Verhalten Kausalität zw. Verhalten und eingetretenem Schaden Verschulden • Individual- vs. Organisationshaftung • Rolle der Versicherungen ? Strafrechtliche Verantwortung • Delikte mit Medizinbezug – – – – – Körperverletzungs- und Tötungsdelikte Eigenmächtige Heilbehandlung (jedoch Notfallbestimmung) Nötigung Freiheitsentziehung Verletzung von Berufsgeheimnissen • Neu seit 1.1.2016: Straffreiheit der leichten fahrlässigen Körperverletzung für Gesundheitsberufsangehörige. Auflösung Fall • Strafrecht Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von € 3.600 • Zivilrecht (Schadenersatz) Schadenersatzanspruch der Hinterbliebenen besteht; bestätigt durch Obersten Gerichtshof! Umfang: Unterhalt für Hinterbliebene, Bestattungskosten Dr.iur. Michael Halmich LL.M. [email protected] www.halmich.at www.oegern.at 2. Auflage kürzlich erschienen! Bilderquelle:Fair Rescue International, Innsbruck Verlag Manz, Wien
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