"Die teilende Gesellschaft (9/10) - Die Utopie vom Teilen

Tiefenblick, 04.09.2016
Die teilende Gesellschaft (9/10)
Die Utopie vom Teilen
Ansage:
Die Utopie vom Teilen
Von Martin Hubert
Cut 1: Moderator / Jeremy Rifkin
Applaus
Moderator: Okay, so, my pleasure is to introduce Mr Jeremy Rifkin.
Jeremy Rifkin: Good afternoon, everyone, it’s a pleasure to be with
you …
Rede von Rifkin weiter unterlegen.
Sprecher 1:
Auftritt Jeremy Rifkin auf der Global Conference 2015 der CEBIT in
Hannover. Wie ein Magier redet der amerikanische Soziologe und
Ökonom auf seine Zuhörer ein, verkündet in freier Rede, was er
bereits in einem Bestseller niedergeschrieben hat.
Cut 2: Jeremy Rifkin
Übersetzer:
Sprecher 1:
By mid-century, 35 years from now … the collaborative commons.
In der Mitte des 21. Jahrhunderts, also in ca. 35 Jahren, wird der
Kapitalismus nicht mehr das vorrangige und alleinige ökonomische
Prinzip sein. Unsere Kinder werden einen Teil ihres Leben in der
gewöhnlichen Ökonomie des kapitalistischen Marktes verbringen
können und den anderen Teil in einer Sharing Economy, die auf
kooperativen Gemeingütern beruht.
Sharing Economy. Eine Ökonomie, die nicht mehr auf Profit und
Konkurrenz beruht, sondern auf der Idee des Teilens. Rifkin ist
überzeugt, dass sich dieses Prinzip immer weiter ausbreiten wird.
Cut 3: Jeremy Rifkin
Übersetzer:
Sprecher 1:
We gonna be able to dramatically ... the profit by the networks
Wir werden die Produktivität im Wirtschaftsleben dramatisch erhöhen
und die Kosten der Produkte dramatisch senken können. So
erzeugen wir einen durchrationalisierten Kapitalismus, und das
bedeutet: niedrige Grenzkosten, hohe Werte, aber kein Profit; der
Profit wird über das Netz gemacht.
Grenzkosten sind die Kosten, die bei der Herstellung jedes
zusätzlichen Produkts entstehen. Rifkin ist sich sicher, dass sie
immer stärker gegen Null gehen werden. Sein Paradebeispiel ist die
Musikindustrie. Einen fertig produzierten Song zu vervielfältigen und
zu verbreiten, verursacht für die Hersteller keine Kosten. Teilen statt
profitorientiertes Vermarkten. Für Rifkin lässt sich dieses Prinzip
auch auf andere Branchen übertragen. Auch dank des 3-D-Druckers
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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Tiefenblick, 04.09.2016
Die teilende Gesellschaft (9/10)
Die Utopie vom Teilen
lassen sich künftig immer mehr Produkte mit immer geringer
werdenden Grenzkosten herstellen.
Cut 4: Jeremy Rifkin
Its already there!
Übersetzer:
Das gibt es jetzt schon.
Sprecher 1:
Der Kapitalismus verwandelt sich quasi von selbst in eine teilende
Gesellschaft. Ist das mehr als nur ein schöner Traum? Kritiker
meinen, dass Rifkin die Beharrungskräfte des kapitalistischen Profitund Konkurrenzprinzips gewaltig unterschätzt. Aber er verleiht
offenbar einer verbreiteten Sehnsucht Ausdruck. Denn ganz
unabhängig von Rifkin arbeiten Menschen auch in Deutschland an
dieser Utopie einer teilenden Gesellschaft.
Atmo 1: Vor dem Futurzwei-Haus: Verkehrsgeräusche, dann Treppensteigen
Atmo 1 weiter unterlegen
Sprecher 1:
Ein rotes Backsteinhaus in Berlin-Moabit, im Inneren führt eine
Treppe mehrere Stockwerke hinauf.
Wieder hoch mit Atmo 1
Atmo 1: Klingeln, Tür wird geöffnet, Begrüßung
Sprecher 1:
Oben begrüßt mich Dana Giesecke, die Leiterin der „Futurzwei
Stiftung Zukunftsfähigkeit“, wie sie sich nennt. Die Stiftung hat ein
großes Projekt: eine neue Gesellschaft. Giesecke führt mich in einen
hohen, etwas halligen und weiß gestrichenen Raum, in dem sich nur
ein langer Tisch und zwei Schreibtische befinden. An den Wänden
und in gläsernen Vitrinen sind Kunstwerke zu sehen, abstrakte
Bilder, Objekte und Skulpturen. Ein Atelier mit viel freiem Raum.
Cut 5: Dana Giesecke
Eigentlich kann man sagen, dass dieser Ort auch mit dem Thema
dieser Sendung zu tun hat, weil wir sitzen hier in Räumen, die uns
nicht gehören, sondern die wir für eine gewisse Zeit teilen. Aber
generell ist dieser Ort ein Ort der Veränderung und der
Transformation. Und zwar es ist ein Ort für viele kreative Berufe,
aber auch viele Leute, die tatsächlich mit Gestaltung von Umwelt zu
tun haben, wie bekannte Architekten, aber auch Künstler. Und wir
sitzen hier in einem Künstleratelier der Künstlerin Karin Sander, die
derzeit nicht anwesend ist, weil sie ein Stipendium in Rom hat bei der
Villa Massimo. Und damit der Raum nicht ungenutzt bleibt in der
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Die Utopie vom Teilen
Zwischenzeit, hat sie uns, die gerade keine eigenen Büroräume
besitzen, Obdach gewährt.
Sprecher 1:
Die Soziologin Dana Giesecke schaut auf einige der Bilder und
Objekte von Karin Sander. Sie seien wesensverwandt mit dem, was
die Stiftung Futurzwei fördern will, erklärt sie. Es sind sparsame
Kunstwerke, die oft mit Alltagsmaterialen arbeiten.
Cut 6: Dana Giesecke
Also sie fügt nichts hinzu von dem vielen, was wir schon um uns
haben, sondern entweder sie nimmt was weg oder aber sie teilt es
mit dem, was schon da ist. Und viele Geschichten, von denen
Futurzwei erzählt, zeichnen sich auch dadurch aus, dass Menschen
eben nicht noch mehr produzieren oder irgendetwas hinzufügen,
sondern versuchen, mit den Gegebenheiten auch auszukommen,
klarzukommen oder mit dem Gegebenen zu arbeiten bzw. es in
andere Formen oder in eine andere Praxis umzuwandeln.
Sprecher 1:
Futurzwei widmet sich der Kunst des zukunftsorientierten Erzählens.
Die Stiftung recherchiert Geschichten von Projekten, die sich dem
nachhaltigen und kooperativen Umgang mit Menschen und Dingen
verschrieben haben. Und verbreitet sie auf ihrer Webseite, auf
Veranstaltungen oder in Büchern.
Musik 1; kurz frei, dann unterlegen.
Sprecher 2:
Akkordarbeit fürs Karma: Eine Futurzwei-Geschichte des Gelingens
von Josefa Kny.
Sprecherin:
Andris wohnt in einem alleinstehenden Haus mit Blick über den
Berliner Urbanhafen. Er trägt Zeitungen aus und war bis vor Kurzem
wohnungslos. Jetzt wohnt er im Luxus, denn sein Anwesen erfüllt
alle Bedürfnisse. Er wohnt auf fünf Quadratmetern, verfügt über ein
WohnEsszimmerKüchen-Bad und ein Schlafzimmer mit Fensterfront.
Das Unreal Estate House, in dem er schläft, isst und liest, gehört
Adris nicht. Den Bau des Hauses haben viele Menschen finanziert.
Die fünf Quadratmeter gehören ihnen alle zusammen. Van Bo LeMentzel gefällt das: nichts besitzen, alles teilen. Er hat das Unreal
Estate House entworfen und die 3.000 Euro Materialkosten via
Crowdfunding eingetrieben.
Musik 1 langsam weggelaufen
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Die teilende Gesellschaft (9/10)
Die Utopie vom Teilen
Sprecher 1:
Menschen nutzen Handlungsspielräume, um Alternativen zu
realisieren. Futurzwei möchte diesen Trend vorantreiben, indem sie
die Geschichten dieser Projekte in die Öffentlichkeit einspeist. Sie
möchte zeigen, wie viel Zukunft schon heute verwirklichbar ist, meint
der Mitbegründer und Direktor von Futurzwei, der Sozialpsychologe
Harald Welzer:
Cut 7: Harald Welzer
Ich glaube, dass unsere Gesellschaft extrem wenig Zukunft und
Zukunftsvorstellung hat und dass sie extrem gegenwartsbezogen ist.
Und Gesellschaften brauchen genauso wie Individuen eigentlich ja
die Kategorie Zukunft als etwas, wo sie sich hinbewegen können
oder – wenn es negativ ist – wovon sich wegbewegen können. Und
das Futur Zwei ist ja noch eine Stufe weiter als die einfache Zukunft.
Das ist die vollendete Zukunft und das ist ja dieses faszinierende
menschliche Vermögen, sich in einen Zukunftspunkt so
hineinversetzen zu können, als würde er schon existieren. Und dass
man von diesem Punkt aus zurückblicken kann auf den Weg, den
man zurückgelegt hat, um dorthin zu kommen. Und das ist ja eine
unglaubliche Produktivkraft, so denken zu können.
Sprecher 1:
Nehmt die Gegenwart alternativer Projekte und lasst euch davon
anstecken, für eine andere Zukunft zu arbeiten. Nach diesem Prinzip
hielt die Stiftung Futurzwei nach ökologisch nachhaltigen Projekten
Ausschau, merkte aber schnell, dass diese oft auch soziale Aspekte
verkörpern. Projekte des Kleider- oder des Werkzeugtauschs, des
Lebensmittel-oder Energieaustauschs – oder der nachhaltigen
Kleiderproduktion.
Cut 8: Harald Welzer
Wenn man beispielsweise mal daran denkt, dass eine
Textilfabrikantin wie die Sina Trinkwalder von manomama ja im
Grunde genommen ein klassisches Geschäftsmodell hat, indem sie
Textilien herstellen lässt, die sie verkauft, dann würde damit von
Teilen noch gar keine Rede sein. Wenn sie aber ihre
unternehmerische Tätigkeit so definiert, dass es darum geht,
wertschätzende Beziehungen herzustellen, und zwar zwischen
Kunden und Herstellern und zwischen den Arbeiterinnen und
Arbeitern und dem Kunden und ihr als Unternehmerin, dann ist
natürlich ein extremes Teilemoment da drin, nämlich dass alle
teilhaben an diesem Erzeugnis und der Art und Weise, wie es
erzeugt wird. Und in der Weise ist, glaube ich, über dieses schlichte
„Ich habe jetzt einen Kuchen und den teilen wir in gleich große Teile“,
ist in den Projekten, die versuchen eine andere Form von
Nachhaltigkeitspraxis zu leben, ein sehr tiefer Teilens-Begriff drin.
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Die teilende Gesellschaft (9/10)
Die Utopie vom Teilen
Sprecher 1:
Was motiviert diejenigen, die nicht nur teilen wollen, um Geld zu
sparen oder Geld zu verdienen, wie beim Carsharing, beim
Taxiportal Uber oder dem Zimmervermittlungsportal Airbnb? Sondern
die sich dem Gewinntrend prinzipiell verweigern und eine andere
Gesellschaft wollen?
Cut 9: Josefa Kny
Ich bin '87 geboren, d.h. irgendwie schon immer im Überfluss
aufgewachsen.
Sprecher 1:
Josefa Kny, ebenfalls Mitarbeiterin von Futurzwei. Sie trägt ein Kleid,
das sie mit einer Freundin getauscht hat und eine Kette ihrer
Großmutter.
Cut 10: Josefa Kny
Bei mir kommt diese Sehnsucht nach Teilen oder auch mit anderen
Leuten in Kontakt zu kommen und auch weniger zu haben dadurch,
dass ich halt immer in gefüllte Supermarktregale gucken konnte und
immer alle Geschenke und alle Spielzeuge, die ich mir zum
Geburtstag gewünscht habe, bekommen habe und so denke,
irgendwann, mein Zimmer ist vollgestopft, meine Wohnung ist
vollgestopft, meine Zeit ist vollgestopft. Soll es das sein oder geht es
nicht auch darum, ein bisschen weniger zu haben und sich bewusst
zu fragen: Was brauche ich wirklich, was muss ich besitzen und was
brauche ich nur einmal im Jahr? Da zu sagen, ich brauche keine
riesige Wohnung, weil ich gar nicht so viel verstauen muss sondern
man kann versuchen, mit jemand anderem zu tauschen oder zu
teilen, zu verschenken.
Musik 1: unter Cut 10 einblenden, jetzt kurz frei stehen lassen, dann unterlegen
Sprecher 2:
Sprecherin:
„Akkordarbeit fürs Karma“. Fortsetzung:
Van Bo Le-Mentzel ist Architekt und mittlerweile auch Möbeldesigner
und engagierter Wirtschaftskritiker. Mit Möbeln fing 2010 alles an.
Der junge Mann hatte kaum Geld, aber wollte seiner Freundin ein
schönes Regal schenken. Also lernte er in einem
Volkshochschulkurs das Tischlern und baute sein erstes Holzmöbel.
Das gefiel. Er entwarf weitere Stücke frei nach Bauhausvorbild,
darunter den vielseitig einsetzbaren Berliner Hocker zu zehn Euro
Materialwert und den gemütlichen 24-Euro-Chair – Möbel, die sich
alle leisten können, Hartz-IV-Möbel genannt. Die Baupläne stellte der
Designer kostenfrei ins Internet.
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Musik 1 langsam weg
Cut 11: Klaus Dörre
Ich würde das als Gegenreaktion auf Konkurrenz und Marktzwänge
deuten, was da gegenwärtig passiert.
Sprecher 1:
Klaus Dörre ist Professor für Soziologie an der Universität Jena und
einer der Leiter des dort angesiedelten Forscherkollegs
„Postwachstumsgesellschaften“, das von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft gefördert wird.
Cut 12: Klaus Dörre
Dass das in reichen Gesellschaften passieren kann, das liegt auf der
Hand, weil die Marktzwänge, Leistungsdruck usw. natürlich auch in
sozialen Gruppen wirksam werden, die jetzt vom Einkommen her
erstmal auf der sicheren Seite sind. Gerade da kann so ein Bedürfnis
gerade ja besonders stark entstehen unter Umständen. Weil
materiell hat man alles, was man braucht und kann sich dann eher
die Frage stellen, ob man sozusagen die Fülle wirklich benötigt und
ob es nicht sinnvoller ist, mit anderen zu teilen und zu tauschen.
Sprecher 1:
Überdruss an der Überfluss-, Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft,
das ist für Klaus Dörre ein wichtiges Motiv für die Suche nach einer
teilenden Gesellschaft. Aber er sieht noch ein zweites, ganz anders
geartetes Motiv, das mit der anhaltenden ökonomische Krise und der
damit einhergehenden Not verbunden ist.
Cut 13: Klaus Dörre
Also ich mach's mal an einem Beispiel. Die griechische Gesellschaft
funktioniert überhaupt nur noch deshalb, weil es eine Fülle von
quasi-genossenschaftlichen, solidarisch-ökonomischen
Veranstaltungen gibt, die quantitativ, also von wirtschaftlichen Output
her, noch nicht sehr bedeutsam sind, die aber dazu führen, dass die
Gesellschaft überhaupt noch funktioniert. Beispiel: Ärzte machen
ihren normalen Arbeitstag und kriegen dafür ihr Gehalt. Und dann
gibt es eine Klinik der solidarischen Ökonomie und da machen sie
einen zweiten Arbeitstag und versorgen Angehörige der 3 Millionen,
die formal überhaupt keine Berechtigung mehr haben, am
öffentlichen Gesundheitssystem teilzunehmen. D.h. wir haben quasi
genossenschaftliche Formen, aus der Not geboren, die müssen aber
auch mit Sinn ausgestattet werden. Also es ist ein doppelter
Arbeitstag, und das machen die eben, weil sie der Überzeugung
sind, denen muss geholfen werden und das gebietet zum Beispiel
mein berufliches Ethos oder einfach Menschlichkeit, menschliche
Würde usw.
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Tiefenblick, 04.09.2016
Die teilende Gesellschaft (9/10)
Die Utopie vom Teilen
Sprecher 1:
Im ökonomisch darniederliegenden Griechenland tauschen und
teilen Menschen nicht nur ärztliche Leistungen, sondern auch
Wohnplätze oder Lebensmittel. Auch Mangel und Not können die
Wurzel utopischen Denkens sein. Dana Giesecke zum Beispiel
erzählt im halligen Raum von Futurzwei, dass sie genau solche
Erfahrungen geprägt haben:
Cut 14: Dana Giesecke
Ich bin DDR-sozialisiert, also in einer Mangelwirtschaft
aufgewachsen. Für uns war Teilen und Tauschen von
Gegenständen, Kleidung, Werkzeugen, aber eben auch Fähigkeiten,
das gehörte zum ganz normalen Alltag, um irgendwie einigermaßen
über die Runden zu kommen. Und das Motto war „Eine Hand wäscht
auch die andere“, ohne dass das irgendwie ganz konkret miteinander
aufgewogen wird, ob der eine mehr macht oder der andere. Weil
man könnte ja in Zukunft vielleicht den noch mal brauchen, oder
ganz wichtig: Man kann ihm auch Freude damit bereiten.
Sprecher 1:
Es gibt die unterschiedlichsten Motive, sich für eine wahrhaft teilende
Gesellschaft einzusetzen. Aber wie viele Menschen sind in der
Bundesrepublik Deutschland tatsächlich von diesem Trend erfasst?
Harald Heinrichs, Professor für Nachhaltigkeit und Politik an der
Universität Lüneburg, hat dazu mit 1.000 Bundesbürgern eine
repräsentative Umfrage durchgeführt. Das erste, ernüchternde
Ergebnis der Studie aus dem Jahr 2012: Mehr als die Hälfte der
Befragten, nämlich 55 Prozent, hatte kein Interesse am Teilen, weder
in gesellschaftskritischer noch in kommerzieller Hinsicht. Aber die
andere knappe Hälfte eben doch. Und unter denen unterscheidet
Harald Heinrichs zwei Gruppen. Die eine bildet die Hauptzielgruppe
der Sharing Economy.
Cut 15: Harald Heinrichs
Das ist ein knappes Viertel in Deutschland: Die sind jünger, die
haben ein höheres Bildungsniveau, sind ganz klar eher in
städtischen Regionen zu Hause, haben eine höhere Affinität auch
durchaus zu abwechslungsreichem Leben, aber verbinden es auch
mit einem relativ hohen Nachhaltigkeitsbewusstsein. Und da gibt es
eine andere Gruppe, die haben wir damals die „Konsumpragmatiker“
getauft, weil die – das waren 14 Prozent, – machen es nicht aus
ideologischen Gründen, das sind nicht Überzeugungstäter, die die
Welt retten wollen, mit dem was sie tun. Sie machen es wirklich, um
Geld zu sparen, weil man dann vielleicht auch mal Dinge günstiger
nutzen kann, und um auf der anderen Seite vielleicht auch Geld
damit zu verdienen.
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Die Utopie vom Teilen
Sprecher 1:
Die bittere Wahrheit für diejenigen, die an die Utopie einer teilenden
Gesellschaft glauben, lautet allerdings nach Harald Heinrichs: Von
den 25 Prozent, die nicht aus finanziellen Gründen teilen, ist nur eine
Minderheit bereit, sich aktiv und strategisch für eine neue
Gesellschaft einzusetzen.
Cut 16: Harald Heinrichs
Wenn ich diese Daten interpretiere und auch mit anderen in
Verbindung bringe, dann würde ich die These wagen, dass der Anteil
derjenigen, die ganz stark auf soziale Formen des Sharing adressiert
sind, deutlich unter 10 Prozent liegt.
Sprecher 2:
Sprecherin:
„Akkordarbeit fürs Karma“, Teil 3.
Bis heute haben Alt-und Neuheimwerker Van Bo Le-Mentzels
Bauanleitungen gut 20.000-mal von seinem Blog heruntergeladen.
Ein Viertel von ihnen lebt in prekären Verhältnissen, schätzt der
Open-Source-Fan, genau wie er zu Beginn des Möbelprojekts. Er
beobachtet gern, wie sich die Möbelstücke durch die Ideen anderer
wandeln. Die neuesten Kreationen schickt er sofort hinaus in die
Crowd.
Musik 1 langsam weg
Sprecher 1:
Kann eine Minderheit die Gesellschaft verändern? Für Klaus Dörre,
den marxistisch geprägten Soziologen aus Jena, könnten eher die
Krise und die Not eine solche Entwicklung begünstigen. Er verweist
neben Griechenland noch auf andere arme Länder, in denen
Menschen Gesundheitsleistungen, Wohnungen oder Nahrungsmittel
miteinander teilen:
Cut 17: Klaus Dörre
Also im Grunde ist das, was man heute „solidarische Ökonomie“
nennt, etwas, was insbesondere in Lateinamerika weit verbreitet ist,
nichts anderes als eine moderne Form von Genossenschaftswesen.
Sprecher 1:
Der uralte Grundgedanke von Genossenschaften: Menschen teilen sich
das Eigentum an Produktionsmitteln, an Kapital und an Verantwortung, um
als gemeinschaftliche Produzenten auf dem kapitalistischen Markt zu
bestehen und soziale Ziele zu verwirklichen.
Cut 18: Klaus Dörre
Und man kann sagen, dass dieser genossenschaftliche Zweig immer
wieder mal untergeht. Also man wird feststellen können,
Genossenschaften, die lange am Markt sind in einer kapitalistischen
Umwelt, tendieren dann doch dazu immer wieder, selbst nach
kapitalistischen Prinzipien zu funktionieren. Es gibt unheimlich viele
Anpassungsdrucke. Aber man sieht auch, so kaputt das an
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bestimmten Stellen sein mag oder in bestimmten historischen
Epochen, es entsteht wieder neu. Und das erleben wir gerade. Also
in der Krise, aus der Not geboren besinnen sich Leute auf alte
solidarische Ideen wie bei unseren Energiegenossenschaften, damit
kann man auch ein bisschen Geld verdienen. Also es muss nicht
unbedingt ein sozialistisches Motiv dahinterstecken. Aber der
Gedanke, etwas selber zu machen, dezentral zu produzieren, das
setzt irgendwo auch soziale Reziprozität voraus. Also einen Tausch,
wo man darauf vertraut, irgendwann mal eine Gegenleistung zu
kriegen, wenn man sie denn benötigt.
Sprecher 1:
Teilen und wechselseitige Hilfe geht vor Gewinn. Immer wieder gab
es Verbünde von kleinen Warenproduzenten, die sich mithilfe dieses
Prinzips eine Zeitlang gegen große profitorientierte Unternehmen
behaupten konnten. In Deutschland zum Beispiel die berühmten
Hersteller der Solinger Klingen. Allerdings funktionierte das nach
Klaus Dörre nur, solange sie in einen größeren Zusammenhang
eingebunden waren.
Cut 19: Klaus Dörre
Es braucht immer ein soziales Netzwerk, was nicht kapitalistisch ist
Also in Italien war es der PCI
Sprecher 1:
Die kommunistische Partei Italiens, die dort bis in die 1980er-Jahre
starken Einfluss besaß.
Cut 20: Klaus Dörre
Also in diesen Unternehmensverbünden hatte der PCI, zum Teil in
Regionen 70 Prozent der Wähler-Stimmen. Da war alles Mitglied,
vom Unternehmer über den Banker bis hin zum Arbeiter. Das war
gewissermaßen eine gemeinsame Wertebasis, und man hat abends
beim Bier die Dinge besprochen oder beim Wein dann in dem Fall,
kulturvoller, die Dinge besprochen, wie es denn eigentlich laufen
konnte. In Solingen war das die katholische Kirche, die eine ähnliche
Funktion hatte. Das heißt es braucht ein Überzeugungssystem, das
nicht marktförmig zugerichtet ist, weil nur das die Werte und die
Vertrauensbeziehung schafft, die erforderlich sind, um so ein
Kooperationsverhältnis aufrecht zu halten.
Sprecher 1:
Klaus Dörre glaubt nicht an die Idee von Jeremy Rifkin, dass die
ökonomische Entwicklung des Kapitalismus von selbst auf eine
Gesellschaft des kooperativen Teilens hintreibt. Der Kapitalismus
lebe gerade davon, sich alternative Ideen einzuverleiben und dem
Gewinnstreben zu unterwerfen. Dagegen helfe nur eine soziale
Bewegung mit gemeinsamen Werten, die neue Formen des
Eigentums und der Produktion hervorbringt und unterstützt. Was
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aber, wenn ein solches Netzwerk nicht existiert – wie heute! Kann
man da immer noch von der Veränderung des kapitalistischen
Systems träumen?
Cut 21: Harald Welzer
Ich mag eigentlich keine Konjunktive. Die Systemfrage ist immer eine
Konjunktivfrage: Man müsste den Kapitalismus abschaffen, man
müsste neue Bündnisse machen, man müsste die Menschen
aufklären oder so. Alles das interessiert mich eigentlich nicht
besonders. Mich interessiert eigentlich eher die Praxis, weil die
Praxis ist das verändernde Moment.
Sprecher 1:
Auch Harald Welzer, der Direktor von Futurzwei macht sich keine
Illusionen über die Veränderbarkeit des Gesellschaftssystems nach
einem großen Masterplan. Weder Projekte, die von einer „Großen
Transformation der Gesellschaft“ sprechen, noch der Glaube
Jeremey Rifkins, dass der Kapitalismus sich schon selbst abschaffen
würde, überzeugen ihn. Er selbst trägt auch keine getauschte
Kleidung – glaubt aber trotzdem, dass ein utopisches Handeln von
unten möglich und unterstützenswert ist.
Cut 22: Harald Welzer
Eines ist besonders interessant, dass man im Bereich Ökologie,
Klimaschutz, Nachhaltigkeit immer danach sucht, wie biegt man
Leuten etwas bei. Also dieses ganze Phantasma von „Bildung für
nachhaltige Entwicklung“ ist immer von dem Gedanken getragen: Wir
wissen was, was die anderen nicht wissen, also ist es unsere
Aufgabe, denen das beizubringen, damit die das dann auch wissen,
in der irrigen Annahme, sie würden dann etwas tun. Und das ist
politisch grundverkehrt. Weil es sozialpsychologisch grundverkehrt
ist. Ich kann Menschen nur für etwas interessieren und ein
Engagement hervorrufen, wenn es ihre eigene Sache ist, d.h. wenn
ich einen Anknüpfungspunkt finde.
Musik 1
Sprecher 2:
Sprecherin:
„Akkordarbeit fürs Karma“, eine Geschichte des Gelingens, Teil 4.
Van Bo Le-Mentzel liebt Chucks, das legendäre
Basketballschuhmodell. Allerdings gehört die Marke zum
Sportartikelhersteller Nike, und der produziert bei weitem nicht so
fair, wie Le-Mentzel es gern hätte. Also machte der Berliner sich
selbst daran, eine Herstellung loszutreten, die ökologisch
unbedenkliche Materialien verwendet und die Arbeiterinnen gerecht
entlohnt. Über die Crowdfunding-Webseite startnext fand er
genügend Leute, die die Karma Chakhs, wie er sein Alternativmodell
getauft hatte, finanzieren wollten. Deshalb habe er die Produktion
auch nicht allein organisiert, sagt Le-Mentzel, „das hat die Crowd
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gemacht“. Die Karma Chakhs kommen frei von Gewinnerwartungen
zu denen, die sie haben wollen – aber mit deren Hilfe. „Man könnte
sagen, ich leite eine globale Möbel- und Schuhfabrik“ beschreibt LeMentzel lachend seine Rolle. Aber darum ginge es nicht. Vielmehr
darum, dass Wirtschaften gutes Karma bringt.
Musik 1 langsam weg
Sprecher 1:
Harald Welzer glaubt, dass weit weniger als 10 Prozent der
deutschen Bevölkerung an einer sozialen Sharing-Ökonomie
interessiert sind. Er schätzt die Zahl auf 3 bis 5 Prozent. Aber auch
daraus könne eine Bewegung entstehen.
Cut 23: Harald Welzer
Wenn ich die Anfänge einer Bürgerrechtsbewegung sehe, dann
bewegt sich das noch nicht einmal im Zwei-, Drei-, VierProzentbereich. Solche Bewegungen werden dann stark, wenn in
anderen gesellschaftlichen Gruppen etwa diese 3 bis 5 Prozent die
Ideen aufnehmen und weitertreiben. Also der Witz besteht nicht in
der Herstellung von Mehrheiten, sondern der Witz besteht in der
Durchdringung aller gesellschaftlichen Gruppen mit demselben
Anliegen. Das ist der spannende Punkt, das muss man hinkriegen.
Immer dann, wenn sie Subkultur haben, springt nichts über. Dann
sagt man: Ach, das sind die Ökos. Ach, das sind die Veganen. Ach
das sind die keine Ahnung. Aber wenn sie die gesellschaftliche
Durchdringung hinkriegen, dann reichen geringe Prozentzahlen für
fundamentale Verhaltens- und Einstellungsveränderung
Sprecher 1:
Das Denken der Gesellschaft müsse einfach von der Idee eines
guten Lebens in einer nachhaltig teilenden Gesellschaft angesteckt
werden. Ein Beispiel ist für Welzer die aktuelle Bewegung der
Gemeinwohlökonomie: Unternehmen verpflichten sich, Bilanzen zu
erstellen, in denen sie festhalten, wie ökologisch und sozial sie
produzieren. Teilen sie ihre Gewinne gerecht auf? Zahlen sie faire
Löhne? Handeln sie fair gegenüber ihren Zuliefern?
Cut 24: Harald Welzer
Das wäre eine gute Funktion und die meisten der 1.500
Unternehmen, die sich bislang dieser Bewegung angeschlossen
haben, sagen: Ja, das ist ein Superinstrument, wir sehen, wo wir
schwach sind und wo wir besser sein können in Richtung
Gemeinwohlorientierung. Tut uns gut, wir lernen etwas, wenn wir
diese Bilanzen machen. Das mittelfristige Ziel der Gemeinwohlbilanz
ist aber, wir möchten einen politischen Prozess starten, wo
Unternehmen, die einen bestimmten Zielwert erreichen, in der
Gemeinwohlbilanz steuerlich bevorteilt werden.
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Sprecher 1:
Ein Lernprozess in Richtung sozialer Gesellschaft. Ist das reinster
Idealismus oder der einzige realistische Weg, überhaupt noch
gesellschaftliche Alternativen vorantreiben zu können? Selbst der
skeptische Klaus Dörre kann sich der Idee nicht ganz verweigern:
Cut 25: Klaus Dörre
Wenn damit transportiert wird, wir wollen eine andere Gesellschaft
und das ist letztendlich die zentrale Bedingung für ein besseres
Leben und so etwas verbreitet sich, dann ist das natürlich ein
transformativer Ansatz in einer gewissen Weise. Das schließt nicht
aus, dass es irgendwann doch wieder einkassiert wird. Aber in einer
Situation, wo man mit tiefen Krisen rechnen muss, glaube ich, ist die
Frage des Praktizierens von Alternativen in der bestehenden
Gesellschaft schon eine ganz Wichtige.
Sprecher 1:
Harald Heinrichs von der Universität Lüneburg hätte sogar einige
Forderungen an die Politik, um diesen Trend zu stützen:
Cut 26: Harald Heinrichs
Das Spektrum reicht von beispielsweise der Bauleitplanung, indem
eben von der Politik initiiert wird, mehr Wohnprojekte mit
gemeinschaftlichen Nutzflächen, also das Thema gemeinschaftliches
Wohnen. Ein zweiter Bereich wäre eben, inwieweit Städte Flächen
zur Verfügung stellen, damit Menschen gemeinschaftliches Gärtnern
im städtischen Umfeld praktizieren können. Auch hier hat die Politik
eben viele Möglichkeiten. Das zu gestalten. Also von daher glaube
ich, in den ganz unterschiedlichen Bereichen hat Politik und gerade
auch Kommunalpolitik bei weitem noch nicht die Möglichkeiten
ausgeschöpft, förderlich und motivierend diese Thematik nach vorne
zu bringen. Sprecher 1: Und so wird Dana Giesecke zusammen mit
Josefa Kny und anderen immer wieder neue Geschichten über
vorbildliche Projekte sammeln und auf der Futurzwei-Webseite
veröffentlichen.
Cut 27: Dana Giesecke
Niemand hat ein total vollständiges Bild der Zukunft vor Augen, das
ist unmöglich. Aber Futurzwei und auch jeder für sich persönlich wird
schon bei bestimmten Projekten, Geschichten oder Initiativen
denken, ja, das ist tatsächlich eine Sache, die zur Zukunft zählen
könnte. Und deswegen würde ich sagen, dass wir vielleicht die
aktuellen, gegenwärtigen Puzzleteile, die schon auf dem Spielfeld
liegen, nehmen, sortieren und versuchen, mit in eine Zukunft
hineinzubringen.
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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