grüne Wirtschaft

Nr. 36/2016 vom 08.09.2016
Initiative «Grüne Wirtschaft»
Passivhaus statt Pistenfahrzeug
Von Bettina Dyttrich
Eineinhalb Grad, allerhöchstens zwei: So stark darf sich
das Weltklima erwärmen, sonst wird es katastrophal.
Auf dieses Ziel haben sich 195 Länder an der
letztjährigen Klimakonferenz in Paris geeinigt – auch
die Schweiz. Zwei Grad, das heisst: Die Menschheit
darf spätestens 2050 keinerlei fossile Energieträger
mehr verbrennen. Die Grünen haben ein Instrument
entwickelt, mit dem die Schweiz ihre Pflicht erfüllen
könnte: die Initiative «Grüne Wirtschaft», die eine
ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft in der
Verfassung verankern will. Am 25. September wird
abgestimmt. Und was macht der Bundesrat? Er kämpft
dagegen.
Dazu hat er aufgelistet, was nötig wäre, um die Initiative
umzusetzen: «Der Ausstieg aus fossilen Treibstoffen
und Heizöl wäre zu beschleunigen.» Ernährung und
Landwirtschaft müssten noch ökologischer werden. Der
Handel mit umweltschädlichen Produkten wie Torf, Soja
oder Palmöl ohne Umweltstandards wäre eventuell
ganz zu verbieten. Steuern müssten Anreize für
ressourcenschonendes Verhalten schaffen, und «die
Hebelwirkung der nachhaltigen öffentlichen
Beschaffung müsste stärker genutzt werden». Das
klingt wie ein guter Plan – doch so meint es der
Bundesrat nicht. Er will damit zeigen, wie unrealistisch
das Vorhaben sei.
Die Abstimmungskampagne der Grünen mit ihren
kitschigen Babybildern ist nicht besonders gelungen.
Auch die Beteuerung, die Umsetzung der Initiative sei
kinderleicht und werde am Schweizer Alltag praktisch
nichts ändern, irritiert. Denn sie würde ziemlich viel
ändern.
Die Initiative hat einen ökologischen Fussabdruck von
einer Erde zum Ziel. Das heisst: Wir verhalten uns so,
dass die Ressourcen für die ganze Menschheit reichen,
wenn sich alle so verhalten. Wer das ernst nimmt, muss
die Konsequenzen benennen: ein Leben ohne Flüge,
ohne Privatauto, ohne Billigfleisch und mit viel weniger
Wohnfläche. Das kann durchaus ein gutes Leben sein.
Auch dank eines Nebeneffekts, den die Grünen nicht
erwähnen: Wenn Energie teurer wird, hemmt das die
Verlagerung von menschlicher Arbeit zu
Maschinenarbeit. Das kommt den Arbeiten zugute, die
Maschinen nicht machen können – Pflege, Erziehung,
Betreuung.
Fast scheint es, als nähmen die GegnerInnen die
Initiative ernster als die InitiantInnen. Das zeigt sich am
Dilemma, in dem bürgerlich-bäuerliche Organisationen
stecken: Der Bauernverband lehnt die Vorlage ab,
beteiligt sich aber bewusst nicht am
Abstimmungskampf. Um das Anliegen der Initiative
zu erfüllen, wäre ein Umbau der Wirtschaft nötig:
hin zu einer klugen Kombination von Hightech und
regionalen Kreisläufen. Das böte grosse Chancen
für Land- und Forstwirtschaft und ihre
Verarbeitungsbetriebe, also für den ländlichen
Raum und das Berggebiet – vom Bau von
ausgeklügelten Passivhäusern, die mehr Energie
produzieren, als sie brauchen, bis zur Haltung von
Rindern, die ihr Futter an steilen Hängen selber
suchen. Das weiss auch der Bauernverband. Doch
er hat Angst vor den Konsequenzen: Beim Versuch,
«effizient» wie die Industrie zu werden, haben sich
die LandwirtInnen von importiertem Futter und –
wie der Rest der Wirtschaft – vom Erdöl abhängig
gemacht. Der Umbau täte also auch ihnen weh.
Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für
Berggebiete (SAB) bekämpft die Initiative aktiv. Sie
fürchtet, dass eine Annahme Tourismus und Verkehr
verteuern würde. Auch diese Angst ist berechtigt. Aber
sie ist auch fantasielos.
Wir, die BewohnerInnen eines unglaublich privilegierten
Landes, können versuchen, gute Strategien zu finden
im Umgang mit der ökologischen Krise, die sich
verschärfen wird. Oder wir können Augen und Ohren
verschliessen und weitermachen wie bisher – in der
Hoffnung, dass wir die Folgen nicht mehr erleben. SABPräsident Isidor Baumann, CVP-Ständerat aus Uri, hat
sich für Letzteres entschieden: Er kämpfte in den
letzten Jahren unter anderem dafür, dass
Pistenfahrzeuge von der Mineralölsteuer befreit
werden. Mitte August fand er beim Bundesrat Gehör.
Wieder ein kleiner Schritt in die falsche Richtung – von
einem Bundesrat, der eigentlich wüsste, was nottäte.